Ein Bericht von Funke-Unterstützern aus Deutschland, die an der Großdemo des EGB in Brüssel teilgenommen haben.

Die Gewerkschaften stehen heute zwischen den Fronten von Arbeit und Kapital. Das sehen wir im grellen Licht der Krise deutlicher denn je: Die ArbeiterInnen verlangen von ihnen die Verteidigung ihrer elementarsten Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Unternehmer fordern, dass sie im Interesse des Systems die ArbeiterInnen in Zaum halten. Bis jetzt geht der Sieg nach Punkten an das Kapital. Massenentlassungen, Gehaltskürzungen und Verschärfungen der Arbeitsbedingungen sind größtenteils stillschweigend hingenommen worden – in der Hoffnung, dass die Krise schnell überwunden sein werde. Heute, mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der Krise, wird den Menschen langsam klar, dass selbst wenn sich die Wirtschaft erholen sollte die Zugeständnisse nicht rückgängig gemacht werden.

Dabei kommen erst in den meisten Ländern die Auseinandersetzungen rund um die „Sparpakete“, die verschärften Sozial- und Stellenabbau und Lohndumping mit sich bringen. Vor diesem Hintergrund fand am 29. September der europaweite EGB-Aktionstag gegen die Krise statt – und 100.000 ArbeiterInnen beteiligten sich allein an der zentralen Demonstration in Brüssel!

In der belgischen und EU-Metropole Brüssel setzt sich gegen 13 Uhr ein bunter und langer Zug von gut 100.000 Gewerkschaftern aus ganz Europa vom Südbahnhof in Bewegung. Mit dabei ist auch Konstantin Bezas. Der gebürtige Grieche und gelernte Bäcker aus Offenbach am Main hat sich einen Tag Urlaub genommen und ist schon um drei Uhr aufgestanden. Hier in Brüssel solidarisiert er sich mit belgischen Bierbrauern und sucht im Getümmel die Abordnung der griechischen Gewerkschaften. „Die Konzerne wollen immer mehr. Ihnen ist egal, was uns passiert“, so Bezas: „Viele Scheinselbstständige und Leiharbeiter bekommen nur fünf Euro in der Stunde. Das nehmen die Politiker in Kauf, denn sie stecken alle unter einer Decke.“

Aus Darmstadt sind zehn ver.di-Aktivisten angereist, überwiegend Telekom-Mitarbeiter. Betriebsrat Rainer Keil, der schon viele Großveranstaltungen miterlebt hat, hatte sich von der Euro-Demo „Impulse für unsere Herbstaktionen“ erhofft und zeigt sich angesichts der Fülle und Vielfalt stark beeindruckt und motiviert: „Das sind mehr als ich erwartet habe.“ Sein Kollege Bernd Blümmel legt Wert auf Austausch mit Gewerkschaftern aus anderen Ländern, die gleichermaßen von Sparpaketen betroffen sind.

Tonangebend in der deutschen Delegation sind Bergleute aus Steinkohlezechen an Ruhr und Saar mit einem Meer von Fahnen ihrer Gewerkschaft IG BCE. Kumpel mit Helm und Grubenlampe, Feuerwehrleute der Grubenwehr in ihren orangefarbenen Arbeitsanzügen und Männer aller Altersstufen in schwarzen Bergmannstrachten sind unübersehbar. Die Angst, schon ab 2014 auf der Straße zu stehen, hat sie auf die Brüsseler Straßen getrieben. „Von der Werkbank auf den Friedhof“, warnt Transparent der IG Metall-Vertrauensleute bei Ford in Köln vor der Rente erst mit 67. „Für uns ist alles schlechter geworden“, beklagt der Duisburger Stahlarbeiter Rainer Bongart. „Der Schiffbau stirbt leise“, warnt Andrea Husen vom Europäischen Metallarbeiterbund: „Es ist fünf vor zwölf.“

Ein Schlaglicht auf die verworrene, von Sprachenstreit und nationalistischen Tendenzen beeinflusste innenpolitische Lage in Belgien wirft ein riesiges Transparent der sozialistischen Gewerkschaft FGTB: „Stoppt den Zirkus! Für die Einheit der Arbeitnehmer in Flandern, der Wallonie und Brüssel!“ (siehe Bild). Auffällig stark sind in Brüssel die britischen Gewerkschaften vertreten. Nachdem die konservativ-liberale Regierung den Jahreshaushalt um 113 Milliarden Pfund kürzen will, stehen die Zeichen hier auf Sturm. Manuel Cortes, Vizechef der Bahngewerkschaft TSSA, berichtet von Kündigungsbriefen, die die konservative Stadtregierung in Birmingham „vorsorglich“ an viele tausend Bedienstete versandt hat. Sie „dürfen“ sich hinterher wieder zu deutlich schlechteren Bedingungen neu bewerben. Zusammen mit der Schwestergewerkschaft RMT kämpft die TSSA derzeit mit befristeten Streiks gegen den Abbau von 800 Arbeitsplätzen bei der U-Bahn in London und beklagt, dass dabei die Sicherheit auf der Strecke bleibt. „Das wird ein langer Guerillakrieg“, prophezeit ein U-Bahner aus der RMT.

Stark vertreten sind auch osteuropäische Gewerkschaften. Rumänische Polizisten beklagen, dass die Regierung ihnen das Demonstrationsrecht nehmen will. Catalin Musoi von der rumänischen Gasarbeitergewerkschaft klagt die Konzerne E.on und Gaz de France an, die den Abbau von 40000 Arbeitsplätzen diktiert hätten. Mit 400 oder 500 Euro Monatslohn verdienen die in Brüssel demonstrierenden Gastarbeiter und Polizisten noch überdurchschnittlich – und das bei Preisen etwa auf westeuropäischem Niveau, wie sie betonen.

Mit in Brüssel dabei: eine Delegation der spanischen Gewerkschaftsbünde UGT und CCOO (siehe Bild unten). Einige ihrer KollegInnen sind nicht gekommen, weil ihre Flüge auf Grund des spontanen Streiks der belgischen Fluglotsen gestrichen wurden. Die spanischen Gewerkschaftsvertreter informieren sich per Telefon über den am selben Tag in ihrem Land anberaumten Generalstreik. In Spanien hatte der sozialistische Premierminister Zapatero Anfang des Jahres die zwei größten Gewerkschaften – die ex-kommunistische CCOO und die sozialistische UGT – auf den Sparkurs eingeschworen. Im Interesse des Standorts dürfe sich die Arbeiterbewegung nicht „notwendiger Reformen“ verwehren. Noch Ende Mai hatte der CCOO-Vorsitzende Ignacio Toxo im nationalen spanischen Fernsehen gewarnt: „Ein Generalstreik wäre das Schlimmste, was dem Land passieren könnte.“ Da spürten die Arbeitgeber Rückenwind angesichts der zurückweichenden Haltung der Gewerkschaften und des demoralisierenden Effekts einer PSOE-Regierung, die Angriffe auf die Bevölkerung durchpeitscht. Sie verlangten von Zapatero noch härtere Einschnitte im Rentensystem und in der Arbeitsgesetzgebung – und überspannten damit den Bogen. Mitte Juni wurden die Verhandlungen zwischen Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften über neue Arbeitsgesetze ergebnislos abgebrochen; Toxo und sein Kollege von der UGT traten vor die Kameras und verkündeten einen Generalstreik für den 29. September. Der Druck war zu groß geworden, als dass sich die Gewerkschaften weiter offen gegen Kampfmaßnahmen stellen hätten können. Dass sie die Fronten noch nicht gewechselt haben, zeigt sich allerdings daran, dass inzwischen die neue Arbeitsgesetzgebung bereits längst im Parlament abgesegnet ist.

In einem Land nach dem anderen werden die Gewerkschaften Schritt für Schritt in Opposition zur herrschenden Politik getrieben. Doch ist diese Opposition zunächst nur halbherzig: Die Gewerkschaftsführung ist gezwungen zu mobilisieren, aber es fehlt ihr der Wille, die Kämpfe erfolgreich bis zum Ende zu führen. Dies kennzeichnete auch die Reden auf der Demo in Brüssel, in denen phrasenhaft und allgemein von einem sozialen Europa gesprochen wurde. Man sei gegen eine Sparpolitik und für Wachstum und Beschäftigung, wie es auch im Aufruf des EGB steht. Dies wurde von jeder Rednerin und jedem Redner wiederholt. Aber es gab keinen Hinweis darauf, welche weiteren Schritte unternommen werden sollen, wenn das Kapital nicht klein bei gibt. Der EGB hat Millionen Beschäftigte hinter sich, mit diesem Druckmittel muss das Kapital zu Zugeständnissen gezwungen werden. Wenn diese nicht erzielt werden, dann müssen im Winter eben nicht nur 100.000, sondern 500.000 Menschen kommen und es sollten in allen europäischen Ländern Protestaktionen laufen.

Die Bürgerlichen wissen, dass ihr System heute völlig vom Wohlwollen der Gewerkschaftsführung abhängig ist. Wo die Gewerkschaften eine unabhängige Rolle einzunehmen beginnen, setzen die Bürgerlichen auf staatliche Gewalt, um die Gewerkschaftsführung wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. So wurde etwa die Polizei gegen den baskischen Generalstreik vom 29. Juni eingesetzt, um die Gewerkschaftsbewegung einzuschüchtern. In Madrid wurde mit dem Einsatz des Militärs gedroht, um den Streik der U-Bahn-ArbeiterInnen zu brechen. In Griechenland, wo Ende Juli streikende LKW-Fahrer das Land zum Stillstand brachten, griff die Regierung auf Antigewerkschaftsgesetze und das Militär zurück, um den Streik zu brechen. In Großbritannien droht die bürgerliche Regierung hinter vorgehaltener Hand mit einer Verschärfung des ohnehin bereits stark eingeschränkten Streikrechts. Wie die britische Times berichtet, sollen Gewerkschaften für die Kosten haftbar gemacht werden, die durch Streiks entstehen. Zwar streitet die Regierung diese Pläne ab; die einschüchternde Wirkung der Zeitungsmeldungen auf gemäßigte und ängstliche Funktionäre im Gewerkschaftsapparat kann aber nur in ihrem Interesse sein, wenn es darum geht, die Kooperation des Gewerkschaftsbunds zu erzwingen.

Die harte Vorgangsweise der Herrschenden und die fehlende Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, Arbeitskämpfe erfolgreich auszufechten, wird allerdings die Arbeiterbewegung auf Dauer nicht einschüchtern können. Die ArbeiterInnen werden von den Gewerkschaften umso mehr verlangen, dass sie nach links gehen.

Dass tatsächlich etwas in Bewegung gekommen ist, zeigen die Pläne der Gewerkschaften für den Herbst. Die Vorbereitung der Aktionswochen der DGB-Gewerkschaften läuft auf Hochtouren. Diese müssen aber mit konkreten Perspektiven untermauert werden: Die Gewerkschaften sind zu weiteren Kampfmaßnahmen bereit, wenn weiterhin die Lasten der Krise auf dem Rücken der Arbeiterklasse abgewälzt werden. Vorbereitungen hierzu müssen in allen Gewerkschaftsuntergliederungen diskutiert und organisiert werden. Diesen Ansatz müssen wir einfordern, damit die Aktionswochen nicht verpuffen.
In Italien könnte sich rund um den Arbeitskampf bei FIAT die Bewegung verallgemeinern. Wo die Gewerkschaften nicht rechtzeitig dem Druck nachgeben, mag es vermehrt auch zu inoffiziellen, „wilden“ Streiks kommen, doch wird das den Prozess der Radikalisierung der Gewerkschaften erst recht vorantreiben.
Ein programmatischer Linksruck und eine Belebung der Gewerkschaften wird allerdings die Probleme nicht lösen. Vielmehr wird er das Grundproblem unserer Zeit in aller Schärfe aufwerfen: Wer den Lebensstandard der ArbeiterInnen konsequent verteidigen will, stößt an die Grenzen des Kapitalismus.

Quelle: www.derfunke.de


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