Vor genau 30 Jahren, am 14. Oktober 1980, marschierten 5000 leitende Angestellte, Streikbrecher und „Freunde“ von FIAT durch die Straßen Turins. In den Abendnachrichten war plötzlich von 15.000 die Rede, in der Stampa waren es dann 30.000, in der Repubblica sogar 40.000. Bis zum heutigen Tag blieb diese Kundgebung zur Unterstützung der FIAT-Konzernleitung als „Marsch der 40.000“ in Erinnerung. Dieser Tag beendete ein ganzes Kapitel sozialer Kämpfe in Italien.

Dieser Marsch war die Antwort der FIAT-Konzernleitung auf den Kampf gegen die Entlassung von 23.000 ArbeiterInnen, der schon 35 Tage andauerte. Die Gewerkschaftsführung beendete daraufhin den Kampf und ließ FIAT freies Spiel.

Die Gewerkschaftsführung versuchte bei einer großen Versammlung in Turin das Abkommen mit FIAT noch schönzureden, doch der Zorn der Vertrauensleute, die sofort verstanden haben, was nun auf sie zukommen wird, war enorm. Einer von ihnen, Pasquale Inglisano, der sich mit Tränen in den Augen zu Wort meldete, wurde folgendermaßen zitiert: „Aber warum muss es in jener Organisation, in die ich glaubte und in die ich noch immer glaube, genau die Mechanismen geben, gegen die ich in der Gesellschaft auch kämpfe.“ Den Widerspruch zwischen Gewerkschaftsführung und –basis brachte Liberato Norcia auf den Punkt: “Nach 12 Jahren Kampf in der Fabrik, habe ich diesen Moment herbeigesehnt. Dass sie alle da sind, dass Lama, Carniti und Mattina [alles führende Gewerkschaftsfunktionäre, Anm.] da sind…damit sie endlich kapieren, dass der Vertrauensmann, wenn er um halb sieben in der Früh in die Fabrik kommt, die Probleme seiner Familie mit sich herumschleppt, dann mit den Problemen der anderen Arbeiter in der Fabrik konfrontiert wird, dann mit den Problemen der Arbeit und mit dem Chef konfrontiert wird, und dann muss er auch noch die Sünden der Gewerkschaftsführer ertragen…(tobender Applaus!”.

Zuletzt meldete sich noch Giovanni Falcone, einer der bekanntesten and angesehensten Vertrauensleute zu Wort. Im Saal herrscht absolute Stille: “Für mich sind die lette 12 Jahres des Kampfes mehr als nur 12 Jahre des Kampfes, das war eine lange politische Erfahrung. Das war es für uns alle. Ich kam als Migrant vom Land rauf gekommen war, wie viele andere auch. Ich brachte damals kein Wort raus, war so unvorstellbar schüchtern, teilweise bin ich es noch immer, aber vieles habe ich überwinden können. Glaubt Ihr, dass FIAT jemand wie mich noch in der Fabrik behalten wird? Zumindest habe ich die Befriedigung, dass ich in Schönheit diese Tätigkeit abgeschlossen habe, und ich bin zufrieden, dass ich all diese Kämpfe durchfechten durfte.“ (tobender Applaus).

Bei der Abstimmung stimmt zwar die überwältigende Mehrheit mit erhobenen Fäusten gegen das Abkommen, doch der Gewerkschaftsführer Carniti, der die Abstimmung vorgenommen hat, proklamiert: „Somit wurde das Abkommen mit großer Mehrheit angenommen.“
In der Folge wurden 200 Vertrauensleute der Gewerkschaft in den Turiner FIAT-Werken entlassen. Mit diesem Schlag wurde die Turiner ArbeiterInnenbewegung enthauptet. Tausende ArbeiterInnen verloren in den folgenden Jahren ihren Job. Auf betrieblicher Ebene war damit der Startschuss für eine regelrechte Konterrevolution gegeben worden. Die italienische Linke hatte eine historische Niederlage erlitten, von der sie sich bis heute nicht erholt hat.

Der Kampf geht weiter

Wie in jedem realen Prozess kam es auch hier zu einer ungleichzeitigen Entwicklung. Weiterhin gab es Gruppen von ArbeiterInnen, die Widerstand leisteten gegen die Angriffe des Kapitals. Es gab in den 1980ern mehrere Versuche sich neu zu organisieren, man denke nur an das „comitato cassaintegrati di Mirafiori”, die Bewegung der “autoconvocati” 1984 oder an den Kampf im Alfa-Werk von Arese, das der Staat 1986 der Familie Agnelli für ein Butterbrot überließ. Aus diesem Kampf entstanden dann auch die COBAS, die anfangs von rund 2000 Arbeitern unterstützt wurden. Deren Ziel bestand nicht in der Spaltung der Gewerkschaft sondern vielmehr im Aufbau einer Strömung in der Gewerkschaft, die das Potential für eine alternative Gewerkschaftsführung darstellen sollte. Auf dieser Grundlage schafften es die COBAS auch in der Fabrik eine politische Hegemonie zu entwickeln, was Arese in den 1990ern zum Zentrum des Klassenkampfs in den FIAT-Fabriken machte. Auch in diesem Fall reagierte FIAT 1994 mit politisch motivierten Massenentlassungen. Trotzdem stellten die COBAS bei den darauf folgenden Gewerkschaftswahlen die Mehrheit in der Fabrik. FIAT-Vorstandsvorsitzender Cesare Romiti bezeichnete das Werk in Arese sogar als „gewerkschaftliches Beirut“. Schlussendlich wurde die Fabrik geschlossen und FIAT machte sich auf die Suche nach einer „grünen Wiese“, sprich einer neuen ArbeiterInnenklasse ohne gewerkschaftlicher Tradition, die sich leicht ausbeuten ließ.

Die „grüne Wiese“

Gefunden wurde diese „grüne Wiese“ in Melfi, im Süden des Landes, in der Region Basilicata. Dort wurde 1993 ein neues Werk eröffnet, wo eine neue Belegschaft zu sehr prekären Bedingungen angestellt wurde. Die Löhne lagen um 3 Millionen Lire unter jenen, in den alten Werken, es gab Nachtarbeit für Frauen, einen 18-Schicht-Betrieb usw. Die öffentliche Hand subventionierte diese Fabrik mit riesigen Geldsummen. Gleichzeitig wurde auf der Suche nach billigen Arbeitskräften die Produktion in Brasilien, Polen und Serbien ausgeweitet.

Es brauchte 10 Jahre, bis die Belegschaft von Melfi zu rebellieren begann. 2004 legte sie für 21 Tage die Arbeit nieder und zwang FIAT in die Knie. Ähnlich die Entwicklung in Termini Imerese, wo es im Jahr 2002 fast zur Besetzung des Betriebs gekommen wäre, was nur durch das Einschreiten der Gewerkschaftsführung verhindert wurde. Seither ist die FIOM-Führung jedoch in Widerstand zur offiziellen Linie der CGIL und der anderen sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaften geraten. Das Konzept der Standortlogik hat die FIOM noch immer nicht überwunden, aber sie stellt sich auf betrieblicher und tarifvertraglicher Ebene doch spürbar den Interessen des Kapitals entgegen. Die Industriellenvereinigung hat sich daher das Ziel gesteckt, die FIOM in den Betrieben zu zerschlagen, indem sie 2008 den Kollektivvertrag aufgebrochen hat.

Pomigliano, die FIOM und die “Partei der Klasse”

Jene Führungsgruppe, die sich unter dem Vorsitz von Sabbatini und dann von Rinaldini herausgebildet hat, mag Schwächen haben, doch im Gegensatz zu vielen in der Linken haben sie sich nicht kampflos zurückgezogen. Die FIOM blieb einem Klassenstandpunkt treu, wenn auch von einem reformistischen Sichtwinkel aus.

In den letzten Jahren entstand die PD, es kam zur Spaltung der Rifondazione Comunista, die CGIL machte einen Rückzieher nach dem anderen. Nur die FIOM hielt an ihren Positionen fest.  Das Festhalten an den alten Positionen ist in einer Phase wie der jetzigen nicht mehr ausreichend. Wer nicht vorwärts schreitet, wird unvermeidlicherweise an Boden verlieren und angesichts des gewaltigen Drucks der Kapitalseite unter die Räder kommen. Die Krise macht einen qualitativen Sprung zur absoluten Notwendigkeit.

In Pomigliano hat die FIOM trotz großer Unsicherheit standgehalten. Das hat ihr die Sympathie von Millionen ArbeiterInnen, Jugendlichen und linken AktivistInnen eingebracht. Gleichzeitig hat sie sich dadurch den wilden Attacken seitens der Arbeitgeber, der Regierung, der PD und der sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaftsdachverbände ausgesetzt. Dabei gibt es keine linke Partei, die über die notwendige Stärke verfügen würde, um die FIOM tatkräftig unterstützen zu können.

Die Auseinandersetzung in Pomigliano ist so sinnbildlich, weil sich die Geschichte des Klassenkampfs bei FIAT hier einmal mehr wiederholt. Die Methoden sind dieselben wie einst. Was sich geändert hat, sind die Rahmenbedingungen. Wie schon 1980 in Turin hat die Konzernleitung versucht einen unternehmensfreundlichen Marsch zu organisieren. Aber diesesmal ist der Plan nicht aufgegangen. Das Klima ist heute ein völlig anderes. Wir stehen nämlich nicht am Ende eines Zyklus von Klassenkämpfen, sondern am Beginn eines neuen Zyklus.
Am 19. Juni beim Fackelzug für FIAT in Pomigliano nahmen weniger als 500 Menschen teil. Das Referendum am 22. Juni erwies sich als Pyrrhussieg für Marchionne.

Dadurch curde die ArbeiterInnen von Pomigliano zu einem Referenzpunkt für ArbeiterInnen im ganzen Land. Das zeigte sich bei den Streiks am 25. Juni und am 2. Juli, wo eine neue Stimmung zu spüren war und hunderte Transparente den ArbeiterInnen von Pomigliano und der FIOM Tribut zollten.

Inmitten der härtesten Wirtschaftskrise seit den 1930ern und nach 30 Jahren neoliberaler Politik ist ein Punkt erreicht, wo die ArbeiterInnen nicht noch mehr Opfer bringen können. Rebellion ist die einzig denkbare Antwort aus ihrer Sicht. Außerdem haben die ArbeiterInnen zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl, dass eine Massengewerkschaft bereit ist ernsthaft zu kämpfen. Das sind völlig neue und sehr grundlegende Elemente in der gegenwärtigen Situation.

Pomigliano ist mehr als nur ein Symbol, sondern stellt eine neue Grenze im italienischen Klassenkampf dar, ein neues Gravitationszentrum, in dem nicht nur Mobilisierungen sondern die Erwartungen vieler ArbeiterInnen zusammenfließen. Der Kampf in Pomigliano hat somit einen viel allgemeineren Charakter angenommen. Die ArbeiterInnenklasse wird dadurch wieder zu einem zentralen Subjekt in der öffentlichen Wahrnehmung.
Die Linke ist heute in einem bejammernswerten Zustand. Enthusiasmus und Selbstvertrauen verspürt man in diesen Tagen nur bei den Versammlungen, wo auch die FIOM dabei ist.  Die Unterordnung unter die PD hat die Linke in die völlige Bedeutungslosigkeit schlittern lassen. Es braucht heute einen Neubeginn, der den sozialen Konflikt in den Mittelpunkt rückt.

Die Lösung liegt nicht in der Addition von Führungsgruppen, wie dies bei der Federazione della sinistra (Fds) der Fall ist, und auch nicht in der Suche nach der “großen Führungspersönlichkeit”.

Der Aufbau einer neuen Partei der italienischen Linken ist ein Prozess, der nur aus einer Massenbewegung entstehen kann, deren erste Anzeichen wir in den Mobilisierungen dieser Tage sehen. Die Demonstration der FIOM am 16. Oktober ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Der Aufruf zu dieser Demo, der von den Betriebsräten von Pomigliano initiiert wurde, den hunderte GewerkschaftsaktivistInnen und Linke unterzeichnet haben, ist ein erster Sammelpunkt, rund um den sich neue Kräfte formieren werden.
Auf diesem Weg gibt es eine Zukunft für die FIOM und für die Linke, die einen Klassenstandpunkt vertritt. Alles andere führt nur zu einer Situation, wo die ArbeiterInnen einen teuren Preis zu zahlen haben.
Die Losung des „Heißen Herbsts“ 1969 („Wir wollen alles“) wird heute von den MetallarbeiterInnen wieder erhoben. Und ein neuer Heißer Herbst ist heute wieder möglich.

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Texts von Alessandro Giardiello (www.marxismo.net)


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