Der Zustrom von Leiharbeitskräften setzt die Belegschaften in vielen Betrieben zunehmend unter Druck. Diese Entwicklung stellt die Gewerkschaften vor eine große Herausforderung, berichtet Friedemann Schoberansky.
Die Zeitarbeitsbranche erlebt gerade ihren zweiten Frühling. Die Unternehmer haben wenig Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Aufschwungs und setzen daher auf die leicht kündbaren LeiharbeiterInnen. Von Jahresbeginn 2010 bis August stieg die Zahl der Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche von 50.000 auf 80.000, womit der Stand vom Sommer 2008 übertroffen wurde. In der steirischen Industrie etwa waren im Sommer 9% aller Beschäftigten LeiharbeiterInnen. Fast jeder dritte Job, der beim AMS angeboten wird, kommt mittlerweile von einer Leiharbeitsfirma. Die Unternehmer versuchen damit einen Keil in die Belegschaften zu treiben und nutzen die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, um Arbeitsbedingungen und Löhne nach unten zu schrauben. Für die Gewerkschaften stellt das eine große Herausforderung dar.
Spaltung
Die Gewerkschaftsbewegung hat erkannt, dass dem Ausufern der Leiharbeit Schranken gesetzt werden müssen. Doch wie dies konkret bewerkstelligt werden kann, darüber herrscht große Unklarheit. Einerseits versucht die Gewerkschaftsführung, die Spaltung der Belegschaften zu verhindern, indem sie sich bemüht, die Leiharbeitsverhältnisse den regulären Arbeitsverhältnissen anzugleichen, andererseits ist sie mit dem alten Denken von der „Schmutzkonkurrenz“ behaftet, vor der es die Stammbelegschaft zu schützen gilt. Und wenn es zum Konflikt mit dem Kapital kommt, dann sind die LeiharbeiterInnen die ersten, die von der Gewerkschaftsspitze auf dem Altar der Sozialpartnerschaft geopfert werden: bei der Kurzarbeit wurde von den Sozialpartnern fixiert, dass diese nur in Anspruch genommen werden darf, wenn der betroffene Betrieb zuvor alle Leiharbeiter „zurückgestellt“ hat.
Betriebsebene
Die Gewerkschaftsführung versucht nun, das Problem auf die betriebliche Ebene abzuwälzen und empfiehlt den Betriebsräten, Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Dadurch soll das Ausmaß der Leiharbeit im Betrieb reglementiert werden. Dazu ist folgendes zu sagen: Erstens wird die Lage durch eine Unzahl verschiedener Betriebsvereinbarungen nur noch verwickelter, als sie ohnehin schon ist, und macht ein koordiniertes Vorgehen der Gewerkschaft in dieser Frage enorm schwierig. Zweitens gibt die Gewerkschaftsführung keinerlei politische Antwort darauf, wie mit der Leiharbeitsfrage umgegangen werden soll. Die Palette der Forderungen reicht von der Einführung eines „Gütesiegels“ für „anständige“ Leiharbeitsfirmen bis hin zum Ruf nach quotenmäßiger Beschränkung der LeiharbeiterInnen. Wer soll sich da eine feste Meinung bilden und dem Management entschlossen gegenübertreten können? In einem Satz: Die Idee, die Frage der Leiharbeit auf betrieblicher Ebene lösen zu können, ist gefährlich und kontraproduktiv.
Die Zurückdrängung des Systems der Leiharbeit und die Integration von LeiharbeiterInnen in die Stammbelegschaften sind nur dann möglich, wenn es gelingt, das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmern und Gewerkschaft wieder umzudrehen und die Offensive des Kapitals zu stoppen. Eine Möglichkeit, das Problem der Leiharbeit ernsthaft anzupacken, wäre die Auseinandersetzung rund um den Kollektivvertrag in der Metallindustrie gewesen. Hier wäre es nur logisch gewesen, rund um die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auch das Thema Leiharbeit aufzugreifen und die Übernahme der LeiharbeiterInnen in die Stammbelegschaften zu fordern. Leider wurde die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung am Verhandlungstisch über Bord geworfen, und die Unternehmer haben jetzt noch leichteres Spiel, LeiharbeiterInnen einzustellen bzw. raus zu werfen. Hier wurde eine wichtige Chance vergeben, den Kampf gegen das System der Leiharbeit aufzunehmen. Denn eines steht fest: Die Frage der Leiharbeit ist untrennbar mit dem gewerkschaftlichen Kampf für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen verbunden.