Von 16.-19. Mai fand in Athen der 12. Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), dem quasi alle großen Gewerkschaften in Europa angehören, statt. Eine Kampfstrategie gegen die Folgen der Krise bleibt der EGB aber weiter schuldig, berichtet unser Korrespondent.
Auf dem Kongress waren 80 nationale Gewerkschaftsverbände vertreten. Der EGB repräsentiert somit den größten Teil der organisierten Arbeiterklasse in Europa. Anstatt eine internationale Kampforganisation zu sein, gibt der EGB aber das Bild einer Organisation ab, die finanziell von der EU abhängig ist und sich mehr um einen gemütlichen Dialog mit dem Kapital und den Regierungen bemüht als um die Verteidigung der Rechte und Interessen seiner Mitglieder.
Durch die Krise wurde jetzt offensichtlich, was viele KollegInnen zuvor nur erahnten: Eine Gewerkschaft, welche die Rechte der ArbeiterInnen nicht effektiv verteidigt, verliert ihre Daseinsberechtigung. Europa steckt in der tiefsten Krise seit dem Beginn des europäischen Einigungsprozesses und die europäischen Gewerkschaften sind nicht imstande Antworten auf diese Krise zu finden.
Jahrelang waren die Gewerkschaftsspitzen in vielen Ländern ein Anhängsel des “blairistischsten” Flügels der Sozialdemokratie. Sie haben aus dem „sozialem Dialog“ einen Fetisch gemacht und die Sozialpartnerschaftslogik bis zu einem Punkt getrieben, an dem es manchmal schwierig wurde, die Gewerkschaften von den Arbeitgebern zu unterscheiden. Aber diese ungleiche Ehe von Wolf und Lamm konnte nur so lange halten, bis die europäischen Institutionen und die Arbeitgeber angesichts der Krise zu dem Schluss kamen, dass sie den ArbeiterInnen nichts zu geben hätten und dass die Politik unter dem Zeichen „Sparpakete für alle“ stehen müsse. Am deutlichsten wird dies anhand der Sparpakete in Griechenland, aber auch in Spanien, Portugal und Irland.
Diese Krise kam für den größten Teil der europäischen Gewerkschaftsführungen völlig unerwartet. Diese träumen sich in den besten Fällen immer noch in die 1960er und 1970er Jahre zurück, in denen sie der ArbeiterInnenklasse soziale Reformen anbieten konnten. Auf der anderen Seite fühlen sich die europäischen Kapitalisten stark und haben eine Großoffensive gegen die Lohnabhängigen in ganz Europa gestartet. Vor diesem Hintergrund fand der heurige EGB- Kongress statt.
Seit mittlerweile fast einem Jahr mobilisiert der EGB immer wieder auf europäischer Ebene gegen die Sparpolitik. Die Aktionstage und Demonstrationen haben aber nicht viel bewirkt, in Wirklichkeit sind sie nicht viel mehr als eine Möglichkeit Dampf abzulassen. Im September letzten Jahres demonstrierten noch mehr als 100.000 GewerkschafterInnen in Brüssel und es fanden in mehreren Ländern 24-stündige Generalstreiks statt (etwa in Portugal und Spanien). Dann demonstrierten im Frühjahr 50.000 in Budapest. Aber bei keinem Aktionstag gab die EGB-Führung eine weitergehende Perspektive vor. So darf es auch nicht verwundern, dass diese Aktionstage immer kleiner werden. Die Demo am 21. Juni brachte es sehr anschaulich auf den Punkt, dass diese Strategie nirgendwo hinführt. Lediglich 12.000 - 15.000 GewerkschafterInnen marschierten dabei durch eine leere Stadt, die Hälfte davon kam aus Belgien, dann vielleicht noch 1000 aus Luxemburg selbst, dazu noch eine ansehnliche Delegation der französischen CGT. Aus Deutschland waren es vielleicht gerade einmal 70 (großteils von der Ver.di). Die niederländischen Gewerkschaften, die angesichts des Konflikts um die Anhebung des Pensionsantrittsalters gespalten sind, waren überhaupt nicht vertreten. Der Rest waren kleine Delegationen von ausgewählten FunktionärInnen aus anderen Ländern. Mit anderen Worten: Diesen Aktionstag hat kaum ein nationaler Gewerkschaftsverband ernst genommen. Und wenn beim nächsten Aktionstag im September der EGB zu einer Demo nach Krakau aufruft, wird es wohl kaum besser ausschauen.
Die EGB-Spitze sieht diese Demos nur als Mittel um Stärke zu beweisen, um bei ihrer Lobbyarbeit und den Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat der EU mehr in die Waagschale legen zu können. Und nicht einmal das gelingt ihr wirklich. Anstatt einen klaren Kampfplan auf nationaler und europäischer Ebene vorzulegen, herrscht im EGB die Meinung vor, dass die Mitgliedsverbände auf nationaler Ebene selbst entscheiden sollten, wie sie die Interessen der Lohnabhängigen durchsetzen wollen. Das führt dazu, dass während manche Gewerkschaften, im letzten Jahr wie etwa in Griechenland, Italien und Frankreich zu Generalstreiks oder zumindest wie in Großbritannien oder den Niederlanden meist unter dem Druck der eigenen Basis zu Großdemos aufriefen, macht der Rest weiter wie gehabt mit Verhandlungen und Lobbyarbeit. Das Problem ist, dass die europäischen Institutionen und Kapitalisten eine Taktik des „Teile und Herrsche“ bei ihren Angriffen anwenden und ein Großteil der Spitzen der Gewerkschaftsbewegung darauf hereinfällt.
Diese Taktik stößt richtigerweise auf die Kritik eines wachsenden Sektors von GewerkschaftsaktivistInnen in ganz Europa. Aber es fehlt ein Kanal, eine organisierte linke Strömung in den Gewerkschaften um diese Unzufriedenheit zu bündeln und daraus eine Alternative zur Sozialpartnerschaftslogik der EGB-Führung zu formulieren. Gerade angesichts des Abwehrkampfes der griechischen Gewerkschaften wird die Schwäche des EGB mehr als deutlich. Internationale Solidaritätsaktionen für die griechischen KollegInnen werden nicht einmal in Erwägung gezogen. In den nationalen Parlamenten stimmen die dort vertretenen GewerkschaftsfunktionärInnen allesamt für die Bankenrettungspakete zur Stabilisierung des Euro.
In der Abschlusserklärung des Kongresses sprach sich der EGB zwar „gegen die Art von Wirtschaftsregierung aus, die die Europäische Union uns aufzuzwingen versucht.“ Aber in Wirklichkeit haben die Gewerkschaften keine Alternative, die sie dem kapitalistischen Europa entgegenstellen könnten. Es bleibt weiter bei vagen Appellen an ein „soziales Europa“ (ohne wirklich konkret zu sagen, wie dieses ausschauen sollte), einem Wunschkatalog für soziale Reformen und dem Ruf nach einem „gerechteren Steuersystem“. Selbst für dieses „Alternativprogramm“ gibt es aber keinen Plan der Durchsetzung. Der neue Präsident, der Spanier Toxo, hat sich auf dem Kongress in Athen für das Recht auf einen europaweiten Generalstreik ausgesprochen. Wir begrüßen es, wenn solch ein Vorschlag ernsthaft diskutiert wird. Gleichzeitig haben wir aber gesehen, dass diese Idee umgehend zu Problemen mit einigen Delegationen geführt hat, die diesen Vorschlag als zu radikal ablehnen.
Der Kongress war letztlich eine Abfolge von Referaten und runden Tischen ohne dass bindende Beschlüsse gefasst worden wären. Eine demokratische Beteiligung der Basis ist an diesen Kongressen nicht vorgesehen. Der EGB muss aber die neue Realität, unter der die Gewerkschaftsbewegung heutzutage arbeiten muss, widerspiegeln und auf die Höhe der Zeit kommen. Es ist an der Zeit, eine kämpferische Strömung in allen nationalen Gewerkschaften aufzubauen und diese auf europäischer Ebene zu koordinieren, um so Druck auf die Gewerkschaften machen zu können. Es geht darum, die Gewerkschaften in demokratische Kampforganisationen zu verwandeln.
Dieser Artikel stammt von einem Teilnehmer am EGB-Kongress in Athen.