Am 11. Mai wurde der Chemie-KV abgeschlossen. Die Gewerkschaft feiert den Abschluss als großen Erfolg. Doch wäre da nicht mehr möglich gewesen?
Die Ausgangsposition lautete: Die Gewerkschaft forderte eine Lohnerhöhung von 5,8%. Angesichts der äußerst positiven Entwicklung der Gewinne in der chemischen Industrie und der gesteigerten Produktivität von 13% im letzten Jahr war diese Forderung mehr als gerechtfertigt. Wenn ÖGB-Chef Erich Foglar warnt, dass die Arbeitgeberverbände an der „Benya-Formel“ (Lohnerhöhung = Inflation der letzten 12 Monate + Hälfte des Produktivitätsfortschritts) rütteln, dann muss man ehrlich sagen, dass die Gewerkschaft ihre Lohnpolitik schon lange nicht mehr an dieser Formel ausrichtet.
Wenn die Gewerkschaft mit 5,8% an die Öffentlichkeit geht und aus der Lohnforderung kein Staatsgeheimnis mehr macht, dann ist das positiv. Mit dieser Vorgangsweise lässt sich die Dynamik für einen offensiven Lohnkampf auslösen. Das hat die Gewerkschaft PRO-GE beim Metallerstreik im Herbst gezeigt.
Diese Chance wurde beim Chemie-KV nicht genutzt. Zwar organisierte die Gewerkschaft nach dem Scheitern der 3. Verhandlungsrunde in Schwechat eine Protestkundgebung mit 800 TeilnehmerInnen, doch dort wurde schon sehr deutlich, dass die Führung keine Eskalation des Arbeitskampfes will. Es ging nur darum, die Arbeitgeber wieder an den Verhandlungstisch zu holen. Die 5,8% wurden kaum erwähnt, vielmehr zeichnete Kollege Artmäuer, der Chefverhandler der PRO-GE, schon einen Weg, wie es zu einer Einigung kommen könnte: „Wir haben ihnen angeboten, dass wir von den 5,8% 0,8% nachlassen, und sie gehen 0,8% rauf (zu dem Zeitpunkt stand das Angebot der Unternehmer bei 3,8%, Anm.), und dann treffen wir uns irgendwo in der Mitte.“
Der jetzige Abschluss liegt mit 4,35% bei den IST-Löhnen deutlich unter diesem Korridor, in dem Artmäuer eine „realistische Lohnerhöhung“ gern gesehen hätte. Auch im Rahmenrecht konnte die Gewerkschaft ihre zentrale Forderung nach Maßnahmen, um ältere KollegInnen in der Arbeit zu halten, nicht durchsetzen. Das wäre deshalb notwendig gewesen, weil man ja der Verlängerung der Lebensarbeitszeit im Rahmen des Sparpakets zugestimmt hat, wohlwissend, dass die Unternehmen ungern ältere ArbeitnehmerInnen in Beschäftigung halten.
All das zeigt, dass sich im Endeffekt die Kapitalseite bei dieser KV-Runde durchgesetzt hat. Der Grund ist, dass die Gewerkschaftsspitze nicht bereit ist, bei ihren Mobilisierungen über Rituale hinauszugehen. Die Arbeitgeber können sich somit ihrer Sache recht sicher sein. Mehr wäre nur zu holen gewesen, wenn die Gewerkschaft noch eins drauf gesetzt hätte und die geplanten Warnstreiks durchgezogen hätte. Nach der Protestkundgebung in Schwechat haben die Unternehmer drei Termine für eine weitere Verhandlungsrunde angeboten. Die Gewerkschaftsführung wählte den Tag, an dem die Warnstreiks geplant waren. In der Situation hätte sie den Druck aber steigern und die Warnstreiks auch während der Verhandlungen abhalten müssen.
Die Gewerkschaft geht an Mobilisierungen im Zuge von Arbeitskämpfen aber immer noch so heran, als ob sie einen Wasserhahn auf- oder abdreht. Die Basis sind in dieser Strategie nicht mehr als Spielfiguren, die je nach Wunsch des Apparats aufmarschieren dürfen und dann wieder vom Spielfeld abgezogen werden. Die Demokratisierung der Gewerkschaft und die Durchsetzung von Urabstimmungen über Verhandlungsziele, -strategie und -ergebnisse ist daher eine Grundvoraussetzung für eine kämpferischere Lohnpolitik.
Zum Nachlesen: 5,8 % mehr Lohn - Lasst uns darum kämpfen