Die Lenzing AG macht riesige Gewinne, trotzdem sollen jetzt 700 ArbeiterInnen entlassen werden. Ein Lokalaugenschein unseres rasenden Reporters.

Sonntagnachmittag. Über Lenzing ist der Himmel grau in grau. Schon von weitem sieht man die rauchenden Fabrikschlote der riesigen Chemiefabrik, die den Ort seit Jahrzehnten prägt. Drei Werkstore führen in das groß angelegte Betriebsgelände. Als ich zum Werkstor 1 komme, verlassen gerade einige Schichtarbeiter die Fabrik. Schnell eine Tschick anzünden und dann zum Parkplatz. Während ich ein paar Fotos mache, kommt gleich ein Kollege der Betriebsfeuerwehr und stellt mich forsch zur Rede, was ich da mache. Auf meine Antwort, dass ich für einen Artikel über den geplanten Personalabbau in der Lenzing recherchiere, will er wissen für welche Zeitung. „Für den Funke, wir wollen die Belegschaft unterstützen und über ihre Anliegen berichten“, erkläre ich ihm, worauf er etwas freundlicher wird. Auf die Frage, wie die Stimmung im Werk ist, will er nicht viel sagen. Er lässt sich nur ein „Wenn sich die gleichzeitig einen vierten Vorstand genehmigen, sagt das eh alles, oder?“ entlocken.

Im Ort ist um die Stunde wenig Leben. Die alte Werkssiedlung und nach früheren sozialdemokratischen Führern benannte Straßen lassen auf eine lange rote Tradition in Lenzing schließen.

Die Stimmen der Betroffenen

Zufällig treffe ich vor der ehemaligen Volksschule eine ältere Frau. Sie beginnt gleich zu erzählen: „Die Nachricht, dass so viele Leut rausghaut werden, hat uns wie der Blitz getroffen. Die Woche davor noch haben wir von der Gewerkschaft eine Versammlung gehabt, wo berichtet wurde, dass die Lenzing heuer das viertbeste Ergebnis überhaupt macht.“ Ihr Vater war schon als Schichtarbeiter im Werk, sie hat einst auch dort gearbeitet, und jetzt geht ihr Sohn rein. Vor allem die Schichtarbeit ist hart. „Alle sagen, dass mit den Männern nach der Frühschicht nichts anzufangen ist, weil die so fertig sind.“

Die Lenzing ist der größte Arbeitgeber in der Region. Die ArbeiterInnen kommen nicht nur aus Lenzing, viele fahren aus dem Hausruckviertel her. „Die Stimmung im Ort ist sehr aufgebracht. Egal wo man hinkommt, beim Bäcker oder im Geschäft, überall redet man über die Entlassungen.“ Aus ihren Schilderungen kann man erahnen, was eine Entlassung für die Betroffenen bedeuten würde. Bei den steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten brauchen die Leute ihre Arbeit, um über die Runden kommen zu können.

Ein Mann, der auch im Werk arbeitet, erzählt, dass sie bis jetzt noch nicht wissen, wer betroffen sein soll. Die Unsicherheit in der Belegschaft ist groß. Viele Gerüchte sind im Umlauf. Wenn es so kommen würde, dass aus jeder Abteilung 1-2 Arbeiter rausfliegen, dann wären die Folgen unvorstellbar. „Schon jetzt ist der Arbeitsdruck gewaltig. Du hast keine freie Minute. Wenn wir dann noch weniger sind, das hält keiner aus. Da werden die Leut in Krankenstand gehen.“

Wenn in China ein Baumwollsack umfällt…

…werden in Lenzing an die 700 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen. Rasch sei die Lenzing gewachsen und sie habe nun Fett angesetzt, bemüht sich Lenzing-Chef Peter Untersperger um sportliche Vergleiche. Die Beschäftigten erleben das anders. Wie in allen anderen oberösterreichischen „Leitbetrieben“ sind Kostensenkungsprogramme seit Jahren implementiert, und alle Poren der Produktion geschlossen. Arbeiter, Angestellte und der Betriebsrat warnen unisono, dass mit weniger Personal die Produktion schlichtweg nicht mehr garantiert ist. Den Analysten der berüchtigten Boston-Consulting ist dies egal. Sie haben keine Ahnung von Fasern, von der Produktion und den Menschen, sie kennen nur den Sparstift. Je radikaler sie diesen ansetzen, desto höher ihre Gage. Ein Jahresgewinn von 80 Mio. € (nach 160 Mio. € im vergangen Jahr) ist den Kapitalgebern nicht genug.

Dabei wissen diese Damen und Herren, dass die Halbierung des Gewinnes durch rein externe Faktoren bestimmt wird, nämlich durch die Preisentwicklung der Baumwolle. Nach einer Missernte 2010 verdreifachten sich die Baumwollpreise auf fast 200 Dollar pro Tonne. Nach drei Jahren guter Ernten und hohen Lagerbeständen in China sank der Preis um fast zwei Drittel. Nachdem Baumwolle mit über 70 % die wichtigste Textilfaser ist, drücken die hohen Lagerbestände den Preis der Viskose, die ca. 8 % des Weltmarktes für Textilfasern ausmacht. Viskose und noch modernere Fasern wie Tencell und Mondal kommen überwiegend aus dem Hause Lenzing. Nachdem hier EBITA-Margen von an die 20% erreicht wurden (das eingesetzte Kapital also jährlich mit 20% verzinst wurde!), wird dieser Wert heuer aufgrund des Preisdrucks der Baumwolle auf unter 10 % gedrückt. Aber um eines klarzustellen: Das Werk ist weiterhin hochprofitabel.

Das Sparprogramm ist nicht betrieblich, sondern rein betriebswirtschaftlich begründet. Auf Deutsch: Um die Gewinnausschüttung pro Aktie wieder zu erhöhen, sollen die Arbeiter und Angestellten der Lenzing den Preisdruck alleine schultern. 700 KollegInnen (390 Stammpersonal, 300 Leiharbeitskräfte) sollen ihre Arbeit verlieren, für den Rest soll die Intensivierung der Arbeitszeit ins Unerträgliche gesteigert werden. Das „unternehmerische Risiko“, wichtigstes Argument für die unmoralischen Vorstands-, Berater- und Managergagen, erweist sich einmal mehr als eine auf den Aktienkurs des eigenen Portfolios beschränktes Luftschloss. Aufsichtsratspräsident Michael Junghans und Aufsichtsrat Patrick F. Prügger erstanden wenige Stunden vor der Veröffentlichung der zynischen Entlassungswelle Lenzing Aktien-Pakete im Gesamtwert von 52.282 Euro.

Die von der Arbeiterbewegung geäußerte Befürchtung, dass das Werk zu Tode gespart wird, ist dabei keine leere Rhetorik. Wie auch bei anderen oberösterreichischen Leitbetrieben träumen auch die Lenzinger Vorstände vom „asiatischen Markt“. 70% sollen dort in Zukunft umgesetzt und wahrscheinlich auch produziert werden. Angesichts der Tatsache, dass gerade China von massiven Überkapazitäten geprägt ist, könnte diese renditegetriebene Phantasie Lenzing tatsächlich das Rückgrat brechen. Und vergessen wir nicht die Einschätzung des Betriebsrates: Ein solcher Stellenabbau kann ohne Einbußen von Quantität und Qualität nicht vollzogen werden. Setzt sich die Boston-Consulting durch, ist dies der Einstieg in den Abstieg.

Für die Arbeitsstiftung?

Laut den OÖN hätte das Land OÖ signalisiert die Reaktivierung der bestehenden Arbeitsstiftung Lenzing finanziell zu unterstützen. Das ist eine interessante Botschaft, und kommt materiell einer direkten Gewinn-Subvention aus Steuergeldern für Lenzing Aktionäre gleich. Dies ist angesichts der sozialen Lage, der kommenden Sparpakete und der laufenden und vergangenen Gewinnsituation für die AktionärInnen eine skandalöse Botschaft. Die wichtigste Frage ist jedoch: Ist eine Arbeitsstiftung in einer solchen Situation ein Ziel, das die Belegschaft und der Betriebsrat anstreben sollten? Wir meinen: Nein! Der vom Kollegen Rudolf Baldinger (BRV) angekündigte Kampf kann nur ein Ziel haben: Den Erhalt eines jeden Arbeitsplatzes im Werk und die Übernahme der KollegenInnen aus Leiharbeitsverhältnissen.

Kollege Baldinger sagt im Interview mit den OÖN, dass die Stimmung im Werk „zwischen massiver Wut und Depression schwankt“. Alles andere wäre überraschend. Auf welcher Seite die Stimmung zu liegen kommt, ist nicht zuletzt durch das Gesetz des Handelns bestimmt. Jetzt sofort muss man die Einheit in der Belegschaft schmieden, sonst kann der angekündigte Widerstand nur ein schwaches Rückzugsgefecht werden. Wir sind uns sicher: Wenn sich der Betriebsrat gemeinsam mit der Gewerkschaft und der gesamten Region dem Slogan „Menschen vor Profite“ verschreibt und zügig daran geht die Vorbereitungen für einen Arbeitskampf zu treffen, können die Arbeitsplätze und der Standort langfristig gesichert werden.

Viele sozialdemokratische Politiker und sogar Seelsorger haben sich öffentlich mit Lenzing solidarisiert, und der Betriebsrat hat Widerstand angekündigt. Dies ist ein positiver Anfang, und es sollte noch mehr werden. Die Zielsetzungen sind jedoch vage und kompromissbereit. Der Betriebsseelsorger Bert Hurch-Idl etwa fordert in den OÖN die Konzernleitung auf sich „auf ein menschliches Maß zu besinnen.“ Bei wie vielen Entlassungen jedoch liegt die menschliche Messlatte? Haben wir uns schon so aufgegeben, dass jeder Konflikt in Form eines Kompromisses enden darf? 





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