Der Kampf um die Weiterführung stillgelegter Betriebe unter Arbeiterkontrolle in Venezuela geht in eine neue Runde. Im Mittelpunkt des Interesses steht derzeit die Firma Sanitarios Maracay im Bundesstaat Aragua, die seit November von der Belegschaft besetzt wird. Ein Bericht und Solidaritätsappell.
Man kann die Macht der Arbeiterklasse vom ersten Moment an förmlich riechen, wenn man die Anlagen von Sanitarios Maracay betritt. Die Fabrik wurde vor einigen Wochen von den ArbeiterInnen übernommen, als Reaktion auf die Ankündigung des Unternehmers, er werde die Fabrik schließen.
Dies war nicht das erste Mal. Bereits im März 2006 hatte die Belegschaft die Fabrik besetzt. Aber heute ist die Situation eine andere: Die Erfahrungen der vergangenen Monate waren nicht umsonst.
Die ArbeiterInnen gründeten ein Fabrikkomitee und haben während der vergangenen Wochen die GenossInnen der Revolutionär-marxistischen Strömung (CMR) und der „Revolutionären Front der ArbeiterInnen von besetzten Fabriken und Fabriken unter Arbeiterkontrolle" (FRETECO) dazu eingeladen, politische Bildungskurse über Arbeiterkontrolle abzuhalten. GenossInnen von der besetzten brasilianischen Fabrik Cipla und von der wieder in Gang gesetzten Fabrik Inveval sind ebenfalls gekommen, um über ihre Erfahrungen zu berichten. Diese Erfahrungen decken sich nun mit den Erfahrungen, die die Belegschaft von Sanitarios Maracay selber im Kampf gegen ihren Unternehmer während der vergangenen Jahre hat sammeln müssen. Der betriebliche Gewerkschaftsvorsitzende Humberto brachte es auf den Punkt: „Die ArbeiterInnen von Sanitarios haben von den Erfahrungen von Inveval und Invepal gelernt. Sie sind bereit, den Weg der Enteignung zu beschreiten – aber die ArbeiterInnen werden die Kontrolle über die Firma behalten."
Am 14. Dezember 2006, genau einen Monat nach Beginn der Besetzung der Keramikfabrik Sanitarios Maracay, organisierte die Belegschaft der Fabrik gemeinsam mit der FRETECO und dem Gewerkschaftsdachverband UNT die größte Demonstration für die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle in der Geschichte Venezuelas. An die 1000 Demonstranten versammelten sich am Vormittag in Caracas, um gemeinsam am Parlament vorbei zum Präsidentenpalast Miraflores zu marschieren.
Wie bei Venepal vor zwei Jahren handelt es sich beim Kampf von Sanitarios Maracay nicht nur um einen Kampf zur Verteidigung von 800 Arbeitsplätzen. Es ist ein Kampf, an dem sich andere ArbeiterInnen ein Beispiel nehmen können, ein Anstoß für die gesamte Arbeiterklasse, den Weg Richtung Enteignungen auf einer höheren Ebene zu beschreiten. Es ist der Kampf, mit dem die Revolution vor der Sabotage der Unternehmer und der Bürokratie gerettet werden kann.
Vor dem Parlament ergriff José Gregorio, Mitglied des Leitungsgremiums von Inveval, Sprecher der FRETECO und Unterstützer des CMR das Wort. Die zentrale Aussage seiner Ausführungen war, dass nur die Enteignung des Kapitals die Revolution in die Offensive bringen könne. Er appellierte an die Führung und die Strömungen der UNT, sich endlich dieser Aufgabe anzunehmen. Er erinnerte nochmals daran, dass Präsident Chávez selbst dazu aufgerufen hatte, über 1000 Unternehmen zu besetzen, ohne dass die UNT dies bisher wahrgenommen hätte. Die aktuelle Lage durch die Besetzung von Sanitarios müsse verallgemeinert werden, so José Gregorio.
Kollege Villegas von Sanitarios Maracay betonte, dass man bereits nach einem Monat ohne Eigentümer und Chefs sagen und beweisen könne, dass eine Firma ohne Kapitalist besser funktioniere. Die Produktion laufe, und der Vertrieb werde momentan in Einklang und Zusammenarbeit mit den revolutionären Massenorganisationen in Maracay gestaltet.
Der Kampf um Sanitarios Maracay kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt der venezolanischen Revolution und könnte der Arbeiterbewegung neuen Auftrieb verschaffen. Alle revolutionären Aktivisten in Venezuela haben sich bereits vor den Präsidentschaftswahlen auf Veränderungen nach den Wahltag am 3. Dezember 2006 eingestellt. Es wird erwartet, dass nun massive Schritte gegen Kapital und Bürokratie erfolgen müssen, damit die versprochenen und lebensnotwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation nun endlich greifen.
Die Bedeutung von Sanitarios Maracay liegt darin, dass es die erste Bewegung nach den Wahlen ist, die die bürokratische Blockade zu durchbrechen versucht. Die Entscheidung, wer in diesem Konflikt siegt, wirkt über Sanitarios Maracay und den Bundesstaat Aragua hinaus. Sie kann die Weichen für den Fortgang der Revolution stellen.
Die GenossInnen des CMR und der FRETECO schlagen daher vor, den Kampf über den Betrieb hinaus auszudehnen. So kann der Druck von der Belegschaft genommen werden und die Arbeiterbewegung in dieser Situation auf ganzer Linie in die Offensive gehen.
Konkret lauten die Vorschläge so:
- Eine Konferenz des Gewerkschaftsdachverbands UNT im Bundesstaat Aragua einzuberufen, um die aktuelle Situation auf breiter Ebene zu diskutieren und Beschlüsse zu fassen.
- Bildung von Solidaritätskomitees mit Maracay, die ökonomische (u.a. Vertrieb von Produkten) und politische Solidarität üben.
- Einen Aktionstag zur Besetzung von Betrieben und Ländereien (gemeinsam mit der revolutionären Bauernbewegung FNCEZ) in Aragua zu veranstalten.
- Auf nationaler Ebene wurde der Appell an Marcela Masparo und Orlando Chirinos, Repräsentanten der beiden Hauptflügel in der UNT, gerichtet, die seit Monaten eine persönliche Schlammschlacht betreiben. Dieser Konflikt blockiert die UNT seit Monaten und entzweit die venezolanische Arbeiterklasse mit unpolitischen und völlig zweitrangigen Fragen. Beide werden aufgefordert, den Konflikt einzustellen und für eine Ausweitung der Besetzungen und eine breite Offensive der Arbeiterklasse mit größtmöglicher Einheit einzutreten. Darauf soll sich die UNT jetzt konzentrieren.
- Vorbereitungen für einen nationalen Aktionstag der Betriebs- und Landbesetzungen im ersten Quartal 2007 zu treffen.
- Gleichzeitig eine breite politische Kampagne mit der Forderung der Enteignung der großen Unternehmen, der Banken und des Großgrundbesitzes lancieren.
Sanitarios Maracay ist nun der erste Praxistest, ob die ArbeiterInnenbewegung sich gegen das Kapital und seine reformistischen und offen konterrevolutionären Verbündeten im Staatsapparat durchsetzen kann. Wir rufen daher auch die internationale ArbeiterInnenbewegung und die Solidaritätsbewegung mit der venezolanischen Revolution dazu auf, sich hier und jetzt in diesen Konflikt einzuschalten.
Stand: Anfang Januar 2007
Online-Unterschriftenaktion für die Verstaatlichung von Sanitarios Maracay unter ArbeiterInnenkontrolle auf: www.handsoffvenezuela.org