Lateinamerika. Die USA nehmen einmal mehr Venezuela ins Visier, weil die dortige Situation eine Gefahr für die eigene nationale Sicherheit darstelle. Warum aber die wahre Bedrohung von den USA ausgeht, argumentiert Willy Hämmerle.
Als Reaktion auf diplomatische Sanktionen seitens der venezolanischen Regierung verkündete das Weiße Haus am 9. März mittels einer Executive Order den Notstand in den Vereinigten Staaten. Diese Order sanktioniert namentlich sieben venezolanische Regierungsfunktionäre, darunter den Chef des Geheimdienstes, der mittlerweile zum Innenminister ernannt wurde. Ihnen werden Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung der Opposition vorgeworfen. Aus dem Mund der Vereinigten Staaten klingen solche Vorwürfe ebenso grotesk, wie die der venezolanischen Oppositionsführerin Maria Corina Machado, als sie vor Dutzenden MedienvertreterInnen verkündete, in Venezuela gäbe es keine Pressefreiheit. Die USA scheinen in dieser Hinsicht einen guten Sinn für Humor zu haben. Auf die Vorwürfe von Präsident Maduro, einen Putschversuch der Luftwaffe gesponsert zu haben, erwiderte eine Sprecherin des US-Außenministeriums: „Die langjährige Praxis der Vereinigten Staaten ist es, keine politischen Umschwünge zu unterstützen, die nicht verfassungskonform sind. Politische Übergänge müssen demokratisch, konstitutionell, friedlich und legal sein.“ Sie schaffte es dabei nicht einmal sich ein hämisches Grinsen zu verkneifen, als sie von einem anwesenden Journalisten auf die Lächerlichkeit ihrer Aussage hingewiesen wurde. Gerade im Hinblick auf Lateinamerika muss sicher niemand an die blutigen Eskapaden der US-Außenpolitik erinnert werden. In diesem Fall ist es gar nicht nötig, „die alten Geschichten aufzuwärmen“, wie das patriotische US-Bürgertum nicht müde wird zu erwähnen. Es reicht, auf die Putschversuche in Venezuela (2002), Bolivien (2008) und den Militärputsch in Honduras (2009) hinzuweisen, um festzustellen, dass „langjährig“ im angloamerikanischen Maßsystem offenbar ein wenig anders verstanden wird.
Bei allem Zynismus sind die jüngsten Angriffe der USA nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die offene Denunzierung Venezuelas als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ ist kein außenpolitischer PR-Gag, sondern die Einleitung weiterer Maßnahmen. Die ideologische Offensive bereitet den rechtlichen Rahmen vor, um weitere feindliche Maßnahmen setzen zu können. Es ist offensichtlich, dass die USA das aufgrund des sinkenden Erdölpreises und des Scheiterns der marktregulatorischen Wirtschaftspolitik strauchelnde Venezuela nun systematisch unter Druck setzen und außenpolitisch isolieren wollen. Dies hat Fidel Castro am nördlichen Karibikufer verstanden und sich öffentlich auf die Seite der venezolanischen Regierung gestellt. Dies ist bemerkenswert, da in Havanna die roten Teppiche für hohe US-VertreterInnen ja kaum noch eingerollt werden. Die USA verfolgen eine klassische „Teile und Herrsche“-Politik: Während man der kubanischen Bürokratie ständig die Karotte vor Augen hält und das Ende des Wirtschaftsembargos verspricht, wird gleichzeitig die Politik gegenüber Venezuela permanent verschärft.
Abgesehen davon, dass der amerikanischen Oligarchie das Messer in der Tasche aufgeht, wenn sich ein ölreiches Land nicht völlig unter ihr Diktat begibt, ist Venezuela für die USA weder ökonomisch noch militärisch ein Risikofaktor. Die einzige Gefahr, die Venezuela für den mächtigsten Imperialismus der Welt sein kann, ist zu demonstrieren, wie man sich über Jahre erfolgreich gegen seine Aggressionspolitik zur Wehr setzt. Der Erfolg der bolivarischen Revolution reicht so weit, dass sogar die engsten Verbündeten der USA in der Region, Kolumbien und Mexiko (nebenbei bemerkt wahre Vorzeigestaaten für die Menschenrechtsabteilung im Weißen Haus), in Opposition zu den bisherigen Sanktionen stehen.
Die Masse der venezolanischen Bevölkerung versteht ganz genau, welche Errungenschaften für sie auf dem Spiel stehen. Am 14. März nahmen in Caracas deshalb über 100.000 Menschen an einer militärischen Übung Teil, wo die Bereitschaft der Arbeiterklasse, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen, deutlich unterstrichen wurde.
Seit über 15 Jahren muss die bolivarische Revolution nun schon dem Imperialismus und der Oligarchie im eigenen Land standhalten. Die jüngsten Provokationen zeigen, dass die USA erstmals seit dem Tod von Hugo Chávez die Lage zuspitzen wollen. Ein Argument mehr, die Revolution endlich zu vollenden. Wie die venezolanischen MarxistInnen seit Jahren betonen, erfordert dies ein sozialistisches Programm: die Enteignung der Bourgeoisie, die Einführung eines staatlichen Außenhandelsmonopols, den Aufbau einer neuen demokratischen Staatlichkeit und Volksbewaffnung. Es gibt kein Mittelding zwischen Revolution und Aufrechterhaltung des Kapitalismus.