Die Elite des Landes ist durchtränkt von Korruption und Vetternwirtschaft. Weit davon entfernt diese Tatsache zu bekämpfen, versuchen die Herrschenden mit gezielten Korruptionsvorwürfen Kapital daraus schlagen und das politische Feld in ihrem Sinne zu ordnen. Dazu gehört auch die Verurteilung von Lula da Silva, dem vorgesehenen Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei (PT) für die nächsten Wahlen 2018, zu fast 10 Jahren Haft. Von Martin Halder.
Der Kapitalismus führt nicht nur zu schreiender Ungleichheit auf der ganzen Welt. Wie verrottet das Gesellschaftssystem ist, zeigt sich auf alle möglichen Arten. Aus dem Privatbesitz an Industrie- und Bankkapital, sowie aus dem daraus resultierenden Profit- und Konkurrenzstreben folgt, dass in den meisten Ländern Vetternwirtschaft, Hintergrunddeals und Korruption zum alltäglichen Leben von Politik und Wirtschaft gehören, welche in enger Beziehung zueinanderstehen.
Dies ist in Brasilien sehr ausgeprägt. Breite Teile des politischen Establishments, und zwar von allen großen Parteien, sind in einen riesigen Korruptionsskandal rund um den Öl-Giganten Petrobras verwickelt, der zu 64 % dem brasilianischen Staat gehört. Mehrere Baukonzerne haben PolitikerInnen bestochen, um vielversprechende Aufträge von dem halbstaatlichen Öl-Konzern zu ergattern. Spitzenreiter dieser Korruptionslawine ist die Baufirma Odebrecht. Sie hat insgesamt in 12 verschiedenen Ländern 788 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern gezahlt – die Hälfte davon in Brasilien.
„Korruptionsbekämpfung“ von oben
Seit März 2014 läuft die Operation „Lava-Jato“ (Autowäsche), die diese Vorfälle untersuchen soll. Doch der bürgerliche Staat, eben kein neutrales Instrument zur Korruptionsbekämpfung, zeigt sich unfähig gegen die Korruption erfolgreich vorzugehen. Im Gegenteil, trotz einer gewissen Eigendynamik ist es eine Operation im Interesse der herrschenden Elite.
So werden gewisse korrupte PolitikerInnen verurteilt, um der Bevölkerung das System als „sauber“ zu präsentierten und ihren Zorn zu mildern. Die Spitze des Eisbergs soll beseitigt werden, damit der Rest nicht auffällt und das Vertrauen in das System und deren Institutionen wiederhergestellt wird.
Die Untersuchungen sind eine Farce. Wie es gerade passt werden PolitikerInnen ohne wirkliche Beweise verurteilt. So auch beim Ex-Präsidenten und politischen Schwergewicht der sozialdemokratischen PT Lula, welcher zu 9 ½ Jahren Haft verurteilt wurde. Für seine Verurteilung gab es keine Beweise. Der Staatsanwalt erklärt sogar offen: „Wir müssen es nicht beweisen, wir sind überzeugt.“
Auch gegen Michel Temer von der bürgerlichen PMDB, der seit dem institutionellen Putsch im April 2016 nach wie vor ungewählte Präsident und für seine Sparpolitik verhasst, wurden Korruptionsuntersuchungen eingeleitet. Im Gegensatz zu Lula gab es bei Temer tatsächliche Beweise, unter anderem eine Audio-Aufnahme, welche von der Polizei anerkannt wurde und Temer der Bestechung schuldig zeigt. Doch die Untersuchung wurde vom Kongress trotzdem abgelehnt. Folgender Kommentar auf Twitter bringt den Irrsinn auf den Punkt: „Die brasilianische Justiz entlastet Temer trotz Beweis der Schuld und verurteilt Lula ohne solchen.“
Die Urteile der Justiz sind reines politisches Kalkül: Wenn das Urteil durch alle Instanzen geht, kann Lula vom Antritt bei den Wahlen für die nächsten 8 Jahre ausgeschlossen werden. Und er befindet sich bei den Umfragen für die Wahlen 2018 schon seit langem auf Platz 1. Ein wichtiger Teil der herrschenden Klasse in Brasilien versucht so über die „unabhängige“ Justiz eine erneute Regierungsbeteiligung der PT zu verhindern – um mit einer rechten bürgerlichen Regierung weiterhin massive Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnen ohne Handbremse durchsetzen zu können. Doch das Kapital und ihre politischen VertreterInnen sind sich nicht einig in der Frage, ob sie Lula, der sehr beliebt bei den Massen ist, nicht doch als Beschwichtigungsinstrument behalten sollen. Und aus Sicht der Herrschenden ist auch die Frage, ob Temer seinen radikalen Sparkurs fortsetzen soll, welcher wöchentlich neue Proteste provoziert, nicht ausgemacht. Die Krise des Systems drückt sich hier in einer Spaltung der herrschenden Klasse aus, die ihre verschiedenen Ansichten ungeniert durch Richter über die „unabhängige Justiz“ austrägt.
Keine Halbheiten
Die Rolle der PT an der Macht war geprägt von der Krisenverwaltung, sprich dem Ausverkauf der ArbeiterInnen an Profit- und Einsparungslogik des Kapitals. Dies hat sie schon in der Vergangenheit öfters unter Beweis gestellt und in der Regierung Sparpakete umgesetzt. Dabei folgt genau aus dieser Logik den Kapitalismus zu stützen und nicht stürzen zu wollen, dass man Bewegungen, so wie sie auch in Brasilien permanent toben, abschwächt und in für das System harmlose Richtungen lenkt. Deswegen die zaghaften Mobilisierungen der PT-Führung und dem mit ihr verbündeten Gewerkschaftsapparats der größten brasilianischen Gewerkschaft (CUT). Auch Lula gibt sich im Angesicht des Urteils eher versöhnlerisch, als in die Offensive zu gehen. Als man ihn fragte, ob er Verschlechterungen wie die Arbeitsreform, wenn er gewählt würde, aufhebe, antwortetet er: „Es wäre falsch zu behaupten, dass ich alles annullieren würde.“
Doch über diese Politik urteilen dürfen nicht die bürgerliche Justiz und die politische Rechte, welche nur die Interessen ihrer Klasse verteidigen und offensichtlicherweise ihr direktes Werkzeug darstellen. Die einzigen, welche die zaghafte und kapitalfreundliche Politik der PT in die Schranken weisen und ihre Kandidaten abwählen dürfen, sind die Massen der Lohnabhängigen.
Seit mehr als einem Jahr wird der Klassenkampf in Brasilien immer stärker. Der größte Generalstreik Brasiliens im April dieses Jahres und mehrere Aktionstage mit Massendemonstrationen und Streiks zeigen die Stärke der brasilianischen Arbeiterklasse.
Weder der Gerichtshof, noch die Politik der PT-Führung werden die Bewegung weiterbringen. Es braucht eine Intensivierung der Mobilisierung der ArbeiterInnen in den Betrieben und einen unbefristeten Generalstreik. Nur eine revolutionäre Umwälzung können die Korruption, Temer, sowie den Rest des verrotteten Systems aus allen Winkeln der Gesellschaft vertreiben.