Der Widerstand gegen die Regierung Bolsonaro wächst. Auslöser sind die massiven Kürzungen im Bildungsbereich. Fünf Monate nach seinem Amtsantritt ist das Vertrauen in Bolsonaro bereits schwer erschüttert, wie Julia Brandstätter berichtet.
Mit rund 55 Prozent hat sich Bolsonaro letzten Oktober aufgrund seiner Anti-Establishment-Rhetorik gegen den sozialdemokratischen Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) bei den Präsidentschaftswahlen durchgesetzt. Die Massen hatten längst kein Vertrauen mehr in die Sozialdemokratie, die sich während ihrer Regierungszeit von 2002 bis 2016 als korrupte Verwaltung im Dienste der Banken und Großkonzerne erwies. Darüber hinaus setzte die PT im Wahlkampf 2018 auf den Slogan „Verteidigung der Demokratie“, ausgerechnet als die bürgerlichen Institutionen in den Augen großer Teile der Bevölkerung diskreditiert erschienen. All das bereitete den Boden für den Erfolg Bolsonaros.
Sparpolitik und Massenprotest
Bolsonaro unterwirft sich den Erfordernissen des (Finanz-)Kapitals, das weltweit in die Krise geraten ist. Während die Arbeitslosigkeit wächst und die Wirtschaft stagniert, hebt seine Regierung das Pensionsantrittsalter, senkt die Sozialausgaben und verscherbelt öffentliches Eigentum. Der angestaute Zorn in der Bevölkerung brach schließlich aus, als der Bildungsminister Abraham Weintraub ankündigte, das Budget für die Universitäten um 30 Prozent zu schmälern und Forschungsstipendien für AbsolventInnen zu stoppen. In einem landesweiten Bildungsstreik gingen am 15. Mai in ganz Brasilien etwa zwei Millionen Menschen auf die Straße. Allein in São Paulo und Rio de Janeiro demonstrierten 450.000 Menschen. Mit dem Slogan „Fora Bolsonaro“ (Bolsonaro raus), den die Esquerda Marxista (unsere Schwestersektion in Brasilien) schon seit Monaten propagiert, setzte die Menschenmenge die Regierung massiv unter Druck. Ein häufig gehörter Spruch war auch „Se o povo se unir, Bolsonaro vai cair!“ – „Wenn sich das Volk vereint, wird Bolsonaro fallen!“
Spaltung innerhalb der Regierung
Die Regierung ist ohnehin schon äußerst fragil und tief gespalten. Zwischen dem militärischen Flügel und den „Olavistas“ rund um Olavo de Carvalho (ein Philosoph, YouTube-Influencer und „Guru“ des Präsidenten) brach anlässlich der Demonstration ein offener Konflikt aus. Militär und Justiz haben schon zuvor eine Ausnahmeregelung von den Rentenkürzungen gefordert und sich damit gegen Bolsonaro gestellt.
Nach den Massenprotesten verstärkte sich zudem die Kritik an Bolsonaro vonseiten bürgerlicher Kreise, die schön langsam nervös werden. Bolsonaro war nie der Wunschkandidat der herrschenden Klasse. Die Financial Times wies schon vor den Wahlen darauf hin, dass Investoren Geraldo Alckmin von der PSDB als Präsidenten bevorzugten. Die „vernünftigeren“ und taktvolleren Bürgerlichen, wie Alckmin, hatten bei der Wahl aber angesichts der politischen Polarisierung keine Chance. Die Grundstimmung war gegen das Establishment gerichtet. Die herrschende Klasse war daher gezwungen, sich mit Bolsonaro abzufinden.
Jetzt distanziert sich die bürgerliche Klasse allmählich vom Präsidenten, hat sich aber noch nicht entschlossen, Bolsonaro gänzlich loszuwerden. In bonapartistischer Manier versucht Bolsonaro seine fragile Regierung über das Parlament und die Gerichtsbarkeit zu erheben. Sein Ziel: eine „Regierung des Säbels“, die ihm die Durchsetzung seiner dem Finanzkapital und Imperialismus unterworfenen Politik ohne jegliche Kontrolle erlaubt. Damit er sich auf eine legitime Basis stützen kann, sucht Bolsonaro Rückhalt in der Masse, die sich zunehmend von ihm abwendet. Die Bolsonaro-Anhängerschaft wurde zu einer Gegendemonstration am 26. Juni aufgerufen, die wohl viel kleiner ausfallen wird, als die Massendemonstration am 15. Mai. Zwei Regierungsabgeordnete haben sich gegen die Gegendemonstration ausgesprochen und die rechte, marktliberale MBL (Movimento Brasil Livre) ist ebenfalls „nicht überzeugt“ vom Aufruf.
Perspektiven
Der nationale Studentenbund (União Nacional dos Estudantes, UNE) rief nach der Demonstration am 15. Mai unter dem Druck von unten zu weiteren Protesten auf. An den Schulen und Universitäten finden Versammlungen statt, um die Fortsetzung des Kampfes gegen Kürzungen und Privatisierungen zu organisieren.
Indes betonte allerdings der Generalsekretär der CUT, des größten Gewerkschaftsdachverbandes in Brasilien, schon im März, dass das Volk mit dem zu Rande kommen müsse, was es gewählt habe. Führungsfiguren der PT lehnen den Slogan „Fora Bolsonaro“ ab, weil ein „Verbrechen gegen die Verantwortlichkeit“ notwendig sei, um Bolsonaro des Amtes zu entheben. Die PT hat mit ihrem Slogan „Wir werden 2022 gewinnen!“ nur ihre mangelnde Verbindung mit der Arbeiterschaft bewiesen, die nicht weitere drei Jahre warten kann und will. Die Gewerkschaften haben aber unter dem Druck von unten zum Generalstreik am 14. Juni aufgerufen.
Trotz der bremsenden Rolle von Gewerkschaften und PT könnte die Kampfbereitschaft der Basis und eine Massenbewegung zum Sturz der Regierung ein revolutionäres Möglichkeitsfenster öffnen.
(Funke Nr. 174/Juni 2018)