Kuba. Seit 12 Jahren gehen LGBT-AktivistInnen einmal jährlich für ihre Rechte in Havanna auf die Straße. Heuer wurde die Gay Pride offiziell abgesagt, trotzdem demonstrierten etwa 100 AktivistInnen. Die inneren Zusammenhänge zwischen dem Kampf gegen die Unterdrückung und der kubanischen Revolution beleuchtet Emanuel Tomaselli.

Am 11. Mai wurde ein lautstarker Zug der LGBT-AktivistInnen nach etwa zwei Kilometern von der Polizei gestoppt, und drei Aktivisten wurden festgenommen. Bereits im Vorfeld wurden bekannte LGBT-AktivistInnen auf Polizeistationen festgesetzt. Die Linke, sowohl in Kuba, als auch International diskutiert diese Ereignisse kontrovers.

Frauenrechte und LGBT in Kuba

Die Überwindung des Kapitalismus war und ist die materielle Basis und der politische Motor für die Zurückdrängung aller spezifischen Formen von Unterdrückung in der kubanischen Gesellschaft. Die größten Fortschritte wurden dabei in Bezug auf die Befreiung der Frau gemacht. In Kuba ist das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität im weitestgehenden Sinn verwirklicht. Verhütungsmittel bis hin zur Sterilisation sind flächendeckend und kostenlos zugänglich. Auch das Recht auf Abtreibung ungewollter Schwangerschaften wird vollständig garantiert: Der Abbruch ist gratis und ein Recht jeder Frau jeden Alters und ohne Angabe von Gründen; kein Arzt kann den Abbruch aus Gewissensgründen verweigern; es gibt keinen moralischen Druck und auch minderjährige Frauen haben Anspruch auf diese medizinische Leistung ohne Bewilligung oder Benachrichtigung der Eltern. Gleichzeitig hat Kuba eine der weltweit niedrigsten Raten von Mütter- und Kindersterblichkeit, und auch künstliche Befruchtung ist kostenlos zugänglich.

Sexualität im Allgemeinen und in all ihren individuellen Problemstellungen ist seit Jahrzehnten Teil der öffentlichen Debatte auch in den Massenmedien. Dies ist das Resultat einer offenen gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die seit dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 aktiv von Frauengruppen geführt wurde. Die historischen Führerinnen der kubanischen Revolution gingen nach der Enteignung der Kapitalisten nicht nach Hause, sondern führten ihren Kampf weiter. Sie handelten als „moralischer Rammbock“, wie schon der russische Revolutionär Leo Trotzki die Aufgabe der Frauenorganisationen im materiell und kulturell rückständigen Russland nach der Revolution beschrieben hat. Diese Errungenschaften der Frauen sind also keine Selbstverständlichkeit, sondern das Resultat einer permanenten gesellschaftlichen Auseinandersetzung, deren Bedingungen sich nach Überwindung des Kapitalismus schlagartig verbessert haben.

Solche politischen Kämpfe wurden und werden auch gegen rassistische Unterdrückung und in den letzten 20 Jahren außerdem in der Frage der Anerkennung der sexuellen Orientierung und Selbstbestimmung geführt. Ein Resultat dieses Kampfes ist die seit etwa einem Jahrzehnt mögliche kostenlose Geschlechtsumwandlung für Transgender-Personen.

Druck vom Kapital

Die kubanische Revolution steht aktuell unter massivem Druck des Imperialismus. Nach 1990 und der kapitalistischen Restauration der Sowjetunion war Kuba gezwungen, sich zu absolut schlechten Bedingungen in den Weltmarkt zu integrieren. Eine fast permanente Wirtschaftskrise und zunehmende soziale Ungleichheit waren die Folge. Die traditionellen Exportgüter Zucker und Nickel sind aktuell nur zu extrem ungünstigen Preisen auf dem Weltmarkt unterzubringen, und die Erfolge der eigenen pharmazeutischen Forschung können aufgrund der Monopolisierung des globalen Arzneimittelmarktes kaum gewinnbringend am Weltmarkt untergebracht werden. Doch im Fall von Kuba sind es nicht nur die ungleichen Bedingungen am Weltmarkt, sondern auch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Blockade seitens der USA, die das Leben auf der Insel schwieriger machen. Die Kosten des Handelsembargos der USA gegen die Insel belaufen sich jährlich auf etwa 5 Mrd. US-Dollar (über 10 % des BIP). Dieses Embargo wurde zudem erst im Mai dieses Jahres durch die Aktivierung des Artikels 3 des Helms-Burton-Gesetzes verschärft. Dieses Gesetz ermöglicht in den USA die Strafverfolgung von Firmen in Drittstaaten, die mit Kuba Handel treiben.

In den vergangenen Jahren war für die kubanische Wirtschaft der Tausch von medizinischen Leistungen gegen Erdöl vom wichtigsten Verbündeten in der Region die wichtigste ökonomische Schlagader. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Krise in Venezuela brach nun auch der Handel zwischen diesen zwei Nationen auf ein Minimum ein.

Diese gesamte Gemengelage zwingt Havanna aktuell den bereits prekären öffentlichen Personenverkehr sowie die Stromversorgung einzuschränken und den Konsum von Proteinen (selbst zu Marktpreisen) zu rationieren. Als Nebenbemerkung sei hier angemerkt: Die letzte Maßnahme findet, im Gegensatz zur Berichterstattung etwa im „Standard“, als Maßnahme gegen den grassierenden Schwarzmarkt, der die soziale Ungleichheit massiv verstärkt, breite öffentliche Unterstützung.

LGBT-Rechte wurden zur Verhandlungsmasse

Eine politische Implikation dieser angespannten Situation ist die begründete Sorge, dass die (aktuell noch isolierte) Konterrevolution eine breite Basis bekommen könnte. Bisher waren diese Gruppen gesellschaftlich isoliert und teilweise nicht mehr als eine von westlichen Agenturen bezahlte Möglichkeit eines arbeitsfreien Lebensunterhaltes. In diese Kategorie fallen auch die weltweit promoteten „Damas de Blanco“ (Damen in Weiß), die sich ob der Aufteilung der Finanzierung zerstritten. Allerdings artikulierte sich eine neue politische Kraft, die tatsächlich eine fanatische und gesellschaftlich verankerte Kraft verkörpert: der christliche Fundamentalismus.

Diese antikommunistische Opposition betrieb eine monatelange Kampagne, inklusive Demos gegen die neue Verfassung. Die kommunistische Opposition gegen die mittlerweile durch eine Volksabstimmung in Kraft gesetzte Verfassung kann hier nicht diskutiert werden. Die reaktionären Kräfte kampagnisierten jedenfalls gegen die Neudefinition der Ehe als „freiwillige Vereinigung zweier Menschen“. Diesem Druck von rechts wurde rhetorisch durch eine Neufassung des Paragraphen nachgegeben. Die pro-revolutionäre Kampagne Cenesex verzichtete daher im Zuge ihrer diesjährigen Aktionstage gegen Homophobie auf die Durchführung der Gay Pride („Conga“), und die Polizei ging gegen LGBT-AktivistInnen vor, die ihren Kampf um gesellschaftliche Anerkennung nicht aus taktischen Gründen dem Druck von rechts-katholischen Kreisen opfern wollten.

Für die revolutionäre Offensive!

Linke Medien wie die Berliner „Junge Welt“ versuchen, trotz der innerkubanischen, revolutionären Opposition gegen die Absage der Pride und der polizeilichen Repression, die Entscheidung des Staatsapparates mit dem Hinweis auf die Verbindungen eines einzelnen LGBT-Aktivisten zur US-amerikanischen Botschaft zu legitimieren. Dieser Zugang ist völlig falsch. Der Imperialismus nützt seit jeher jede Gelegenheit, um auf Kuba eine gesellschaftliche Verankerung zu finden. An diesem Tag war es aber der kubanische Staatsapparat der die Arbeit für die Reaktion machte. Die reaktionäre US-Administration Donald Trumps hat aber keinerlei moralische oder politische Autorität über die kubanischen LGBT-AktivistInnen. Im Gegenteil, die DemonstrantInnen in Havanna am 11. Mai sprachen sich klar gegen die jahrhundertelange Unterdrückung durch die Klassengesellschaft und für die bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften der Revolution aus.

LGBT-Rechte werden nicht mit Reaktionären verhandelt, weder hier noch anderswo: Keine Konzession dem Fundamentalismus und der kapitalistischen Restauration, für Befreiung in der permanenten Revolution!

(Funke Nr. 174/Juni 2018)


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