Jorge Martin liefert eine Analyse der jüngsten rechtsextremen Gewaltwelle in Venezuela und skizziert die Aufgaben der venezolanischen ArbeiterInnenbewegung angesichts dieser neuen Bedrohung.
Am Donnerstag, dem 27. November, wurden spät abends drei Gewerkschaftsführer in Aragua, Venezuela ermordet. Richard Gallardo, Vorsitzender der UNT Aragua, Luis Hernandez, Vorsitzender der Gewerkschaft der ArbeiterInnen von Pepsi Cola, und Carlos Requena verließen ein Restaurant und wurden auf dem Weg zu ihrem Auto von einem Killer erschossen. Die drei Gewerkschafter verbrachten den ganzen Tag damit den Kampf der 400 ArbeiterInnen der in kolumbianischem Eigentum stehenden Alpina-Molkereigruppe zu unterstützen.
Die ArbeiterInnen der Industriemolkerei Alpina kämpfen um die Zahlung ausständiger Löhne und gegen Versuche des Multis den Standort zu schließen. Am selben Morgen attackierte die Regionalpolizei die ArbeiterInnen brutal. Die drei Gewerkschafter koordinierten Solidaritätsaktionen von anderen Belegschaften. ArbeiterInnen umliegender Betriebe strömten spontan auf die Straße und halfen den KollegInnen von Alpina den Betrieb wieder zu besetzen. Der Slogan lautete: „Für die Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle“.
Der Gouverneur von Aragua, Didalco Bolivar, wurde 2004 als Kandidat der Bolivarischen Bewegung gewählt. Seine Partei (PODEMOS) wechselte im Zuge des Verfassungsreferendums im Dezember 2007 zur reaktionären Opposition. Didalco ist eng mit den regionalen Unternehmern verbunden und hat ihre Interessen wiederholt mit Polizeirepression gegen ArbeiterInnen verteidigt, z.B. als die ArbeiterInnen von Sanatarios Maracay im April 2007 zu einer Demo der FRETECO nach Caracas aufbrechen wollten. In den Wahlen vom 23. November 2008 verlor Didalco seine Position an den Kandidaten der Vereinigten Sozialistischen Partei PSUV Rafael Isea.
Der modus operandi der Killer ist mit den Methoden der Paramilitärs in Kolumbien ident. Unternehmer beauftragen Killer um Gewerkschafter ein zu schüchtern und zu ermorden. Kolumbianische Paramilitärs operieren seit geraumer Zeit in Venezuela. Nachdem das Verbrechen bekannt wurde, rief die UNT Aragua sofort zu Protestaktionen in Form von Massenversammlungen an den Arbeitsplätzen und Fabriken auf. Tausende ArbeiterInnen legten ihre Werkzeuge nieder und fluteten am Freitag Nachmittag die Straßen. Tausende nahmen am Begräbnis am Samstag teil und errichteten in den Bundesstaaten Aragua und Carabobo mit brennenden Barrikaden Straßenblockaden.
Die UNT Aragua fand sich zu einer improvisierten Vorstandssitzung zusammen und beschloss folgenden Aktionsplan: Am Montag, dem 1. Dezember, werden in den Betrieben Versammlungen abgehalten, am Dienstag, dem 2. Dezember, findet ein regionaler Generalstreik statt, am Mittwoch folgt ein nationaler Aktionstag.
Auf diesem Treffen rief Orlando Chirino, einer der nationalen Koordinatoren der UNT, dazu auf jede Bedrohung der ArbeiterInnen durch die Bosse mit der „Besetzung der Fabriken und der Forderung nach Enteignung durch die Regierung“ zu beantworten. Dies ist eine Vorgangsweise, die die „Revolutionär Marxistische Strömung“ (CMR) und die „Revolutionäre Einheitsfront der besetzten Betriebe“ (FRETECO) seit geraumer Zeit argumentiert und umsetzt, zuletzt haben sie in ihrem Statement zur Verurteilung der Ermordung der drei Kollegen diese Forderung wiederholt.
Die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) verurteilt die brutale Ermordung der Arbeiterführer deren einziges Verbrechen es war, die Interessen unserer Klasse gegen die Einschüchterungen und den Terror der Unternehmer entschieden zu verteidigen. Das Grundprinzip der ArbeiterInnenbewegung lautet: „Ein Angriff auf einen, ist ein Angriff auf uns alle“. Unsere Solidarität gilt den Familien, FreundInnen und GenossInnen von Richard Gallardo, Luis Hernandez und Carlos Requena. Wir rufen die internationale ArbeiterInnenbewegung auf die Morde zu verurteilen und zu mobilisieren, dass die Verantwortlichen ausgeforscht und der Gerechtigkeit zugeführt werden.
Rechte Einschüchterung
Diese Morde finden im Kontext einer Welle von Provokationen statt. Reaktionäre Banden mobilisieren ihre Kräfte vor allem in Regionen und Städten, in denen am 23. November Oppositionskandidaten gewonnen haben. Wir haben bereits in der Vergangenheit gewarnt, dass die politische Opposition sich nur gezwungenermaßen auf die Wahlebene konzentriert. Der einzige Grund für diese Strategie ist, dass das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft momentan keinen weiteren Putschversuch zulässt. Sobald sie sich aber in einigen Machtpositionen eingerichtet haben, werden sie ihre „demokratische“ Maske fallen lassen und ihr reaktionäres Gesicht zeigen. Dieser Prozess ist zu einem gewissen Grade bereits gestartet.
Es gibt unzählige Berichte über reaktionäre Schlägerbanden die kubanische Ärzte, alternative Radiosender, TeilnehmerInnen von revolutionären Studiengängen und Gesundheitsprogrammen, Streikposten, Treffpunkte von Kommunalräten und anderen revolutionären Organisationen angreifen und bedrohen. Diese Übergriffe finden besonders in Miranda, Carabobo und Tachira (Bundesstaaten, in denen die Opposition die letzten Wahlen gewann) und in Städten wie Maracaibo (wo die Opposition die Mehrheit des Gemeinderates gewann) statt.
In einer extrem wütenden Rede gab Präsident Chavez unzählige, gut dokumentierte Beispiele solcher Attacken bekannt. Die internationalen Medienkonzerne verschweigen diese Terrorwelle und versuchen Chavez, trotz aller Gegenbeweise, als größenwahnsinnigen Maniac darzustellen. Im britischen Guardian etwa schrieb Rory Carroll: „Chavez versucht die Zugewinne der Opposition durch die Behauptung, dass ihre Gouverneure and Bürgermeister `faschistische` Tendenzen hätten, noch bevor sie ihren Amtseid ablegen, madig zu machen. Er behauptet, dass sie den Zugang zu freier Bildung und Gesundheitsversorgung unterminieren würden. Die Opposition jedoch sagt, dass dieser Vorwurf absurd sei, da sie wegen ihres Wahlversprechens der Verbesserung der öffentlichen Leistungen gewählt worden seien.“
Tatsächlich jedoch listete Chavez in seiner sonntäglichen Rede eine lange Liste an Übergriffen auf Klinken und Bildungseinrichtungen auf, hier ein Auszug:
• Eine Klinik von Barrio Adentro 1 wurde in Los Taladors, Valencia, Carabobo abgefackelt.
• In den Bezirken Independencia und Cordoba im Bundesstaat Tachira wurden Studierende der „Misiones“ gezwungen ihre Klassenräume zu verlassen
• In Miranda gibt es Attacken und Drohungen gegen die UNEFA Universität, dessen Gebäude der lokalen Verwaltung gehören, die nun der Uni das Gelände entziehen will.
• In Los Teques, Miranda, gibt es Drohungen gegen das Radio „La Voz de Guaicaipuro“.
• In Miranda wird ein „Integrales Diagnosezentrum“ bedroht und kann seinen Betrieb nur unter Polizeischutz weiterführen.
• In Puerto Cabello, Carabobo, bedrohen AnhängerInnen des neugewählten Gouverneurs, Salas Feo, kubanische Ärzte und Barrio Adentro Kliniken.
• Im Bezirk Guaicaipuro, Miranda, wurde eine Gruppe von 10 kubanischen Barrio Adentro Ärzten aus ihren Wohnungen vertrieben.
Und diese Liste ließe sich fortsetzen…
Bereits am Freitag gingen Tausende ArbeiterInnen und Jugendliche in Los Teques zur Verteidigung der „Misiones“ und gegen die konterrevolutionären Angriffe auf die Straße (weitere Bilder und Videos hier).
Manchmal benötigt die Revolution die Peitsche der Konterrevolution: Die Provokationen der konterrevolutionären Hooligans könnte zu einer Radikalisierung der revolutionären Bewegung führen.
In seiner Rede am Sonntag, in der er Karl Marx zitierte, meinte Chavez korrekt: „Was wir in Venezuela sehen ist ein Ausdruck des Klassenkampfes, die Armen gegen die Reichen, die Reichen gegen die Armen.“ Er fügte hinzu, diese Angriffe seien nur „ein kleines Beispiel, ein Anzeichen darauf was passieren könnte wenn diese konterrevolutionären Parteien jemals die Macht in Venezuela an sich reißen würden“. Chavez appellierte an die Bevölkerung, sich in „ständiger Mobilisierung gegen die Konterrevolution“ zu befinden.
Taten statt Worte: Bewaffnung der ArbeiterInnen! Enteignung der Oligarchie!
Diesen Reden müssen Taten folgen. Wenn das ein Klassenkampf ist, besteht der einzige Weg darin, der reaktionären Oligarchie (den KapitalistInnen, den GroßgrundbesitzerInnen und den BankerInnen) die politische und wirtschaftliche Macht abzuringen. Die Morde in Aragua zeigen, wozu die Bosse zur Verteidigung ihrer Interessen, Macht und Privilegien imstande sind. Das war kein isolierter Einzelfall. In den letzten zehn Jahren wurden mehr als 100 politisch aktive Kleinbauern im Kampf für eine Landreform ermordet – ebenso wie viele weitere revolutionäre AktivistInnen am Land und in der Stadt. Bis heute wurde noch keine einzige Person deshalb verurteilt. Jene, die den reaktionären Militärputsch 2002 organisiert haben, spazieren heute ebenso unbehelligt durch die Straßen Venezuelas und planen weitere reaktionäre Aktionen gegen den demokratischen Willen der Bevölkerung wie die kriminellen Unternehmer, die im selben Jahr die Fabriksaussperrungen durchgeführt haben. Einige von ihnen kandidierten am 23. November sogar bei den Wahlen und haben gewonnen!
Wie im Statement der CMR und der FRETECO richtig betont wird und wie die UNT in Aragua nun jetzt ebenso feststellt, müssen die ArbeiterInnen eigene Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen. Als Präsident Chavez jede Frau und jeden Mann dazu aufforderte, sich zur Verteidigung der Revolution im Umgang mit Gewehren schulen zu lassen, wurde dieser Appell von keinem der verschiedenen Flügel der UNT aufgegriffen. Nun sollte diese Aufgabe ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
So haben die ArbeiterInnen der Fabrik Inveval (die unter Arbeiterkontrolle steht) bereits eine Reserveeinheit der Armee aufgebaut und diskutieren derzeit darüber, eine ständige Bewachung aufzubauen, um das Werk vor allen möglichen Angriffen zu verteidigen. Das ist vor allem darum wichtig, weil sich das Werk in Los Teques, Miranda befindet, das mit Capriles Radonsky nun einen reaktionären Gouverneur hat, der für den Angriff auf die kubanische Botschaft während des Putsches in Caracas im April 2002 verantwortlich ist.
Diesem Beispiel sollten Fabriken und Betriebe im ganzen Land Folge leisten. Die ArbeiterInnen müssen ihre eigene Selbstverteidigung aufbauen – niemand sonst wird das für sie übernehmen. Die Führung der UNT sollte einen landesweiten Aktionstag einberufen, in dem Fabriken besetzt und die Enteignung der elementaren Wirtschaftsbereiche, die sich immer noch in privaten Händen befinden, gefordert werden. Das ist die einzige Garantie für den Sieg der Revolution. Keine Zeit darf mehr vergeudet werden. Die Revolution sollte nun durch die Enteignung der KapitalistInnen und GroßgrundbesitzerInnen sowie die Zerschlagung des kapitalistischen Staates zu Ende gebracht werden.