Am 15. Mai wurde im Theater des enteigneten Stahlwerkes SIDOR der sechste Kongress der CMR (Revolutionär-Marxistische Strömung) mit mehr als 300 TeilnehmerInnen eröffnet.
Die Eröffnungsveranstaltung
Eröffnet wurde die Konferenz von Miguel Alvarez, dem Direktor des nach monatelangen harten Kämpfen der Belegschaft verstaatlichten Konzerns. Alvarez unterstützte in seinen Worten die Haltung der „Revolutionären Front der Stahlarbeiter“, dass SIDOR erst dann als sozialistischer Betrieb gelten könne, wenn die Belegschaft die volle Kontrolle über den Betrieb übernommen hätte.
Elisabeth Alves, Co-Direktorin der Staatlichen Grundstoffholding CVG und führende Genossin der CMR übernahm das Podium um der politischen Morde an Gewerkschaftern, BauernaktivistInnen und Aktivisten der PSUV zu gedenken. Unter Beifallsstürmen verlangte sie das Ende der Straflosigkeit für die Mörder und deren Hintermänner. Sie betonte, dass die Morde erst aufhören würden, wenn das kapitalistische System, das in Venezuela noch sehr lebendig sei, überwunden wird. Die Konferenz gedachte in einer Schweigeminute der ermordeten Revolutionäre.
Der nächste Redner war Jorge Martin von der Internationalen Marxistischen Strömung. Er gratulierte den Arbeitern von SIDOR, von denen mehr als hundert im Saal anwesend waren, zu ihrem exemplarischen Arbeitskampf. Er betonte, dass es sich nicht um eine „Krise des Neoliberalismus“ handle, wie die reformistische Linke es vermittelt, sondern um eine klassische kapitalistische Überakkumulationskrise. Als größte Herausforderung für die revolutionäre Bewegung deutet er auf den Staat, der genauso wie die Ökonomie in all ihren Grundzügen kapitalistisch sei. Er forderte die Nationalisierung der Ökonomie durch den Staat und einen Staat in den Händen der ArbeiterInnenklasse. Dies könne nur die Sache der ArbeiterInnen selbst sein, so Jorge Martin, der abschließend auf die Bedeutung der venezolanischen Revolution für die ArbeiterInnenbewegung und Unterdrückten auf der ganzen Welt hinwies.
Ricard la Rosa, Generalsekretär der Gewerkschaft der Arbeiter von Mitsubishi, zeichnete in seiner Rede den zweimonatigen Besetzungsstreik der ArbeiterInnen des Autoproduzenten nach. Er erklärte wie dieser Kampf die Grenzen eines gewerkschaftlichen Konfliktes durchbrach und zu einer harten politischen Auseinandersetzung mit dem Management des imperialistischen Betriebes und seiner staatliche Helfershelfer, die nicht von der Ermordung zweier Arbeiter zurückschreckten, wurde. Trotz dieser Repressalien gelang es der Belegschaft einen bedeutenden Teilerfolg zu erringen. Er erklärte die Rolle der politischen Orientierung des Arbeitskampfes durch die CMR und nannte diesen Umstand als Schlüsselerlebnis, das ihn zum Beitritt zur marxistischen Strömung bewegte. Richard erklärte, dass die ArbeiterInnenbewegung in Venezuela durch Prestigekämpfe an der Spitze der UNT gelähmt werde, er rief sodann zu einem demokratischen von der ArbeiterInnenklasse selbst getragenen Neugründungsprozess auf Basis eines militanten Aktionsprogramms zur Überwindung des Kapitalismus auf.
Juan Ignazio Ramos von der marxistischen Strömung El Militante in Spanien war der nächste am Rednerpult. Er denunzierte die lügnerische Haltung der spanischen Bourgeoisie und der Massenmedien gegenüber der venezolanischen Revolution. „Meinungsfreiheit sei eine Klassenfrage“, betonte er. Der spanische König, selbst ein Bewunderer des Francismus, solle seinen Zeigefinger wieder einpacken. In spanischen Fernsehübertragungen werden übrigens Buhrufe gegen den König ausgeblendet. Er begrüßte die Enteignung der spanischen Bank „Banco de Venezuela“ und forderte die Enteignung aller Banken in Venezuela, „und zwar entschädigungslos“.
César Olarte betrat als nächster Redner das Pult. Im Namen der „Revolutionären Front der Stahlarbeiter“ von SIDOR konzentrierte er sich auf die Frage der Erkämpfung der ArbeiterInnenkontrolle im Stahlwerk. Er betonte die Notwendigkeit der ArbeiterInnenbewegung die Limitierung auf gewerkschaftliche Fragestellungen hinter sich zu lassen und daran zu gehen die politische Machtübernahme durch die ArbeiterInnenklasse in Angriff zu nehmen.
Nelson Rodriguez, Arbeiter von Inveval und Sprecher für die FRETECO (Revolutionäre Einheitsfront der besetzten Betriebe), erklärte die Situation der besetzen Betriebe Gotcha, INAF und Inveval. Er zeigt auf wie die staatliche Bürokratie eine Hürde nach der anderen aufstellt und so die Produktion in diesen Betrieben beinahe unmöglich macht. Viele dieser Vorkommnisse würden entgegen der Order des Präsidenten Chavez selbst geschehen, allein die staatliche Bürokratie sabotiere in einem fort jeden Ansatz erfolgreicher ArbeiterInnenkontrolle.
Elisabeth Alves schloss die Veranstaltung und übergab die Bühne dem Musiker Pedro Urbino. Die Eröffnung der Konferenz war erfolgt, und nach diesem enthusiastischen Start waren die zwei kommenden Tage ganz der politischen und organisatorischen Entwicklung des revolutionären Marxismus reserviert.
Allein das Ambiente des Kongresses im enteigneten Stahlwerk SIDOR machte klar, dass dieser Kongress sich qualitativ von den vorangegangen Konferenzen unterscheiden würde. Die CMR hat tiefe Wurzeln in der revolutionären Bewegung geschlagen, dies wurde allein durch den Veranstaltungsort unterstrichen. Beginnend mit einer kleinen Gruppe von GenossInnen im Dezember 2003 hat sich die CMR zu einer wenn auch noch immer kleinen, aber doch wichtigen politischen Kraft entwickelt. Sie ist heute in der Mehrheit aller Bundesstaaten aktiv, in zentralen Gewerkschaften und in der Bewegung der besetzten Betriebe, in der Studierendenbewegung und in der PSUV und ihrer Jugendorganisation.
140 GenossInnen aus 11 Bundesstaaten nehmen an der Konferenz teil
Darunter befindet sich eine Delegation von GenossInnen aus der Autoindustrie Anzoateguis (Mitsubishi, VIVEX, Macusa – alles Betriebe, die sich gerade in heftigen Klassenauseinandersetzungen befinden; Macusa und VIVEX unter Kontrolle der Belegschaft). Die Ortsgruppen des besetzten Betriebes Ineval beschickten den Kongress ebenso wie Delegierte der Betriebsgruppen der PDVSA der Bundesstaaten Monagas und Zulia. Weiters entsandten die Betriebsgruppen von SIDOR, CVG Ferrominera, Venalum und ALCASA– womit die riesige Schwerindustrie des proletarischen Bundesstaates Bolivar beinahe vollzählig repräsentiert ist - die Konferenz der venezolanischen MarxistInnen. Entschuldigt haben ihre Nichteilnahme die Betriebsgruppen von INAF und Gotcha.
Diese bemerkenswerte Repräsentanz von wichtigen Teilen der ArbeiterInnenklasse wurde durch eine ebenso beeindruckende Teilnahme von SchülerInnen und Studierenden und AktivistInnen der Jugendorganisation der PSUV ergänzt. Aus dem Bundesstaat Tachira reiste eine große Delegation von GenossInnen und BesucherInnen des Comando Estudiantil Simón Bolívar an. Mit Freddy Alvarez stellte die Delegation auch einen national bekannten PSUV Führer in ihrer Mitte. Aus Miranda, Merida und Caracas besuchten mehrere führende Funktionäre der PSUV Jugend, die sich in der vergangenen Periode den MarxistInnen angeschlossen haben, die Konferenz. Aus Ciudad Bolivar nahmen Studierende der dortigen Bolivarischen Universität an der Konferenz teil.
Erwähnenswert ist die Anwesenheit zahlreicher Veteranen der revolutionären Bewegung Venezuelas. AktivistInnen, die ab den 1960er Jahren in der MIR, der KP, Causa R und anderen linken Organisationen aktiv waren und sich heute in den Reihen der CMR wieder finden.
Internationale Gäste aus Brasilien, Mexiko, Dänemark, England und Spanien komplettierten die Konferenz. Kolumbianische GenossInnen, die im letzten Jahr erste Schritte zur Etablierung der Internationalen Marxistischen Strömung (IMT) unternommen haben, mussten aus Sicherheitsgründen ihre Teilnahme zurückziehen.
Die Konferenz wurde mit den Ausführungen Jorge Martins zu den internationalen Perspektiven der ArbeiterInnenbewegung eröffnet. Er schilderte die Tiefe dieser Krise, betonte jedoch „solange die ArbeiterInnenklasse nicht die Macht erobert, wird der Kapitalismus jede Krise überleben, und zwar auf Kosten der Lohnabhängigen“. Er betonte jedoch, dass diese Krise tiefe Veränderungen im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse hinterlasse. Generalstreiks und bittere Abwehrkämpfe gegen Fabrikschließungen sind heute ein weltweites Phänomen. Auf dieser Basis würden sich die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenklasse für Ideen des revolutionären Marxismus öffnen, vorausgesetzt wir haben bereits eine kaderisierte revolutionäre marxistische Kraft mit einer Verankerung in Betrieben und Universitäten aufgebaut.
Nach einer lebendigen Debatte schritt die Konferenz zum Bericht über die internationale Arbeit der IMT weiter, mit einem Schwergewicht auf die Entwicklung unserer Arbeit in Nord- und Südamerika.
Der Vormittag wurde durch die Sammlung von Spenden beendet. Die Delegierten und Gäste spendeten die Summe von 10.000 Bolivar (ca. 4200 €), und zeigte damit, dass die CMR auch finanziell auf dem Fundament der besten revolutionären Traditionen der ArbeiterInnenklasse aufgebaut ist.
Der Nachmittag war für die Diskussion der venezolanischen Revolution und ihrer Perspektiven reserviert. Leonardo Badell betonte, dass die venezolanische Revolution trotz aller ihrer Errungenschaften nicht beim bisher Erreichten stehen bleiben kann. Die Ökonomie ist weiter kapitalistisch, und der bürgerliche Staatsapparat ebenso. Als Beispiel führte er die staatliche Sabotage Invevals, die Ermordung der Kollegen bei Mitsubishi durch die Polizei und viele Beispiele mehr an. Solange diese Hürden nicht genommen werden, droht der venezolanischen Revolution permanent ein abruptes Ende. Venezuela wird durch die Wirtschaftskrise hart getroffen, und die Idee, dass man einen „Öl-Sozialismus“, der die Frage des Eigentums ausspart, errichten könne, habe eine vernichtende Absage erteilt bekommen. Nach der Niederlage im Verfassungsreferendum ist die Oligarchie in der Defensive. Als ihr Anführer Rosales aufgrund von Erhebungen wegen Korruption aus dem Land floh, konnte die Opposition keine namhaften Demonstrationen abhalten. Die Hauptgefahr der Revolution drohe aber von innen, von der konterrevolutionären Bürokratie und jener reformistischen Sektoren in der Führung der Bewegung, die der ArbeiterInnenklasse und dem revolutionären Volk die Fähigkeit absprechen den Sozialismus aufzubauen. Die ArbeiterInnenklasse muss die Initiative ergreifen, sich an die Spitze der Revolution stellen, die Ländereien, Banken und Fabriken unter ArbeiterInnenkontrolle enteignen und einen neuen Staat auf Basis der Abeiter- und der Volksräte aufbauen.
Die Wortmeldungen in der anschließenden sehr lebendigen Debatte kennzeichneten sich durch wachsenden Ärger und Ungeduld der Revolutionäre und insbesondere der ArbeiterInnenklasse angesichts der Reden über den Sozialismus, dem keine Taten folgen.
Organisation und Ziele
Pablo Cormenzana beleuchtete die Höhepunkte der Arbeit des letzten Jahres: Die Veranstaltungsreihe mit Alan Woods, bei der 4500 Menschen an Präsentationen des Buches „Reformismus oder Revolution“ teilnahmen und über 1500 Exemplare verkauft wurden. Eine große Intervention bei der Gründungskonferenz der PSUV-Jugendorganisation und das darauf folgende Strömungstreffen der Marxistinnen in der besetzten Fabrik Vivex mit über 85 TeilnehmerInnen aus dem ganzen Land. Eine Gewerkschaftskonferenz mit 70 GewerkschaftsaktivistInnen stärkte die Präsenz und das Profil der MarxistInnen in zahlreichen Schlüsselbetrieben des Landes (darunter SIDOR und Erdölindustrie in Zulia). Durch die Arbeit in und mit den besetzten Betrieben konnte sich die CMR eine enorme Autorität in der venezolanischen ArbeiterInnenbewegung aufbauen. Ausgehend von einem Betrieb im Bundesstaat Miranda hat sich die FERETCO zu dem politischen und praktischen Werkzeug von BetriebsbesetzerInnen entwickelt. Die bedeutendste Arbeit von GenossInnen der CMR konnte in der Mitsubishi Fabrik in Barcelona geleistet werden. Nach einem zweimonatigen Besetzungsstreik der erfolgreich gegen einen Polizeiangriff aufrechterhalten werden konnte, wurde dem Management ein beachtlicher Teilerfolg abgerungen. Die GenossInnen betonen, dass der heutige Zustand nur ein Waffenstillstand in einem breiter anzulegenden Krieg gegen den mulinationalen Konzern sei.
Neben diesen Auseinandersetzungen hat die CMR viele Ressourcen investiert um politisch-theoretisches Material zu produzieren und in Umlauf zu bringen. Die Konferenz wurde auch genützt um die jüngste Publikation der „Friedrich-Engels-Gesellschaft-Venezuela“ zu präsentieren: „Die Schlacht von Inveval“ zieht sie Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen der Belegschaft dieser Metallfabrik, die seit vier Jahren unter ArbeiterInnenkontrolle steht.
In der Diskussion vertieften die GenossInnen aus den einzelnen Regionen die Diskussion durch Beiträge über ihre lokale und regionale Arbeit.
Am Sonntag versammelte sich die Konferenz zu vier Arbeitsgruppen um die Bereiche PSUV, Gewerkschaftsbewegung, Finanzen und Zeitung vertiefend zu diskutieren.
Die CMR gibt eine Zeitung namens „Militante“ („Der Aktivist“) heraus. Vor einem Jahr erschien sie zweimonatlich bei einer Auflage von 1000 Exemplaren. Mittlerweile erscheint sie monatlich bei einer Auflage von 5000 Exemplaren. Es wurde beschlossen, die Kampagne zur Gewinnung von KorrespondentInnen in Betrieben zu intensivieren.
Die Arbeitsgruppe zur Arbeit in den Gewerkschaften war ganz besonders lebendig, da sie die Erfahrung von AktivistInnen aus Betrieben aus dem ganzen Land zusammentrug. Die GenossInnen stellten fest, dass das Klassenbewusstsein der venezolanischen ArbeiterInnen über ihre Situation und ihre historische Mission weltweit keinen Vergleich hat, dass der Klasse aber eine nationale Führung und Organisation fehlt. Alle Fraktionen in der UNT sind untereinander in persönliche Konflikte verwickelt. Felix Martinez von Mitsubishi betonte, dass die ArbeiterInnen die Einheit der Klasse auf Basis eines Aktionsprogramms wünschen. Es wurde beschlossen die kommende Lateinamerikanische Konferenz der besetzten Betriebe als Focuspunkt der Arbeit der kommenden Wochen in den Mittelpunkt zu stellen, um so die Idee der Einheit im Kampf um den Sozialismus zu promoten.
Am Nachmittag endete der Kongress mit einer Danksagung an die Revolutionäre Front der Stahlarbeiter, deren Hilfe entscheidend war um die Konferenz in diesem Rahmen abzuhalten. Eine Sammlung für die ArbeiterInnen von Vivex hat weitere 480 Dollar ergeben. Nach Schlussbemerkungen durch Juan Ignazio Ramos und Jorge Martin vom Sekretariat der Internationalen Marxistischen Strömung endete diese bemerkenswerte Konferenz der venezolanischen MarxistInnen mit dem Singen der Internationale – der Hymne der internationalen ArbeiterInnenklasse.
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