Anfang 2005 ernannte Präsident Chávez Carlos Lanz zum Direktor der verstaatlichten Aluminiumfabrik Alcasa. Diese Ernennung kam überraschend, da es sich bei Lanz um einen ehemaligen Guerillakämpfer handelt, der sich heute als Soziologe eindeutig mit der revolutionären Linken identifiziert.
Seitdem er die Leitung der Fabrik übernommen hat, führt er den Prozess der "Mitverwaltung" ein, die diese Firma zu einem politischen Symbol und deren Erfahrungen zu einem nationalen Test gemacht haben. Wir interviewten Rafael Rodriguez, Mitglied des Arbeitsteams um Carlos Lanz, der verantwortlich für die ökonomische Entwicklung und für die Herausbildung der "Mitverwaltung" im Betrieb und den umliegenden Gemeinden ist.
Kannst du uns erklären, was so besonders an der Mitverwaltung bei Alcasa ist?
Alcasa produziert Aluminium, die Firma passt in das System der Importsubstitution, hier haben wir die Möglichkeit Erfahrungen zu entwickeln. In den vergangenen 17 Jahren hat Alcasa nur Verluste gemacht. Jahrelang haben Korruption und Veruntreuung die Firma praktisch in den Ruin getrieben.
Seit acht Jahren (seitdem Chávez Präsident ist) hat Alcasa Verluste gemacht, die man nur schwer ohne eine technologische Umstrukturierung überwinden kann. Einige Leute haben mit Konkursen Geschäfte gemacht; es gab viele Studien, Projekte usw., die Millionen gekostet haben. Es kamen Männer mit Diplomatentaschen, die auftauchten, ihre Meinung sagten und wieder gingen ...aber nichts hat sich geändert.
Wir sind hierher gekommen mit dem Ziel, Alcasa mit Hilfe der ArbeiterInnen zu retten. Wir sind davon überzeugt, dass die ArbeiterInnen mit Carlos Lanz den Sozialismus auf praktische Weise aufbauen können. Deswegen haben wir hier die Arbeitermitverwaltung vorgeschlagen.
Wir hatten nie die Absicht eine sozialdemokratische und reformistische Arbeitermitverwaltung wie in Deutschland einzuführen, aber aus taktischen Gründen haben wir den Begriff übernommen. Er soll darauf hinweisen, dass wir die Arbeitermitverwaltung als Übergang zur Selbstverwaltung wollen.
Wir haben hier eine Arbeitermitverwaltung, die von den ArbeiterInnen kontrolliert wird und einen Fabrikrat mit der Absicht, den Arbeitern alle Macht über die Produktion, den Vertrieb und die Vermarktung zu geben. Unser Ziel ist es, die Produktion von Aluminium zu entwickeln und zu diversifizieren, ausländische Kunden außerhalb der USA zu finden - wie z. B. die Japaner für die Raumfahrt - aber auch nationale Märkte zu entwickeln, wie den Bau billiger, qualitativ guter Häuser.
Für uns bedeutet die Arbeitermitverwaltung den friedlichen und fortschrittlichen Aufbau des Sozialismus. Als Marxisten und Gramscianer wollen wir eine Gegenhegemonie errichten. Aus diesem Grund haben wir ein Zentrum für sozio-politisches Training eingerichtet, so dass die ArbeiterInnen in den Prozess mit eingebunden werden. Man hat uns schon mit verschiedenen Namen betitelt, wie z.B. kommunistischer Katechismus etc. Aber allmählich beteiligen sich fortwährend mehr ArbeiterInnen an diesem Training, etwa 700 nehmen jetzt teil. Und immer mehr Werktätige übernehmen dieses Training.
Wie sieht es mit den Besitzverhältnissen der Fabrik aus?
Sie bleibt im Staatsbesitz. Wir sind nicht für eine Arbeitermitverwaltung, die den ArbeiterInnen Kapital zuteilt, sie mit Kapital in Verbindung bringt oder die Anteile unter ihnen verteilt. In Venezuela ist der Privatbesitz nicht das eigentliche Problem.
Der Staat besitzt bereits die wichtigsten Güter in diesem Land: die Mehrheit des Bodens, Öl, die größten Unternehmen ... Es handelt sich mehr um das Problem der Umverteilung und der Restrukturierung des Staates im sozialistischen Sinne.
Deshalb halten wir nichts davon, wenn sich die Arbeitermitverwaltung auf ein Unternehmen beschränkt, für uns sollte diese sich auf das gesamte soziale Umfeld ausdehnen, einschließlich der militärischen Frage. Aber auf dieser Ebene sind wir bisher noch weit vorangekommen.
Über welche Macht verfügen die ArbeiterInnen und die Direktoren?
Als wir ankamen sagten uns einige Werktätige: "Wir müssen alle Leiter feuern, die gesamten Direktoren." Wir entgegneten ihnen: "Nein, das ist das Letzte was wir tun." Bei der nationalen Ölgesellschaft PVDSA wurden nach der Sabotage durch die Unternehmer auf einem Schlag mehr als 2000 Manager entlassen und das schafft dort bis heute große Schwierigkeiten. Wenn wir das Gleiche getan hätten und engagierte, aber nicht ausgebildete Chávistas auf die Führungspositionen gesetzt hätten, wäre es zu einer Katastrophe gekommen.
Wir wollten einen Prozess von unten, Wahlen in jeder Werkshalle, "delegierte Sprecher" in jeder Abteilung. Ein System von direkten Wahlen, Kontrolle und Rechenschaft, Möglichkeiten der Abwahl, Rotation der Funktionen etc. Zur ersten Versammlung kamen 27 ArbeiterInnen von 2700 Beschäftigten.
Wir haben Überzeugungsarbeit geleistet, Versammlungen organisiert, Flugblätter und Zeitungen herausgegeben, diskutiert etc. Nach einigen Monaten haben die ArbeiterInnen eingesehen, dass es in ihrem Interesse war mitzumachen, im Betrieb "die Macht zu übernehmen". Dann sind wir weitergegangen und haben Wahlen auf der Führungsebene durchgeführt.
Die Führungsmannschaft wurde beträchtlich vergrößert; für jeden Leiter wählten wir drei neue. Zusätzlich gibt es 300 von den Fabrikangehörigen gewählte delegierte Sprecher. Heute hat jede Abteilung ihren "Verwaltungsrat", der aus in den einzelnen Gruppen gewählten Sprechern besteht und wo alle Probleme, die sich um die Produktion drehen, geplant und diskutiert werden.
Wenn es ein Problem zu regeln gibt, werden alle ArbeiterInnen der Abteilung zu einer Versammlung zusammengerufen. Das gleiche geschieht beim Gesamtbetrieb. Auf einer zentralen Versammlung stellt das Direktorat den Delegierten seine Pläne vor und diese tragen ihre Probleme vor. Der Direktor entscheidet nicht länger alleine, er muss den Willen der ArbeiterInnen berücksichtigen..
Welche Zukunftsaussichten sehen sie für diese Art von Arbeitermitverwaltung für das gesamte Land?
Man hat uns als "verrückt" bezeichnet, aber wir haben das Gefühl voranzukommen, sowohl auf der industriellen als auch auf der politischen Ebene. Die Produktion ist angestiegen, die Produktivität ebenfalls.Wir haben ehrgeizige industrielle Projekte, u.a. den Bau einer fünften Fertigungsstraße, eine Umgruppierung der Arbeitskräfte etc.
Auf der politischen Ebene habe wir das Gefühl in Einklang zu sein mit den Vorstellungen von Präsident Chávez bezüglich der Notwendigkeit des Aufbaus des Sozialismus und der Beendigung kapitalistischer Verhältnisse.
In userem Staat, im industriellen Herzen des Landes, in den elementaren Industrien geht der Prozess voran, die Arbeitermitverwaltung macht in verschiedenen anderen Betrieben Fortschritte. Wir stehen in Kontakt mit Unternehmen, in denen die Arbeitermitverwaltung praktiziert wird, es hat gemeinsame Treffen gegeben und es wird weitere geben. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir mit viel Aufmerksamkeit beobachtet werden.
Aber es gibt auch Konflikte, denn es existieren verschiedene Konzeptionen zur Durchführung der Arbeitermitverwaltung und wir stimmen nicht mit der total eingeschränkten Sichtweise überein, wie sie in einigen Ministerien oder im momentan diskutierten Verfassungsentwurf formuliert wird.
von Fabrice Thomas - International Viewpoint
22.Oktober 2005