Die schweren Übergriffe der Polizei gegen AntifaschistInnen am vergangenen Samstag haben zu einer Welle der Betroffenheit geführt, die weit über das Lager der AktivistInnen hinausgeht. Eine Analyse der Funke-Redaktion.

Es kam zu zumindest einer schweren Körperverletzung und einer Reihe von brutalen Festnahmen und Verhaftungen. 37 Festnahmen, die offensichtlich wahllos und oft fern ab jeden Geschehens, ohne vorangegangene strafbare Handlungen, erfolgten. Auffällig ist weiter, dass mehrere minderjährige Jugendliche festgenommen wurden. Eine zynische Pressearbeit der Wiener Polizeidirektion („Wer sich in den Weg der Polizei stellt, muss mit Konsequenzen rechnen“), die es dabei mit den Fakten nicht immer ganz ernst nahm (z.B. als Begründung für Verhaftungen wurde die angebliche Verwüstung einer Drogerie genannt) ergeben ein Gesamtbild eines Polizeieinsatzes, der in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als zumindest arg unverhältnismäßig empfunden wird. 

Augenzeugenberichte und Videomitschnitte berichten weiter vom verständnisvollem, augenzwinkerndem Umgang zwischen der Einsatzleitung der Polizei und den Demoverantwortlichen der rechtsextremen Identitären, angekündigter Revanche von Uniformierten gegen AntifaschistInnen sowie rassistische Äußerungen von Polizeibeamten.

Dies alles passt in das Gesamtbild einer Polizeistrategie, die gezielt auf die Kriminalisierung von antifaschistischem Protest abzielt. Diese Aussage wird dadurch erhärtet, dass es sich bei der Polizeigewalt am 17. Mai nicht um eine Ausnahme, sondern um die exakte Weiterführung einer Strategie handelt, die bereits gegen die großen Proteste gegen den Akademikerball im großen Stil angewandt wurde. Wir wollen hier auch nochmals darauf hinweisen, dass Josef (der im Jänner bei den Protesten gegen den Akademikerball festgenommen wurde) nun bereits seit über 100 Tagen unter sehr fragwürdigen Umständen in Untersuchungshaft sitzt.

Die Kriminalisierung von Protest

ist eine europaweite Strategie, bei der der Staatsapparat die TeilnehmerInnen an sozialen und antifaschistischen Protesten in den Medien nicht nur als Kriminelle darstellt, sondern auch handfeste juristische und/oder polizeiliche Einschnitte bei demokratischen Rechten auffährt. Es geht im Kern darum Gefahrenpotentiale zu erschaffen, damit es keine breite Identifikation und Solidarisierung mit den Protesten gibt. Dies ist insbesondere für den massenhaften sozialen Protest in den südeuropäischen Ländern eine wichtige Strategie des „Teile und Herrsche“. In Österreich wird diese Strategie bisweilen insbesondere von der Wiener Polizeidirektion zur Stigmatisierung antifaschistischer Proteste eingesetzt. Dafür werden Rechtsbegriffe gedehnt und eine präventive Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten per polizeiliche Erlässe umgesetzt. Weiträumige Aussperrungen und Kleidungsvorschriften (Schalverbot für die Innenstadtbezirke im Jänner) greifen tief in demokratische Rechte ein. Auf und nach der Demo wird massiv gewalttätig und übergriffig gegen antifaschistische DemonstrantInnen vorgegangen. Alles gemeinsam wird im Nachhinein durch „Ausschreitungen, Zerstörungen, Verwüstungen“, die in den Medien reißerisch in Szene gesetzt werden, legitimiert.

Das politische Ergebnis

ist, dass Nazis das erste Mal seit Jahrzehnten ungestört und begleitet von der Wiener Polizei in Marschformation durch Wien marschiert sind. Sie selbst begreifen dies als großen politischen Erfolg und haben sich dafür öffentlich bei der Polizei für deren Mithilfe bedankt. Nicht anders beim Akademikerball: die Proteste dagegen sind so erfolgreich, dass es schlicht nicht mehr schick ist dort hin zu gehen. Es kommen nur noch die eingefleischtesten Reaktionäre, und die langweilen sich in den leeren Hallen der Hofburg zu Tode. Ihre gesellschaftliche Legitimität beziehen sie an diesem Abend einzig und allein durch die Polizei, ohne deren massiven und übergriffigen Einsatz sie sich nicht gemeinsam fadisieren könnten.

Hier fängt nun auch eine politische Verantwortung an, der sich die SPÖ Wien-Führung offensichtlich gar nicht, und die Grünen nur teilweise stellen. Die Rathaus-SP erscheint als eine satte, unpolitische Vereinigung, die in keinen politischen Kategorien mehr denkt, sondern wie ein Mantra auf und ab sagt, dass es sich bei Wien um die bestverwaltete Stadt Europas handelt (und dies stellen wir hier nicht in Frage). Aus dieser Perspektive heraus jedoch steht man allem skeptisch bis ablehnend gegenüber was Unruhe in die Stadt bringen könnte und ein wenig polarisierender ist als Conchita Wurst, der Life Ball, das Donauinselfest und der eigene Maiaufmarsch.

So fiel auch dem Bürgermeister nichts anderes zu den Protesten gegen den Akademikerball ein, als dass er in der Stadt keinen „anarchistischen Gewaltimport“ wolle. Wie anders sollte man das interpretieren, als öffentlichen Rückhalt für die Kriminalisierung des Antifaschismus. Auch nach Pürstls polizeistaatlichen Ausritten hielt der Bürgermister die schützende Hand über seinen Polizeipräsidenten. Man könnte auch sagen: Der nationale Schulterschluss ist nicht nur ein Abkommen zur Ausbezahlung der gescheiterten Hypo-Banker, man ist sich auch darin einig, dass Straßenproteste schlichtweg schlecht und zu verhindern sind. Schon gar nicht will man anhand solch einer Frage einen Konflikt mit der ÖVP vom Zaun brechen. Angesichts der Alternativlosigkeit, die man heute in jeder politische Frage verkündet („man muss sparen“, „es gibt keine Alternative zu dieser Regierung“), eine verständliche Haltung. Wir sind gespannt darauf, ob es der Rathaus-SPÖ nach dem vergangenen Wochenende doch noch gelingt, auch abseits von Sonntagsreden eine klare Haltung für aktiven Antifaschismus und gegen Polizeigewalt zum Schutz eines rechtsextremen Aufmarsches einzunehmen. Wir sind sehr skeptisch.

Was tun?

In der linken öffentlichen Debatte gibt es zwei Hauptforderungen die vorgebracht werden: Rücktritt von Polizeipräsident Pürstl (und/oder der Innenministerin, wie es der VSSTÖ fordert), sowie die Kennzeichnungspflicht von Einsatzpolizisten.

Weiters halten es wir es für wichtig für eine Veränderung des Strafgesetzbuches zu kampagnisieren. Vermehrt wird totes Recht (also Paragraphen, die historisch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr angewandt werden) hervorgekramt, um gegen DemonstrantInnen Delikte zu konstruieren. Dies sind etwa „Landfriedensbruch“, „Landzwang“, „Sprengung einer Versammlung“ und „Verhinderung oder Störung einer Versammlung“. Neben dem bisher üblichen Delikt „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ werden nun weitere Gummiparagraphen herangezogen, die sich trefflich zur Kriminalisierung von Protest eignen.

Diese Forderungen sind wichtig und richtig. Zweifellos würde die Durchsetzung einer dieser zwei Forderungen einen Teilerfolg über die Ideologie des nationalen Schulterschlusses bedeuten. Darum wird es nicht einfach werden.

Jetzt geht es darum, auch abseits der sozialen Medien die Unmutskundgebungen auf die Straße zu bringen. Die nächste wichtige Möglichkeit besteht am kommenden Donnerstag in Wien, Graz und Innsbruck, wo der Protest gegen das Vorgehen der Polizei am vergangen Samstag thematisiert wird. 

Dabei richten wir auch einen besonderen Appell an alle GenossInnen der sozialistischen Jugendorganisationen. Nehmen wir zahlreich, organisiert und mit unseren Fahnen sichtbar an diesen Protestkundgebungen teil. Auf dass der Bürgermeister versteht, dass hier keine anonymen Chaoten, sondern die gesamte politische bewusste und organisierte rote Jugendbewegung gegen diese unerträgliche Politik steht.

Die organisationsübergreifende, solidarische antifaschistische Arbeit, die sich im Rahmen der „Offensive gegen Rechts“ (OgR) herausgebildet hat, bedeutet eine klare Potenzierung der politischen Handlungsfähigkeit der antifaschistischen Kräfte in Wien. Es gilt nun am Ball zu bleiben. Es war nicht angestrebt, dass die Zurückdränung demokratischer Rechte und die Kriminalisierung des Protests im Allgemeinen in den Focus dieses Zusammenschlusses gerückt werden. Dies wird uns durch den Schlagstock des nationalen Schulterschlusses aller etablierten politischen Kräfte aufgezwungen. Wir glauben, dass es in absehbarer Zeit eine breite politische Debatte über die generellen politischen Perspektiven braucht, um daraus abgeleitet die künftigen Methoden der antifaschistischen Bewegung festzulegen.


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