Welche Folgen die Politik des nationalen Schulterschlusses für die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung hat, ist Thema des dritten Teils der Österreich-Perspektiven.
Zurück zu Teil 1: Alles deutet daraufhin, dass diese Krise des Kapitalismus noch lange andauern wird. Die Auswirkungen des bürgerlichen Krisenregimes und die spezifischen Probleme des österreichischen Kapitalismus, besonders seines Bankensektors, behandeln wir im ersten Teil unseres neues Österreichperspektiven-Dokuments, das jüngst auf der bundesweiten Konferenz der Funke-Strömung diskutiert wurde.
Zurück zu Teil 2: Die politische Antwort auf die Krise ist eine Politik des nationalen Schulterschlusses, deren Ausdruck die Große Koalition und eine Neuauflage der Sozialpartnerschaft sind. Im zweiten Teil der Österreich-Perspektiven geht es um die Perspektiven dieser Politik.
[VIDEO] Referat zu den Österreich-Perspektiven
Die ArbeiterInnenbewegung
Die SPÖ ist eine ArbeiterInnenpartei mit bürgerlicher Führung und einem Apparat, der gegenwärtig unter der Kontrolle dieser bürgerlichen Führung steht. Führung und Apparat sind auf Gedeih und Verderb in das bürgerliche System integriert. In ihrer Funktion sind sie objektiv der verlängerte Arm der Bürgerlichen in der ArbeiterInnenklasse, d.h. sie passen ihre Politik an die grundlegenden Bedürfnisse des Kapitals an. Schwindende gesellschaftliche Unterstützung wird durch Staatsfinanzierung aufgefangen (dies betrifft alle Parteien), der bürokratische Apparat ist eng mit dem Staatsapparat verwoben. Die Führungsriege rund um Faymann agiert mit mafiaähnlichen Methoden und Kälte.
Wir müssen dennoch aufpassen. Ist die Entwicklungsrichtung der Partei durch das Schicksal von PASOK und Hollands PS vorgezeichnet, so dürfen wir analytisch nicht ungeduldig werden: der Prozess ist noch nicht soweit wie in Griechenland, und kann daher umgekehrt werden. Dies ist nicht die wahrscheinlichste Option, aber wir dürfen hier keinesfalls ungeduldig werden, weil wir sonst analytisch in den linksradikalen Subjektivismus abgleiten. Der Unterschied zwischen PASOK und SPÖ liegt in der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands und Österreich. Dies ermöglicht es der SPÖ ihre gesellschaftliche Verankerung aufrecht zu erhalten, wenn auch nur als Schatten ihrer einstigen Stärke.
Dabei dürfen wir keinerlei falsche Hoffnungen haben, dass sich die Partei aus sich selbst heraus reformieren könnte. Ansätze dazu werden von reformistischen Kräften etwa im Parteiprogramm- und Organisationsreformprozess (Gemeinsam. Reform. 2016) gesehen. Ein solcher evolutionärer Prozess hin zum besseren ist jedoch definitiv ausgeschlossen, und sein Scheitern im Projekt „Morgenrot“ der SPÖ-OÖ bereits vorgezeichnet: „Morgenrot ist eines, die Realität was anderes“ (SPÖ-OÖ Vorsitzender Joschi Ackerl). Das weltentrückte Wiederernennungs-Zeremoniell von Franz Voves als Spitzenkandidat der SPÖ bei den kommenden Landtagswahlen zeigt wie sehr diese Partei ihrer sozialen Basis und einer objektiven Wahrnehmung der Stimmung in der Bevölkerung entflohen ist.
Auch das Vordringen von GewerkschafterInnen in Regierungs- und Parlamentspositionen ist keinesfalls als „Rückeroberung“ der Partei durch die ArbeiterInnenbewegung zu verstehen. Dies ist allein die verstärkte Einbindung des Offizier-Chors der Bourgeoisie in der ArbeiterInnenklasse zur Krisenbewältigung im Sinne des Kapitals.
Eine Umkehr des Kurses der Partei und die Umkehrung ihres Abbauprozess können nur durch die Widerspiegelung von Klassenkämpfen in ihr erfolgen. Dass wir eine derartige Widerspiegelung für möglich halten, ist der große analytische Unterschied zwischen uns und dem Sektierertum. Weiters ist uns klar, dass die Herausbildung einer linkeren Formation in der ArbeiterInnenbewegung nur durch die tätige Erfahrung der ArbeiterInnenklasse, nie jedoch durch am Reißbrett entworfene linke Zusammenhänge entstehen kann.
Die Gewerkschaften haben sich in der kurzen ökonomischen Erholungspause nach 2009 entschieden, ihre schwindenden Mitgliederzahlen durch offensive Lohnrunden wettzumachen. Dies war bisher auch personell in den Vorsitzenden der PRO-GE, Rainer Wimmer, und der Vida-EisenbahnerInnen, Roman Hebenstreit, verkörpert. Allein eine Selbstreform, in der sich ein Teil der Spitzenbürokratie zum Sprachrohr der vorwärtstreibenden BR der jeweiligen Sektoren machte, ist auf die Sandbank gefahren. Die Ursache liegt darin, dass diese Kollegen nie ernsthaft mit der Standortlogik gebrochen haben. Angesichts der tatsächlichen wirtschaftlichen Krise gibt es keinen Spielraum für Reformen, die Räume in den Gewerkschaften werden wieder dicht gemacht. Die politisch fortgeschrittenen Teile der Gewerkschaftsbewegung werden nicht darum herum kommen, sich eigenständig zu vernetzen und sich Ausdruckmöglichkeiten zu suchen. Die Klasse wird hier viele Erfahrungen machen, die wir geduldig mit unserer Propaganda begleiten.
Dass dies kein leeres Wort ist, zeigen die Entwicklungen in Südeuropa. Die erste Welle des Protests in Spanien und Griechenland bestand in der Ablehnung alles etabliert Politischen. Sogar die MarxistInnen hatten Probleme gehört zu werden, da den zehntausenden, in die Aktivität gerissenen neuen AktivistInnen jedeR suspekt war, der/die eine definierte Meinung hatte. Das Massen-Brainstorming endete in der Sackgasse und dem auszehrenden Hyperaktivismus der übriggeblieben AktivistInnen. In Griechenland ist der Prozess über den Aufstieg der traditionellen Organisation SYRIZA weitergegangen, die ihre Wahlunterstützung verfünffacht hat. Die SYRIZA wird mittlerweile sozialdemokratisiert, und nur die MarxistInnen – die rechtzeitig den Weg der Bewegung erkannt haben – leisten im Zentralkomitee der Partei einen offensiven, öffentlich wahrnehmbaren Widerstand auf Basis der Verteidigung der sozialen Interessen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend. Die Bewegung generell wurde jedoch in eine passive Haltung gedrängt. Der nächste Test der Massenbewegung wird zu einer Spaltung der SYRIZA und womöglich der KKE führen. Der Marxismus wird so eine größere gesellschaftliche Basis erreichen, sofern es ihm gelingt, nach der Methode „das schnelle Wachstum zuerst“ die Anzahl der GenossInnen so zu steigern, dass mit der IMT nicht nur intelligente Kommentare verbunden werden, sondern dass wir über ein dichtes Netz an kaderisierten GenossInnen verfügen, die in der kommenden Umgruppierung auch eine praktische Rolle einnehmen. In Spanien ist es der Bewegung nicht gelungen eine der traditionellen Organisationen zu nehmen, weil diese als so abseitig oder steril wahrgenommen wurden, dass die Bewegung es gar nicht erst probiert hatte, diesen Weg auszuprobieren. Stattdessen wurde mit PODEMOS eine Anti-System-Bewegung geschaffen, deren Führung sich an der französischen Revolution orientiert. Dies wird Friktionen hervorrufen, schlicht weil die Aufgabenstellung – trotz frappanter Ähnlichkeiten der Überbauphänomene des heutigen Kapitalismus mit dem Spätabsolutismus – schlichtweg einen anderen sozialen Inhalt hat. Ein weiteres Phänomen ist der Zusammenschluss all jener AktivistInnen, die die sozialen Auswirkungen der Krise bekämpft haben (insbesondere AktivistInnen der Bewegung gegen Zwangsräumungen, der Bewegung zur Verteidigung des Gesundheitssystems, des öffentlichen Bildungssystems und VertreterInnen kämpfender Belegschaften im Produktionsbereich), zu Wahllisten für die kommenden Gemeinderatswahlen. Der Bourgeoisie graut es, hilflos zuschauen zu müssen, wie der Rückhalt der Systemparteien und der Gewerkschaften, den sicheren Stützen der Gesellschaft, dahinbröckelt.
Eines dieser Szenarien beschreibt die Zukunft Österreichs. Momentan dominieren politische Verwirrung und Apathie. Dies ist ein notwendiges Durchgangsstadium. Allerdings dürfen wir nie vergessen, dass unterschiedliche Schichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu politischen Schlüssen kommen und in Aktion treten. Lehrlingsgenossen beschreiben ihre KollegInnen momentan so: Alkoholkonsum, Drogenkonsum, exzessiver Sport und Schönheitswahn, meist miteinander kombiniert. Ablehnung von Politik. Wenn sich jedoch eine konkrete Möglichkeit ergibt, was tun zu können, widersetzt man sich Verbotenem und nimmt geschlossen an der Betriebsversammlung teil (wie bei Mahle König, Rankweil). Die Wahrnehmung, dass ihr Arbeitskollege auf der Wahlliste der SPÖ kandidiert, finden sie unspannend, sie fänden es aber cool, wenn er zum Parteitag der SPÖ geht und den SPÖ-Politkern „in den Arsch tritt“. Ähnliche Wahrnehmungen kann jedeR in seinem persönlichen Umfeld machen. Dies ist der Maulwurf der Geschichte, der die gesellschaftliche Stabilität untergräbt.
Ein weiterer für uns relevanter gesellschaftspolitischer Aspekt ist der wachsende Rassismus. Durch die Politik des nationalen Schulterschlusses können soziale Konflikte nur in den seltensten Fällen offen ausgetragen werden. Die organisierte ArbeiterInnenbewegung zeigt keine Alternative zum kapitalistischen Krisenregime auf. Unter diesen Bedingungen suchen sich die Unzufriedenheit und der Zorn über die herrschenden Verhältnisse andere Kanäle. Vor allem die Jugend hat mit Perspektivlosigkeit und Zukunftsängsten zu kämpfen. Sie hat keine Erinnerung an das goldene Zeitalter des Reformismus und sucht, solange der Klassenkampf nicht offen ausgetragen wird, andere Antworten auf die Krisenfolgen. Dies erklärt auch, warum die Mischung aus Sozialdemagogie und Österreichpatriotismus der FPÖ unter Jugendlichen so großen Einfluss haben kann. Dieses Phänomen verfügt über eine viel schwächere gesellschaftliche Verankerung und ist nicht zu vergleichen mit dem Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit. Es führt aber dazu, dass gesellschaftliche Widersprüche vor allem entlang nationaler und religiöser Linien aufbrechen. Der moderne Rassismus wendet sich dabei immer öfter gegen Muslime, wobei sich die extreme Rechte als Verteidigerin des christlichen Abendlands in Stellung bringt. Die Perspektivlosigkeit, die junge österreichische ArbeiterInnen verspüren, trifft Jugendliche mit Migrationshintergrund und muslimischer Religionszugehörigkeit noch viel stärker. Diese feindliche Stimmung und spezifische Unterdrückung führt wiederum dazu, dass jugendliche MigrantInnen sich vermehrt in Nationalismus und Religion flüchten. Der Kampf gegen Rassismus und alle Formen von reaktionären Ideologien wird in der kommenden Periode einen wichtigen Stellenwert haben.
Wir reden nicht von Ereignissen gesamtgesellschaftlicher Reichweite, aber es gibt genügend Punkte in Österreich, wo wir den Hebel ansetzen können, um den Marxismus zu verstärken und für die kommenden Runden der Klassenauseinandersetzung bereit zu machen. Dazu müssen wir wachen Auges, flexibel und enthusiastisch politische Öffnungen erkennen und mutig in ihnen intervenieren. Abseits dieser spontanen Ereignisse gilt es uns durch geduldige Arbeit in definierten sozialen Zusammenhängen (Schulen, Hochschulen, Betrieben) zu verankern.
Die Aufgaben der MarxistInnen
In letzter Konsequenz ist die ökonomische Entwicklung für die Entwicklung der Klassenbeziehungen entscheidend. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Geschichte ist jedoch keinesfalls mechanisch zu verstehen. Menschen machen ihre Geschichte selbst – aber unter den vorgefundenen Bedingungen.
Die Propaganda und Agitation der MarxistInnen basiert auf dem Verständnis der objektiven Situation. Darunter verstehen wir die Entwicklung der Ökonomie, die Beziehungen zwischen den Klassen und den Zustand der Massenorganisationen. Dies unterscheidet uns von allen anderen politischen Strömungen, die ihre Politik auf Basis von momentanen materiellen Interessen und/oder subjektiv wahrgenommener Unveränderlichkeit des Systems gestalten. Teil dieser Beschränkung ist auch ihre mangelnde Wahrnehmung der Realität, die sich oft empirisch auf einzelne vergangene Ereignisse beschränkt (man nehme die Kreisky-Nostalgie als Beispiel).
Unsere Aufgabe ist es, den Prozess konkret in seiner Entwicklung zu verstehen und in diesen zu intervenieren. Das Verhalten von einzelnen Persönlichkeiten, der spontane Ausbruch von Zorn, ein Metaereignis,… das Wesen der Instabilität liegt genau darin, überrascht werden zu können. Das heißt für uns: Wir bereiten unsere Strömung darauf vor, jederzeit schnell und entschlossen in solchen Prozessen intervenieren zu können. Sonst gilt jedoch: Nur die Fokussierung auf eine Stärkung der Kräfte des Marxismus kann die Grundlage dafür legen, dass diese Interventionen auch einen Unterschied machen.
In der jetzigen Phase unseres Parteiaufbaus ist das Wachstum der Organisation die zentrale Frage. Jede Genossin, jeder Genosse, die/den wir jetzt organisieren und ausbilden, hat in dieser historischen Periode das Potential einE MassenführerIn zu sein. Diese Vorstellung darf uns weder Angst machen noch verblenden, wir sprechen hier aus der historischen Erfahrung einer jeden Revolution.
Die Bourgeoisie kann mittelfristig den Kapitalismus nicht wieder auf stabile Beine stellen. Das ist das bestimmende Element der Epoche, in die wir eingetreten sind. Wir sind in eine jahrzehntelange Periode der Instabilität eingetreten. Wir werden Revolutionen erleben, und deren Sieg oder Niederlage wird JETZT – durch das Wachstum, die Professionalisierung und Verankerung der MarxistInnen in der Klasse – vorbereitet.
Zurück zu Teil 1: Alles deutet daraufhin, dass diese Krise des Kapitalismus noch lange andauern wird. Die Auswirkungen des bürgerlichen Krisenregimes und die spezifischen Probleme des österreichischen Kapitalismus, besonders seines Bankensektors, behandeln wir im ersten Teil unseres neues Österreichperspektiven-Dokuments, das jüngst auf der bundesweiten Konferenz der Funke-Strömung diskutiert wurde.
Zurück zu Teil 2: Die politische Antwort auf die Krise ist eine Politik des nationalen Schulterschlusses, deren Ausdruck die Große Koalition und eine Neuauflage der Sozialpartnerschaft sind. Im zweiten Teil der Österreich-Perspektiven geht es um die Perspektiven dieser Politik.