Jugend. Die Auswirkungen der Krise sind in der neuen Generation spürbar. Man reagiert auf ein krisenhaftes System mit Anpassung. Dass dies aber nicht bedeutet, dass die heutige Jugend alles als gegeben hinnimmt, erklärt Agnes Friesenbichler.

Die „pragmatische Generation“ wird sie genannt, die Schicht an Jugendlichen und jungen Erwachsenen, deren gesellschaftliche Prägung nach der Jahrtausendwende begonnen hat. Ihre gesellschaftlichen und weltpolitischen Anschauungen sind von Krisenerfahrungen gezeichnet. Korruption und Finanzskandale stellen für sie keine einmaligen Ereignisse mehr dar sondern gehören zum Alltag, und das Vertrauen in Regierung, Politik, Banken und große Unternehmen ist so niedrig wie lange nicht mehr.

Doch auf all diese offensichtlichen Widersprüche in der Gesellschaft reagiert die heutige Jugend mit Anpassung und der untrübbaren Hoffnung, für sich selbst doch noch das Beste herausholen zu können.

Jugend unter Druck

„Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg gibt es nun eine Jugend, die damit rechnen muss, den Wohlstand ihrer Eltern nicht halten zu können. Eine Jugend, die vor einer Überfülle von Optionen und gleichzeitig vor einer schwer vorhersehbaren und ständig problematisierten Zukunft steht. Die mit unterschiedlichsten schweren und zum Teil unlösbaren Krisen konfrontiert wird – und dennoch scheint alles irgendwie weiter zu gehen. Jugendliche reagieren auf dieses Spannungsfeld [...] mit Pragmatismus und Flexibilität. Sie konzentrieren sich auf ihr persönliches Wohlergehen […].“ So beschreibt die Sinus-Milieu-Jugendstudie von 2014 die Generation der 14- bis 29-Jährigen in Österreich.

Es ist kaum verwunderlich, dass sich ein Pragmatismus in der Jugend durchsetzen konnte. Wenn man sich auch moralisch darüber entrüsten kann, sind die Ziele, die Jugendliche heute mit Job und Ausbildung verfolgen, sehr nachvollziehbar: Geld und Sicherheit.

Sehr wohl ist man sich der steigenden Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise bewusst, doch für sich selbst schöpft man die Hoffnung, durch größtmögliche Qualifikation, Aufopferungsbereitschaft und hohe Leistungen noch nach oben gespült zu werden. 60% der Befragten in der Shell-Jugendstudie 2010 sehen Fleiß und Ehrgeiz als den Schlüssel zu Sicherheit und Wohlstand.

Laut der Sinus-Milieu-Jugendstudie gibt es hier natürlich eine große Bandbreite an Anpassung: Von jenen, die für sich selbst mit Ellbogentechnik das Beste herausholen wollen, bis zu jenen, die nur bestrebt sind, eine Grundsicherheit nicht zu verlieren. Doch egal welchem höheren Ziel untergeordnet, sind doch 78% der Jugendlichen vor allem anpassungswillig.

Sie wurden früh schon alt

Das Verlangen nach Sicherheit ist in einer von der Krise gebeutelten Gesellschaft nicht verwunderlich. 70% der Jugendlichen fürchten sich vor Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichem Abstieg. Konnte man in der Elterngeneration mit einer Ausbildung meist noch sicher sein, damit sein Leben lang einen Job zu finden, ist die „Generation Bachelor“ eine, die weiß, dass „normale“ Qualifikationen nicht ausreichen, wenn der Arbeitsmarkt enger wird. Mit unbezahlten Praktika und Fremdsprachen versucht man sich so gut als möglich zu vermarkten. Ein einwandfreier Lebenslauf sowie Leumund sind Existenzgrundlagen, die auch die Spontanität der heutigen Jugend drosseln.

Auch beim Drogenkonsum von Jugendlichen lässt sich eine interessante Trendwende feststellen. Drogen sind nicht mehr wirklich ein zentrales Jugendthema wie noch in den Generationen davor, und schon gar nicht psychedelische Drogen. Falls die Jugendlichen Drogen nehmen, handelt es sich in den meisten Fällen um „Funktionsdrogen“ wie Amphetamine.

Wo in Vorgängergenerationen noch genügend Vertrauen in das System gegeben war, sehen sich die Jugendlichen heute selbst in der Pflicht. Das private Vorsorgen liegt hoch im Trend, zum Beispiel bei Pensionen. In diesem Sicherheitsstreben will man nichts von Risikos wissen. „Wenn heute etwas out ist neben Drogen – dann sind das Aktien“, sagte einer der Autoren der Shell-Jugendstudie, Ulrich Schneekloth, dem „Handelsblatt“.

Jens Jessen beschrieb in einer Polemik in Der Zeit die gegenwärtige Jugend als „traurige Streber“. Pragmatismus und Rationalität sind die Schlagwörter, die die geistige Haltung der Generation Krise in Österreich und Deutschland beschreiben. Eine Generation die auf Nummer sicher geht und wenig Risikobereitschaft an den Tag legt. Ist dies eine Generation mit der wir keine Revolution erleben können?

Die vermeintliche Ent-idealisierung

In früheren Jugendgenerationen war ein Rebellieren gegen das Bestehende, eine Kompromisslosigkeit hinsichtlich der persönlichen Ideale selbstverständlich. Der Idealismus und der Glaube an eine andere Welt waren quasi der Jugend innewohnend und somit war diese Schicht immer ein eine früher Indikator und der sich am schnellsten bewegende Teil in Revolutionen. Die Generationen des Sturm und Drang, des Jungen Deutschland zeichnen sich durch ihr Aufbegehren gegen die Ständegesellschaft aus. In den 68ern spielte die Jugend eine zentrale Rolle, als sich manche SchülerInnen und Studierende der Jugendbewegung gegen den Imperialismus und die konservativen Wertvorstellungen der Elterngeneration noch einen Schritt weiter gingen, und sich mit ArbeiterInnen solidarisierten.

Das Gerechtigkeitsempfinden der Jugend konnte von Herkunft und Klasseninteressen absehen, Bürgerkinder kämpften für ProletarierInnen, AristokratInnen in den französischen und russischen Aufständen des 19. Jahrhunderts.Sollte dies in der „pragmatischen Generation“ nicht möglich sein? Wir sagen: doch, auf jeden Fall!

Wir erleben derzeit eine Re-Politisierung. In Österreich und Deutschland zwar entscheidend weniger als in Spanien oder Griechenland, doch ein deutlicher Anstieg gegenüber den letzten Jahren. Das Interesse an Politik hat sich in den letzten 10 Jahren vor allem bei der jüngsten Schicht, den 12- bis 14-Jährigen, mehr als verdoppelt und liegt bei 21 Prozent. Doch signifikanter ist, dass trotz allgemein großer Parteienverdrossenheit immer mehr junge Menschen bereit sind, sich für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verbesserungen einzusetzen, und immerhin 44% geben an, für ein Anliegen, das ihnen wichtig ist, auf die Straße zu gehen. Die massive Flüchtlingsbewegung, die wir heute erleben, ist ein Beispiel dafür.

Trotz aller Angepasstheit gibt es in dieser Generation also einen Widerspruch, der ein Aufbegehren gegen die Verhältnisse nahezu unausweichlich macht: Rekordverdächtige Leistungsbereitschaft trifft auf ein kollektives Gefühl der Chancenlosigkeit und Ohnmacht, was generelle und persönliche Entwicklungen betrifft. Nichts steigert die Wut so sehr wie das anhaltende Gefühl, ohnehin nichts zu verlieren zu haben.

Dass sich die Jugend hierzulande noch nicht massiv in Bewegung gesetzt hat und gegen dieses System aufbegehrt, ist der Krisenentwicklung in Österreich geschuldet: Die Krise hat sich in Österreich bis jetzt nicht in dem Ausmaß niedergeschlagen wie in Spanien und Griechenland und ist in den Köpfen vieler junger Menschen noch nicht präsent. Man hegt die Hoffnung, nicht unter die steigende Zahl an Arbeitslosen zu fallen, und dabei könnte eine „rebellische Jugend“ als Loch im Lebenslauf der Wunschexistenz im Wege stehen. Anstatt gegen dieses System zu kämpfen, ordnet man sich hoffend unter.

Während in Griechenland die Jugend in Massen auf die Straße geht, und in Großbritannien großteils Jugendliche in die Labour Party eintreten um Corbyn zu unterstützen, hat die Jugend in Österreich noch keinen Referenzpunkt gefunden, der ihren Unmut in einen politischen Protest verwandeln würde.

Aber dass dieser Widerspruch zwischen dem Willen, seine Existenzgrundlage zu erhalten und zu verbessern, und dem wachsendem Unmut gegenüber einem korrupten und mörderischen System, dem man sich unterordnen muss, unter der Oberfläche brodelt und eines Tages ausbrechen wird, ist gewiss.


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