Lehrlinge. Erstmals wurde in Österreich im Auftrag von ÖGJ, ÖGB und AK eine Studie zu Lehre in Betrieben und Berufsschulen durchgeführt. Thomas Appler und Agnes Friesenbichler analysieren die Ergebnisse.

Rund 6500 Lehrlinge im dritten Lehrjahr, über alle Branchen verteilt, wurden befragt und die Ergebnisse zeigen sehr gut auf, dass vieles in Österreichs Lehrbetrieben im Argen liegt. Die Studienersteller identifizieren hier vor allem, dass die Ausbildungsqualität oft zu wünschen übrig lässt. So müssen Lehrlinge oft lehrfremde Arbeiten verrichten. Der Arbeitsdruck auf sie steigt etwa durch Überstunden enorm und es gibt eine starke Selektion unter den Lehrlingen. Auf der anderen Seite sehen sie auch positive Aspekte: Genannt wird, dass die Lehre einen guten Einstieg in den Arbeitsmarkt bietet und dass nach der Pflichtschule eine weitere Ausbildungsmöglichkeit gegeben ist.
Die Studienersteller analysieren jedoch nicht die Gründe, sondern sehen die positiven und negativen Aspekte im jetzigen Zustand der Lehre mehr oder minder isoliert voneinander. Darauf aufbauend kommen sie deswegen zu dem simplen Fazit, die positiven Aspekte zu stärken und die negativen zu bekämpfen. Wir jedoch wollen uns nicht damit zufrieden geben, sondern lesen weit mehr aus den Ergebnissen, hinter denen ein viel komplexerer Prozess in der gesamten Wirtschaft steht, heraus.

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte

Im Jahr 1990 waren 145.516 Lehrlinge in Betrieben und 13.255 offene Lehrstellen gemeldet. 2014 reden wir hingegen von noch 105.861 Lehrlingen in Betrieben und 2.613 offenen Lehrstellen. Heute gibt es in Österreich ca. 6.000 Lehrbetriebe weniger als noch vor 10 Jahren. Die Anzahl der aktiven Unternehmen ist dagegen nur gering gesunken. Das heißt, es gibt kaum weniger Betriebe, aber viel weniger Betriebe die Lehrlinge ausbilden.
Während in Südeuropa die Jugendarbeitslosigkeit explodiert, bekommen Jugendliche hierzulande den Druck am Arbeitsmarkt auch immer mehr zu spüren. Es wird für Jugendliche immer schwieriger einen Ausbildungsplatz zu finden. Rund 9.000 Lehrlinge sind in überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen und rund 7.000 Jugendliche suchen momentan eine Lehrstelle.
Gleichzeitig befindet sich die Gesamtzahl der Beschäftigten auf einem Höchststand, während der Anteil an Lehrlingen an den Beschäftigung sinkt. Während in der Industrie die Lehrlingszahlen leicht steigen, gibt es besonders im Gewerbe und im Handwerk heute viel weniger Lehrlinge. Der Grund dafür ist der Zentralisierungsprozess in der Wirtschaft und der daraus resultierende veränderte Bedarf an SpezialistInnen. Viele Kleinbetriebe arbeiteten hauptsächlich mit MeisterInnen, GesellInnen und Lehrlingen. Viele ArbeiterInnen mussten Kenntnisse vom gesamten Produktionsablauf haben.
Im Gegensatz dazu gibt es in Großbetrieben eine viel größere Arbeitsteilung: Benötigt werden SpezialistInnen, die mit großen Maschinen oder einzelnen Arbeitsprozessen sehr genau vertraut sind, aber sonst nicht viel wissen müssen. Die immer weniger werdenden Lehrlinge sollen immer spezialisierter auf einen winzigen Teil des Arbeitsprozesses sein (egal ob in Industrie oder im Dienstleistungssektor). Gleichzeitig sollen sie genauso motiviert sein wie jemand, der noch die Befriedigung hat sein eigenes Arbeitsprodukt im Ganzen sehen zu können. Die Lehrlinge (wie generell alle ArbeiterInnen) werden immer mehr von ihrer Arbeit entfremdet.

Selektion und Disziplinierung

Damit diese Spezialisierung möglich ist, müssen die Lehrbetriebe eine immer härter werdende Selektion der Lehrlinge vornehmen. Anzeichen dafür ist, dass Betriebe ihren Ausbildungsauftrag oftmals vernachlässigen, wie das auch in der Studie beschreiben ist: Übernommen werden diejenigen, die sich widerspruchslos und selbständig in den Betrieb einordnen. Zum Beispiel kennen beinahe die Hälfte aller Lehrlinge ihreN AusbildnerIn nicht bzw. geben an, dass dieseR kaum während ihrer Arbeitszeit anwesend ist. 40 Prozent der Lehrlinge geben an kaum oder gar keine Rückmeldungen zu ihrem Ausbildungsfortschritt zu erhalten. Nur in jedem vierten Lehrbetrieb erkundigt man sich nach den Lerninhalten der Berufsschule. Auch für die Lehrabschlussprüfung (LAP) gibt es in Österreich wenig Unterstützung von betrieblicher Seite. Nur zwei von fünf angehenden FacharbeiterInnen geben an, dass ihrE AusbilderIn mit ihnen über die Anforderungen der LAP gesprochen hat. Rund ein Drittel aller Befragten meinten, dass sie selbständig im Betrieb arbeiten, und Fehler ihnen nicht ausreichend erklärt werden würden.
Die andere Seite der Medaille ist, dass sehr viele Lehrlinge für ausbildungsfremde Tätigkeiten herangezogen werden und quasi billige Hilfsarbeitskräfte sind. JedeR zweite muss über die geregelten Lerninhalte und Tätigkeitsfelder hinaus Aufgaben im Betrieb übernehmen. Das ist zweifellos einer der offensichtlichsten Missstände. Doch es ist nur der krasseste Ausdruck dafür, dass Lehrlinge letztendlich für die Unternehmen genauso ein „normaler“ Teil des Arbeitsprozesses sein sollen und profitabel sein müssen – entweder langfristig als Fachkräfte oder kurzfristig als billige Hilfskräfte.
Das zeigt sich auch daran, dass auch bei Lehrlingen eine immer stärkere Arbeitszeitverdichtung stattfindet. Die Studie zeigt, dass jeder vierte Auszubildende nach einem Arbeitstag körperlich am Ende ist, und zwar quer über alle Branchen verteilt, egal ob am Bau, auf der Bank oder im Restaurant. Dieser Zeitdruck wirkt sich auf die Qualität der Ausbildung aus. Mehr als 50 Prozent geben an, nicht genügend Zeit zum Üben zu haben und bei ihrer Arbeit einem Zeitdruck ausgesetzt zu sein. Und fast ¾ der Lehrlinge geben an, trotz Krankheit manchmal zur Arbeit zu gehen. Das Lehrverhältnis unterscheidet sich also wenig vom normalen Arbeitsverhältnis, obwohl das Vermitteln von Lerninhalten im Vordergrund stehen sollte.
Das offensichtlichste Problem findet sich aber bei der Arbeitszeit: Ein Drittel aller Lehrlinge gibt an, regelmäßig Überstunden zu machen. Für Unter-18-Jährige sind diese prinzipiell in Österreich verboten. Vor allem in den Branchen Gastronomie, Tourismus und Handel sind Überstunden nicht nur keine Seltenheit für Lehrlinge sondern noch dazu unfreiwillig und manchmal auch unbezahlt. JedeR Dritte arbeitet oft oder sogar immer unbezahlt länger als erlaubt. Auch mit der Erfassung der Arbeitszeit der Auszubildenden scheinen es einige Lehrherren nicht so ernst zu nehmen. Laut Studie gibt jedeR fünfte an, dass es für ihn/sie nichteimal Arbeitszeitaufzeichungen gibt bzw. er/sie nichts davon weiß.
Das alles zeigt, dass eine isolierte Wahrnehmung der „Probleme und positiven Aspekte“ nicht reicht. So müssen wir auch die Hauptforderung sehen, die die ÖGJ aus der Studie ableitet: Die Fachkräftemilliarde. Dabei wird gefordert, dass Unternehmen, die keine Lehrlinge ausbilden aber theoretisch die Mittel dazu hätten, einen Teil ihrer Gewinne versteuern müssen und mit dem Geld die Unternehmen gefördert werden sollen, die Lehrlinge ausbilden.
Das kann tatsächlich dazu führen, dass Unternehmen mehr Lehrlinge ausbilden. In der Profitrechnung wäre der Fakt, dass ihnen Geld dafür nachgeworfen wird, sicher ein weiterer Anreiz. Doch würde das rein gar nichts an der Selektion, dem höheren Arbeitsdruck etc. ändern. Im Gegenteil: Die Konkurrenz der Lehrlinge würde mit ihrer Zahl weiter steigen, der Arbeitsdruck könnte straflos weiter erhöht werden und bei der tatsächlichen Ausbildungsqualität mehr gespart werden. Es ist einfach den Ball mit dieser Forderung der Politik zuzuspielen. Aus der isolierten Wahrnehmung der Gesamtsituation wird eine isolierte Forderung an die Politik abgeleitet.
Stattdessen sollte die Gewerkschaftsbewegung ihre ganze Energie darauf richten, die Lehrlinge in Verteidigung ihrer Rechte gegen all die beschriebenen Missstände zu aktivieren und organisieren. Nur die Lehrlinge selbst können diesen Missständen etwas entgegensetzen. In diesem Prozess muss jedoch erklärt werden, was die Grundlage für all diese Missstände ist: Solange die Lehrlingsausbildung Sache der Unternehmen ist, wird ihr Zweck letztendlich ein möglichst hoher Profit sein. Die Ausbildungsqualität ist diesem Kriterium untergeordnet: Während einige Betriebe langfristig planen und Lehrlingen eine gute Ausbildung zukommen lassen, steht für andere der unmittelbare Gewinn aus der Arbeit der Lehrlinge im Vordergrund.
Um also die Probleme, die in der Umfrage ersichtlich werden, tatsächlich zu lösen, ist es zentral die Organisierung der Ausbildung den Profitinteressen des Kapitals zu entreißen. Dies ist nur möglich, wenn die Lehrlinge und Lohnabhängigen selbst die Ausbildung organisieren. Wir stehen also für eine Überwindung des gesamten kapitalistischen Ausbeutungssystems ein.

 

Infos zur Studie
Zentrale Fragestellung des ersten Österreichischen Lehrlingsmonitors war, wie Lehrlinge ihre Ausbildungssituation und ihren Ausbildungsverlauf beurteilen. Dazu wurde vom öibf eine Online-Befragung von Lehrlingen im letzten Ausbildungsjahr durchgeführt. Die Stichprobe umfasst 6.495 auswertbare Fragebögen von Lehrlingen.
Die Studienergebnisse im Detail findest du unter:
www.lehrlingsmonitor.at


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