Die Mindestsicherung (BMS) ist der Notgroschen für die Ärmsten, der nun Kürzungen zum Opfer fallen soll. Im Windschatten der rassistischen Dauerhetze wird argumentiert, dass man sich diese „soziale Hängematte“ nicht mehr leisten könne. Grund genug um einmal die Fakten um die Mindestsicherung zu klären, findet Mario Wassilikos.
Insgesamt haben im Jahr 2014 256.000 Menschen BMS-Gelder bezogen. 39% der BezieherInnen waren Frauen, 33% Männer, 27% Kinder. 61% der BezieherInnen sind alleinstehendend, 16% Alleinerziehende, 12,3% sind Angehörige eines Paarhaushalts mit Kindern. BMS-BezieherInnen sind Leute wie Du und ich. Junge und Alte, Mütter und Väter, Familien – mehr als ein Viertel sind Kinder. 30% der BezieherInnen sind ArbeitnehmerInnen mit niedrigem Einkommen oder Personen, die ihre Arbeitskraft momentan nicht verkaufen können, z. B.: pflegende Angehörige, Mütter mit Kleinkindern. Doch die allerwenigsten BezieherInnen leben ausschließlich von BMS. Die große Mehrheit braucht sie, um nicht existenzsichernde Leistungen der Arbeitslosenversicherung aufzustocken. Bei den BMS-BezieherInnen ist auch an Frauen zu denken, die im Zuge einer Scheidung auf Unterhalt verzichtet und deshalb auch keinen Anspruch auf Witwenpension haben. Oder an Menschen mit erheblicher Behinderung, die in Privathaushalten leben. Oder an GeringverdienerInnen mit mehrköpfiger Familie, für die in Summe der Lohn nicht reicht. Oder an pflegende Angehörige, die von der Pflege so in Anspruch genommen sind, dass sie daneben nicht erwerbstätig sein können. Eines ist gewiss: Die Systemkrise und die mit ihr verbundene Explosion der Arbeitslosigkeit (aktuell fast 500.000 Arbeitslose) bei gleichzeitigem Wachstum prekärer Beschäftigungsverhältnisse führen dazu, dass die BMS vom „Rand“ immer mehr in die „Mitte“ der Gesellschaft vordringt. Doch trotz der steigenden Zahlen an BezieherInnen sind jene, die BMS trotz Notlage nicht in Anspruch nehmen, aufgrund der bürokratischen Antragshürden in der Überzahl. Das spiegelt sich auch am geringen Anteil der BMS von nur 0,7% der Gesamt-Sozialausgaben wider.
Der Bezug der BMS ist für viele kein Dauerzustand. Die Daten zeigen, dass die Mindestsicherung für die große Mehrheit eine kurzfristige Überbrückungshilfe darstellt. Die durchschnittliche Bezugsdauer beträgt zwischen 6 und 9 Monaten, bei 20% der unterstützten Haushalte ist sie kürzer als 3 Monate. Dabei ist zu bedenken, dass zum BMS-BezieherInnen-Kreis auch Personen gehören, die kaum Chancen für einen Ausstieg aus der BMS haben, z. B. Personen im Pensionsalter oder Menschen mit erheblicher Beeinträchtigung.
Die BMS ist keine „soziale Hängematte“. Ihr Bezug ist grundsätzlich „arbeitsmarktaktivierend“: Wer im Erwerbsalter und erwerbsfähig ist, muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Ablehnung von Arbeitsangeboten wirkt ausschließend. Die Ausnahmen (teilweise eingeschränkt): Kinderbetreuung, Pflege, Erreichen des Regelpensionsalters oder erhebliche Behinderung(en).
Die durchschnittliche Höhe der monatlichen BMS-Leistung je Haushalt liegt weit unter den maximal möglichen Leistungssätzen: Sie betrug im Oktober 2014 604 €. Bei Haushalten von Paaren mit 4 oder mehr Kindern lag die durchschnittliche Leistungshöhe bei 1.106 €. Das hat damit zu tun, dass der Großteil der BMS-beziehenden Haushalte diese nur aufstockend zu sonstigen Einkommen wie Erwerbseinkommen, AMS-Leistungen oder Kinderbetreuungsgeld erhält.
Für eine alleinstehende Person beträgt die BMS-Leistung (2016) für den Lebensbedarf 628 €. Für das Wohnen gibt es 209 €. In einigen Bundesländern kommen noch zusätzliche Leistungen für das Wohnen hinzu. Wohnt jemand im Eigenheim, steht (mit Ausnahme Wiens) nur die halbe Leistung für das Wohnen zu. Geld gibt es in diesem Fall nur für die Betriebskosten. Das gibt es auch nicht automatisch auf die Hand: Es ist die maximal mögliche Summe. Existieren andere Einkommen im Haushalt, werden sie bis zu diesem Betrag aufgestockt. Deshalb betrug z. B. in Oberösterreich die durchschnittliche BMS-Leistung an Alleinstehende im Oktober 2014 nur 432 €. BMS-BezieherInnen sind sogar schlechter gestellt als sogenannte „MindestpensionistInnen“: Diese erhalten 14-mal jährlich eine Ausgleichszulage, BMS-BezieherInnen in der Regel nur 12-mal (mit Ausnahmen für einzelne Gruppen wie z. B. Kinder in einigen, aber nicht allen Bundesländern).
Nach Abzug der Fixkosten fürs Wohnen bleiben rund einem Drittel der Menschen, die sich hilfesuchend an die Caritas-Sozialberatung wenden, weniger als 4 € pro Tag und Person im Haushalt übrig, um alle anderen Bedürfnisse abzudecken – BMS ist Leben am Limit. Das verursacht krankmachenden Stress. Dutzende Studien weisen den Zusammenhang von ihm und ökonomischer Belastung nach.
Die BMS ist kein Geschenk. Ihr Bezug ist an strenge Kriterien gebunden. So muss vorhandenes Vermögen vor ihrem Bezug verwertet werden, wobei es für Ersparnisse einen Freibetrag gibt: 4.188,79 Euro für Alleinstehende (Stand 2016). Als Eigenheim-BesitzerIn muss man Haus oder Wohnung zwar nicht verkaufen. Aber nach 6 Monaten BMS-Bezug dulden, dass die BMS-Behörde eine grundbücherliche Sicherstellung vornimmt und damit ein Pfandrecht erhält. Dieses Pfandrecht verjährt nicht und geht auch auf die Erben über. Auch dürfen Unterhaltsklagen gegen greise Eltern oder, umgekehrt, erwachsene Kinder verlangt werden. Dann prüft das Gericht, ob die Selbsterhaltungsfähigkeit verloren gegangen ist (was sehr selten der Fall ist) und deshalb Unterhaltsverpflichtungen bestehen.
Missbrauch ist nur schwer möglich und wird streng bestraft. BMS-BezieherInnen sind für die Behörden in vielen Aspekten gläserne Menschen. Nicht bloß, dass AntragstellerInnen ihre Lebensverhältnisse völlig offen legen müssen. Auch während des laufenden Bezugs sind jederzeit Kontrollen möglich, z. B. mittels unangemeldeter Hausbesuche. Sollte sich herausstellen, dass Leistungen zu Unrecht bezogen wurden, sind sie zurückzuzahlen. Verwaltungsstrafen bis zu 4.000 € und auch Ersatzfreiheitsstrafen sind möglich. Tatsächlich sind Missbrauchsfälle jedoch äußerst selten. So wurden z. B. im Jahr 2013 in Niederösterreich 330 Haushalte mittels Hausbesuch überprüft; in nur 2 Fällen lag ein widerrechtlicher Bezug vor. Hinter einem unrechtmäßigen Leistungsbezug muss außerdem nicht immer eine betrügerische Absicht stehen. So kommt es vor, dass Veränderungen der persönlichen Lebenssituation dem Amt verspätet gemeldet werden. Die daraus resultierenden „Übergenüsse“ sind natürlich zurückzuzahlen.