TTIP und CETA. Die Abkommen erfahren starken Gegenwind aus fast allen politischen Lagern. Patrick Mellacher analysiert die österreichische Bewegung und bietet eine marxistische Position zum Freihandel.

Wir als MarxistInnen können die vorliegenden Abkommen nur entschieden ablehnen, da sie eine Zerstörung von Arbeits- und Sozialrechten und eine massive Verschlechterung unserer Kampfbedingungen mit sich bringen würden. Die Bewegung gegen TTIP und CETA ist jedoch äußerst heterogen und zum Teil verwirrend. Während beispielsweise das „Aktionsbündnis Graz“, das bereits einige große Anti-TTIP-Demonstrationen organisiert hat, einen klar linken Anspruch hat, verbreitet das „TTIP Aktionsbündnis Österreich“ regelmäßig die wildesten Verschwörungstheorien. Letzteres ist die größte deutschsprachige Anti-TTIP-Seite auf Facebook und brüstet sich damit „nach Medienberichten jetzt (aus) Nazis“ zu bestehen. Die Übergänge zwischen Anti-TTIP-Bewegung, „Montagsmahnwachen“ und PEGIDA sind hier fließend. Das ist auf der einen Seite nachvollziehbar, da die hohe Geheimhaltung der TTIP-Verhandlungen nur zu gut das Bild des kleinen Kreises bestätigt, der sich im Hinterzimmer ausmacht, wie es mit dem Rest der Menschheit weitergeht. Auf der anderen Seite ist es aber auch einigermaßen paradox, da es in allen Parlamentsparteien Kritik an TTIP gibt, die bis zur offenen Ablehnung reicht. Ausgerechnet die auflagenstärkste Zeitung Österreichs, die Kronen Zeitung, organisiert eine massive Kampagne gegen TTIP, was kaum ins Bild der „Lügenpresse“ passt.

Wir müssen dem Bild entschieden entgegentreten, dass die Attacken der Reichen auf unseren Lebensstandard als ein Produkt von Geheimkonferenzen und Treffen im Hinterzimmer seien. Ganz im Gegenteil finden diese Angriffe in aller Öffentlichkeit statt. Ob Beschneidung der Arbeitsrechte in Frankreich, Kürzung der Pensionen in Griechenland oder Kürzung der Mindestsicherung in Österreich: Die Offensive der Bürgerlichen wird europaweit ganz öffentlich vorbereitet und durchgeführt. Auch TTIP wird zwar offiziell im Geheimen verhandelt, in Wirklichkeit aber längst in der Öffentlichkeit diskutiert.

Aus einer wissenschaftlichen Perspektive gibt es drei Gründe, die das Verhalten der österreichischen Medien und Parteien erklären und ein Scheitern von TTIP wahrscheinlich machen. Erstens sind aufgrund der aktuellen Krise des Kapitalismus starke Zentrifugalkräfte wirkmächtig. Statt Abbau von Handelsschranken stehen höhere Schutzzölle, wie aktuell in der Stahlbranche, auf dem Programm. Zweitens ist die bereits skizzierte breite Bewegung gegen TTIP zu nennen, die zumindest in einigen Ländern – allen voran Österreich – starken Druck auf die Politik ausüben konnte. Drittens: Exporte in die USA spielen, unter anderem aufgrund der geographischen Lage, für die österreichische Wirtschaft kaum eine Rolle. Zwar stiegen die Exporte in die USA laut Statistik Austria im Jahr 2015 um 16,7%. Die USA überholten damit Italien und sind nun das zweitwichtigste Ziel österreichischer Waren. Insgesamt wurden aber nur knapp 2,7% der österreichischen Wirtschaftsleistung in die USA exportiert. Zum Vergleich: In Deutschland waren es immerhin 3,7%.

Ergibt sich aus unserer Ablehnung von TTIP eine allgemeine Ablehnung des Freihandels? In seiner 1848 gehaltenen „Rede über den Freihandel“ beschäftigte sich Karl Marx mit Freihandel und Schutzzoll. Zu jener Zeit wurden die verhassten britischen Korngesetze abgeschafft, die lange Zeit die Einfuhr von Getreide sanktionierten und somit die Nahrungsmittelpreise künstlich erhöhten. Marx verwendete in seiner Rede viel Platz, um zu erklären, dass vom Freihandel keine Segnungen für die ArbeiterInnen zu erwarten sind. Eine Senkung der Preise würde sich sofort in dem Versuch niederschlagen, auch den Preis der Arbeit – den Arbeitslohn – zu senken. Marx sollte Recht behalten. Diesen Prozess können wir tatsächlich seit mehreren Jahrzehnten beobachten.

Trotz seiner Kritik am Freihandel machte er klar, dass er ein entschiedener Gegner des Schutzzollsystems war. Zölle und Handelsbeschränkungen wirken konservativ, wollen also das Bestehende bewahren. MarxistInnen treten aber für eine fortschrittliche neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ein. Durch den Prozess der sogenannten Globalisierung wuchsen die Wirtschaftsleistung, der technische Fortschritt und auch die Größe der Arbeiterklasse im Weltmaßstab rasant an. Im selben Maße, wie am einen Pol der Reichtum angehäuft wurde, sammelte sich aber auch am anderen Pol massives Elend an. Wie die aktuelle Krise des Kapitalismus beweist, ist die Zeit für einen Systemwechsel bereits überreif. Der Versuch, neue Schutzzölle einzuführen und den Handel zu beschränken, ist nichts anderes als der Versuch, die Zeit zurückzudrehen. Die einzigen GewinnerInnen daraus wären jene Kapitalfraktionen, die sich zu Recht vor der ausländischen Konkurrenz fürchten, da sie nicht konkurrenzfähig sind.

Wenn sich österreichische, chinesische und US-amerikanische ArbeiterInnen gegeneinander ausspielen lassen, werden sie am Ende alle verlieren. Die einzige Lösung aus dieser Misere ist ihre internationale Solidarität. Aus demselben Grund, warum Marx 1848 seine Kritik am Freihandelssystem hervorgehoben hat, müssen wir daher mit aller Entschiedenheit deutlich machen, dass wir uns gegen eine Abschottung der einzelnen Wirtschaftsräume stellen. Eine regionalisierte kapitalistische Wirtschaft aus Kleinunternehmen – wie sie vielen aus der Anti-TTIP-Bewegung vorschwebt – ist aus unserer Sicht eine Illusion, die die Sicht auf etwas viel Größeres verbirgt: Die Möglichkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in der ArbeiterInnen und KonsumentInnen gemeinsam und demokratisch die Produktion planen und gestalten.


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