Seit Anfang Februar ist der Bau des Murkraftwerks eines der zentralen Themen in Graz. Dominik Pavlicek berichtet.
Statt in nachhaltige Energie zu investieren, wird nur überlegt, wo man neue Kraftwerke hinbauen könnte, um Geld zu verdienen“, begründete der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl 2008, warum er gegen das bereits in Planung befindliche Murkraftwerk sei. Doch Nagl wäre kein ÖVP-Politiker, wenn er sich nicht wenige Monate später von dieser Erkenntnis verabschiedet hätte. Zum absoluten Befürworter dieses Kraftwerks mutiert, trieb er einen riesigen Keil in die damalige schwarz-grüne Koalition im Grazer Rathaus.
Kosten-Nutzen-Relation
Die Kosten für dieses Bauprojekt sind hoch, der Nutzen gering: Zu den Investitionskosten von 80 Mio. Euro kommt von Bund, Land und Stadt noch eine Förderung von 27 Mio. Euro hinzu, wovon die Stadt Graz selbst 14 Mio. Euro übernimmt. Einen zwingend erforderlichen Speicherkanal, der mindestens 64 Mio. Euro kosten soll, müssen die GrazerInnen ebenfalls bezahlen. Die Gesamtkosten dieses Kraftwerks betragen also mindestens 171 Mio. Euro, wovon 78 Mio. Euro allein von der Grazer Bevölkerung (Förderungen & Speicherkanal) finanziert werden. Pro Jahr wird das Kraftwerk jedoch nur 74 bis 82 Gigawattstunden (GWh) produzieren können – eine Strommenge, die nicht einmal in vier Tagen in der Steiermark verbraucht wird. Mit 1,52 Euro pro Kilowattstunde (kWh) wird es so den teuersten Strom Österreichs herstellen, wie der Energieexperte DI. Dr. Jürgen Neubarth in einer Studie nachweist.
Neben den mit dem Bau beauftragten Unternehmen (z. B. Porr AG, Andritz AG) profitiert der Bauherr, die Energie Steiermark AG (ESTAG), von diesem Projekt. Dieser Energieversorgungskonzern gehört zu 74,90 % dem Land Steiermark und zu 25,10 % der S.E.U. Holdings S.à r.l. in Luxemburg. Das Mutterunternehmen hinter dieser Holding ist der Macquarie European Infrastructure Fund 4 (MEIF4), der wiederum Teil der australischen Investmentbank Macquarie Group ist.
Infrastrukturfonds wie dieser bieten dem Kapital verhältnismäßig überschaubare Risiken, da Infrastruktur immer gebaut bzw. erneuert werden muss, auch bei Konjunkturproblemen. Diese Fonds sind daher oftmals auf mehrere Jahrzehnte ausgelegt, was für lange und gesicherte Einnahmen sorgt. Auch die Renditen sind meist hoch. Dank des herrschenden Spar- und Privatisierungsdiktats zur „Sanierung der öffentlichen Haushalte“ verscherbeln Staaten seit Jahren Anteile ihrer Infrastrukturunternehmen an solche Heuschrecken. Dadurch und durch massive öffentliche Subventionen, erwirtschaftet von der lohnabhängigen Masse, werden risikoreiche Projekte für das Kapital sicher und profitabel.
Doch hier findet nicht „nur“ eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Kapitalakkumulation statt: Durch die erhöhten Feinstaubwerte aufgrund der Baumrodungen und der jahrelangen Bautätigkeiten wird auch die Gesundheit der GrazerInnen angegriffen (schon jetzt sterben in Graz 40 Menschen pro Jahr frühzeitig aufgrund der Feinstaubbelastung). Die Wasserqualität der Mur droht sich zu verschlechtern und der Fluss wird dadurch, dass er innerhalb der Stadt zu einem stehenden Gewässer wird, zu einer Brutstätte für Stechmücken. Kombiniert mit der fehlenden Abkühlung, die ein fließendes Gewässer bringt, kann man nur erahnen, wie „erträglich“ in Zukunft die Sommermonate in Graz werden. Die Grazer Bevölkerung muss also nicht nur die Profitgenerierung von Unternehmen, sondern auch noch die Verschlechterung ihrer eigenen Lebensqualität finanzieren – so sieht der real existierende Kapitalismus aus.
Widerstand formiert sich
Kritik schmetterte Nagl, der „Bürgermeister für alle“, in einer Sondersitzung des Gemeinderats am Aschermittwoch ab, indem er behauptete, dass die AktivistInnen der Initiative „Rettet die Mur“, die engagiert gegen den Bau des Murkraftwerks kämpft, bereits den „Boden von Rechtsstaat und Demokratie“ verlassen hätten. Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von der FPÖ, der „sozialen Heimatpartei“, die wieder einmal zeigte, wessen Interessen sie tatsächlich vertritt.
Dass die VerteidigerInnen der Banken und Konzerne so hetzen, ist nicht verwunderlich: Die Bewegung gegen das Murkraftwerk, die es nun seit mehr als sieben Jahren gibt, hat seit Anfang dieses Jahres mit dem Beginn der Bautätigkeit eine neue Dynamik erreicht. Sei es durch zivilen Ungehorsam in Form des seit 8. Februar bestehenden Mur-Camps, das aktivistisch Baumrodungen verhindert, oder mittels Demonstrationen. Doch die Bewegung kommt nicht über einen Kreis von ein paar hundert SympathisantInnen und AktivistInnen hinaus. Um den Kraftwerksbau zu verhindern, muss man aber wachsen und sich dazu thematisch verbreitern. Dabei muss der enge Kontext des Tier- und Naturschutzes durchbrochen und mit dem Protest gegen die drohende schwarz-blaue Stadtregierung und gegen zu erwartende weitere Sozialkürzungen, nicht zuletzt auch zur Finanzierung des Murkraftwerks, verbunden werden. So werden Umweltschutz und soziale Frage, die die unmittelbare Lebensrealität der meisten Menschen betrifft, miteinander verknüpft.