Neuwahlen. Am 15. Oktober wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt. Zu den Perspektiven der Linken in dieser Situation eine Analyse von Florian Keller.

„Wir leben in einer Demokratie“ – das wird in jedem Schulbuch, den Medien und in den Reden der Mächtigen ständig wiederholt. Dass es damit nicht so weit her sein kann, wird spätestens deutlich, wenn man einen Blick in die Programme jeder einzelnen Partei wirft – die Forderung nach „mehr Demokratie“ steht – im Einklang mit dem Empfinden der breiten Massen – immer an oberster Stelle. Dass wir in Wirklichkeit in einer verhüllten Diktatur der Banken und Konzerne leben, ist spätestens seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008 deutlich geworden, als auf einmal Milliarden € für Bankenrettungen und Konjunkturpakete aller Art da waren, um den KapitalistInnen ihre Profite zu sichern. Wenn die Raiffeisenbank anruft, muss jeder Kanzler springen! Es ist ein Armutszeugnis für die Linke, dass diese grundlegende und einfache Feststellung gerade in Zeiten des Wahlkampfes von niemandem ausgesprochen wird.

Trotzdem haben in einer bürgerlichen Demokratie, wie Österreich eine ist, Parlamentswahlen für die Herrschenden eine wichtige Funktion. Auf der einen Seite dienen sie als friedlicher „Ausgleich“ zwischen verschiedenen Teilen des Kapitals, die über Medienkonzerne und die ganze Maschinerie der „öffentlichen Meinung“ ihre Fehden austragen können. Auf der anderen Seite werden dadurch PolitikerInnen, die sich diskreditiert haben, mehr oder minder automatisch entfernt, sodass letztendlich die Stabilität des Gesamtsystems erhalten bleiben kann und sich der Zorn der Massen über die dauernden Ungerechtigkeiten, die Unterdrückung und Ausbeutung einen relativ ungefährlichen Weg bahnen kann – Wahlen funktionieren auf dem Kelomat der kapitalistischen Gesellschaft wie ein Ventil, das in regelmäßigen Abständen Dampf ablässt, damit der Druck von unten nicht die den ganzen Deckel absprengt.

Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, dass in diesem abgekarteten Spiel die ArbeiterInnen nur an der richtigen Stelle ihr Kreuz zu machen brauchen und sich daraufhin ihre Probleme in Luft auflösen. Nur wenn die ArbeiterInnen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, indem sie in einer revolutionären Bewegung die Gesellschaft vom Kopf auf die Füße stellen, wird sich etwas grundlegendes ändern. Doch Wahlen können und konnten in der Vergangenheit immer wieder eine wichtige Rolle in der Bewusstseinsbildung der breiten Massen und so für eine Massenbewegung spielen – so etwa die letzten Parlamentswahlen in Großbritannien (wir berichteten). Doch die Voraussetzung dafür ist, dass eine politische Kraft vorhanden ist, die der Arbeiterklasse als Katalysator für diesen Prozess dient - in der sich die sozialen Forderungen der ArbeiterInnen und Jugendlichen widerspiegeln.

Die einzige Partei, die derzeit über ihre Verbindung zur organisierten Arbeiterbewegung, ihre Traditionen und Geschichte in Österreich als Massenpartei so eine Rolle spielen könnte, ist die Sozialdemokratie. Doch nach 10 Jahren der großen Koalition ist die Enttäuschung über die Partei und ihre Politik in der Arbeiterklasse greifbar. (Siehe Editorial Seite 1)

Die Linke in der Sozialdemokratie

In dieser Situation ist es die dringlichste politische Aufgabe der Linken, diese Sackgasse in der Arbeiterbewegung zu durchbrechen. Dafür braucht es eine linke Opposition, die die Führung der Sozialdemokratie auf allen Ebenen herausfordert – angefangen mit einer klaren Ablehnung von prokapitalistischer Politik auf allen Ebenen bis hin zu einer personellen Alternative. Innerhalb der Sozialdemokratie wäre die Sozialistische Jugend in einer guten Position, sich als klare Opposition gegen die Parteispitze und deren bürgerliche Politik zu positionieren. Die Vorsitzende Julia Herr bekommt viel Aufmerksamkeit in den Medien und ist die am weitesten links stehende Politikerin, die regelmäßig in der öffentlichen Wahrnehmung steht. Doch nach 10 Jahren großer Koalition reicht es nicht, die abstrakt „linke Stimme der Sozialdemokratie“ mit Forderungen von Vermögenssteuern, gegen Steuerflucht von Starbucks und gegen die „Eliten“ darzustellen. Die ArbeiterInnen haben in den letzten Jahren viele Versprechungen aus der Sozialdemokratie wie die Millionärssteuer bekommen. Was es braucht, sind klare Ansagen, denen Taten folgen.

Eine Kandidatur auf der Liste der SPÖ bedeutet im Falle eines Erfolges, dem extremen Druck des Klubzwanges ausgesetzt zu sein. Unter einer rechten Parteiführung, die sich gerade eben einer Koalition mit der FPÖ geöffnet hat, um eine weitere Möglichkeit zu bekommen ihre Posten zu erhalten, bedeutet das für Linke, ab dem ersten Tag auf der Parlamentsbank einem massiven Druck ausgesetzt zu sein – von dem bürgerlichen „Hohen Haus“ und der eigenen Parteispitze. In diesem Milieu ist der Druck, vor den Wünschen des Kapitals zu kapitulieren nur dann zu kontern, wenn von den Straßen, aus den Betrieben und aus den Schulen und Unis organisierter Gegendruck kommt. So einen Druck kann nur eine starke Bewegung aufbauen – und eine starke Bewegung kann nur durch den Enthusiasmus der breiten Massen an Jugendlichen und ArbeiterInnen entstehen, die eine deutlich sichtbare Alternative sehen. Das ist die wichtigste Lehre aus dem Aufstieg von Jeremy Corbyn in Großbritannien, der 500 Mal gegen seine eigene Parteispitze im Parlament gestimmt hatte, bevor er durch eine massive Kampagne von unten Vorsitzender der Labour-Partei wurde.

In Österreich bedeutet das mindestens, von vornherein klarzumachen, dass einE LinkE KandidatIn den bürgerlichen Kurs der Parteispitze unter keinen Umständen mittragen würde und konkret in Opposition gegen ihre Politik der letzten Jahre zu treten. Das heißt, schon vor den Wahlen öffentlich deutlich festzuhalten, im Parlament für keine Sparpakete auf Kosten der Arbeiterklasse zu stimmen, keinen Bankenrettungen oder ähnlichen Geschenken an das Kapital zuzustimmen und ebenfalls keiner Koalition mit der FPÖ oder der ÖVP zuzustimmen, die in ihren Programmen offen solche Einsparungen fordern. In der Praxis wäre das ein konkreter Ansatzpunkt für den Klassenkampf und eine Möglichkeit, die Dynamik in der Arbeiterbewegung umzukehren.

Unter diesen Prämissen haben Funke-UnterstützerInnen innerhalb der SJ um eine korrekte Positionierung gekämpft und diese in den Gremien der Organisation auch zur Abstimmung gestellt. Indem sie abgelehnt wurden, hat die SJ-Spitze den Weg des „geringeren Widerstandes“ gewählt, der jedoch auf einen tiefen Abgrund zuführt. Inhaltlich geht der Wahlkampf völlig im Match zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ unter, in dem sogar die ÖVP schon gegen die Steuerflucht internationaler Großkonzerne wettert. Und Julia Herr wurde von der Parteispitze schließlich auf den Listenplatz 16 der Bundesliste gesetzt – ein vergifteter Apfel für die Linke. Denn bei gleichen Wahlergebnissen wie beim letzten Mal würde er bedeuten, dass sie realistischerweise nur unter einer Bedingung in den Nationalrat einziehen könnte: Dass die SPÖ entweder mit der ÖVP oder der FPÖ eine Regierungskoalition eingeht.

Die Aufgaben der Linken

In dieser Situation ist die Entscheidung der Jungen Grünen, mit ihrer Partei zu brechen und mit der KPÖ gemeinsam unter dem Namen KPÖ PLUS zu kandidieren, gefallen. Die Plötzlichkeit dieser Entscheidung hinter dem Rücken der meisten Mitglieder hat einen politischen Klärungsprozess verhindert und damit auch dessen Potential. Trotzdem ist es ein mutiger Schritt ins Ungewisse zu einem Zeitpunkt, in dem die gesamte Linke von Passivität, Entmutigung und Angst vor dem eigenen Schatten geprägt ist. Doch wir müssen den GenossInnen klar sagen: Es ist eine Illusion, die aus bürokratischen Konzeptionen von Politik entsteht, dass eine „neue Linke“ aus dem Nichts heraus entstehen kann, wenn nur möglichst viele Linke an einen Tisch geholt werden und die Forderungen und das Auftreten als „soziale Alternative“ nur clever genug ist. Der Motor der Entwicklungen ist der Klassenkampf – und der lässt, nicht zuletzt wegen der Standortlogik, der sich die Führung der Arbeiterbewegung unterworfen hat – (noch) auf sich warten. Erst wenn die breiten Massen der ArbeiterInnen und Jugendlichen auf die politische Bühne treten, wird eine endgültige Klärung der Situation auf der Linken stattfinden.

Das bedeutet natürlich nicht, dass sich die Linke nicht auf diesen Punkt vorbereiten sollte – ganz im Gegenteil! Doch gerade in einer Situation der relativen gesellschaftlichen Isolation ist eine absolute Klarheit in Theorie, programmatischer Grundlage und der Orientierung entscheidend, damit diese in den Praxistest der Realität in Zukunft bestehen und die Arbeiterklasse vor einer Niederlage wie in Griechenland unter Tsipras bewahren kann. Und hier ist die bisherige Präsentation von KPÖ PLUS eine Fortführung der Fehler der österreichischen Linken aus der Vergangenheit. Statt eine entschlossene, allumfassende Analyse und Fundamentalkritik des verrotteten Status Quo und ihrer RepräsentantInnen in der besten Tradition des Marxismus mit einer mutigen Programm der radikalen Veränderungen zu verbinden, backt das Bündnis bewusst kleine und vage Brötchen: „Wir wollen die Stimmen all jener ins Parlament holen, die bisher nicht gehört werden. Auch über die Wahl hinaus werden wir in lokalen Gruppen in ganz Österreich weiterarbeiten, um Politik lebensnah, demokratisch und nützlich zu gestalten. Mit politischer Basisarbeit wollen wir das Vertrauen der Menschen dauerhaft gewinnen“ (Erklärung zum Wahlantritt).

In dieser Situation scheint es, als ob es für die Arbeiterklasse weit und breit keinen Ausweg gebe. Für die politische Ebene gilt das bis zu einem gewissen Grad auch – die Politik der Linken in den letzten Jahren, angefangen bei der Sozialdemokratie, verstopft die Möglichkeit für die Arbeiterklasse, auf diesem Gebiet Schritte nach vorne zu machen oder auch nur den bisherigen Lebensstandard zu erhalten. Doch wir ziehen daraus keine pessimistischen Schlüsse – ganz im Gegenteil! Sich heulend und zähneklappernd vor (und nach) den Wahlen unter ihren Decken zu verkriechen, überlassen wir gerne den ZynikerInnen und PessimistInnen, die in Wirklichkeit jede Hoffnung auf eine Veränderung der Gesellschaft schon lange aufgegeben haben. Wenn der politische Weg versperrt ist, werden die ArbeiterInnen andere Wege finden, um ihren Unmut über den Status Quo Ausdruck zu verliehen, namentlich über den Weg von betrieblichen Kämpfen. Die nächste Periode wird eine der Streiks und Demonstrationen sein. Darauf gilt es für Linke und Revolutionäre die Energie zu richten, und hier wird auch die Basis gelegt, dass der Stillstand auf der politischen Ebene durchbrochen wird: Sich jetzt schon mit den KollegInnen in den Betrieben, den Unis und Schulen zu organisieren, um auf diese neue Situation vorbereitet zu sein. Der Kapitalismus in der Krise wird von der Arbeiterklasse in Österreich keine lange Atempause erhalten – wir bauen deshalb jetzt schon eine revolutionäre Alternative, um der Arbeiterbewegung einen konkreten Ausweg aus dieser Misere zu bieten.


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