Sezonieri. In der österreichischen Landwirtschaft soll es einen Arbeitskräftemangel geben. Sicher ist aber nur, dass die Arbeitsbedingungen menschenunwürdig und ausbeuterisch sind. Von Gernot Trausmuth.
Auf den Feldern herrscht derzeit Erntezeit, auch in Thaur, einem kleinen Ort in der Nähe von Innsbruck. Im ganzen Inntal erstrecken sich hier die Felder, und selbst am späten Abend stehen noch überall die Transporter, mit denen die Ernte eingeholt wird. Auf einem Feld knien zwei Frauen und zwei Männer aus Bulgarien auf der Erde und ernten Jungzwiebel. Ein Vorarbeiter sitzt als einziger unter einem Sonnenschirm und kontrolliert neben der Arbeit sein Team. Ein paar hundert Meter weiter ist ein Trupp Ukrainer dabei Unkraut zu entfernen, eine monotone, nicht endenwollende Arbeit. Deutsch sprechen sie nur ein paar Brocken, was man halt braucht, um die Arbeitsanweisungen verstehen zu können. In der Saison kommen sie nach Tirol, sie sind aus der Landwirtschaft nicht mehr wegzudenken.
Beim großen Radieschenfest im benachbarten Hall, zu dem Tausende BesucherInnen kommen, haben sich die Bauern der Umgebung so präsentiert, wie man sich den Bauernstand immer noch gern vorstellt. In der Tracht haben sie die Schubkarren voll mit frischem Gemüse vor sich hergeschoben, und vorne Kinder wie aus der Tourismuswerbung mit Minitraktoren und Anhängern voll mit Radieschen. Die Eröffnungsreden der Politikerinnen von ÖVP und Grünen haben nicht aufgehört die Leistung der Bauern zu loben. Doch die, die das Gemüse die ganze Woche lang 12, 13 Stunden lang bei Hitze und bei Regen geerntet haben, waren an diesem Festtag unsichtbar. Sie waren weder beim Fest anwesend noch wurden sie erwähnt. Ohne diese Billigarbeitskräfte, die für Dumpinglöhne hier arbeiten, ginge in der Landwirtschaft, die in großen Mengen für die Handelskonzerne produziert, gar nichts. Und jetzt wollen die Bauern dieses Reservoir noch erweitern.
Die Landwirtschaftskammer hat in den letzten Wochen eine mediale Kampagne gestartet, dass sie zu wenig Arbeitskräfte hätte. In Niederösterreich hätten bei der Spargelernte 300 ErntehelferInnen gefehlt. Recherchen haben aber ergeben, dass es überhaupt keinen Mangel geben dürfte. Beim AMS waren gerade einmal 3 offene Stellen vermerkt. Im Internet waren ein paar Jobs ausgeschrieben, doch bei Anruf hieß es stets nur „nächstes Jahr vielleicht wieder“, „wenn dann suchen wir tageweise jemand“. Auskünfte über die Entlohnung wollte am Telefon keiner geben.
Offensichtlich wollen die Bauern einfach öffentlichen Druck aufbauen, damit das Arbeitskräftekontingent für Drittstaaten erweitert wird. In der EU würden sie zu wenig willige ArbeiterInnen bekommen, aber in der Ukraine oder am Balkan schon. Außerdem könnten sie dann auch verstärkt Asylwerber beschäftigen. Diese Arbeitskräfte wären noch leichter zu erpressen und bereit alles über sich ergehen zu lassen, um überhaupt einen Job zu haben.
Dabei sind die Arbeitsbedingungen bei den meisten Gemüsebauern schon jetzt unerträglich. Die Arbeit ist per se eine sehr harte. Arbeitszeiten von 6 bis 20 Uhr sind keine Ausnahme. Wie in früheren Zeiten wird der Arbeitstag durch Sonnenaufgang und Sonnenuntergang bestimmt, bei jedem Wetter. Die Entlohnung ist schlecht (in Tirol ist der KV-Stundenlohn 6,30€ brutto). Oft wird aber nach Akkord bezahlt, das heißt der Lohn wird nach gefüllter Kiste berechnet. Bei der Radieschenernte verdient ein Erntehelfer pro geerntetem Bund 0,03 cent! Da müssen sie aber noch die Gummiringerl selber zahlen. Überstunden werden in den seltensten Fällen entlohnt. Der Druck ist enorm, viele Bauern behandeln die ErntehelferInnen wie Knechte. Beschimpfungen, Drohungen kommen immer wieder vor. Die Wohnverhältnisse sind meist unwürdig.
Durch die Arbeit der AktivistInnen der Sezonieri-Kampagne, die ErntehelferInnen über ihre Rechte informiert, melden sich nun zusehends ArbeiterInnen bei der Gewerkschaft und wollen ihre Rechte auch einfordern. Viele sind natürlich erpressbar, wagen es oft erst, wenn sie den Entschluss gefasst haben, nicht mehr in Österreich in der Landwirtschaft arbeiten zu wollen. Der Aufbau einer starken gewerkschaftlichen Organisation unter den ErntehelferInnen ist ein schwieriges Unterfangen, nicht zuletzt aufgrund der Aufenthaltstitel, der diese ArbeiterInnen so erpressbar macht. Aber die kontinuierliche Kampagnenarbeit hat die Ausbeutung in der Landwirtschaft öffentlich gemacht, die Bauern stehen verstärkt unter Druck – nicht zuletzt aufgrund von Gerichtsurteilen, die einzelnen Bauern teuer zu stehen kamen.
Das Problem ist aber komplexer. Der hoch monopolisierte Handel will die Lebensmittel zu Diskontpreisen anbieten und setzt auch die Bauern stark unter Druck. Die umfassende Unterstützung der ErntehelferInnen und letztlich ihre Organisierung ist eine Grundvoraussetzung, um in der Landwirtschaft halbwegs menschenwürdige Arbeitsbedingungen herzustellen. Gleichzeitig muss die Arbeiterbewegung für die Überführung der Handelskonzerne in öffentliches Eigentum und eine völlige Loslösung der Lebensmittelversorgung von Profitinteressen eintreten, damit in der Landwirtschaft soziale Gerechtigkeit einziehen kann.
Dieser Artikel erschien erstmals am 30.5.2018 im Funke Nr. 164