Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Über unterschiedlichste Kanäle erreichten uns Berichte über die Erfahrungen rund um die ÖGB-Großdemo am 30. Juni.
Neben dem beeindruckenden Einsatz vieler Betriebsräte hinkt eine Schicht von KollegInnen der aktuellen Bewegung meilenweit hinterher. Sie werden so zu einem Hemmschuh in den kommenden Auseinandersetzungen. Jodok Schwarzmann fasst zusammen und blickt voraus.
Betriebsfrieden über alles: Pollmann in Niederösterreich
In Karlstein in Niederösterreich schuften um die 600 ArbeiterInnen beim Autozulieferer Pollmann. Ein Großteil der Belegschaft besteht aus angelernten und leicht ersetzbaren ArbeiterInnen. Der Arbeitsdruck ist hoch, permanente Überstunden alltäglich. Es darf bezweifelt werden, dass die Vorgaben zur maximalen Arbeitszeit eingehalten werden. Schon jetzt, vor Einführung des Zwölfstundentages, würde die Betriebsleitung am liebsten 60 Wochenstunden im Dauerbetrieb fahren. Überlange Tages- und Wocheneinsätze sind auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung möglich – bisher inklusive der erhöhten Zuschläge, die in solchen Verträgen üblich sind.
Der Aufruf des ÖGB zur gemeinsamen Aktion am 30. Juni erreichte bei Pollmann nur die Schreibtische der Betriebsräte. Die „Angelegenheit“ wurde lediglich in einer kurzen schriftlichen Mitteilung des Arbeiterbetriebsrats erwähnt. Der Angestelltenbetriebsrat blieb völlig stumm. Im nahe gelegenen Metall- und Kunststoffverarbeiter MKE wurde in eigens organisierten Bussen nach Wien mobilisiert, während beim größeren und regional viel bedeutenderen Betrieb Pollmann die Beschäftigten vergeblich auf jegliche Art von Mobilisierung warteten.
Die Inaktivität des Betriebsrats führte zu Anfragen seitens der Belegschaft, ob im eigenen Betrieb in dieser Sache noch etwas zu erwarten sei. Dies wurde mit Beschwichtigungen quittiert: der Betriebsrat habe die Zusage der Betriebsleitung, dass an der bisherigen Betriebsvereinbarung festgehalten würde. Das neue Gesetz wäre somit bedeutungslos und habe keinerlei Auswirkungen für die Situation bei Pollmann.
Insgesamt scheint die Belegschaft bei Pollmann relativ wenig über die massiven Auswirkungen des neuen Arbeitszeitgesetzes zu wissen. Es wäre in so einer Situation umso mehr die Aufgabe eines Betriebsrats, durch breite Information bei Betriebsversammlungen über die aktuelle Situation aufzuklären und die Notwendigkeit solidarischen Widerstands zu erklären. Während es in den letzten Jahren anlässlich von KV-Verhandlungen sehr wohl Betriebsversammlungen bei Pollmann gab, bleibt der Betriebsrat jetzt, wo die grundlegenden Errungenschaften der österreichischen Arbeiterbewegung als Ganzes unter Angriff stehen, vollkommen inaktiv.
Propaganda für die Industriellen: Doppelmayer
Auch beim Seilbahnhersteller Doppelmayer wurde der Aufruf des ÖGB ignoriert. Es wurden weder Informationsveranstaltungen noch Betriebsversammlungen abgehalten. Darüber hinaus bezieht der Betriebsrat offen Position für die Regierungspolitik: in einer Mitteilung an die Belegschaft erfolgte eine regelrechte Lobpreisung des Zwölfstundentages. Dabei wird die „unsachliche Diskussion“ um die Frage bedauert, „die vollkommen ungerechtfertigte Verunsicherung der ArbeitnehmerInnen“ bewirken würde.
Der Zwölfstundentag werde bei Doppelmayer auf Grundlage der Betriebsvereinbarung seit Langem „gelebt“. Anders gehe es nicht, die Belegschaft habe die segensreiche Wirkung von zwölfstündigen Arbeitstagen „bewiesen“, und der Betriebsrat vergibt ein herzliches: „Danke dafür!“
Auch bei Doppelmayer existiert eine Betriebsvereinbarung mit Extrazuschlägen. In der Mitteilung des Betriebsrats wird beteuert, dass alle Zuschläge auch weiterhin bezahlt werden. Dies sei von der Geschäftsleitung versprochen und allein dadurch ein „Fakt“. Durch das Gesetz zum Zwölfstundentag ergebe sich also definitiv keine Änderung für die Belegschaft bei Doppelmayer. Lediglich die Erleichterung, dass nun die lästige Betriebsvereinbarung nicht mehr jährlich abgeschlossen werden müsste, „sofern die wesentlichen Punkte wie die Freiwilligkeit gut im Gesetz verankert sind.“
Die ArbeiterInnen bei Doppelmayer charakterisieren ihren Betriebsrat als geradezu „unsichtbar“, seine Aktivität beschränkt sich auf die Organisation von Rabatt-Aktionen und Skiausflügen. Er führt keine Kommunikation mit der Belegschaft und ist kaum in der Halle zu sehen. Kein Wunder, muss es sich doch um einen sehr vielbeschäftigten Mann handeln: als Vertreter eines Werks mit weit über 1000 Beschäftigten verzichtet dieser Herr nämlich auf seine Freistellung. Außer der Schützenhilfe für den schwarz-blauen Raubzug gibt es in seiner Wahrnehmung offensichtlich für heutige Betriebsräte weiter nichts mehr zu tun.
Momentan abwarten: Liebherr in Vorarlberg
Beim Kran-Hersteller Liebherr in Nenzing, ebenfalls in Vorarlberg, wurden im Frühling durchaus entschlossene Schritte zur Mobilisierung der Belegschaft gesetzt. Bei der Betriebsversammlung vor der Demonstration wurde nicht nur informiert und für die Demonstration agitiert, sondern die Tragweite der Situation durch die Beteiligung von ProGe-Vorsitzendem Rainer Wimmer unterstrichen. Der Zwölfstundentag wird bei Liebherr also zumindest teilweise in seiner Bedeutung erklärt und als Angriff auf den Lebensstandard der ArbeiterInnen erklärt.
Das Versäumnis des Betriebsrats liegt hier nicht in der ausbleibenden Mobilisierung, sondern in der plötzlichen Funkstille nach der Verabschiedung des Gesetzes. Wie in einer Vielzahl der österreichischen Betriebe, blieb nach der Demonstration im Juni jede weitere Kommunikation des Betriebsrats aus. Dabei ist der Unmut in diesem Werk über die aktuelle Regierungspolitik weit verbreitet, und das Ausbleiben weiterer Schritte der Information und Mobilisierung durch den Betriebsrat lässt jene KollegInnen völlig im Regen stehen, die schon lange darauf warten, gegen den Angriffskurs der Regierung aktiv zu werden. Viele Beschäftigte bei Liebherr, die im Herbst noch Vertrauen in die Selbstdarstellung der FPÖ als „sozialer Heimatpartei“ setzten und dieser das Kreuzchen gaben, erkennen längst die arbeiterfeindliche Stoßrichtung dieser Partei. Die Lippenbekenntnisse der eigenen Betriebsleitung, dass auch bei Liebherr alle Extrazuschläge erhalten bleiben würden, werden mit Misstrauen gesehen. Viele KollegInnen bekunden ihre absolute Kampfbereitschaft bei einer Aufkündigung der bisherigen Vereinbarungen.
Untätigkeit und Ausreden: Mahle-König
Normalerweise gibt es hier mindestens zwei Betriebsversammlungen im Jahr. Seit der Zwölfstundentag vor der Tür steht aber keine. Auch keine Aushänge, keine E-Mails. Es hat keinerlei allgemeine Information über die Auswirkungen seitens des BR gegeben. Im Betriebsrat sitzt z.B. auch ein „Betriebskader“ (Produktionsplaner, Optimierer), der für die meisten Verschlechterungen in einzelnen Abteilungen hauptverantwortlich ist.
Es herrscht eine allgemeine Verunsicherung, besonders stark bei HilfsarbeiterInnen, die schon damit rechnen, dass die nächste Verschlechterung kommt, wobei es die Facharbeiter aufwärts am meisten trifft.
Von Seiten der Abteilungsleiter wird beschwichtigt, dass das Gesetz keine realen Auswirkungen auf die Arbeitszeit haben würde.
Doch die bestehende Betriebsvereinbarung wird auslaufen, weil es mit dem neuen Gesetz für die Geschäftsleitung keinen Grund gibt, diese wieder zu unterschreiben. Darin ist geregelt, dass die 11.und 12. Überstunde mit 100% Zuschlag abzugelten ist. Dann sind es nur noch 50% (normale Überstunden, gilt für alle Zeitmodelle außer Gleitzeit und All-In). Für Gleitzeitmodelle ist darin auch geregelt, dass die 11.und 12. Stunde als Überstunden zu werten sind (50% Zuschlag), das fällt dann auch weg.
Der Betriebsrat will unter keinen Umständen durch einen „politischen Streik/Kampfmaßnahmen“ die „unnötige“ Polarisierung der Mitarbeiter fördern. Dies alles obwohl dem Betriebsrat bewusst ist, dass die aktuelle Betriebsvereinbarung mit dem neuen Gesetz ohne Arbeitskampf nicht zu halten ist. Der vermeintliche „Schongang“ gegenüber der eigenen Belegschaft schont letztlich nichts anderes als den „Betriebsfrieden“, der diesem Vertreter wichtiger ist als die Verteidigung des Lohn- und Gehaltsniveaus in der Fabrik.
Unsolidarisch
Diese Berichte werfen ein Schlaglicht auf die unsolidarische und damit schwache Seite des Abwehrkampfes. Die hier beschriebene Untätigkeit und teilweise offene Zusammenarbeit von Betriebsräten mit den Geschäftsführungen, gegen die vom ÖGB repräsentierte Gesamtbewegung, sind das Resultat der Sozialpartnerschaft. Seit 2003 wurde kein einziger Arbeitskonflikt ernsthaft ausgetragen. Dies ermöglichte erst die Entsolidarisierung, die uns heute schwächt. Doch diese Einsicht darf nicht Anlass zu Zynismus sein, sondern muss als Aufforderung verstanden werden, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Wir wollen Betriebsräte ohne Samthandschuhe, die die Geschäftsführungen am Kragen packen, und den Mut dafür aus ihrer Verbundenheit mit den KollegInnen beziehen. Allzu oft ist es eben umgekehrt, Betriebsräte sind näher am Ohr und den Büros der Geschäftsleitungen und zeigen sich den KollegInnen nur ungern, oft nur um ihnen die nächste Verschlechterung zu „kommunizieren“. Isoliert von den realen Bedingungen und der Stimmung in den Hallen fühlen diese entwurzelten Betriebsräte sich schwach und werden zu blinden Organen des Profitmaximierungsregimes. Junge KollegInnen, die die Gewerkschaftsbewegung noch nie als Kampforganisation erlebt haben, verorten Betriebsräte sogar oft in der Management-Sphäre des Betriebes.
Aktivgruppen!
Die gesetzlichen Bedingungen des 12-Stunden-Tages erfordern eine starke betriebliche Interessensvert retung. Diese kommt nicht von selbst. KollegInnen, die sich gegen die kommenden Verschlechterungen wehren wollen, müssen dafür selbst aktiv werden. Wie kann man dies bewerkstelligen? Indem man den Pausengesprächen einen politischen Charakter gibt, sich auf rote Linien einigt. Indem man an den stehenden Betriebsrat herantritt, Informationen einfordert und die Räume hinter ihm dicht schließt. Etwa indem man fordert und sich aktiv dafür engagiert in der kommenden Kollektivvertragsrunde alle gewerkschaftlichen Maßnahmen im eigenen Betrieb engagiert umzusetzen. Indem man die vorgelegten und ausgehängten Resolutionen zur Diskussion stellt und wahrgenommene Schwächen darin korrigiert und zur Abstimmung (im Betriebsrat, der Betriebsversammlung und Betriebsrätekonferenzen) stellt. Stellvertreterpolitik war gestern! Wer nicht mit weniger Geld nach Hause gehen will, wer einen Rest an Selbstbestimmung über die Arbeitszeit bewahren will, wer sich gegen die permanente Verdichtung der Arbeit auflehnen möchte, der und die sollte spätestens jetzt anfangen, am Arbeitsplatz dem Sudern eine bewusste politische Stimme zu geben. Die mutigsten Kolleginnen und Kollegen voran!
(Funke Nr. 166/August 2018)