Ich arbeite nun schon seit einem halben Jahr in diesem Bekleidungs-Unternehmen und hab somit einen Einblick in diese Branche gewinnen können. Ich kenne inzwischen alle stressigen Situationen, wie Einkaufssamstage vor Weihnachten oder den Black Friday. Aber in meinen Augen war nichts so chaotisch wie die Coronavirus-Vorkehrungen auf meiner Arbeit.
Die Arbeitsbedingungen waren hygienetechnisch schon immer fraglich, wenn man bedenkt, dass die Desinfektionsmittelspender seitdem ich dort angefangen habe zu arbeiten noch nie aufgefüllt worden sind und man nicht wirklich die Möglichkeit hat, sich die Hände zu waschen, wenn man im Verkaufsbereich ist.
Covid-19 wurde anfangs von unserer Chefin nicht ernst genommen, wie von vielen anderen auch nicht. Nach den ersten Fällen in Österreich wurden dann bei uns im Personalbereich Poster aufgehängt, die richtiges Händewaschen erklären sollten, aber Seife war nicht immer da und die Handtücher waren meist so ekelhaft, dass man sie nichtmehr verwenden wollte. Das führte wiederum dazu, dass an einem Einkaufsamstag, wo noch zusätzliche VerkäuferInnen benötigt werden, kein Klopapier mehr da war, weil sich jeder damit die Hände abgetrocknet hatte.
Das war auch der Zeitpunkt wo jeder sein eigenes Desinfektionsmittel dabei hatte und wir nichts von der Firma bekommen haben, obwohl wir ständig im Kontakt mit Kunden waren.
Gerade im Textilbereich ist man ständig im Kontakt mit anderen Leuten. Selbst wenn das gerade nicht so ist, findet man alles Mögliche in Umkleidekabinen, etwa getragene Kleidung, die noch mit sämtlichen Körperflüssigkeiten beschmiert ist. Ebenso muss man Bargeld in die Hand nehmen. Das ist der Alltag einer Verkäuferin. Wenn noch dazu die Möglichkeiten für die eigene Hygiene begrenzt sind wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Coronavirus in der Belegschaft ausbreitet.
Großer Druck
Doch nicht nur der Virus macht die Stimmung im Betrieb schlecht, sondern auch die Verkaufszahlen. Ich kann mich noch sehr gut an einen Freitag im Februar erinnern, wo in dieser riesigen Filiale am Nachmittag fast keine Kunden mehr waren, und das in den Semesterferien. Zu dem Zeitpunkt wurde schon klar, dass es den meisten Leuten nicht mehr geheuer war, sich unnötig unter viele Menschen zu begeben. Aber dies bedeutete auch mehr Druck für die Angestellten. Wir mussten Arbeiten verrichten, um uns mit irgendwas zu beschäftigen, wie zum wirklich zehnten Mal die Kleidung nach Größe schlichten, obwohl dies schon am Vormittag erledigt wurde. Wenn man angesprochen hat, dass diese Arbeit bereits erledigt wurde, bekam man Ärger und wurde angeschrien.
Das kurze Reden mit Arbeitskollegen auf der Verkaufsfläche wurde untersagt, auch wenn keine Menschenseele da war. Der Druck spiegelte sich auch in den Dienstplänen wider. Viele wurden alleine für gewisse Abteilungen eingeteilt und mussten alleine Neuware auspacken und in die Abteilungen einräumen. Normalerweise braucht man dafür drei bis vier Leute, weil das Unternehmen diese Tätigkeit in weniger als einer Stunde erledigt haben will. Dennoch wollten sie, dass diese Arbeit in derselben Zeit durchgeführt wird.
Das alles führte schließlich dazu, dass in der Woche, in der die Regierung beschloss alles zu schließen, drei Personen wegen Kreislaufkollaps mit der Rettung abgeholt werden mussten, darunter eine hochschwangere Kollegin. Keiner hatte das Coronavirus, aber diese ganze Situation macht einen trotzdem krank.
„Freiwillige“ Einschnitte
Jedes Mal, wenn man Maßnahmen kritisierte oder hinterfragte hieß es immer, dass wir ein Team sind und zusammenhalten müssen, aber das Team handelt natürlich immer nur nach den Interessen des Unternehmens und nicht nach denen, die diesen Laden am Laufen halten.
Es wurde außerdem von uns verlangt „freiwillig“ für zwei Wochen Urlaub zu nehmen, damit das Unternehmen finanziell entlastet werden kann. Warum braucht ein Unternehmen, das einen Milliardengewinn gemacht hat eine finanzielle Entlastung? KollegInnen, die Fragen zu dieser Maßnahme hatten wurden gleich wegen ihrer fehlenden Opferbereitschaft kritisiert, sie würden so dem gesamten Team nur schaden. Jeder müsse in solchen Zeiten seinen Beitrag leisten. Wenn man Artikel der Arbeiterkammer wegen der Kurzarbeit als Gegenargument vorlegte wurde dies als widersprüchliche Information abgetan.
Letzten Endes habe ich diesen „freiwilligen“ Urlaub nicht unterschrieben. Seitdem rechne ich jeden Tag damit, dass ich entlassen werde. Natürlich habe ich mich wegen meiner Bedenken an die Arbeiterkammer gewendet, jedoch war dies nicht so leicht. Ich war nicht alleine in dieser Situation. Sehr viele ArbeiterInnen in Österreich waren jetzt in ähnlichen Situationen.
Ich konnte bei meinen ersten drei Anrufen niemand bei der Arbeiterkammer erreichen, weil die Leitungen alle besetzt waren. Dies bringt sehr stark zum Ausdruck, dass nicht nur das Unternehmen in dem ich arbeite diese Situation ausnützt, sondern auch andere. Sie schüchtern ihre Arbeiter ein und stellen sie vor sehr große finanzielle Probleme, ohne mit der Wimper zu zucken.
Diese Krise verunsichert enorm. Meine ArbeitskollegInnen haben dieses Urlaubschreiben unterschrieben, weil meine Chefin das Schreiben erst am Abend ausgeschickt hat. Sie verlangte bis acht Uhr früh von allen eine Unterschrift. Somit hatte man auch keine Zeit, sich das auch rechtlich abklären zu lassen.
Für den Monat April wurden wir zur Kurzarbeit angemeldet, aber uns wurde immer noch nicht gesagt für welches Modell. So forderten einige immer mehr eine Erklärung, wie es nun weitergehen soll, aber der Brief für die Belegschaft war alles andere als informativ und bot auch keine Sicherheit dafür, den Arbeitsplatz behalten zu können.
Während alle, die nicht geringfügig angestellt sind, für die Kurzarbeit angemeldet wurden, mussten jene, die geringfügig beschäftigt sind für den Monat April „unbezahlten Urlaub“ akzeptieren, mit dem Versprechen, dass sie dann ihren Arbeitsplatz behalten können. Man solle doch Verständnis aufbringen, weil das Unternehmen ja auch Miete und Strom bezahlen müsse.
Jedoch wird für die von dieser Maßnahme vorwiegend betroffenen Frauen kein Verständnis aufgebracht. Es ist dem Unternehmen schlichtweg egal, dass diese Frauen grade an den Rand ihrer finanziellen Existenz gedrängt werden.
Ich werden versuchen, mit meinen ArbeitskollegInnen sobald wir wieder arbeiten gehen, kämpferischer aufzutreten, denn eins ist jetzt sehr klar geworden. Es gibt kein Team Österreich oder „Team Unternehmen“. Es gibt nur ein Team für mich und für all jene, die gerade dasselbe durchmachen und dieses Team trägt den Namen Arbeiterklasse.