Die Gesundheitskrise ist unter Kontrolle, die Profitkrise erwischt alle. Neue Arbeitsrealitäten sollen durchgesetzt werden. Von Emanuel Tomaselli
Die Pandemie und die Krise haben die Arbeiterklasse in Österreich hart getroffen. Im Moment gibt es über eine halbe Million Arbeitslose, fast 200.000 mehr als im Mai des letzten Jahres. Über 1,3 Mio. Menschen, ein Drittel aller Beschäftigten, befinden sich darüber hinaus in Kurzarbeit und müssen damit monatelange Lohneinbußen von 10-20% hinnehmen. Doch wer hofft, dass das nur eine kurze Phase ist, der irrt: Im Moment wird auf breiter Front eine „neue Normalität“ im Arbeitsleben hergestellt. Der Einsatz scheinselbstständiger Niedrigstlohn-Beschäftigter ohne jegliche sozialen Rechte (wie etwa Krankenstand) machte Schlagzeilen, als sich die Logistikzentren der Post als Corona-Brutkästen entpuppten. Die Logistik und Verkehrsbranche (Stichwort Post, AUA, Wizz Air und Ryan- Air) sind aber nur die Speerspitzen einer neuen Entrechtungswelle, die über die Arbeiterklasse hinwegspült.
Überall Angriffe
Was haben die Caritas, die OMV und die AUA gemeinsam? Ultimativ vorgetragene Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Der breiteste Angriff erfolgt in der Frühjahrs-Kollektivvertragsrunde. Nachdem die Gewerkschafts-VerhandlerInnen keinen Reallohnverlust akzeptieren wollten, hat die Unternehmerseite jedes weitere Gespräch schlicht abgebrochen. Ähnlich geht die die Geschäftsführung der Caritas vor.
Der Kärntener Landesrechnungshof fordert derweil Lohnkürzungen in den landeseigenen Spitälern der KABEG, weil die Löhne der Krankenhausangestellten hier über dem österreichweiten Durchschnitt liegen. Welch bestechende Logik für Lohnraub – wenn es dutzende Lohnschemata gibt, muss es natürlich welche geben, die auch über dem Durchschnittswert liegen.
In einer Kärntner Privatklinik wurde derweil ein Betriebsrat entlassen, weil er sich in der Corona- Krise für den besonderen Schutz von schwangeren KollegInnen einsetzte. Vom Corona-Bonus, der ungeschüzten Krankenhausbeschäftigten als Entschuldigung für das Versagen der Einkaufslogistik einfachster Schutzbekleidung verheißen wurde, ist derweil nirgendwo mehr die Rede.
In vielen Firmen wurden Betriebsratswahlen aus hygienischen Gründen ausgesetzt, in der Unicredit bereits im Februar, lange bevor Corona ein akutes Thema war. In zwei Betrieben, dem Wiener Fluggerätehersteller Schiebel (270 Beschäftigte) und beim steirischen Produzenten Anton Paar wurde die erstmalige Wahl eines Betriebsrates auf Bestreben des Arbeitgebers gerichtlich untersagt, Begründung: Corona-Schutz.
Löhne, Arbeitszeitregelungen, Brachen-Kollektivverträge, Betriebsräte, kurz alles was ArbeiterInnen hilft und sie potentiell besser schützt, wird von den Geschäftsführungen in Frage gestellt. Wir werden sehen, wie diese „Einzelfälle“ sich häufen.
Umdenken notwendig
Momentan wird „möglichst unbürokratisch“ viel staatliches Geld in die Wirtschaft gepumpt. Die Strategie der Gewerkschaft ist es, diese Politik mitzugestalten. Die Idee der Gewerkschaftsspitzen (und ihres Experten-Stabes) ist, dass man die Volkswirtschaft aus der Krise hinausfinanzieren könne. Es hätte ein Paradigmenwechsel in der Politik stattgefunden, den man möglichst nachhaltig gestalten müsse: Staatliche Beteiligungen an Krisenunternehmen, Zurückholen der Produktion nach Europa oder besser nach Österreich, massive Ausweitung der Staatsverschuldung, Stärkung des Sozialstaates,… und natürlich die langfriste Wiedereinbindung der Gewerkschaftsapparate in die Arbeit der Ministerien. Doch die derzetige Episode dient nur der Rettung der Arbeitergeber - sie als neue Ära der Klassenzusammenarbeit zu interpretieren, ist fatal.
In der Betriebsrealität zeigt sich jedoch, dass es keine gesellschaftliche Basis für die Wiederauferstehung der friedlichen Kooperation zwischen Kapital und Arbeit gibt. Der Wettbewerb am Markt ist extrem hart, jedes Unternehmen muss die Profitabilität steigern, um die Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen. Die Finanzbourgeoisie wird wieder schlanke Staaten und sanierte Schuldenquoten verlangen, sobald sich ihr System wieder etwas stabilisiert hat.
Hoffnungen auf die Wiederauferstehung der Nachkriegs-Vergangenheit eines regulierten, krisenresistenten Kapitalismus trösten nur alte (und frühzeitig gealterte) Männer und Frauen. Die letzten 30 Jahre sind kein Zufall, kein kleiner Irrweg der Entwicklung der Geschichte.
Wir brauchen eine Gewerkschaftspolitik, die die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus als gegeben annimmt. Daraus muss eine Praxis fließen die die bedingungslose Verteidigung aller sozialer Rechte in allen Betrieben und Branchen zum Ausgangspunkt eines jeden Tuns macht.
(Funke Nr. 184/3.6.2020)