In Österreich herrscht große Unsicherheit in der Frage der Gasversorgung. Doch für wen wird der Hahn abgedreht, wenn das Gas knapp wird? Von David Walch.
Zwar stehen wir in diesem Moment am Ende der Heizperiode und die Situation eines möglichen Gas-Versorgungsengpasses scheint demgemäß für den Moment etwas weniger bedrohlich. Angesichts des schwelenden Krisenherdes in der Ukraine ist die Versorgung mit ausreichend Gas für die österreichischen Verbraucher aber kein Problem, welches sich bis zum Herbst von selbst lösen wird – die Gefahr, dass sich der Krieg, wie jeder Krieg zwischen imperialistischen Blöcken, noch bedeutend länger hinziehen wird, ist hoch.
Nun hat Bundeskanzler Karl Nehammer zwar wiederholt versichert, im Ernstfall würde die Versorgung der Privathaushalte priorisiert, also die Gasmenge im Netz zuerst von industriellen Verbrauchern abgezogen. Diese Aussagen sind bei sommerlichen Temperaturen leicht zu äußern und leicht zu glauben. Wir können jetzt eine Vorbereitung für mögliche Probleme der Gasversorgung in der kommenden Heizperiode sehen, die einer Bevorzugung der Versorgung der Haushalte auch wegen der kapitalistischen Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der aus Industrieproduktion geschöpften Gewinne in Frage stellt.
Am Donnerstag, den 19. Mai, hat der Nationalrat – wohlgemerkt einstimmig, also mit Unterstützung der gesamten Opposition – eine von Abgeordneten der Volkspartei (u.a. Graf) und der Grünen (u.a. Disoski) eingebrachte Änderung des Energielenkungsgesetzes beschlossen. Diese soll „Endverbrauchern“ von Erdgas (also Industrieunternehmen und Haushalten) Planungssicherheit gewähren. Konkret heißt das, dass Industrieunternehmen Gas kaufen können, das sich noch in den Speichern befindet. Derartig privat besessenes Gas (bis zu 50% des Vorjahresverbrauches), die ab dem 27. April dieses Jahres von Gas verbrauchenden Unternehmen für sich eingespeichert wurden, sind dem Zugriff der Regierung auch in einer Situation des Versorgungsengpasses (nach Gesetz: einer Situation der „Energielenkung“ durch den Staat) entzogen und können lediglich im äußersten Falle gegen entsprechende monetäre Entschädigung (auch des Entfalls der in der Industrie geschöpften Gewinne) vom Staat zu anderen Zwecken requiriert werden.
Inwieweit im Ernstfall nun auf die geschützten Gasmengen privater Unternehmen zugegriffen würde, wird mindestens durch eine Rhetorik des „Frieren für den Frieden“ in Frage gestellt. Die Kontrolle des essenziellen Rohstoffs Gas wird nun teilweise in die Hände der Kapitalisten gelegt – der Beschluss des Nationalrates entzieht somit Gasmengen der Kontrolle des Staates. Das Schaffen von „Planungssicherheit“ für Industrieunternehmen untergräbt die Möglichkeit der Regierung, die Grundversorgung privater Haushalte zu priorisieren.
Die letztendliche Entscheidung über die Lieferung oder Nichtlieferung von Gas wird jedenfalls bei den ArbeiterInnen des Gasnetzes liegen, die die Ventile jener Rohre steuern, die entweder zu Industrieunternehmen oder in die Wohnviertel abzweigen. Wir fordern, dass die Organisationen der Arbeiterbewegung, zuallervorderst die Gewerkschaft der ChemiearbeiterInnen der OMV, ihre Möglichkeit auf Kontrolle der Gasversorgung wahrnimmt und Planungssicherheit für die eigene Klasse schafft. Ob die gespeicherten Gasmengen an Industrieunternehmen oder an die Haushalte gehen, obliegt schlussendlich der Entscheidung der ArbeiterInnen in den gasversorgenden Betrieben.
(Funke Nr. 204/31.5.2022)