Seit Dezember 2022 müssen viele PatientInnen etwas erleben, das bis vor kurzem noch undenkbar war: Wichtige Medikamente stehen nicht mehr zu Verfügung und sind bis auf Weiteres nicht lieferbar. Miriam Van den Nest über die neueste Krisenerscheinung.

Zurzeit sind 610 (Stand: 10.02.2023) Arzneimittelspezialitäten in Österreich nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Dazu zählen unter anderem Antibiotika oder fiebersenkende Arzneimittel, vor allem für Kinder, ein Ende ist noch nicht in Sicht. Nicht nur Österreich ist davon betroffen, auch in anderen Ländern, wie beispielsweise Deutschland (derzeit 411 Lieferengpässe), Schweiz (385), Belgien (380) oder Spanien (403) ist die Lage nicht besser.

Wie kommt es nun zu solch eklatanten Mängeln in unserer Grundversorgung? Die Entwicklung der Pharmaindustrie ist symptomatisch für die heutige Epoche des Kapitalismus: Seit Jahren findet in der Pharmabranche eine zunehmende Monopolbildung statt, „Big Pharma“ kauft kleinere Unternehmen und deren Patente auf. Bereiche mit zu geringer Profitmarge werden abgestoßen. In Forschung und Entwicklung wird hingegen wenig investiert, dies ist teuer und mit finanziellem Risiko behaftet. Ob und welche neuen Arzneien entwickelt werden, hängt im Kapitalismus allein vom Profitpotential der Forschungsinvestition ab.

Monopolisierung und subventioniertes Marktversagen

Die zunehmende Monopolisierung betrifft auch die Produktion – viele Medikamente werden nur noch an wenigen Standorten hergestellt, was zur Abhängigkeit von einzelnen Produktionsstätten führt. Cephalosporine (eine weltweit eingesetzte Antibiotikaklasse) werden beispielsweise nur noch in drei Werken in China hergestellt. China hat mit 40% den größten Anteil aller weltweiten Antibiotika-Exporte, über 90% der Antibiotika bzw. deren Rohstoffe kommen mittlerweile aus Indien oder China. In Europa und den USA werden nur noch im Sandoz Werk Kundl (Tirol) nicht-patentgeschützte Antibiotika produziert. Nach monatelangen Erpressungen, das Werk mit 4.500 Beschäftigten zu schließen, entschloss sich das Management den Standort für 150 Mio. € zu erneuern, ein Drittel der Investitionssumme zahlen Bund, EU und Land Tirol. Novartis, der Mutterkonzern von Sandoz, erzielte im Jahr 2021 21,3 Mrd. € Profit.

Monopolisierung der Produktion und lange Lieferketten in Kombination mit einer möglichst geringen Lagerhaltung provozieren Ausfälle. Zusätzlich machen sich Händler die divergierende Preispolitik einzelner Nationalstaaten zunutze: Sie kaufen und verkaufen Medikamente um Handelsgewinne zu erzielen. Selbst die staatlichen Subventionen an Sandoz in Tirol scheinen dabei ohne jede Lieferverpflichtung des Werkes an die Finanzgeber erfolgt zu sein.

2017 kam es im weltweit einzigen Werk für Piperacillin zu einem Unfall und schon hing die weltweite Versorgung von Krankenhäusern am seidenen Faden. Oder 2022 in den USA: Ein tragendes Abbott-Werk in Michigan zur Milchpulverproduktion wurde mit tödlichen Säuglingsinfektionen assoziiert und geschlossen. Dies führte zu leeren Milchpulverregalen im gesamten Land.

Unterm Strich ist das Pharma-Business ein sehr ertragreiches Geschäft, das der Logik des kapitalistischen Marktes unterworfen ist – gesundheitliche Bedürfnisse hin oder her. So verlangen Pharmafirmen zur „Lösung“ der Engpässe eine Erhöhung der Medikamentenpreise. Betrachten wir aber die Profite der Unternehmen – die drei Top Unternehmen (Novartis, Pfizer, J&J) hatten 2021 einen Nettogewinn von jeweils über 20 Mrd. € – wirkt es eher so, als ob der Mangel genutzt wird, um noch mehr herauszupressen. Bereits Anfang des Jahres kündigte Bayer-Chef Oelrich in der Financial Times an, sich vom „innovationsunfreundlichen“ Europa abzuwenden. Firmen wie GSK drohen wegen zu hoher Abgaben mit einem Rückzug aus Großbritannien. Selbst die von Apothekern geforderte Aufstockung der Lagerbestände ist den Unternehmen noch zu teuer. Die Selbstanalyse der Konzerne lautet: zu wenig staatliches Geld, zu niedrige Medikamentenpreise (v.a. in Europa) und zu hohe Auflagen. Welche Medikamente, wo und wann produziert werden und wo sie zu welchem Preis an wen verkauft werden – Pharmaunternehmen werden sie im Sinne der Profitmaximierung beantworten, unbeeindruckt von Menschenleben, die davon abhängen. Appelle an moralische Verantwortung sind sinnlos.

Statt Protektionismus: Plan!

Zur Behebung des Problems soll eine Rückverlagerung der Produktion erfolgen, auch die SPÖ fordert „Made in Austria“. Diese Forderung geht am Problem vorbei: Das einzige Antibiotikawerk Europas steht bereits in Tirol. Protektionistische Illusionen lösen das Problem nicht. Fakt ist, dass das Profitprinzip versagt. In diesem „besten aller Systeme“ sind nicht mal mehr in den reichsten Ländern Grundbedürfnisse gesichert. Egal wo produziert wird: Bei der Organisierung der Gesundheitsversorgung haben die kapitalistische Profitlogik und die Anarchie des Marktes vollkommen versagt.

Entscheidend ist nur, wer die Kontrolle über Forschung, Produktion, Lagerhaltung und Vertrieb ausübt und nach welchem Prinzip dies organisiert wird. Eine von ArbeiterInnen und Pharmazeuten demokratisch geplante Medikamentenproduktion würde von einem Grippewinter nach zwei Jahren Lockdown nicht überrascht, sondern wäre darauf vorbereitet. Medikamente würden nicht nach der Profitabilität und Häufigkeit einer Krankheit produziert, sondern abhängig davon, wie dringend sie von Menschen benötigt werden. Nur wenn die gesamte Gesundheitsversorgung, inklusive der Pharmaunternehmen, vergesellschaftet und unter Kontrolle der ArbeiterInnen geführt wird, nur wenn wir die Kontrolle über den gesamten Prozess haben, kann eine Versorgung gewährleistet werden, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

(Funke Nr. 211/21.02.2023)


Unsere Arbeit kostet Geld. Dabei sind wir exklusiv auf die Unterstützung unserer LeserInnen und UnterstützerInnen angewiesen. Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, zögere nicht und lass uns deine Solidarität spüren. Ob groß oder klein, jeder Betrag hilft und wird wertgeschätzt.

Der Funke  |  IBAN: AT48 1513 3009 5102 5576  |  BIC: OBKLAT2L

Artikel aus der Kategorie