Eine ernsthafte Arbeitszeitverkürzung ist eine Lebensnotwendigkeit für die Arbeiterklasse, die sich – im Unterschied zur Vergangenheit – nur mit radikalen Klassenkämpfen gegen die Bürgerlichen durchsetzen lassen wird, meint Martin Halder.
2020 präsentierte die Sozialdemokratie den Vorschlag einer 32-Stunden-Woche bzw. 4-Tage-Woche, der vorsah, dass die Arbeiter sich diese zum größten Teil selbst bezahlen sollten: Rendi-Wagner argumentiert für Lohnkürzungen von 6,6%, der ÖGB sogar von 10%. Im Gegensetz dazu stellt Andi Bablers Forderung einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich einen Schritt nach vorne dar.
Arbeitszeitverkürzung in der Nachkriegszeit
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einigten sich SPÖ und ÖVP auf weitgehende Lohnzurückhaltungen bei der Arbeiterklasse, um die kapitalistische Wirtschaft und ihre Profite wieder in Gang zu bringen. In den Anfängen des Wirtschaftsaufschwungs verhielten sich ÖGB und SPÖ sehr zurückhaltend bei Forderungen nach Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. Letztere bezeichnete der damalige ÖGB-Präsident Johann Böhm 1955 als „Gefahr für unseren Export“, bevor nicht alle anderen Industrienationen Europas eine derartige Reform vollzogen hätten.
Erst als die wirtschaftliche Stabilität vollends garantiert war, erhöhten die Gewerkschaften den Druck in dieser Frage. 1959 kam es schlussendlich zur ersten Senkung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden und von 1970 bis 1975 schrittweise zu einer Reduktion auf 40 Stunden. Die 40-Stunden-Woche wurde, wie jede relevante Reform damals, in sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen durchgesetzt. Der ausschlaggebende Druckpunkt war ein Volksbegehren, das für dieses Anliegen 900.000 Unterschriften sammelte.
Die letzten Verbesserungen bei der Arbeitszeit waren die Erhöhung der gesetzlichen Urlaubszeit auf vier (1977) und fünf (1984) Wochen sowie die Verkürzung der Wochenarbeit in einzelnen Branchen (z.B. Metall-Sektor) auf 38,5 Stunden ab 1985.
Diese Reformen wurden auf Grundlage eines gigantischen Wirtschaftsaufschwungs umgesetzt, ohne die Profite und Wettbewerbsfähigkeit der Kapitalisten zu gefährden.
Babler und seine Unterstützer führen nun die steigende Produktivität der letzten Jahrzehnte an, um zu argumentieren, dass eine Wiederholung dieser Reformen möglich ist. „Spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre hätten wir den nächsten Schritt zur Arbeitszeitverkürzung machen müssen“, so Babler. Doch dass es seit fast vierzig Jahren keine Reform – sondern sogar eine Reihe an Konterreformen – bei der Arbeitszeit gab, liegt weder an fehlenden Konzepten oder Vorschlägen seitens der Sozialpartner, noch handelt es sich dabei um ein nationales Phänomen.
Krise des Kapitalismus
Mit der Krise von 1973/74 ging die größte Boomphase in der Geschichte des Kapitalismus zu Ende. Mit etwas Verzögerung wurde auch Österreich von der Krise erfasst. Die Überproduktion – die Grundlage für jede kapitalistische Krise – verstopfte den Markt und hemmte die Entwicklung der Produktivkräfte.
Am deutlichsten drückt sich diese langgezogene, organische Krisenentwicklung in der Entwicklung der Produktivität (wie viel Wert innerhalb einer Arbeitsstunde produziert wird) aus – der Lebenslinie des Kapitalismus. In Österreich betrug das jährliche Produktivitätswachstum von 1950-74 ganze 4,94%, von 1975-84 noch 2,42% und 1985-2019 wuchs sie nur noch um 1,54% (Daten: Momentum Institut).
Das Resultat dieser Krisenentwicklung ist, dass die Kapitalisten, statt in die Arbeitsproduktivität zu investieren, immer direkter die Arbeiterklasse – Löhne und Arbeitszeit – angreifen, um ihre Profite vermehren zu können. 1997 kam es zu weitreichenden „Flexibilisierungen“ der Arbeitszeit, zur Einführung der Durchrechnungszeiträume von bis zu einem Jahr (teilweise auch länger). In dieser Zeit müssen die Unternehmer geleistete Überstunden nicht bezahlen bzw. können sie als Freizeit abgelten und es dürfen bis zu 50 Wochenstunden gearbeitet werden (in acht aufeinanderfolgenden Wochen). Die Pensionsreform von 2003 erzwang die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. 2007 wurde die 60-Stunden-Woche (für 24 aufeinanderfolgende Wochen) ermöglicht, welche 2018 durch die Einführung des 12-Stunden-Tags zur allgemeinen Höchstarbeitszeit wurde.
Das Hauptziel dieser „Flexibilisierung“ ist eine Verlängerung der Arbeitszeit bei Vermeidung der Zahlung von Überstunden. 2022 wurde sogar ein Rekordwert erreicht: Insgesamt wurden 47 Mio. Überstunden – im Wert von 1,2 Mrd. € – weder durch Bezahlung noch durch Zeitausgleich abgegolten. Hinzu kommt die anhaltende Inflation, die die Bürgerlichen dazu nutzen, um die Reallöhne zu drücken.
Klassenkampf organisieren
Die Entwicklung der Produktivität der letzten Jahrzehnte lässt keine konsensuale Arbeitszeitverkürzung wie in den 1970er zu, im Gegenteil: Das Kapital verdichtet die Arbeitszeit, weitet sie zeitlich aus und drückt die Reallöhne.
Das zeigt selbst eine der wenigen kollektiven Arbeitszeitverkürzungen der letzten Jahrzehnte: 2020 wurde im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (ehemals SWÖ) die Arbeitszeit von 38 auf 37 Wochenstunden verkürzt, ohne Lohn- oder Personalausgleich. Das Resultat war, dass sich die Beschäftigten diese „Verkürzung“ durch Arbeitszeitverdichtung selbst bezahlten.
Der Krisenkapitalismus kann nur weitere Arbeitsbelastungen bieten. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zulasten der Profite kann nicht herbeiverhandelt, sondern nur erkämpft werden. Dieses Verständnis gilt es in den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse mehrheitsfähig zu machen.
- Für eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Für die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation.
- Die Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe. Teilzeitkräften muss ermöglicht werden, auf eine 32-Stunden-Vollzeit aufzustocken.
- Für die Arbeiterkontrolle der Arbeitszeitverkürzung: Beschäftigte wissen am besten wie Ressourcen und der Arbeitsablauf am besten zu organisieren und zu verteilen sind.
(Funke Nr. 214/24.05.2023)