Österreichs Kapitalisten setzten im globalen Wettbewerb auf „das Beste aus beiden Welten“. Die Exportwirtschaft ist völlig in den Europäischen Wirtschaftsraum integriert. Gleichzeitig bestehen enge Verflechtungen mit Russland. Von Willy Hämmerle.

Seit dem EU-Beitritt 1994 haben sich die Exporte in die EU vervierfacht, in dieser Zeit hat sich die Wertschöpfungsquote im Export (d.h. der Anteil der Wirtschaftsleistung, die exportiert wird) von ca. 25% auf knapp unter 40% erhöht. Insgesamt gehen über 70% der österreichischen Exporte in die EU (+ Schweiz), alleine 30% nach Deutschland. Kurz: die österreichische Industrie ist vom EU-Markt und vor allem von der deutschen Wirtschaft abhängig.

Ein Schlüssel für diesen Erfolg war billige Energie. Gas fließt bereits seit 1968 aus der damaligen Sowjetunion nach Österreich. Der Anteil an Gasimporten aus Russland erreichte zeitweise bis zu 80%, so auch wieder in diesem Jahr. Die EU verlangt aber, dass dies beendet wird.

Von der imperialistischen Expansion der 1990iger…

Der Zusammenbruch des Stalinismus in den späten 1980er Jahren und die Zerschlagung Jugoslawiens einige Jahre später öffnete für Österreichs Kapital ein Bonanza an der eigenen Türschwelle. Der Kapitalexport nach Osteuropa explodierte und drehte die Handels- und Kapitalsexportbilanz, Gewinne aus den Ostmärkten flossen nach Österreich. In der Weltwirtschaftskrise ab 2008 offenbarte sich dies erstmals als Achillesferse, Österreichs Banken standen vor dem Kollaps und mussten vom Staat gerettet werden. Auf der Suche nach rentablen Anlagemöglichkeiten drangen die österreichischen Banken immer weiter nach Osten vor und erwirtschaften seitdem einen satten Teil ihrer Profite v.a. am Balkan, in Russland und der Ukraine. Die Raiffeisenbank etwa erwirtschaftet zurzeit 62% ihres Gesamtgewinnes in Russland.

So bettete sich die österreichische Wirtschaft in die allgemeine Ausweitung des Welthandels, der so genannten Globalisierung, ein. Die endgültige Erschöpfung des Nachkriegsaufschwungs hat diese Orientierung nach Außen – die Ausweitung des Exports und den Kapitalfluss Richtung Osteuropa – notwendig gemacht (ein weiterer Ausdruck davon ist die Privatisierung der staatlichen Industrie, die zur selben Zeit rasch vorangetrieben wurde). In den engen Grenzen des Binnenmarktes hat das österreichische Kapital wenig Profitmöglichkeiten vorgefunden.

Diese Expansion bildete die Grundlage dafür, dass die Profite und der relative Wohlstand in den letzten Jahrzehnten stabil bleiben konnten. Mit Ausbruch des Ukrainekriegs und dem Zerfall des freien Welthandels wendet sich nun das Blatt. Die ehemals privilegierte Marktposition ist heute ein riesiger Risikoposten, und Österreichs Kapital ist zu schwach, um eine Lösung zu finden.

…zur Fragmentierung des Welthandels

Das Sanktionsregime des Westens bringt das hochprofitable Russland-Geschäft in Gefahr. Die Exporte sinken, aber vor allem ist wegen den Sanktionen oft unklar, wie die im Land erzielten Gewinne zurück auf die österreichischen Konten kommen sollen.

Die hohen Energiekosten setzen die österreichische Industrie extrem unter Druck, nach der Sprengung der Nordstream-Pipelines steht aber die Zukunft der Gasversorgung an sich in Frage. Die einzige verbleibende Pipeline für russisches Gas führt durch die Ukraine, deren Regierung bereits angekündigt hat, den bestehenden Durchleitungsvertrag ab Ende 2024 nicht mehr verlängern zu wollen. Dass die Regierung keinen Plan hat, dieses Problem zu lösen, trägt zusätzlich zu den Kopfschmerzen der Unternehmer bei.

Es lauern noch weitere Schwierigkeiten am Horizont. China ist Österreichs zweitwichtigster Importpartner und liefert eine Reihe von Schlüsselgütern, so etwa medizinische Güter/Wirkstoffe und Hightechprodukte. Zentraler ist aber die Abhängigkeit Deutschlands vom freien Welthandel.

Der sich zunehmend verschärfende Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China setzt die deutsche (und damit die österreichische) Industrie von beiden Polen unter massiven Druck: Mehr Zölle und Protektionismus (zum Beispiel in Form von massiven staatlichen Subventionen der USA, um Hochtechnologieunternehmen ins eigene Land zu holen) stehen auf der Tagesordnung und lassen Deutschland zunehmend ins Hintertreffen geraten.

Vor Rezession

Obwohl die ATX-Konzerne im letzten Jahr ihren Gewinn verdoppelt haben ist es also kein Wunder, dass die österreichischen Kapitalisten nicht gerade hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Tatsächlich stagniert die Wirtschaftsleistung (BIP) seit Mitte des letzten Jahres, im letzten Quartal ging sie sogar zurück. Diese Flaute ergibt sich aus der tiefen Krise des Kapitalismus, wie sogar die Bürgerlichen zugeben müssen: „Die Eintrübung der Konjunkturaussichten ist strukturell, nicht saisonal“, sagt der Chefökonom der Industriellenvereinigung und ihr Generalsekretär schießt nach: „Von der Weltwirtschaft sind keine Impulse zu erwarten, auch hier herrscht eine Wachstumsschwäche.“ Ihre optimistischeren Einschätzungen sehen einen Aufschwung „bestenfalls“ im kommenden Frühjahr und verorten die Rezession bereits vor der Tür.

Lösen ließe sich dies nur durch die „Reduktion von Abhängigkeiten“ – das ist für ein kleines Land wie Österreich und selbst für Deutschland völlig unmöglich – und die „Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit“. Wenig überraschend soll letzteres auf Kosten der Arbeiterklasse geschehen. Statt über Unsinnigkeiten wie einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, solle die Gesellschaft lieber darüber nachdenken, wie die „ungenutzten Potenziale bei der Erwerbsquote älterer Personen“ genutzt werden können (Produktivitätsbericht 2023). Übersetzt heißt das: Pensionsantrittsalter erhöhen und den Zugang zu Sozialleisteungen wie dem Arbeitslosengeld erschweren. Insgesamt veröffentlichte der „Produktivitätsrat“ (ein Gremium aus Vertretern der Regierung, der Wirtschaftskammer und – der Arbeiterkammer!) einen Wunschzettel von 47 Maßnahmen, von denen der Großteil darauf hinausläuft, direkt oder indirekt die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zugunsten der heiligen Wettbewerbsfähigkeit zu verschlechtern.

Die Marxisten argumentieren, dass die Frage völlig falsch gestellt ist. Die einzige Lösung der allumfassenden Krise liegt in der Enteignung der großen Banken und Konzerne, ihrer Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle und der Organisation der Produktion entlang eines internationalen gesamtgesellschaftlichen Plans.

(Funke Nr. 216/30.8.2023)


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