Dieses Dokument zu den ökonomischen und politischen Perspektiven wurde im Sommer dieses Jahres verfasst und nach einem längeren Diskussionsprozess auf der bundesweiten Konferenz der Funke-UnterstützerInnen Ende Oktober verabschiedet.

Marxistische Perspektiven 2009:
Wohin geht Österreich?


Vor ziemlich genau 20 Jahren läutete der Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer den Zusammenbruch des Stalinismus ein. Der Kapitalismus schien damit den entscheidenden Sieg davon getragen zu haben. Für große Teile der Linken fiel mit der Mauer die ganze Hoffnung auf eine andere Welt. Die Folgen dieser Krise, welche nachhaltig die gesamte ArbeiterInnenbewegung getroffen haben, sind bis heute schmerzlich spürbar. Vor dem Hintergrund der grenzlosen Euphorie im bürgerlichen Lager und des Katzenjammers in der Linken stellte unsere Strömung die These auf, dass die Krise des Stalinismus nur das Vorspiel einer noch viel schwereren Krise des Weltkapitalismus sei.

Mit dem Ende des Stalinismus kam nicht das Ende der Geschichte und auch kein neues Goldenes Zeitalter, in dem der Menschheit weltweit Wohlstand und Friede zukommen sollte, sondern ganz im Gegenteil die turbulenteste Phase der Weltgeschichte, die vor allem von ökonomischer, sozialer und politischer Instabilität geprägt ist.

Mit der Weltwirtschaftskrise, der größten seit Anfang der 1930er Jahre, wurde dem ganzen Bild ein neues Element hinzugefügt, das die Perspektive von einer Epoche von Revolutionen und Konterrevolutionen auf globaler Ebene enorm verstärken wird.

Rezession in Österreich

Der österreichische Kapitalismus konnte sich aller Schönfärberei durch die Regierung und die Riege der Wirtschaftsexperten zum Trotz nicht vor dieser Krise abschirmen und steckt in der schwersten Rezession seit 1945. 2009 wird die Wirtschaft um rund 4 Prozent schrumpfen. Derzeit gehen die Wirtschaftsforschungsinstitute davon aus, dass der freie Fall der Wirtschaft abgefangen ist und die Talsohle erreicht wurde. Dies erfolgt im Gleichklang mit einigen wichtigen Handelspartnern, wie z.B. Deutschland, wo die jüngsten Zahlen von einem minimalen Wachstum im Vergleich zum vorangegangen Quartal ausgehen. Die weltweiten Staatsinterventionen spielten dabei eine wesentliche Rolle: Nur durch die beispiellose Vergabe von Staatsgarantien, Banken- und Konjunkturpakete und einer Flut an billigen Krediten konnte ein neues 1929 verhindert und der freie Fall der Weltwirtschaft durch die größte Fiskalintervention seit dem zweiten Weltkrieg gestoppt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein anhaltender neuer Aufschwung auf dieser Grundlage möglich ist, denn anstatt, wie in einer Krise üblich, ausreichend Kapital zu vernichten, wird stattdessen Kapital künstlich am Leben erhalten und die Krisensituation damit nur weiter hinausgezögert. Die wahrscheinlichste Perspektive für die Weltwirtschaft ist deswegen eine Periode der Stagnation. Für 2010 wird von einer Stagnation der Wirtschaft ausgegangen. Die Arbeitslosigkeit ist jedoch auf das höchste Ausmaß seit 1953 gestiegen. Und dabei beginnt die Krise erst jetzt auf dem Arbeitsmarkt voll durchzuschlagen. Für Österreich wird 2009 ein Anstieg der Arbeitslosenrate auf 6% und 2010 auf 7,1% erwartet. Die Zahl der offenen Stellen war im Frühjahr im Vergleich zu 2008 mit 27.439 um 33,1% niedriger. Ende April betrug die Zahl der Arbeitslosen in Österreich 322.409 Personen (+24,2% zum Vorjahr). Dramatisch vor allem der Anstieg bei den Jugendlichen: 34,2%.

Die Frage der Arbeitslosigkeit ist von enormem politischem Sprengstoff. Die SPÖ und der ÖGB versuchten bisher mit Kurzarbeit die Krise durchzutauchen, also mit einer Form der von der öffentlichen Hand finanzierten Arbeitszeitverkürzung bei Lohneinbußen von ca. 10-40 Prozent. Im Sommer 2009 gibt es bereits mehr als 60.000 KurzarbeiterInnen in mehr als 300 Betrieben. In Kapitalkreisen mehren sich jedoch die Stimmen, die eine unternehmerfreundlichere Regelung befürworten bzw. überhaupt freie Hand beim Stellenabbau wollen. Mit dem Arbeitsmarktpaket II wurde einigen Forderungen der Industriellenvereinigung bereits nachgegeben. Die Unternehmen können dadurch wesentliche Teile der Lohnkosten auf die öffentliche Hand abwälzen. Doch schon macht die Industrie Druck auf die Gewerkschaften „flexibler“ zu sein, d.h. keine Behaltefristen, kein Verbot von Leiharbeit und Überstunden!

Anfänglich schien vor allem die sehr in internationale Produktionsketten integrierte Automobilzulieferindustrie von der Krise betroffen zu sein. Doch die Krise weitet sich längst auf andere Branchen auch aus. Je exportorientierter umso schneller. Österreichs Wirtschaft hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten massiv internationalisiert. Die von vielen „Experten“ vertretene Idee, Österreich würde von der Weltwirtschaftskrise verschont bleiben, hat sich als Luftblase erwiesen. Doch es sind nicht nur die international agierenden Großkonzerne, die die Krise zu spüren bekommen und Personal abbauen. Auch die viel gepriesenen Klein- und Mittelunternehmen (KMU), das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft, die auch ein Gros der Beschäftigung stellen, sind der Krise mittlerweile voll ausgesetzt. Das Wirtschaftsblatt veröffentlichte eine Studie, wonach im Vergleich zum Herbst 2008 die Aufträge der KMU im verarbeitenden Gewerbe um 61,6 Prozent eingebrochen sind. Noch sind Handels- und Dienstleistungsbetriebe relativ stabil, doch auch sie werden sich der Krise nicht entziehen können. 56 Prozent der KMU verzeichneten im letzten Jahr Umsatzeinbußen, 62 Prozent haben weniger Gewinn erwirtschaftet. 40,4 Prozent der KMU haben bereits in den letzten sechs Monaten ihren Personalstand reduziert. 35,3 Prozent planen für Herbst weitere Kündigungen.

Die zentrale Auseinandersetzung rund um das Thema Stellenabbau wird jedoch in den Großbetrieben geführt werden. Seit einem Jahr sehen wir eine Welle des Personalabbaus. In der ersten Runde traf es die LeiharbeiterInnen, die zu Zehntausenden aus der Industrie gekickt wurden. Die Gewerkschaften nahmen dies widerstandslos und stillschweigend einfach hin. Doch längst setzen die Konzerne auch bei den Stammbelegschaften den Rotstift an. Bei Siemens müssen an die 1000 KollegInnen gehen, bei der AUA ebenfalls 1000. Bei anderen Betrieben, wie bei Magna, erzwang das Management Lohnkürzungen bzw. einen schlechteren KV, wie bei der Post AG. Die Strategie des Kapitals brachte Post-Interimschef Jettmar auf den Punkt: „Bei aller berechtigten Hoffnung auf ein Ende der Rezession – der Aufschwung kommt nicht von allein. Österreichs Unternehmen stehen weiter vor strukturellen Herausforderungen und müssen aktiv gegensteuern. Unternehmen, die es jetzt versäumen, alle Möglichkeiten zur Optimierung zu nützen, handeln unverantwortlich.“

Mit anderen Worten: Auf betrieblicher Ebene setzt das Kapital alles daran, die Lohnabhängigen für die Krise zahlen zu lassen. In der Krise wird der kapitalistische Konkurrenzkampf noch härter geführt. Es ist mitunter ein echter Überlebenskampf auf einem kleiner gewordenen Markt. Durchsetzen wird sich nicht zuletzt der, der seine eigenen Lohnkosten senken und billiger produzieren kann.

Während der US-Kapitalismus in den letzten Monaten durch die massive Vernichtung von Jobs bereits wichtige Schritte zur Steigerung der Produktivitätsrate gemacht hat, hinkt der europäische Kapitalismus einmal mehr in diesem Prozess hinterher. Europa hat daher notgedrungen den sozialen Kahlschlag noch vor sich. Dies wird die Klassenwidersprüche in den europäischen Gesellschaften weiter zuspitzen. Dies wird im besonderen Ausmaß auch für Österreich gelten, weil der Wohlfahrtszuwachs aus Osteuropa, der die letzten Jahre ein wesentlicher Faktor zur Stärkung der Position des österreichischen Kapitalismus darstellte, zusehends versiegen wird. Schon im jüngsten „Global Competitiveness Report“ des Weltwirtschaftsforums (WEF) wird Österreich eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit bescheinigt. Dies wird vom WIFO als direktes Resultat der Krise gesehen. Die Bürgerlichen beklagen dabei vor allem „mangelnde Flexibilität bei der Lohngestaltung“ in Form der Kollektivvertragspflicht und die hohen Staatsschulden. Somit sind auch die wichtigsten Ansatzpunkte der Bürgerlichen für die kommende Periode festgelegt. Der österreichische Kapitalismus scheint auf dem absteigenden Ast zu sein und droht durch diese Krise zu einem der schwachen Männer Europas zu verkommen.

Bankenkrise

Im Herbst 2008 schnürte die Große Koalition wie alle anderen Regierungen ein Bankenrettungspaket im Umfang von 100 Milliarden Euro, davon 15 Milliarden für direktes Partizipationskapital. Damals stand das internationale Finanzsystem vor dem Kollaps. Vor allem die exponierte Rolle der österreichischen Banken in Osteuropa drohte das heimische Bankenwesen in den Ruin zu treiben. Die Regierung setzte sich in der Folge auf EU-Ebene für ein eigenes Bankenhilfspaket für Osteuropa ein. Seither wird ein Bild gezeichnet, wonach die Gefahr gebannt sei. Zwar seien die Banken noch sehr rigide beim Vergeben von Krediten, das Crash-Szenario sei aber längst ausgeräumt.

Anfang Sommer hat die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) den heimischen Banken nach einem „Stresstest“ ein gutes Zeugnis ausgestellt und sinngemäß gemeint, die Institute würden relativ locker durch die Krise kommen, „aus heutiger Sicht“ kein Staatsgeld mehr benötigen und selbst bei einer drastischen Verschlechterung der Lage in Osteuropa nicht unter die Eigenkapital-Mindestanforderungen fallen.

Das von der OeNB angenommene „Extremszenario“ wird von internationalen Experten jedoch eher für ein sehr optimistisches gehalten. Es geht davon aus, dass die österreichischen Banken bis Ende 2010 mit 30 Mrd. Euro an Kreditausfällen rechnen müssen. Dann sinkt die sogenannte „Kernkapitalquote“ – d.h. der Anteil der Eigenmittel an den Risikopositionen der Bank – der „Big Six“ (Bank Austria, Erste, RZB, Övag, Bawag und Hypo Alpe Adria) von derzeit 8,5 auf 5,1 Prozent. Das ist zwar mehr als die Mindesterfordernis von vier Prozent (ab der der Bank freilich die Lizenz entzogen werden müsste), was aber von der „Presse“ als alles andere als beruhigend analysiert wird. Immerhin hatte Nationalbank-Chef Nowotny das Bankenrettungspaket damals begründet, dass es darum gehe die Kernkapitalquote auf die „international üblichen“ neun bis zehn Prozent zu bringen und die Institute damit konkurrenzfähig zu halten.

Wenn die Kernkapitalquote drastisch sinkt, dann müsste konsequenterweise auch die Kreditvergabe zurückgefahren werden. Dabei haben schon jetzt viele Unternehmen einen eklatanten Kapitalmangel. Es ist mit einem massiven Anstieg an Insolvenzen zu rechnen. Viele Unternehmen bleiben schon jetzt nur am Leben, wenn ihnen die Banken beträchtliche Kreditsummen nachlassen. Insgesamt haben die Banken 600 Mrd. Euro an Krediten vergeben, rund 290 Mrd. davon in Osteuropa. Selbst die Nationalbank hat sich nun internationalen Untersuchungen angeschlossen, wonach 10 Prozent der Kredite in Österreich und 20 Prozent in Osteuropa faul sein dürften. Das macht ca. 90 Mrd. an Krediten, die für immer verloren gehen dürften. Das Kernkapital der heimischen Banken beträgt rund 55 Mrd. Euro, der „Kapitalpuffer“ irgendwo in der Gegend von 90 Milliarden.
Spätestens 2010 den Banken wohl einen „Kapitalisierungsbedarf“ haben. Der Staat wird dabei um ein weiteres, budgetfinanziertes Hilfspaket wohl nicht herumkommen. Die Banken werden also weitere Milliarden verschlingen, wahrscheinlich sogar mehr als die acht Mrd. Euro an möglichem Partizipationskapital, die noch aus dem letztjährigen Paket offen sind.

Der Nobelpreisträger Paul Krugman sorgte vor einigen Monaten für großen Wirbel, als er einen Staatsbankrott nach dem Beispiel Islands in den Raum stellte. Auch wenn vom Finanzminister abwärts das gesamte Establishment Krugman, der kurz zuvor noch als Koryphäe unter den ÖkonomInnen gehandelt wurde, weil er als einer der wenigen bürgerlichen Ökonomen diese Krise vorhergesagt hatte, als völlig daneben darzustellen versuchte, so dürfte seine folgende Einschätzung der Realität doch sehr nahe kommen: „Ist Österreich dem Untergang geweiht? Natürlich nicht. Es ist nicht so unverschämt fremdfinanziert wie Island oder selbst Irland. Aber es könnte eine Banksicherheitsleistung benötigen, die ernsthaft die Ressourcen des Landes belastet. Was ich also (...) sagte, dass es vermutlich das am höchsten entwickelte Land mit dem größten Risiko aus der Finanzkrise ist, sollte nicht mal umstritten sein."

Langzeitfolgen

Weltweit haben die Regierungen mit einem massiven Staatsinterventionismus auf die Krise reagiert. Zuerst in Form von Bankenrettungspaketen, um das Finanzsystem, das Rückgrat der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, vor dem Kollaps zu bewahren, dann mit riesigen Konjunkturpaketen im Sinne großer Bau- und Industriekonzerne. Die Folge dieser Politik ist ein unvorstellbarer Anstieg der Staatsverschuldung. Einige Staaten wie Island, Lettland oder mehrere osteuropäische Länder wurden durch diese Politik sogar an den Rand des Staatsbankrotts getrieben. Den völligen Absturz konnten sie nur mittels IWF-„Hilfe“ abwenden, diese muss jedoch teuer mit Sozialabbau zurückbezahlt werden.

In den USA ist die Staatsverschuldung auf rund 82% des BIP angestiegen. Durch das Zusammenspiel von geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen wurden schätzungsweise 30% des BIP dazu bereits aufgewendet, um die Krise zu dämpfen. Der IWF geht davon aus, dass die Staatsverschuldung der USA 2010 die 100%-Marke übersteigen wird. Erschwert wird dies durch die niedrige Sparquote der privaten Haushalte in den USA, die hohe Verschuldung der Privaten und den hohen Anteil an öffentlicher und privater Verschuldung bei ausländischen Kapitalgebern. Auf die Dauer ist dieser Weg für die Administration von Barrack Obama nicht gangbar. In Großbritannien hat sich das Budgetdefizit zwischen April 2008 und demselben Monat 2009 verzehnfacht. Der IWF geht auch hier von einem massiven Anstieg der Staatsverschuldung auf 70% des BIP im Jahr 2010 aus. Mittlerweile ist die Nachfrage nach britischen Staatsanleihen so niedrig wie schon seit 10 Jahren nicht mehr. Sollten die internationalen Ratingagenturen Großbritannien herunterstufen, könnte das eine neue Welle von Kurseinbrüchen an den internationalen Börsen einleiten.

In allen entwickelten kapitalistischen Staaten stehen wir heute vor derselben Situation. Dies gilt auch für Österreich. Der Staatsschuldenausschuss warnt bereits jetzt vor den Folgen der ausufernden öffentlichen Verschuldung und fordert die Regierung auf, in den nächsten Monaten ein Sanierungskonzept zu erstellen. Die Staatsschulden dürften schon heuer fast 200 Mrd. Euro erreichen und bis 2011 weiter auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen. Ausschuss-Vorsitzender Bernhard Felderer warnt, dass dadurch die Zinsen steigen werden und damit eine weitere Belastung für Budgets und die Unternehmen droht.

Berechnungen des Staatsschuldenausschusses zufolge würde die Budgetkonsolidierung selbst dann mehr als zehn Jahre dauern, wenn die Wirtschaft künftig stark wächst und der Staat ab 2012 "nur" noch ein jährliches Defizit von einem Prozent des BIP schreibt. Sollte der Schuldenabbau nicht gelingen, drohen laut Felderer höhere Zinsen - und zwar sowohl für den Staat als auch für Unternehmensanleihen. Schon jetzt bezahlt Österreich wegen des Ost-Risikos der heimischen Banken um 0,8 Prozentpunkte höhere Zinsen als Deutschland. Künftig werde der Zinsaufschlag auch von glaubwürdigen Plänen zum Schuldenabbau abhängen.

Schon für den Herbst 2009 drohen erste Sparpakete. In Salzburg und Kärnten soll es für die Landesbediensteten eine Null-Lohnrunde geben. Unter dem Deckmantel „Verwaltungsreform“ droht ein neuerlicher Angriff auf die öffentlich Bediensteten, mit dem die Regierung 3,5 Mrd. Euro einsparen will. Dies wird natürlich auf die Streichung von weiteren Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst hinauslaufen. Gleichzeitig wird ein neuer Versuch unternommen, durch eine Dienstrechtsreform Verschlechterungen bei den LehrerInnen durchzusetzen. Damit allein wird es aber nicht getan sein. In den nächsten drei bis vier Jahren wird die Staatsschuld um 50 Mrd. Euro steigen. Eine Verwaltungsreform, sofern sie nicht einmal mehr am Widerstand der Landeshauptleute scheitert, kann diese Summe auf keinen Fall gegen finanzieren. Schon vor dem Sommer ventilierten ÖVP-nahe „Experten“ die Idee einer Anhebung der Mehrwertsteuer, d.h. einer Massensteuer, die vor allem die Lohnabhängigen und sozial Schwachen überproportional trifft. Rund um diese Fragen werden die Widersprüche zwischen ÖVP und SPÖ wieder voll aufbrechen, weil vor allem der Gewerkschaftsflügel auf die Barrikaden steigen wird. Rund um diese Frage wird auch die Vermögenssteuerdebatte weiter angeheizt werden. Die Stabilität der Großen Koalition wird unter diesen Bedingungen massiv auf die Probe gestellt werden.

„The Economist“ geht davon aus, dass es den Regierungen nur sehr schwer gelingen wird, ihre Schulden wieder zu senken. In der Vergangenheit schafften dies Länder (wie Schweden) nur dank einer starken Exportoffensive. Dieser Weg dürfte in der kommenden Periode aber versperrt sein. Viel wahrscheinlicher ist ein Szenario wie in Japan, wo die Staatsverschuldung seit 1990 von 65% des BIP auf mittlerweile 170% angestiegen ist. Außerdem gibt es kaum Spielraum über weitere Zinssenkungen gegenzusteuern, wie dies Irland in den 1990ern erfolgreich gemacht hat. Vor diesem Hintergrund ist ein neuerlicher Anstieg der Inflation alles andere als ausgeschlossen. Schon jetzt haben die USA die Notenpresse angeworfen, um Staatsanleihen zu kaufen. Für viele Regierungen könnte dies der leichteste Weg aus diesem Dilemma sein.

Diese enorme Staatsverschuldung, und es ist noch lange kein Ende dieser Politik in Sicht, wird über Jahrzehnte die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse negativ beeinflussen. Wenn man die jetzige Ausgangslage mit jener der 1970er vergleicht, als zum letzten Mal alle zentralen Industriestaaten zeitgleich von einer Rezession betroffen waren, sehen wir, dass die Bürgerlichen heute viel weniger Spielraum zur Lösung der Krise haben als damals. Die kapitalistischen Ökonomien in ihrer Gesamtheit, d.h. die öffentlichen Haushalte, die Unternehmen wie auch die privaten Haushalte, sind heute viel höher verschuldet als noch vor 35 Jahren. Diese Last wird den Wiederaufschwung verlangsamen und erschweren. Über Kredite diese Verschuldung zu bedienen wird in Zukunft nicht gerade einfacher werden. Das wird über mehrere Kanäle negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung haben.

In der Vergangenheit hat die öffentliche Hand (inklusive der Kommunen) in einer Reihe von Staaten mit dem Argument der Sanierung ihrer defizitären Haushalte eine enorme Welle der Privatisierung vormals öffentlicher Leistungen losgetreten. Zwar konnten so gewisse Budgetlöcher gestopft werden, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte haben die Privatisierungsgewinne aber bei weitem nicht ausgereicht. Vielmehr handelt es sich bei diesen Maßnahmen um das Erschließen neuer Profitquellen für das Kapital. Mittlerweile ist ein großer Teil des Familiensilbers verscherbelt. In Zukunft wird der Druck auf die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen somit noch stärker werden. Damit wird ein massiver Abbau an sozialen Leistungen, an öffentlichen Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen, im öffentlichen Nahverkehr usw. und weitere Angriffe auf die Beschäftigten in diesen Bereichen erfolgen. Was die Situation der imperialistischen Staaten erschwert, ist die Tatsache, dass in vielen Sektoren mit China und Indien in den letzten Jahren neue Konkurrenten auf dem Weltmarkt aufgetaucht sind, welche vor allem in der Industrie vielen Konzernen das Leben schwer machen.

Es ist durchaus ein mögliches Szenario, dass die Bürgerlichen angesichts dieser hohen Verschuldung ab einem gewissen Punkt die Inflation ankurbeln, um so die Schuldenlast zu vermindern. Eine derartige Entwicklung wäre aber nur eine scheinbare Lösung und ginge mittelfristig mit einer destabilisierenden Wirkung für das kapitalistische Wachstum einher. Es wäre eher ein Verzweiflungsakt aus Sicht der Bürgerlichen. Rückblickend werden die Bürgerlichen diese ausufernde Politik der Staatsverschuldung als unverantwortlich brandmarken. Dass sie nach Jahren der „weniger Staat“- und Nulldefizitideologie von einem Tag auf den anderen zu dieser Politik Zuflucht nehmen, zeigt wie perspektivlos sie angesichts dieser Krise sind.

Wie auch immer, die Folgen der Krise werden in den nächsten Jahren wenn nicht Jahrzehnten die Lohnabhängigen zu zahlen haben. „The Economist“ rät zu schmerzhaften Einschnitten sobald sich die Wirtschaft wieder stabilisiert hat. Zentrale Angriffspunkte werden das Pensionssystem und die Kosten für das öffentliche Gesundheitswesen sein. Schon in diesem Sommer startete das IHS eine Debatte, wonach in Österreich niemand mehr vor 65 in Pension gehen könne. Alle Sonderreglungen, welche die Gewerkschaften gegen den Angriff auf das Pensionssystem unter Schwarz-Blau durchgesetzt haben, sollen fallen. Schon wird auf das Beispiel Deutschland, wo ab 2012 die „Rente mit 67“ gilt, verwiesen. Arbeiten bis zum Umfallen soll zur Devise werden. Die jüngeren Generationen sollen darauf vorbereitet werden, dass es für sie keinen Ruhestand geben soll.
Wir stehen somit vor dem größten Verteilungskampf, den heute lebende Generationen jemals gesehen haben. Die zentrale Frage der nächsten Jahre wird lauten: Wer zahlt für die Kosten der jetzigen Krise? Diese Ausgangsposition lässt über kurz oder lang eine Welle von Klassenkämpfen erwarten, die teilweise auch mit sehr radikalen Mitteln ausgefochten werden. Schon jetzt sehen wir in vielen europäischen Ländern Massendemos, Streiks bis hin zu Betriebsbesetzungen im Kampf gegen Werkschließungen. Diese Entwicklung wird sich auch in Österreich niederschlagen. Die politischen Systeme werden noch instabiler sein als schon bisher, in einem Land nach dem anderen wird das bürgerlich-parlamentarische System von politischen Krisen erschüttert werden. In einer Reihe von Ländern kann dies sogar zu revolutionären Krisen führen – und zwar nicht nur in Lateinamerika sondern auch in Europa!

Konjunkturzyklus und Klassenkampf

In den meisten Kämpfen, die wir in den letzten Monaten in Europa gesehen haben, ging es um die Verteidigung grundlegender sozialer Errungenschaften und oft der Existenzgrundlage in Form des Arbeitsplatzes selbst. Die kapitalistische Krise bedroht den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten. Dies erklärt auch, warum der Wunsch nach einem grundlegenden Systemwandel so weit verbreitet ist. Instinktiv verstehen viele Menschen, dass es eben mehr ist als eine Krise des Neoliberalismus und des Casino-Kapitalismus sondern in der grundlegenden Funktionsweise der Profitwirtschaft liegt. Doch diese Krise wird die Aufgaben der Linken nicht von alleine lösen. Wir dürfen nicht von einem Mechanismus ausgehen, wonach die Krise automatisch zu einem politischen Linksruck führen wird. Selbst ein oberflächlicher Rückblick in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung zeigt, dass es diesen automatischen Zusammenhang zwischen Krise und Radikalisierung der Massen nicht gibt. Vor allem nach verlorenen Kämpfen kann eine Wirtschaftskrise die Bewegung noch weiter zurückwerfen. Steigende Arbeitslosigkeit und wachsende Ausbeutung führen dann eher zu Auflösungserscheinungen in der ArbeiterInnenbewegung. Dies war z.B. nach dem großen Bergarbeiterstreik 1926 in England der Fall oder in noch viel größerem Ausmaß in den Jahren nach der ersten russischen Revolution von 1905. Zu letzterem Beispiel schreibt Trotzki: „Die Revolution von 1905 ist niedergeschlagen worden. Die Arbeiter hatten große Opfer zu verzeichnen. Im Jahre 1906 und 1907 waren die letzten revolutionären Zuckungen. Im Herbst des Jahres 1907 trat die große Weltkrise ein. Das Signal wurde an der New Yorker Börse an einem schwarzen Freitag gegeben. In den Jahren 1907, 1908, 1909 herrschte die schrecklichste Krise auch in Russland. Die Bewegung in Russland ist durch die Krise vollständig totgeschlagen worden, weil die Arbeiter durch die Kämpfe so gelitten haben, dass diese Depression nur niederschlagend wirken konnte. Es wurde bei uns darüber gestritten, ob die Krise zur Revolution führen werde oder zur Hochkonjunktur, und mancher von uns verteidigte damals den Standpunkt, dass die russische revolutionäre Bewegung nur durch eine neue Hochkonjunktur lebendig gemacht werden könne. Und das ist eingetreten. In den Jahren 1910, 1911 und 1912 hatten wir die Besserung und die Hochkonjunktur. Und diese Hochkonjunktur hat die demoralisierten, entkräfteten Arbeiter, die den Mut verloren hatten, wieder gesammelt. Sie erkannten wieder ihre Bedeutung für die Produktion. Und da sind sie zu einem Angriff auf ökonomischem und dann politischem Gebiet übergegangen.“

Umgekehrt kam es auch in Aufschwungsphasen teilweise zu sehr radikalen Bewegungen, beginnend mit den Chartisten in England im frühen 19. Jahrhundert oder das oft genannte Beispiel des Mai 1968 in Frankreich mit dem größten Generalstreik der Geschichte. Wirtschaftlicher Aufschwung hat den positiven Aspekt, dass neue Schichten in die aktive ArbeiterInnenklasse eintreten können (Jugendliche, Frauen, MigrantInnen,...). Diese neuen Schichten würden an Selbstbewusstsein gewinnen, weil sie ihre Bedeutung für das Funktionieren des kapitalistischen Mechanismus erkennen können. Dieser Prozess kann auch ein wesentlicher Faktor zur Stärkung der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sein.

Die kapitalistische Entwicklung ist ohne konjunkturellen Zyklus undenkbar. Diese Tatsache traut sich selbst in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften niemand mehr in Frage zu stellen. Thesen von der Möglichkeit eines krisenfreien Kapitalismus, die in der Nachkriegszeit sehr modern waren, sind längst in der ideologischen Mottenkiste verschwunden. In der revolutionären Bewegung gab es immer wieder Ansätze zu glauben, dass mit der kapitalistischen Krise auch automatisch eine revolutionäre Krise einhergehe. In Wirklichkeit spielen, so Trotzki, im Leben des Kapitalismus die Konjunkturzyklen die gleiche Rolle wie die Zyklen der Blutzirkulation im Leben eines Organismus. Aus dem periodischen Charakter der Krisen lässt sich ebenso wenig die Unvermeidlichkeit der Revolution ableiten, wie sich aus dem rhythmischen Charakter des Pulsschlags die Unvermeidlichkeit des Todes ableiten lässt. Eine solche Debatte gab es bereits auf dem 3. Kongress der Komintern 1921. Die damaligen Vertreter eines ultralinken Kurses (Bucharin, Radek, Thälmann, Sinowjew u.a.) vertraten die These der Kapitalismus sei in eine Phase der permanenten Krise eingetreten, die bis zum Sieg der Revolution andauern würde. Die Gegenposition wurde vor allem von Trotzki eingenommen, der in seinem Referat, das später unter dem Titel „Die wirtschaftliche Weltkrise und die neuen Aufgaben der kommunistischen Internationale“ als Broschüre veröffentlicht wurde, folgende Position einnahm: Auch in der Epoche des Imperialismus gelten die Gesetze, die den Wechsel der Konjunkturzyklen bestimmen. Der Puls hört erst mit dem Tod zu schlagen auf. Aber je nach Art des Pulsschlags, in Kombination mit anderen Symptomen, kann der Arzt bestimmen, ob der zu behandelnde Organismus stark oder schwach, gesund oder krank ist.

Radikalisierung?

Die gegenwärtige Krise zeigt einer wachsenden Zahl von Menschen, dass der Kapitalismus krank ist. Mit dieser Krise werden die alten Weisheiten schwer erschüttert werden. Der Hoffnung, alles würde langsam und in den alten Bahnen sich zum Besseren entwickeln, wird der materielle Boden entzogen. Neue Fragestellungen erfordern neue Antworten. Und die werden teilweise von einer neuen Radikalität gekennzeichnet sein. Wenn wir von Radikalisierung sprechen, dann sollten wir aber auch möglichst konkret sein. Die Streikstatistiken spiegeln dies bisher de facto nicht wider. Nach den großen Streiks des Jahres 2003 gegen die Pensionsreform und die Umstrukturierung der ÖBB pendelten sich die Streikzahlen wieder auf einem extrem niedrigen Niveau ein. Daran hat sich auch in den ersten Monaten der Krise nichts geändert. Und wie könnte es auch anders sein? Ein Drittel der Beschäftigten fürchtet um den eigenen Arbeitsplatz, viele ArbeiterInnen sehen, dass die Auftragslage rückläufig ist. Unter diesen Bedingungen machen ökonomische Kämpfe um Lohnerhöhungen wenig Sinn solange die kapitalistische Logik akzeptiert wird. Wir haben seit dem Frühjahr 2008 aber trotzdem eine Reihe von Lohnkämpfen gesehen. Grund war, dass die UnternehmerInnen zu keinen Lohnerhöhungen bereit waren bzw. überhaupt den KV aufsprengen wollen. Nachdem die UnternehmerInnen am Verhandlungstisch keinerlei Zugeständnissen machen wollten, sah sich die Gewerkschaftsführung gezwungen Kampfmaßnahmen einzuleiten. Dies reichte von Betriebsrätekonferenzen über Betriebsversammlungen (teilweise mit produktionsstörendem Charakter wie bei den DruckerInnen) bis hin zu öffentlichen Protesten. Obwohl die Gewerkschaftsbürokratie wenige Monate zuvor noch Großmobilisierungen dezidiert ablehnte, sah sie sich gezwungen zu einer bundesweiten Demonstration aufzurufen.
Diese Kampfmaßnahmen hatten in der Regel folgenden Doppelcharakter: Für die Gewerkschaftsbürokratie ging es einerseits um das Aufbauen einer Drohkulisse um die Kapitalseite wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen und andererseits darum die eigene Basis, der es um den Erhalt des Lebensstandards geht, zu befriedigen. In erster Linie ging es der Gewerkschaft aber um die Verteidigung der Sozialpartnerschaft. Bei diesen gewerkschaftlichen Protestaktionen zeigten sich die Betriebsräte und die Belegschaften großteils als sehr kampfbereit und entschlossen ihren Lebensstandard zu verteidigen. Wir sehen, dass dies keine Offensivkämpfe sind, denn selbst dort wo es um Lohnerhöhungen geht, wurde dies den Gewerkschaften aufgezwungen, da seit Jahren die Reallöhne und somit die Kaufkraft angesichts von Preisanstiegen sinken. Dazu kommt noch die verstärkte Ausbeutung durch ständige Rationalisierungsmaßnahmen. Es geht also bei den bisherigen Auseinandersetzungen in erster Linie darum, die Verluste in Granzen zu halten.

In der Auseinandersetzung um den KV im grafischen Gewerbe ging dieser Konflikt – nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Provokationen der UnternehmerInnen – aber so weit, dass der Gewerkschaftsspitze die Mobilisierung fast aus den Händen geglitten wäre. Das Fehlen einer organisierten Gewerkschaftslinken war der wesentliche Faktor, dass die Bürokratie letztlich doch noch diese Bewegung unter Kontrolle halten konnte.

Die teilweise sehr kämpferische Stimmung bei diesen Aktionen lässt aber wohl den Schluss zu, dass wir in am Beginn eines neuen Zyklus von Klassenkämpfen stehen. Die Betonung liegt auf Beginn. Wir dürfen bei unserer Analyse des Klassenkampfs nicht übertreiben, gleichzeitig wäre es ein schwerer Fehler dieses erste Stadium der Bewegung nicht zu erkennen nur weil sich die Bewegung noch nicht voll entfaltet hat. Trotzki schrieb dazu einmal: „Schwangerschaft ist auch nach dem zweiten Monat bereits Schwangerschaft. Will man sie beschleunigen, dann führt das zur Fehlgeburt. Aber zum gleichen Ergebnis kann man auch kommen, wenn man die Schwangerschaft nicht wahrhaben will. Man muss jedoch bei dieser Analogie hinzufügen, daß auf gesellschaftlichem Gebiet die Fristen keineswegs so bestimmt sind, wie auf dem biologischen.“

Die Krise mag die Grundlage für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Kampf vorerst zerstören. Doch schon in dieser Phase sehen wir international eine Reihe von sehr radikalen, bitteren Kämpfen gegen Stellenabbau und Betriebsschließungen. In mehreren Fällen sahen wir sogar Betriebsbesetzungen- z.B. in Großbritannien, Frankreich, Belgien oder Italien. In den meisten Fällen akzeptierten die darin involvierten ArbeiterInnen zwar die Logik, dass der Betrieb geschlossen werden soll, doch sie kämpften für höhere Abfertigungen und Sozialpläne. Nur in Ausnahmefällen wurde die Forderung nach Verstaatlichung und ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion erhoben. Diese Kämpfe sind noch isolierte Phänomene, bestenfalls konnten sie regional eine breitere Solidaritätsbewegung auslösen, sie sind aber noch nicht Ausdruck einer verallgemeinerten Bewegung. Auch in Österreich gab es bereits den Fall des Kärntner Metallbetriebs Intercold, der im Herbst geschlossen werden soll, wo die ArbeiterInnen mit Streik und Demos für einen Sozialplan kämpfen. Solche Kämpfe werden sich häufen, wenn die Welle an Stellenabbau einmal richtig zu rollen beginnt. Die MarxistInnen werden diese Kämpfe mit voller Kraft unterstützen und mit den Erfahrungen der Bewegung der besetzten Betriebe in Lateinamerika zu befruchten versuchen. Wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so sind auch diese Kämpfe nicht mehr als erste Vorboten einer erst bevorstehenden Massenbewegung.

Die Krise wird zweifelsohne das Bewusstsein breitester Bevölkerungsschichten hämmern, und das wird die Basis für eine politische Radikalisierung legen. Dies hat zwei Gründe: Erstens hat schon der letzte Aufschwung vielen Lohnabhängigen die Augen bezüglich des Charakters der kapitalistischen Ordnung geöffnet. Der letzte Boom ging voll zu Lasten der Lohnabhängigen. Die jetzige Krise hat das Versagen des Kapitalismus offen gelegt. Dabei handelt es sich aber nicht nur um ein ökonomisches Versagen sondern auch um die Offensichtlichkeit der moralischen Verkommenheit der wirtschaftlichen und politischen Elite in diesem System. Je brutaler und tiefgreifender die Veränderungen im Zuge einer Krise sind desto lebhafter werden die Massen auf die Krise reagieren. Welchen Weg sich diese Reaktion bahnt, hängt dann von der Gesamtsituation in einem Land einschließlich seiner internationalen Beziehungen ab. Diese gilt es für MarxistInnen genau zu analysieren.

Politische Lage in Österreich

Seit mindestens einem Jahrzehnt sehen wir in Österreich einen Prozess, der davon gekennzeichnet ist, dass die Bürgerlichen auf der politischen Ebene eine Regierungsform suchen, die der veränderten Lage in der Ökonomie entsprechen würde. Während die ökonomische Struktur der Nachkriegszeit längst und grundlegend entlang den Interessen des Kapitals umgekrempelt worden ist, scheint das politische System noch immer jenem der 1950er bis 1980er zu gleichen. Wir haben eine formale Sozialpartnerschaft und die SPÖ noch immer oder wieder in der Regierung. Dieser Widerspruch ist den intelligenteren Teilen des Bürgertums sehr wohl bewusst, doch fehlt es ihnen an einer glaubwürdigen Alternative bzw. an der nötigen Durchsetzungsfähigkeit einer solchen.

Das von Wolfgang Schüssel geführte Projekt einer Bürgerblockregierung mit der FPÖ bzw. dem BZÖ nach der Spaltung des „Dritten Lagers“ ist 2006 kläglich gescheitert. Die ÖVP hat durch ihren radikalen Kurs selbst große Teile der eigenen sozialen Basis vor den Kopf gestoßen und hat es noch lange nicht geschafft, diese Krise zu überwinden. 2006/7 waren die durch das schwarz-blau-orange Abenteuer stark geschwächten Bürgerlichen aufgrund der zufälligen Wahlarithmetik gezwungen neuerlich eine „Große“ Koalition mit der Sozialdemokratie einzugehen. Zu gefährlich war außerdem das Schreckgespenst einer SPÖ-Minderheitsregierung und der damit drohenden sozialen Dynamik. Die ganze Strategie der ÖVP war bei dieser Regierungsbeteiligung vom ersten Tag darauf ausgerichtet die SPÖ nachhaltig zu zerstören um dann auf den Trümmern der Sozialdemokratie wieder einen Bürgerblock zu errichten. Diese Perspektive wurde jedoch im Sommer 2008 an der Wahlurne einmal mehr besiegt. Die ÖVP sah ein weiteres Mal keinen anderen Weg als sich als zweitstärkste Kraft in eine Große Koalition zu begeben. Dazu kam das Ausbrechen der größten Wirtschaftskrise seit 1945. Ganz offensichtlich trauten es sich die Bürgerlichen nicht zu diese Krise ohne Einbindung der traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung durchstehen zu können.

Das größte Problem der Bürgerlichen erscheint wohl, dass sie es sich nicht trauen offen gegen die ArbeiterInnenbewegung zu regieren, weil sie die sozialen Folgen dieses Schritts fürchten. Schon nach dem Jahr 2000 sahen wir das Aufbrechen des Klassenkampfs, das 2003 in der größten Streikbewegung seit 1950 gipfelte. Die klassenkämpferischen Traditionen der österreichischen ArbeiterInnenbewegung sind nach Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft tief verschüttet, die SPÖ und der ÖGB sind nur noch der Schatten ihrer einstigen Stärke, trotzdem haben die Bürgerlichen vor der potentiellen Kraft der ArbeiterInnenklasse Angst und wagen noch keinen offenen Frontalangriff. Den Hass und die Verachtung gegenüber den „Roten“ müssen die Bürgerlichen angesichts des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses noch immer schaumgebremst hintan halten.

Dass die Bürgerlichen aber das Ziel im Hinterkopf haben mit Großer Koalition und Sozialpartnerschaft ein für allemal aufzuräumen, das muss der ArbeiterInnenbewegung bewusst sein. Wer – wie Werner Faymann & Co. - eine andere Perspektive vertritt und noch dazu die Hoffnung nährt es könne eine Rückkehr ins Goldene Zeitalter des österreichischen Kapitalismus geben, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er die ArbeiterInnenbewegung ideologisch entwaffnet.

Die Bürgerlichen wollen aber so lange die Krise anhält, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften vor ihren Karren spannen. Sie wollen so nach ihren Vorstellungen auf Kosten der Lohnabhängigen und der Jugend die Krise bewältigen, in der Hoffnung den sozialen Widerstand möglichst gering zu halten. Gleichzeitig nutzen sich die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung ab und können zum geeigneten Zeitpunkt entsorgt werden.
Die Wunschvorstellung der Bürgerlichen ist eine Neuauflage des Bürgerblocks. Welche konkrete Form dieser annehmen könnte, das weiß im bürgerlichen Lager heute selbst noch niemand. Die Grünen kommen in Zeiten der Krise nicht vom Fleck. Sie können über ihre Kernschichten in einigen bürgerlichen Bezirken im urbanen Raum hinaus keine Anziehungskraft entwickeln. Das BZÖ war unter dem staatsmännisch gewandelten Jörg Haider bei den letzten Nationalratswahlen fast zum Zünglein an der Waage und zum potentiellen Koalitionspartner der ÖVP geworden. Doch der Tod von Haider stellt den Anfang vom langsamen Ende dieser Partei dar. Sie wird in den nächsten Jahren noch durch ihre Sonderstellung in Kärnten eine gewisse Rolle spielen und nicht sofort von der Bildfläche verschwinden, aber ihr Überleben in der Bundespolitik hängt sicher an einem seidenen Faden. Sollten das BZO bei den nächsten Wahlen doch den Einzug ins Parlament schaffen, dann würde sie eine gewisse Rolle in der Regierungsbildung spielen.

Die bürgerliche Kraft, die derzeit die größte Dynamik aufzuweisen hat, ist mit Sicherheit wieder die FPÖ. Mit HC Strache hat sie einen neuen „Führer“ mit politischer Zugkraft. Er spielt ähnlich gekonnt wie einst Jörg Haider mit sozialem Populismus und rassistischer Hetze. Strache wetterte gegen das Bankenrettungspaket und forderte, dass Banker ins Gefängnis geworfen gehören und nicht mit Milliardengeschenken belohnt werden dürfen. Dies erklärt den fulminanten Wiederaufstieg der FPÖ auf Wahlebene. Die FPÖ ist derzeit die politische Kraft, die dem offensichtlich vorhandenen Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung, nicht zuletzt in der ArbeiterInnenklasse, einen – wenn auch extrem reaktionären - Ausdruck zu geben vermag. Sehr deutlich wurde dies bei den AK-Wahlen, wo die Blauen vor allem dort überdurchschnittlich gut abschnitten, wo ArbeiterInnen direkt von der Krise betroffen sind (Stellenabbau, Kurzarbeit, Lohnverzicht). Die Krise des Reformismus und das Fehlen einer linken Alternative haben dem Rechtsextremismus einmal mehr den Boden aufbereitet. Bemerkenswert bei all dem ist, dass die FPÖ wieder voll und ganz unter der Kontrolle von Burschenschaftern mit direkten Verbindungen ins braune Lager steht. Der dritte Nationalratspräsident Graf ist nur der provokanteste Ausdruck dessen. Die FPÖ ist dadurch noch keine faschistische Partei, aber an ihren Rändern (z.B. im RFJ) organisieren sich zusehends offene Faschisten. Noch dazu formiert sich im Windschatten der FPÖ die hiesige Neonazi-Szene neu und entwickelte in den letzten Monaten in einigen Bundesländern eine sehr hohe und öffentlichkeitswirksame Aktivität. Der Neonazismus ist sicherlich ein gesellschaftliches Randphänomen, doch wir sollten nicht unterschätzen welche Gefahr von diesen kleinen Stoßtrupps schon heute für Linke, für MigrantInnen und Jugendliche ausgeht. Dass diese Kräfte aber in den Überlegungen der Bürgerlichen bis dato keinerlei Rolle spielen, zeigt die Entscheidung die NVP, welche das DÖW „zumindest als rechtsextrem“ einstuft nicht einmal zu den Landtagswahlen in Oberösterreich zugelassen wurde.

Nach den Erfahrungen mit Schwarz-Blau ist in der ÖVP der Wunsch nach einer Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene sicher enden wollend. Diese Stimmung wird durch die polternden und rülpsenden Burschenschafter im Zentrum dieser Partei sicher noch verstärkt. Als Reserve, die Stück für Stück der Sozialdemokratie, die derzeit wie ein offenes Scheunentor dasteht, WählerInnen wegnimmt, spielt sie für das bürgerliche Lager aber schon jetzt eine wichtige Rolle. In Zukunft kann und wird sie aber auf jeden Fall eine entscheidende Bedeutung bekommen. Das österreichische Bürgertum hat ohnedies eine nur sehr schwache demokratische Tradition. Schon heute sehen wir auch in der ÖVP genügend Tendenzen, die die prinzipielle Offenheit dieser Partei für eine autoritäre Wende demonstrieren. So gab es auf Länderebene z.B. bis zur letzten Landtagswahl in Vorarlberg eine schwarz-blaue Koalition. Ein Blick nach Italien oder Ungarn zeigt, dass die Bürgerlichen unter dem Eindruck der Krise sehr schnell Zuflucht nehmen können zu einem politischen System mit autoritären Herrschaftsformen. Angesichts der Schwäche des österreichischen Bürgertums könnte bei einer Verschärfung der Krise auch hierzulande leicht ein derartiges Experiment gestartet werden. Dies ist aber keine kurzfristige Perspektive. Dem müsste schon ein gewaltiger Schock das Land erschüttern und die ArbeiterInnenbewegung eine schwere Niederlage hinnehmen.

Allgemein können wir zusammenfassen, dass die Bürgerlichen selbst nur aufgrund der Krise des Reformismus relativ stark dastehen. Bei genauerer Analyse zeigt sich, dass die Bürgerlichen sich extrem schwer tun ein stabiles Alternativprojekt zu den Überbleibseln der politischen Ordnung der Zweiten Republik aufzubauen. Insofern sind sie noch immer auf Formen des Klassenkompromisses angewiesen. Früher oder später wird sie angesichts des massiv verminderten ökonomischen Spielraums im Zuge der Wirtschaftskrise diesen Klassenkompromiss aufkündigen müssen. Auf diese offene Klassenkonfrontation wird sich die ArbeiterInnenbewegung vorbereiten müssen. Dabei wird sie jedoch zu allererst mit einem schwerwiegenden Phänomen fertig werden müssen.

Krise des Reformismus

Der Grund dafür, dass sich die Krise nicht schon jetzt in einer allgemeinen politischen Radikalisierung und einem gesellschaftlichen Linksruck ausdrückt, ist vor allem in der politischen und organisatorischen Krise der Linken und der traditionellen Massenorganisationen zu sehen. Es ist die politische Führungskrise der ArbeiterInnenbewegung, die die kommenden Prozesse prägen wird. Die Worte von Trotzki aus dem Jahre 1938 könnten heute treffender nicht sein: „Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats.“

In dieser Wirtschaftkrise wird der traditionelle Reformismus weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen. Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie haben sich in allen Ländern in alter sozialpatriotischer Manier vor den Karren der bürgerlichen Krisenverwaltung spannen lassen. Das Ziel der Sozialdemokratie und gleichzeitig ihr derzeitiges Dilemma in dieser Phase fasste Sozialminister Rudolf Hundstorfer kürzlich in einem Interview treffend zusammen: „Was Sorgen macht, ist die Frage, wie es uns gelingt den Menschen zu vermitteln, was wir für den sozialen Frieden und für eine soziale Balance tun. Damit es nicht zu Unruhen kommt wie in anderen Ländern, dass Menschen auf die Straße gehen. (…) Wir haben natürlich auch von unseren Grundsätzen her nicht immer die Einfachheit wie andere Parteien.“ Mit anderen Worten: Die Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften ist es, die eigene soziale Basis in der ArbeiterInnenklasse ruhig zu halten. Was sie dazu befähigt, ist eben ihre Rolle als traditionelle Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse. Und hier liegt aber auch ihr größtes Problem, denn die Lohnabhängigen haben an die Sozialdemokratie noch immer eine gewisse Erwartungshaltung, weil sie mit ihr bestimmte „Grundsätze“ verbinden, welche die Sozialdemokratie bei aller prokapitalistischen Tagespolitik in Wahlkämpfen und bei Sonntagsreden regelmäßig aufwärmt.

In diesem Zusammenhang möchten wir auch noch mal auf einen Kommentar in der „Presse“ verweisen, in dem die Rolle der Sozialdemokratie aus Sicht der Bürgerlichen treffender kaum dargestellt werden könnte:
„In dieser Zeit höchster Unsicherheit kommt der Sozialdemokratie eine Schlüsselrolle zu. Sie muss den Linksruck in der Bevölkerung, der sich sowohl gegen die Galionsfiguren der Marktwirtschaft richtet – Reiche, Manager und den Geldsektor im Allgemeinen – als auch den Staat glorifiziert, umsichtig kanalisieren, um eine Aus-dem-Bauch-Politik zu verhindern, die nicht nur den Wiederaufschwung beeinträchtigt, sondern auch das Risiko einer Kriseneskalation erheblich vergrößert.

Eine moderne Sozialdemokratie wird einen Teil des Volkszorns abpuffern, indem sie glaubwürdig für den Erhalt der sozialen Netze, für eine solidarische Lastenverteilung und für staatlichen Schutz der Arbeitsplätze eintritt. Gleichzeitig wird eine Bewegung, die längst den Unternehmergeist als eine der tragenden Säulen des Wohlstands begriffen hat, aber auch den Ideen eine deutliche Absage erteilen, die zwar niedere Instinkte befriedigen, aber die Basis der Marktwirtschaft selbst nicht angreifen: etwa, dass Manager oder Wohlhabende per se schuld an der Krise und soziale Parasiten seien. Oder dass Privatisierungen zulasten der Kleinen gingen. Oder dass Umfang und nicht Qualität von Regulierung wichtig sei. Oder dass Regierungen in ihrer Tollpatschigkeit gute Industrielenker abgeben könnten.

Die SPÖ hat in diesen Zeiten also auch die Aufgabe, als stärkste Kraft der Linken die politische Diskussion in jenem Rahmen zu halten, in dem sie mit den Bürgerlichen noch führbar ist. Dann wird es zwar den einen oder anderen leistungsfeindlichen Effekt geben, aber das System, das uns beeindruckenden Wohlstand ermöglicht hat, bleibt im Ganzen leistungsfähig.

Die Art, wie am 1. Mai Stimmung gemacht wurde, war aber – vorhersehbar – mehr Populismus als staatsmännische Aktion und Aufklärungsarbeit. Die Festlegungsscheu des Kanzlers wird immer ärgerlicher: Dass etwa die Steuerdebatte nicht mit kühlem Blut geführt wird, sondern den Charakter einer Strafexpedition gegen die Reichen – wer immer dazugehören mag – angenommen hat, sollte Faymann beunruhigen und handeln lassen. Es wäre durchaus sozialdemokratisch zu sagen, dass Vermögenssteuern, die die Substanz angreifen, auch Arbeitsplätze zerstören, dass aber sehr wohl überlegt werden muss, künftig Gewinne aus Aktien- oder Immobilienverkäufen gerechter zu besteuern.

Stattdessen schweigt Faymann zu der altsozialistischen Klassenrhetorik (die natürlich am 1. Mai auch Tradition hat) mancher Genossen und krallt sich an der von der Industriellenvereinigung geforderten Nulllohnrunde fest. (…)
Das ist das Beunruhigende an der sozialdemokratischen Führung: Sie hat bisher keinerlei Ehrgeiz gezeigt, den Nachweis zu erbringen, dass man sozial und zukunftssichernd zugleich auftreten kann. Stattdessen begnügt sie sich damit, prozyklisch zu agieren: Nachdem die SPÖ in flotten Wirtschaftsjahren auch schon die eine oder andere Stiftung gegründet hat, denkt sie in der Rezession wieder klassisch links darüber nach, die Blutarmut der Wirtschaft mit einem Aderlass der Unternehmen zu beantworten. Das ist nicht Sozialdemokratie, sondern bloß Stimmungsmache.“

Abgesehen von einigen Formulierungen aus der Mottenkiste bürgerlicher SozialistenfresserInnen zeigt dieser Kommentar sehr schön das Problem der Bürgerlichen mit der Sozialdemokratie. Sie müssen sich in Zeiten der Krise auf sie stützen, weil sie es sich selbst nicht mehr zutrauen, den Unmut in der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken. Gleichzeitig können sie sich nicht in ausreichendem Maße auf die „alte Dame“ verlassen, da sie trotz alledem dem Druck der Lohnabhängigen ausgesetzt ist.

Wir haben immer betont, dass die Sozialdemokratie von zwei Seiten unter Druck steht – von den Bürgerlichen (über die Konzernspitzen, über Spitzenbeamte des bürgerlichen Staates usw.) einerseits und von ihrer sozialen Basis aus den Betrieben und Arbeiterbezirken her andererseits. In den letzten Jahren war der Druck seitens der ArbeiterInnenklasse eine vernachlässigbare Größe und spielte eine dementsprechend geringe Rolle in der Politik der Sozialdemokratie. Die Spitzen der Sozialdemokratie waren in allen Ländern dadurch fast zur Gänze dem Druck der Bürgerlichen ausgesetzt. Dies erklärt den massiven Rechtsruck beginnend bei der deutschen SPD und der britischen Labour Party, die für die Parteien in den meisten Ländern zum Trendsetter wurden. Bei den Gewerkschaften drückte sich diese Entwicklung ebenfalls dadurch aus, dass die sozialpartnerschaftlich orientierten Bürokratien die Zügel fest in der Hand hatten, auch wenn sie stärker als die SP-Spitzen auf die Wünsche aus den Betrieben Rücksicht nehmen mussten, was auch tendenziell zu Konflikten mit der Sozialdemokratie führte. In der ersten Phase der Krise stehen große Teile der ArbeiterInnenklasse unter Schock. Die Angst um den Arbeitsplatz überwiegt gegenüber allem anderen. In dieser Phase konnte die Sozialdemokratie auch ungehindert ihre Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus einnehmen. Diese Politik ist aus der Sicht vieler sozialdemokratischer AktivistInnen und WählerInnen, die gleichzeitig beginnen den Kapitalismus als Ganzes in Frage zu stellen, eine weitere herbe Enttäuschung. Dies erklärt auch, warum die Loyalität zur Sozialdemokratie international wie auch in Österreich auf einem historischen Tiefstand ist. Die EU-Wahlen im Juni dieses Jahres haben dies sehr nachdrücklich gezeigt. Auch wenn bei EU-Wahlen teilweise andere Gesetze herrschen, so ist doch ein klarer Trend zu vernehmen, der sich schon bei den Landtagswahlen und AK-Wahlen ablesen ließ.

In einigen Ländern existieren Parteien links der Sozialdemokratie, die über eine gewisse Tradition bzw. Verankerung verfügen. In den meisten Fällen konnten aber auch diese Formationen von der Krise der Sozialdemokratie nicht profitieren. Meist hängt es damit zusammen, dass diese Organisationen selbst ihr Heil in einer reformistischen Verwässerung ihres Programms sehen und die ArbeiterInnenklasse als zentrales Subjekt gesellschaftlicher Veränderung abgeschrieben haben. Dies gilt vor allem für die KPen aber auch für viele neue „Linksprojekte“ wie die NPA in Frankreich. In Österreich gibt es links von der Sozialdemokratie keinerlei relevante politische Kraft. Das jüngste Projekt zur Gründung einer Linkspartei vor den letzten Nationalratswahlen scheiterte kläglich. Es scheint ausgeschlossen, dass zukünftige Projekte, die nicht mehr als eine Addition der heute bereits existierenden „Linken“ darstellen, mehr Erfolg haben könnten.

Nachdem die KPÖ seit Jahrzehnten keinerlei Bedeutung mehr spielt und de facto liquidiert wurde bzw. die restliche Linke mit ihrer zivilgesellschaftlichen Orientierung oder ihrem linksradikalen Sektierertum sich in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend nicht zu verankern vermag, führt kein Weg an der Sozialdemokratie vorbei. Die Differenzierungsprozesse in den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung werden aus heutiger Sicht den wichtigsten Ansatzpunkt für den Aufbau einer starken marxistischen Strömung darstellen.

Die SPÖ war über Jahrzehnte wie ein monolithischer Block. Ansätze für einen linken Flügel nährten sich rein aus der aus biologischen Gründen immer kleiner werdenden Zahl an GenossInnen, die zur historischen Linken (RS, Kreis um Hindels nach 1945) gehörten, und den jungen Wilden aus den Jugendorganisationen vor allem nach 1968 bis in die späten 1980er hinein. Vor allem der Gewerkschaftsflügel FSG blieb gegen diese Projekte weitgehend immun. Die sozialpartnerschaftliche Ideologie korrespondierte noch zu sehr mit der kapitalistischen Realität. Es gab nur vereinzelt Versuche aus der ArbeiterInnenklasse sich dagegen aufzulehnen (siehe die wilden Streiks der späten 1970er oder die Proteste zur Verteidigung der Verstaatlichten Industrie in den 1980ern). Die Bürokratie war jedoch noch viel zu stark, um durch diese Proteste ins Wanken gebracht zu werden. Die Führer der ArbeiterInnenbewegung der 1970er und 1980er (Bruno Kreisky, Anton Benya,…) genießen noch heute ein ungebrochenes Ansehen unter den Gewerkschafts- und SPÖ-FunktionärInnen aber auch in weiten Teilen der Klasse. Mit ihnen verbindet die Klasse ein Goldenes Zeitalter, wo gesichert war, dass es einem besser geht als der Elterngeneration und dass es der nächsten Generation besser gehen wird als der jetzigen. Dieses Bild wurde durch die kapitalistische Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte unwiederbringlich zerrüttet. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der objektiven Grundlage dessen, was wir den Molekularprozess der Revolution nennen.

Von dem einstigen monolithischen Block ist nicht mehr viel übrig geblieben. Der Autoritätsverlust der sozialdemokratischen Führung hat ungeahnte Ausmaße angenommen. Er ist das Resultat einer Politik des spürbaren Versagens die Interessen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend durchzusetzen von über zwei Jahrzehnten. Diese Politik hat die SPÖ von einer Wahlniederlage in die andere geführt – was nur in der Phase der Opposition gegen Schwarz-Blau, als die Klasse einem Frontalangriff ausgesetzt war, abgebremst werden konnte. Dieser relative Wahlerfolg des Jahres 2006 auf der Grundlage eines relativ linken Wahlkampfs hat die SPÖ in die Regierung zurück gebracht. Damit begann aber erst das wahre Dilemma der Sozialdemokratie. Sobald sie wieder in Regierungsverantwortung war, beugte sie sich dem Druck der Bürgerlichen und beging den völligen politischen Ausverkauf, was eine historische Wahlniederlage nach der anderen brachte. Unter diesen Bedingungen spitzte sich der Differenzierungsprozess in der Sozialdemokratie enorm zu. Dass es in dieser Situation nicht zur Herausbildung eines organisierten, linken Flügels kam, ist einzig und allein dem Versagen der Kräfte, die bereits als SP-Linke firmierten, vor allem der SJ-Spitze, zu zuschreiben. Das Fehlen eines subjektiven Faktors ließ der Bürokratie den entscheidenden Spielraum, um durch ein Bauernopfer bzw. einen Personalwechsel an der Parteispitze die Einheit aufrechtzuerhalten.

Der neue Parteivorsitzende Werner Faymann schaffte das nur durch die Wiedereinbindung der FSG und durch einen sehr offensiven Wahlkampf rund um soziale Inhalte (Studiengebühren, Teuerung,…). Dies reichte um den Prozess zur Herausbildung einer SPÖ-Linken zu stoppen. Doch ein Jahr Faymann hat neuerlich die Voraussetzungen für eine schwere Parteikrise geschaffen. War die Krise anfangs ein Element, das den Differenzierungsprozess noch zusätzlich dämpfte, so wird sie beim nächsten Ausbrechen der Parteikrise diesen Prozess zusätzlich radikalisieren. Die Dynamik dieser Entwicklung ist schon jetzt vorhersehbar und in Ansätzen bereits vorgezeichnet. Die SPÖ macht in der Krisenverwaltung die Politik der ÖVP und verzichtet auf eine Politik im Interesse der eigenen Basis (siehe Steuerpolitik, Mindestsicherung,…). Das frustriert die eigenen FunktionärInnen und vor allem die FSG-AktivistInnen und enttäuscht viele traditionelle WählerInnen. Von der anfänglichen Begeisterung für Faymann ist nichts mehr zu merken, es herrscht in den Sektionen und der FSG wieder eine sehr kritische Stimmung vor. Teile der Parteispitze spiegeln das wider. Dies zeigt sich vor allem in der von Landeshauptmann Voves losgetretenen Vermögenssteuerdebatte aber auch auf der FSG-Bundeskonferenz Ende Juni. Um eine regierungskritische Stimmung in der Sozialdemokratie erst gar nicht offen aufkommen zu lassen, etablierte Faymann in der SPÖ ein extrem bürokratisches Regime. Dabei setzt er auch auf seine Position im Bundeskanzleramt und auf seine Beziehung zu bürgerlichen Massenmedien, um (potentielle) interne Opposition im Parlamentsklub oder aus den Bundesländern ruhig zu stellen. Je verheerender jedoch die Wahlniederlagen werden desto stärker wird diese Kritik artikuliert. Zumindest in den eigenen Reihen wird dieser Unmut dann auch wieder offen artikuliert werden. Neuerlich werden die Bedingungen entstehen für die Herausbildung einer SPÖ-Linken. In Kombination mit Arbeitskämpfen oder einem breiten gewerkschaftlichen Widerstand gegen ein drohendes Sparpaket könnte dieser Prozess sogar weit über das bisherige Spektrum einer SP-Linken hinausgehen und in wichtigen Teilen der Klasse eine Verankerung finden. Unter diesen Umständen ist weder das Überleben von Werner

Faymann noch das der Großen Koalition denkbar. Dies wird eine neue Phase der politischen Instabilität in Österreich einläuten.
Sobald die Große Koalition gescheitert ist, wird in der Sozialdemokratie eine Debatte über mögliche Alternativen ausbrechen. Schon heute gibt es aus den Reihen der SPÖ immer wieder auch Aussagen, wonach die „Ausgrenzungspolitik“ gegenüber der FPÖ beendet werden solle. Die SPÖ brauche eine realistische zusätzliche Option zu einer Koalition mit der ÖVP. Nicht zuletzt in Teilen der FSG gibt es Stimmen, die sich für so eine rot-blaue Koalition erwärmen könnten, weil sie die ÖVP als wichtigste Partei des Kapitals und somit als ihren größten Gegner sehen. Bei der FPÖ haben sie vielmehr die Hoffnung, dass diese aufgrund ihres sozialen Populismus und ihres relativ hohen WählerInnenanteils unter Lohnabhängigen für Kooperationen gewonnen werden könnte bzw. in einer Regierung leichter zu entlarven wäre. Aus SPÖ-Landesorganisationen wie Oberösterreich, Salzburg oder der Steiermark kommen solche Aussagen, weil man in einer Koalition mit der FPÖ die einzige Möglichkeit sieht weiterhin oder erstmals die Landesregierung zu stellen. Sollte die SPÖ aber tatsächlich diesen Weg einschlagen, würde diese Sozialdemokratie schwer erschüttern. Große Teile der Partei beginnend bei den Jugendorganisationen würden aufgrund ihrer antifaschistischen Grundhaltung einen absoluten Tabubruch sehen. Vor allem angesichts der Entwicklungen in der FPÖ unter Strache und Graf würde dies in der Sozialdemokratie zu einem lauten Aufschrei führen. Die MarxistInnen würden den Widerstand gegen eine Koalition mit der FPÖ aktiv unterstützen. Gleichzeitig würden wir uns aber gegen einen rein moralischen Protest aussprechen und von einem Klassenstandpunkt aus argumentieren. Das heißt, wir würden uns gegen jede Koalition mit einer bürgerlichen Partei aussprechen und eine SPÖ-Minderheitsregierung mit sozialistischem Programm als einzige wirkliche Alternative propagieren.

Rolle des ÖGB

Eine Schlüsselrolle in den künftigen Entwicklungen wird die Gewerkschaftsbewegung einnehmen. Wie schon Leo Trotzki in einem seiner letzten Schriften über die Rolle der Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs schrieb, stehen die Gewerkschaften in der Krise an einem Scheideweg. Beschränken sie sich auf die Rolle des Hilfssheriffs des Kapitals, der die ArbeiterInnen diszipliniert und ruhig hält, oder werden sie zu einem echten Kampfinstrument der Klasse.

Die ÖGB-Spitze ist mit Beginn der Krise angetreten diese in altbekannter sozialpartnerschaftlicher Manier mitzuverwalten. In gewissem Sinne wurde diese Krise von Foglar & Co. wahrscheinlich sogar als Chance empfunden, das Rad der Zeit zurückdrehen. Neoliberalismus und Casino-Kapitalismus hätten sich völlig diskreditiert, und es habe sich gezeigt, dass der Staat wieder eine wichtigere Rolle bei der Regulierung der Wirtschaft einnehmen müsse. In erster Linie müssten die Gewerkschaften aber einmal die Marktwirtschaft vor dem Kollaps retten. Diese sei noch immer das Beste aller Wirtschaftssysteme, wie im Programmentwurf für den Kongress der Metallergewerkschaft zu lesen ist.

Die Idee von einem starken ÖGB, der über die Sozialpartnerschaft und den Staat, sich seine alte Macht zurückholt, ist aber schnell wieder an der Realität zerschellt. Zwar wurde die oberste Riege der Gewerkschaftsbürokratie wieder von der Regierung verstärkt integriert, was im Ministerposten für Ex-ÖGB-Chef Hundstorfer seine Verkörperung fand, doch in Wirklichkeit entzieht diese Krise einer sozialpartnerschaftlichen Praxis jegliche Basis. Der ÖGB ist angetreten den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Diese Rolle hatten ihm auch die Bürgerlichen zugedacht.

Doch dauerhaft ist diese Linie nicht zu halten, weil mit der Krise ein unvorstellbarer Angriff auf die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Lohnabhängigen einhergeht. Stellenabbau, Lohnkürzungen, Aufbrechen der Kollektivverträge stehen heute in de facto allen Branchen auf der Tagesordnung. Dazu kommt, dass ein schon längere Zeit laufender Prozess der Erodierung der schweren Bataillone der Gewerkschaftsbewegung in den (ehemaligen) staatsnahen Betrieben, die die wichtigste soziale Basis der Bürokratie darstellten und noch immer darstellen, die Gewerkschaften vorerst enorm schwächt. Wir sehen dies massiv bei der Post und der Telekom, abgeschwächt beim Postbus, auch bei der ÖBB und zuletzt bei der AUA, der durch die Krise massiv beschleunigt wird. Das wird den Reformismus in den Gewerkschaften nachhaltig schwächen.

Bereits rund um die Mobilisierungen für die „Wir zahlen Eure Krise nicht!“-Demo am 28. März hat sich gezeigt, dass der ÖGB die eigene Basis nicht dauerhaft wird deckeln können. Auch beim ÖGB-Bundeskongress Anfang Juli, wo ohnedies schon nur ein sehr auserwähltes Publikum aus der Bürokratie und ihrem verlängerten Arm in den (Groß-)Betrieben teilnehmen konnte, spiegelte sich dieses Bild wider. Zum jetzigen Zeitpunkt sind der Klasse aber durch die Folgen der Krise noch Fesseln angelegt. Die meisten KollegInnen wünschen sich ein kämpferisches Auftreten der Gewerkschaft, doch wie kann das angesichts von drohendem Stellenabbau, fehlenden Aufträgen usw. ausschauen?

Da die Gewerkschaften die kapitalistische Logik prinzipiell akzeptieren, darf es auch nicht verwundern, dass sie gegen diese Angriffe kaum nennenswerten Widerstand leisten. Am Verhandlungstisch sind sie fast durch die Bank bereit auch sehr weitreichende Zugeständnisse zu machen. Trotzdem war die Gewerkschaftsbürokratie in mehreren Fällen gezwungen Kampfmaßnahmen zu ergreifen, wie wir bereits weiter oben anhand der Frühjahrs-KV-Runde gezeigt haben. Die KollegInnen, die gegen das Abwälzen der Krise auf die Lohnabhängigen kämpfen wollen, werden von der Gewerkschaftsbürokratie im Regen allein stehen gelassen. Noch scheint die Gewerkschaft also ihre Funktion im Dienste des Kapitals gut spielen zu können. Das ist derzeit das größte Hindernis dafür, dass sich die tatsächliche Stimmung in der ArbeiterInnenklasse auszudrücken vermag.

Differenzierungsprozesse

Dies bestätigt unsere Perspektive, dass wir zuerst durch einen Differenzierungsprozess in den traditionellen Massenorganisationen gehen müssen und gehen werden. Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass wir uns schon in den Anfängen dieses Prozesses befinden. Die kommenden Landtagswahlen in Vorarlberg, Oberösterreich und dann vor allem in Wien werden diesen Prozess enorm beschleunigen und zu einer offenen Krise in der Sozialdemokratie führen. Oberflächlich betrachtet zeichnet sich diese Krise dadurch aus, dass in der ArbeiterInnenklasse politische Apathie bis hin zu einer gewissen Offenheit für rechtsextreme Ideen und Parolen vorherrschen. Diese Differenzierung der Klasse in historischem Maßstab wird dem perspektivlosen Pessimismus in der Linken wieder Auftrieb geben.

Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass die ArbeiterInnenklasse nur auf den Höhepunkten des revolutionären Aufschwungs einheitliche Geschlossenheit erreicht. Unter den üblichen Umständen ist die Klasse alles andere als homogen. Dies ergibt sich allein schon durch die wirtschaftliche Entwicklung selbst, da sich die unterschiedlichen Sektoren und Betriebe unterschiedlich entwickeln. Alles andere kann nur das Ergebnis eines verklärten, unmaterialistischen Blicks auf die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung sein.

Unabhängig von dieser Erkenntnis muss es aber die Aufgabe von MarxistInnen, die progressiven Tendenzen in diesem Prozess zu betonen. Der wichtigste Anknüpfungspunkt dabei sind vor allem jene BetriebsrätInnen und GewerkschaftsaktivistInnen, die sich bemühen ihre Organisationen wieder kampffähig zu machen. Diese KollegInnen haben derzeit alles andere als ein leichtes Leben. Durch das permanente Zurückweichen der Gewerkschaftsbürokratie müssen viele dieser KollegInnen auf betrieblicher Ebene direkt die Konflikte austragen und dem Angriff des Kapitals trotzen. Doch nicht nur befinden sie sich in einer ständigen Konfrontation mit Politik und Kapital sondern in den meisten Fällen auch gegen die eigene Führung. Viele dieser KollegInnen sind isoliert und auf sich alleine gestellt. Es gibt kaum linke Vernetzungen in den Gewerkschaften, geschweige denn eine organisierte Gewerkschaftslinke. Das Fehlen eines sichtbaren subjektiven Faktors erschwert die Arbeit dieser KollegInnen enorm und führt dazu, dass dieser Differenzierungsprozess nur sehr langsam vorankommt. Es ist wie mit einem Maulwurf, der beim Graben seines Weges durch das Erdreich immer wieder auf harte Steinplatten und Betondecken stößt, sich wieder zurückarbeiten muss, um dann wieder mühsam einen neuen Weg zu suchen. Nicht wenige dieser KollegInnen zerbrechen und frustrieren an diesen Widerständen, vor allem an jenen aus den eigenen Organisationen. Trotzdem wird sich in diesen Differenzierungsprozessen eine Schicht von zukünftigen Kadern für eine starke marxistische Strömung herausbilden. Die Aufgabe von MarxistInnen ist es diese Prozesse zu verfolgen, sie aktiv zu unterstützen und zu verstärken. Das beste Instrument dazu sind unsere Ideen und Perspektiven, die wir diesen KollegInnen zugänglich machen müssen.

Wenn der Marxismus eine Wissenschaft ist, dann ist der Aufbau einer revolutionären Organisation eine Kunst. Und ein Teil dieser Kunst liegt in der jetzigen Periode vor allem darin, die stattfindenden Differenzierungsprozesse in der ArbeiterInnenbewegung für den Aufbau einer starken marxistischen Strömung zu nutzen. Die Möglichkeiten dazu werden in der kommenden Periode gehäuft auftreten. Wann immer Belegschaften oder Teile der ArbeiterInnenklasse ihre Interessen verteidigen werden, werden sie auf den mehr oder weniger offenen Widerstand der eigenen Gewerkschaftsführung stoßen. Sie werden daraus die Lehre ziehen, dass sie nur dann ihre Interessen durchsetzen können, wenn sie ein geeignetes Kampfinstrument entwickeln. Dabei führt als erster Schritt kein Weg daran vorbei, die eigene Gewerkschaft zu verändern. Wir haben dies sehr deutlich in diesem Frühjahr bei den Druckern gesehen. Viele andere werden dieselben schmerzlichen Erfahrungen machen müssen. Dieser Weg wird über viele Niederlagen führen, aber auch einen politischen Lernprozess einleiten, in dem die besten Teile der Gewerkschaftsbewegung nach linken Alternativen Ausschau halten werden.

MarxistInnen werden die Aufgabe haben mit diesen KollegInnen Schulter an Schulter zu kämpfen, Solidarität zu organisieren und in gemeinsamen Diskussionen eine Perspektive zu entwickeln. Dabei wird es nicht zuletzt darum gehen die fortgeschrittensten Kampfmethoden aus anderen Ländern auch hierzulande zur Diskussion zu stellen.

Die Jugend ist die Zukunft

Aus marxistischer Sicht nimmt die ArbeiterInnenklasse die strategische Position im Kampf gegen die kapitalistische Herrschaft ein. Sich in der ArbeiterInnenbewegung jetzt zu verankern, wird ausschlaggebend sein, ob die MarxistInnen in einer zukünftigen Bewegung eine Rolle spielen oder nicht. Eine allgemeine gesellschaftliche Radikalisierung, und auf ein solches Szenario müssen wir uns einstellen, wird aber davon gekennzeichnet sein, dass völlig neue Schichten, beginnend bei den Jüngsten, zu kämpfen beginnen werden. Die Jugend ist die Flamme der Revolution, wie schon Karl Liebknecht sagte. Diese Schichten haben de facto keine direkten Erfahrungen mit dem Reformismus gemacht und werden für revolutionäre Ideen sehr offen sein. Eine marxistische Strömung wird sich aus den besten AktivistInnen der alten ArbeiterInnenbewegung, die sich in Opposition zur Bürokratie Richtung Marxismus wenden werden, und aus den kämpferischsten Teilen dieser zukünftigen Jugendbewegung herausbilden und stärker werden. Die Perspektiven der Jugendbewegung sind daher für unsere Strömung ebenfalls von größter Relevanz.

Die vergangenen Jahre waren gekennzeichnet durch das Ausbleiben größerer Jugendbewegungen. Wir haben aber trotzdem die Perspektive aufrechterhalten, dass es jederzeit zu einem Ausbrechen einer solchen Bewegung kommen könnte. Der Grund ist einfach: Die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind auch für die Mehrzahl der Jugendlichen mehr als deutlich spürbar. Diese Gesellschaft kann der Jugend keine Perspektive bieten. In der Schule, der Uni und am Arbeitsmarkt wird der Druck auf die Jugendlichen immer höher. Die generelle Tendenz ist noch immer, dass die Jugendlichen einen individuellen Ausweg suchen. Mangels einer Organisation, die der Masse der Jugend eine Perspektive geben könnte, ist das auch nicht verwunderlich. Dies ist vor allem auf die Schwäche der SJ und der Gewerkschaftsjugend zurückzuführen, deren Führungen zu sehr am Gängelband ihrer Mutterorganisationen hängen, als dass sie dem potentiell vorhandenen Unmut in der Jugend einen politischen Ausdruck geben könnten.

Die SJ hätte aufgrund ihrer Traditionen mit Sicherheit das größte Potential eine starke, linke Jugendbewegung zu organisieren. Warum gelingt es ihr nicht diese Rolle einzunehmen? Es ist weniger die Frage eines bewussten Rechtsrucks in den letzten Jahren, vielmehr hängt es mit ihrer Stellung in und zur Sozialdemokratie zusammen. Wenn die SPÖ in der Regierung ist, dann ist sie natürlich unter dem Druck der Bürgerlichen umso mehr gezwungen oppositionelle Regungen in den eigenen Reihen möglichst zu unterdrücken. Diesem Druck ist die SJ-Führung seit Bildung der Großen Koalition im Jänner 2007 mit Sicherheit verstärkt ausgesetzt. Dazu kommt, dass in der SJ vermehrt Personen in Schlüsselpositionen gekommen sind, die von sich aus keinen konfrontativen Kurs gegen die Parteibürokratie zu fahren bereit sind, was natürlich auch Ausdruck dessen ist, dass die SJ in den letzten beiden Jahren „braver“ geworden ist.

Wir haben im vergangenen Frühjahr aber gesehen, dass unter dem Eindruck von offenen Jugendprotesten die SJ zu reagieren gezwungen ist. Sobald sich an den Schulen was bewegte, kamen auch in der SJ die Dinge in Fluss. Vertrat die SJ-Führung anfangs die Position, man könne einen Schulstreik gegen die rote Bildungsministerin nicht unterstützen, so kam sie seitens der eigenen Basis schnell unter einen derartigen Druck, dass sie auf den Zug aufspringen musste. Die Teilnahme der SJ an diesen SchülerInnenprotesten war ein wesentliches Element, dass sich die Bewegung landesweit auszudehnen vermochte. Das ist ein Vorgeschmack auf kommende Entwicklungen. Es wäre ein schwerer Fehler die SJ nur als Anhängsel des SPÖ-Apparats bzw. als jene bürokratische Maschinerie zu sehen, die mit allen Mitteln bedacht ist, den Einfluss von MarxistInnen zurückzudrängen. Wir müssen uns dafür stark machen, dass die SJ nie und nimmer vom revolutionären Marxismus getrennt wird. Es war ein wichtiges Verdienst unserer Strömung daran mitzuwirken, dass die SJ nicht von den rechten ReformistInnen liquidiert werden konnte und als linkssozialistische Organisation erhalten blieb.

Die Einheit mit dem Linksreformismus ist mittlerweile von der Bürokratie zerstört worden. Würde die SJ den Weg weitergehen, den sie derzeit geht, dann würde sie in der politischen Bedeutungslosigkeit enden. Der Schlüssel liegt jedoch in Jugendbewegungen, die die SJ mitreißen und verändern werden. Die SJ wird sowohl in kommenden Jugendbewegungen wie auch in den Differenzierungsprozessen in der ArbeiterInnenbewegung eine Rolle spielen. Die Zeiten sind vorbei, wo wir Hand in Hand mit der linksreformistischen SJ-Führung kämpfen konnten, ja diese ist in gewissem Maße ein offenes Hindernis für den Erfolg solcher Bewegungen geworden. Offensichtlich wurde das in ihrer Weigerung die Losung einer organisierten SP-Linken aufzugreifen. Unter dem Druck der Ereignisse kann dieses Hindernis jedoch schnell hinweggefegt werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die marxistische Strömung in diesem Bereich selbst ein subjektiver Faktor von nicht zu unterschätzender Relevanz sein kann.

Dieses Frühjahr hat gezeigt, dass vor allem an den Schulen jederzeit eine soziale Explosion stattfinden kann. Diese SchülerInnenbewegung begann ausgehend von Vorarlberg, wo die marxistisch geführte SJ die Initialzündung setzte, als Solidaritätsaktion mit den LehrerInnen gegen eine drohende Verlängerung der Arbeitszeit, entwickelte sich zu einer landesweiten Bewegung für eine Bildungsmilliarde und eine soziale Bildungsreform und nahm an ihrem Höhepunkt einen echten Massencharakter an, was es jeder Organisation verunmöglichte diese Bewegung noch zu kontrollieren. Die Bilder von der Großdemo in Wien Ende April mit 25.000 SchülerInnen auf der Straße zeigten welche Kraft so eine spontane Bewegung entwickeln kann. Nichts auf der Welt hätte diese Energie stoppen können, schon gar nicht wenn eine Organisation dem Ganzen eine klare politische Stoßrichtung gegeben hätte. Schlussendlich musste die Bildungsministerin einen Rückzieher machen, weil man die Jugendlichen nicht noch einmal provozieren wollte. Die Widersprüche im Bildungswesen, die zum Ausbruch dieser Bewegung geführt haben, sind noch immer vorhanden. Der Kampf um den freien Zugang zur Bildung und für eine öffentliche, mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattete Bildung wird in der kommenden Periode immer wieder aufflackern. Und es kann jederzeit wieder zu einer ähnlichen Explosion kommen. Entscheidend wird dann sein, ob sich bis dahin an den Schulen eine starke Linke organisiert hat, die eine solche Bewegung führen kann.

Auf den Unis erleben wir seit Jahren einen neoliberalen Umbauprozesses, der zu unhaltbaren Studienbedingungen geführt hat. Die Unis sind unterfinanziert und dem Bologna-Prozess untergeordnet. Die Masse der Studierenden steht unter einem gewaltigen Druck (Prüfungsstress, Nebenjobs, um sich das Leben finanzieren zu können,…). Die Uni wird von vielen als Durchgangsphase gesehen, die möglichst schnell absolviert werden muss, um dann auf dem Arbeitsmarkt halbwegs eine Chance zu haben und nicht völlig unter prekären Verhältnissen arbeiten zu müssen. Schon heute muss der Großteil der Studierenden neben dem Studium arbeiten. Zukünftig wird ihnen das Los einer lohnabhängigen Arbeit blühen. Nur eine kleine Minderheit wird auf den Unis zur künftigen Elite der bürgerlichen Ordnung gebildet. Der Rest wird auf eine nach den Bedürfnissen des Kapitals etwas höher qualifizierte Lohnarbeit vorbereitet. Das ist die Bedeutung der bürgerlichen Konterreformen auf den Unis. Die SPÖ hat zwar im Zuge der letzten Nationalratswahl im Parlament eine Mehrheit für die Abschaffung der Studiengebühren für den Großteil der Studierenden erreicht, ohne aber gleichzeitig die finanziellen Mittel für den Universitätsbetrieb massiv entsprechend der realen Bedürfnisse der Unis anzuheben. Dies hat aber wiederum den Zustrom zu den Unis verstärkt und die Probleme weiter verschärft. Diese Entwicklung hat zu einer höchst explosiven Situation an den Unis geführt. Lange Zeit bestimmten die Niederlagen der Vergangenheit noch immer das Denken und Handeln der heutigen Uni-Linken. Lange Zeit gab es nicht viel mehr als einige symbolische Protestformen. Ausgehend von den Protesten auf der Akademie der bildenden Künste gegen den Bologna-Prozess entstand aber jetzt spontan eine Protestbewegung, die sich wie ein Lauffeuer auf alle Unis in ganz Österreich ausweitet. Die großen Hörsäle wurden besetzt, Zehntausende gingen auf die Straße, um für bessere Bedingungen zu kämpfen. Dies ist ein hervorragendes Beispiel, dass alle gesellschaftlichen Bereiche von gewaltigen Widersprüchen gekennzeichnet sind, die sich von einem Tag auf den anderen explosionsartig entladen können, selbst wenn über lange Zeit oberflächlich betrachtet alles ruhig erscheint. Solche Erhebungen sind in der allgemeinen Situation angelegt. Auch in dieser Bewegung sehen wir das Überwiegen basisdemokratischer, individualistischer Protestformen. Diese in der Uni-Linken sehr stark verankerten Konzepte führen die Uni-Bewegungen jedoch regelmäßig in die Sackgasse. Der Erfolg oder Misserfolg solcher Protestbewegungen hängt letztlich davon ab, ob die MarxistInnen eine politische Alternative entwickeln und mehrheitsfähig machen können. Die Losungen nach (räte-)demokratischen Kampfstrukturen, aktivem Streik und Ausweitung der Bewegung auf andere gesellschaftliche Gruppen (Lehrende, SchülerInnen, Gewerkschaften) sind die zentralen Eckpunkte für eine derartige Alternative.

Rolle der MarxistInnen

Es ist nicht die Aufgabe von MarxistInnen jeden Tag Krisen, Revolutionen und Kriege vorauszusagen, sondern die Massen und vor allem die bewusstesten Elemente der ArbeiterInnenbewegung darauf vorzubereiten.

Was das heißt, beschrieb Trotzki folgendermaßen: „Die Kunst der revolutionären Führung ist vor allem die Kunst der richtigen politischen Orientierung. Unter allen Umständen bereitet der Kommunismus die proletarische Vorhut und über deren Vermittlung die ganze Arbeiterklasse auf die revolutionäre Machtergreifung vor. Aber er packt das auf unterschiedliche Art an auf den verschiedenen Ebenen des Lebens der Arbeiter und zu verschiedenen Zeiten. Einer der großen Orientierungspunkte ist die Bestimmung der geistigen Verfassung der Massen und die Präzisierung des Grades ihrer Aktivität und ihrer Vorbereitung auf den Kampf. Aber diese Geisteshaltung entsteht nicht durch eine Art Zauberschlag; sie ist den speziellen Gesetzen der Massenpsychologie unterworfen, Gesetzen, die sich gemäß den objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen eines bestimmten Zeitpunkts auswirken. Die potentielle politische Verfassung der Massen lässt sich gewissen Fällen an quantitativen Faktoren messen (die Bedeutung der Auflagenhöhe der Presse, die Häufigkeit der Versammlungsbesuche, Kundgebungen, Streiks, Wahlen usw.)

Um die Dynamik des Prozesses richtig zu erfassen, muss man vor allem bestimmen, in welchem Sinne und unter dem Einfluss welcher Ursachen sich die Geistesverfassung der Massen entwickelt. Wenn man die objektiven und die subjektiven Gegebenheiten kombiniert, kann man mehr oder weniger in der Lage sein, die Entwicklung der Bewegung zu bestimmen, eine wissenschaftlich untermauerte Gesamtschau zu erarbeiten, ohne die jeder revolutionäre Kampf unsinnig wäre. Aber in der Politik darf man die Vorausschau nicht als ein starres Schema betrachten, sondern als Hypothese der Entwicklung der Arbeiterbewegung. Wenn man die Weichen für den einen oder den anderen Weg stellt, ist es unerlässlich, dass man aufmerksam und Schritt für Schritt die Entwicklung der objektiven Bedingungen verfolgt, und je nachdem alle Korrekturen, die sich als notwendig erweisen, sogar auf dem Gebiet der Taktik vornimmt. Obwohl der Ablauf des Kampfes niemals genau den zuvor abgesteckten Bahnen folgt, kann uns das nicht von der politischen Vorausschau entbinden. Wesentlich ist, dass man nicht blind fertigen Schemata vertraut, sondern dass man den historischen Prozess dauernd überwacht und sich all seinen Lehren gemäß verhält.“ (Trotzki, „Dritte Periode“..., S. 24f.)

MarxistInnen können sich nicht auf den Gang der Dinge verlassen. Noch einmal lassen wir dazu Leo Trotzki zu Wort kommen: „Wenn einerseits unsere strategische Linie durch das letztlich unvermeidliche Anwachsen der inneren Widersprüche des kapitalistischen Regimes und durch die Radikalisierung der Massen bestimmt ist, so ist es nicht weniger wahr, dass wir hinsichtlich unserer diese Strategie untermauernde Taktik für jede Periode, jede Etappe und jeden Augenblick eine realistische Einschätzung haben müssen, denn es kann zu jeder Zeit auch zu einer Abschwächung der Widersprüche kommen, die Massen können sich nach rechts wenden, und das Kräfteverhältnis kann sich zugunsten der Bourgeoisie verändern usw. Denn wenn sich die Massen unaufhörlich radikalisieren würden, könnte jeder Schwachkopf sie führen. Unglücklicherweise – oder glücklicherweise – ist die Wirklichkeit unendlich komplexer, besonders in der unstabilen, schwankenden, wandelbaren Zeit, die wir jetzt durchlaufen.“
Zentral ist, dass wir gezielt daran arbeiten den revolutionären Marxismus in der organisierten ArbeiterInnenbewegung und der Jugend zu verankern um die Klasse bzw. ihre bewusstesten Teile auf die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten und ihnen zu helfen den Reformismus in all seinen Schattierungen zu überwinden. Das ist für unsere Strömung bestimmende Aufgabe der kommenden Periode.


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