Nachdem im Herbst tausende von StudentInnen Hörsäle besetzt hielten und für ihr Recht auf bessere Ausbildungsbedingungen auf die Straße gingen, ist es Zeit Bilanz zu ziehen, um für die bevorstehenden Proteste gegen den Bologna-Gipfel in Wien vorbereitet zu sein.

Bilanz der Proteste vom Herbst

Obwohl anfangs eine erstaunliche Dynamik die Bewegung der aus ihrer Starre erwachten StudentInnen auszeichnete, war nach einigen Wochen davon nicht mehr viel übrig. Weil es nicht gelang in der Hochkonjunkturphase genug Druck und effiziente Strukturen aufzubauen, blieben nennenswerte Ergebnisse aus. Trotz einer monatelangen Besetzung des Audimax und einer von 35.000 Menschen besuchten Demonstation konnten keine Verbesserungen der Situation österreichischer Studierenden erwirkt werden. Der Bologna-Prozess steht vor der Vollendung seiner Umsetzung, der in Ungnade gefallene Wissenschaftsminister Hahn konnte bequem einen Posten in Brüssel beziehen. Seine Nachfolgerin, Beatrix Karl, spricht schon von neuen Einschränkungen der Studienfreiheit, die die Realität an den Universitäten unabdingbar mache.

Bologna-Prozess & Lissabon-Strategie

Auch wenn die Proteste in ihrer Wirkung vielleicht nicht das brachten, was von mancher/m erwartet wurde, so muss den StudentInnen doch zugestanden werden, dass sie den Kern des Problems erkannt hatten: Sie machten den von der europäischen Industriellenvereinigung unterstützten Bologna-Prozess, für ihre Misere verantwortlich. Zudem erkannten sie, dass dieser nur ein Teil eines größeren Plans, der Lissabon-Strategie war, dessen wesentliches Ziel die Ökonomisierung der Bildung war.

In Zeiten einer von Krisen gebeutelten Wirtschaft sollen die Universitätsjahre nicht dazu dienen, den eigenen Horizont zu erweitern. Die (Aus)bildung soll nur kurz dauern. Gelernt werden soll nur, was auch später im Job tatsächlich benötigt wird. Während des Studiums sollen die Studienrenden großem Druck ausgesetzt sein, damit sie auch in der Arbeitswelt stressresistenter agieren. Dieser Traum europäischer Großindustrieller manifestierte sich schließlich in der Lissabon-Strategie und, spezifischer, im Bologna-Prozess. Einen (zu recht als niedere Qualifikation angesehenen) Bachelortitel zu erhalten, soll das Hauptziel der Masse der Studierenden sein. Zum Master-Studium werden nur mehr herausstechende StudentInnen ausgewählt. Nebenbei erspart sich der Staat Geld, weil die Kinderbeihilfe ab dem ersten erhaltenen Titel eingestellt wird, also nicht mehr wie beim Magistertitel fünf volle Studienjahre, sondern nur mehr drei finanziert werden.

10 Jahre Bologna-Prozess – (K)ein Grund zu feiern?

Anfang März wird nun das 10-jährige Bestehen des Bologna-Prozesses gefeiert, in Budapest und Wien. Am 12. März werden sich die BildungsministerInnen der 46 am Prozess teilnehmenden europäischen Staaten in der Wiener Hofburg versammeln. Die Ehre diese denkwürdige Veranstaltung abhalten zu dürfen fiel Österreich zu, da sich unser Staat als ein Musterschüler bei der Umsetzung der Kernpunkte der Lissabon-Strategie erwies.

Demo & Gegengipfel

Gerade nach dem vergangenen „heißen Herbst“ birgt die Selbstbeweihräucherung der europäischen Rechten und ihrer Hintermänner aus dem Großkapital Konfliktpotenzial. Die StudentInnen mögen großteils den aktiven Kampf zurückgeschraubt haben – ein Neuaufleben der Proteste im Zusammenhang mit dem Bologna-Gipfel im März ist jedoch nicht unwahrscheinlich.

Es gibt bereits Pläne, am Donnerstag, 11. März, eine Demonstration durch Wien zu veranstalten, die auch an der Hofburg vorbeiführen soll. Das Ziel ist es, die Feierlichkeiten bestmöglich zu stören. Zudem wird von den StudentInnen selbst ein Gegengipfel veranstaltet werden. Dort soll es in zahlreichen Workshops die Gelegenheit zu Diskussion und Organisation geben. Auch die Frage eines Studierendenstreiks steht nach wie vor im Raum, wird sich aber höchst wahrscheinlich - wenn überhaupt - nur bei wenigen Studienrichtungen realisieren lassen.

Wiener Deklaration

Das wohl wichtigste Projekt des Gegengipfels wird es sein, eine Deklaration auszuarbeiten, die eine tatsächliche Alternative zur derzeitigen Politik vorschlägt: Weg von Ausbildung hin zu wahrer Bildung im Interesse der Gemeinschaft und nicht zur ökonomischen Verwertbarkeit. Auch um die StudentInnen in Zukunft zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Bildungsabbau zu vereinen, ist es zentral, dass der Gegengipfel einen pogrammatischen Output in Form einer Wiener Deklaration hat. Diese darf sich nicht auf eine Analyse der Schwachstellen des aktuellen Systems beschränken, sondern muss auch aktiv Alternativen vorschlagen.

Die Weichen für die Zukunft stellen

Der Protest im Herbst – und vor allem sein ergebnisloser Ausklang – hat eine Generation Studierende politisiert, aber zugleich viele KollegInnen desillusioniert. Trotz maßgeblicher Bemühungen und auch Demonstration der Stärke wurde von der Politik auf ihre Wünsche und Bedürfnisse keine Rücksicht genommen. Den Aktionen im März, insbesondere dem Gegengipfel, kommt daher eine wichtige Rolle zu: Er wird entscheiden, ob die Kräfte der StudentInnenschaft noch einmal mobilisiert werden können. Maßgeblich wird dabei sein, ob StudentInnen Mut zur Utopie zeigen, und ob sie ihren Kampf in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext sehen, oder sich darauf beschränken allein die unmittelbaren Verschlechterungen des Bachelor-Master-Plans anzuprangern und dessen Rücknahme zu fordern.
Viel wird davon abhängen, ob es uns gelingt an den Unis eine starke, organisierte Linke zu etablieren.

Weitere Infos zu den Protesten unter: www.bolognaburns.org


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