Während sich die Unternehmer in der chemischen Industrie die hohen Profite in die eigene Tasche stecken, fällt für die Beschäftigten nur ein sehr kleines Stück vom Kuchen ab. Gleichzeitig steigt der Arbeitsdruck. Um einen hohen Lohnabschluss zu erreichen brauchen wir zuerst eine kämpferische Gewerkschaft. Von Emanuel Tomaselli.
Alle Geschäftszahlen der chemischen Industrie sprechen für einen hohen Lohn- und Gehaltsabschluss:
• Die Top-116 österreichischen Chemie-Betriebe haben im abgelaufenen Jahr einen Jahresüberschuss von 1,3 Mrd. € erzielt. Das ist ein Plus bei den Gewinnen von 70,7 % im Vergleich zu 2009. Borealis z.B. konnte in den ersten neun Monaten von 2011 seinen Nettogewinn auf 448 Mio. € mehr als verdoppeln. Die Lenzing AG steigerte den Gewinn in diesem Zeitraum um 77,5 %.
• 95 % des Gewinnes in der chemischen Industrie wurden an die Eigentümer und Muttergesellschaften ausgeschüttet. Nur ein sehr geringer Teil wird für Investitionen verwendet, und bei diesen steigt der Anteil, der für den Kauf von Finanzanlagevermögen (z.B. Wertpapieren) bestimmt ist, immer mehr.
• Die Rate von Lohnzahlungen und Gewinnausschüttung beträgt 1:0,77. Sprich die 45.000 Beschäftigten der Chemieindustrie bekommen für ihre Arbeit gemeinsam nur ein Viertel mehr als die paar hundert Eigentümer und Großaktionäre.
• Das Produktivitätswachstum pro Beschäftigten betrug in der abgelaufenen KV-Periode 13,1 %, der Personalaufwand pro Beschäftigtem ist gleichzeitig nur um 4,6 % gestiegen, womit die Unternehmen immer mehr aus den Beschäftigten herauspressen.
• Gleichzeitig steigt der Anteil der LeiharbeiterInnen auf ein Rekordniveau (2700). Die Anzahl der Lehrlinge (etwa 1000) in der Branche stagniert mit leicht rückläufiger Tendenz.
Die Gewerkschaft kann angesichts dieser Zahlen bei den KV-Verhandlungen in die Offensive gehen und auf den Tisch klopfen. In der Vergangenheit wurde die Lohnforderung von der Gewerkschaft immer wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Heuer hat man sich an den Metallern ein Vorbild genommen und ist mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung von 5,8 % in die Verhandlungen gestartet. Das ist ein wichtiger Schritt, um in den Betrieben Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen.
Die Unternehmervertreter ließen die ersten drei Verhandlungsrunden platzen, obwohl es nach der zweiten Runde bereits Betriebsversammlungen gab. Wie in vielen anderen Branchen auch, treten in der chemischen Industrie die Hardliner unter den Unternehmern immer offener auf. Ein geleaktes Mail eines Kärntner Chemieunternehmers macht die Einstellung vieler Unternehmer deutlich: Man solle die Gewerkschaft ins Leere laufen lassen, sie ihre Routine-Rituale abspulen lassen. Sogar einen eintägigen Warnstreik könne man leicht wegstecken.
Für eine kämpferische Gewerkschaft
Mit einer Protestkundgebung vor der Firma Borealis Polyolefine in Schwechat versuchte die Gewerkschaft Druck aufzubauen und einen neuerlichen Verhandlungstermin zu erzwingen. Für den 11. Mai wurden erste Warnstreiks angekündigt. 800 Kolleginnen und Kollegen, darunter viele von der Borealis, zeigten sich dabei auch kampfbereit. In den Gesprächen bei der Kundgebung machten viele deutlich, dass ein guter Lohnabschluss nur mit einem Streik durchzusetzen sein wird.
Es mehren sich aber die Anzeichen, dass die Gewerkschaftsspitzen in der chemischen Industrie nicht mit voller Entschlossenheit für die 5,8 % kämpfen wollen. Noch immer steckt man in der Logik fest, dass die Lohnforderung ohnedies nur das Anfangsgebot ist, beide Seiten im Zeichen der Sozialpartnerschaft ein wenig nachgeben sollen, und man so zu einem für beide Seiten akzeptablen Abschluss kommt. Das war aus der Rede von Kollegen Artmäuer, dem Chefverhandler der PRO-GE, deutlich herauszuhören. Weder bei den Betriebsversammlungen noch in Schwechat waren die 5,8 % ein wirkliches Thema. Während im Metallerstreik die offizielle Lohnforderung von den Kolleginnen und Kollegen als das wirkliche Kampfziel gesehen wurde, versucht die Gewerkschaftsführung in diesem Konflikt gar nicht erst eine große Erwartungshaltung aufzubauen.
Als die Arbeitgeber nach der Demonstration in Schwechat drei mögliche Verhandlungstermine anboten, suchte die Gewerkschaftsspitze genau jenen am 11. Mai aus, an dem eigentlich die Warnstreiks hätten stattfinden sollen. Und während einer Verhandlung zu streiken, ist für Kollegen Artmäuer in alter Sozialpartnerlogik ein Ding der Unmöglichkeit.
Alles deutet also darauf hin, dass die Gewerkschaftsspitze eine Eskalation wie in der Metallindustrie verhindern will. Die 5,8 % sind angesichts der oben angeführten Zahlen keine übertriebene Lohnforderung. Aber es ist offensichtlich, dass Kollege Artmäuer die Taktik der Metallergewerkschaft ablehnt und selbst nicht an das proklamierte Ziel glaubt. Mit einer solchen Führung ist es schwer einen solchen Arbeitskampf zu gewinnen und seine Forderungen durchzusetzen.
Eine solche Verhandlungsführung, mit der die Gewerkschaft selbst unter günstigen Bedingungen Schwäche ausstrahlt, lädt die Arbeitgeberseite nur zu noch aggressiverem Auftreten ein. Dieses Auftreten schwächt die Position der Gewerkschaft, und die Rechnung müssen die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben zahlen.
Wir stehen heute vor der Frage, wie die Gewerkschaft die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter durchsetzen kann. Betriebsversammlungen und Protestkundgebungen, wie jene in Schwechat, sind aus der Sicht der Gewerkschaftsspitze tatsächlich nicht viel mehr als ein Ritual, das es braucht um die Arbeitgeber zum Verhandeln zu bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass aus dem Ritual ein ernstzunehmender Arbeitskampf wird. Der erste Schritt kann sein, dass wir den Betriebsräten deutlich machen, dass wir die offizielle Lohnforderung unterstützen und bereit sind dafür zu kämpfen. Wenn dazu auf der Betriebsversammlung sogar ein Antrag eingebracht und abgestimmt wird, umso besser. Mit einem solchen Antrag sollten wir außerdem von der Gewerkschaft fordern, dass jeder Abschluss unter diesem Wert durch eine Urabstimmung legitimiert werden muss.
Um unsere Interessen gegen die Unternehmer durchzusetzen, müssen wir zuerst die Gewerkschaft wieder zu einem Kampfinstrument machen.
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