Die Krise macht auch den Medienkonzernen zu schaffen. Phillip Widhalm wirft einen kritischen Blick auf den bürgerlichen Zeitungsmarkt.

Ein großer Aufschrei der Empörung ging durch die deutschsprachige Presselandschaft, als die wirtschaftsliberale Financial Times Deutschland sowie die Frankfurter Rundschau ihre Schließung nach Jahren eingefahrener Verluste verkündeten. Wird die Ausschaltung eines Konkurrenten im kapitalistischen Wettbewerb üblicherweise mit Schadenfreude zur Kenntnis genommen, folgte auf die Insolvenz beider Blätter ein Hilferuf der bürgerlichen Medien, mit der impliziten Warnung, die Qualität der Presse sowie die für eine Demokratie essentielle Medienvielfalt sei bei weiteren Verlagsschließungen in Gefahr. Nicht auszudenken was passieren würde, sollte die Bildzeitung als Maßstab des Qualitätsjournalismus par excellence und unverzichtbarer Bestandteil deutscher Volksbildung („Unglaublich: Vom Dackel der Schwiegermutter entmannt", „Bundesgerichtshof: Jetzt darf jeder Pimmel sagen") eines Tages womöglich ihre Publikation einstellen. Das Manöver jedenfalls erinnerte stark an das Verhalten der Banken nach Ausbruch der Wirtschaftskrise 2007 ff, als die Institute geeint ihren Canossagang antraten, um sich vom Staate zum Leidwesen des Steuerzahlers sanieren zu lassen. Und siehe da, einer nach dem anderen trug seinen Forderungskatalog ganz offen vor, der Präsident der Zeitungsverleger Helmut Heinen forderte die Abschaffung der Mehrwertsteuer, sein Kollege Dietmar Wolff ein stärkeres juristisches Regulativ zur Ausweitung der Leistungsschutzrechte im Internet und die politischen Parteien aller Couleur übertrumpfen sich tagtäglich mit neuen Ideen zur Rettung des Meinungspluralismus. Und auch die herrschende Meinung bekennt sich zur Meinungsvielfalt, wobei es sich um die Meinung der Herrschenden handelt, die ihr Recht auf Vervielfältigung ihrer Meinung verteidigen.

Nichtsdestotrotz droht die Systempresse an ihren eigenen – kapitalistischen – Widersprüchen zu scheitern, wird von ihr doch wahrhaftig höchste journalistische Qualität bei geringsten Kostenaufwand erwartet. Beispielhaft sei erwähnt, dass auf den Rückgang der verkauften Auflagen (siehe Tabelle) sowie dem Einbruch der Werbeeinnahmen bei vielen Verlagshäusern eine 2stellige Renditeausschüttung gegenübersteht. Was auf Dauer wortwörtlich auf die Substanz gehen muss. So kommt es also, dass die Journaille trotz wohlwollender Berichterstattung über den Kapitalismus von ihm letztendlich ausgeblutet wird. Niemand kann auf Dauer am freien Markt vorbei schreiben, die Konkurrenz aus dem Internet verschlafen und zusätzlich zehn-prozentige Renditen abwerfen, ohne vor die Hunde zu gehen- that’s the rule.

Die Presse

Bestes Bespiel für den Zeitenwandel bietet das Zentralorgan der österreichischen Bürgerlichen, die „ Presse", wohlbekannt für ihren rabiat-liberalen Stil, ihren besserwisserischen Diktus und ihr aggressives Auftreten für die Mehr-Markt Lehre. Der täglich mit Stolz gedruckte Zusatztext „Frei seit 1848" soll an die mit Musketen erkämpfte Pressfreiheit erinnern und dem Leser redaktionelle Unabhängigkeit suggerieren, während das Blatt in Wahrheit nicht einmal die kleinste Schlagzeile ohne der Absegnung der Eigentümer, vertreten durch den Chefredakteur, druckt. Gleich einem mittelalterlichen Gaukler hat man jedoch gelernt, nach der Pfeife des Geldes und der Macht zu tanzen und gleichzeitig sein Publikum – systemkonform – zu unterhalten. Doch weder kriecherischer Artikel und konsequenter Parteinahme für Industrie und Finanz noch eine mit großen unbezahlten Aufwand der Redakteure erschienene Sonntagsausgabe konnten die aktuelle Sparrunde verhindern, der ganze 26 Lohnschreiber zum Opfer fallen, unter anderen Franz Schellhorn und Michael Fleischhacker, die aktivsten und loyalsten Schreibstrichmädchen der hiesigen Bourgeoisie. Und weil dem Kapitalisten nichts heiliger ist als der Profit, lässt er auch mal treue Weggefährten über die Klinge springen, wenn sie der Kapitalakkumulation im Wege stehen. Unser löchriges Arbeitsrecht verführt einem geradezu, altgediente Journalisten zu entsorgen und durch neue „Freie"-Unfreie zu ersetzen. Selbst die früher einer Verbeamtung gleichkommende Spezialistenausbildung und damit einhergehenden Unersetzbarkeit im Unternehmen– das größte Kündigungshindernis für den Arbeitgeber-, gehören mit der systematischen Heranzüchtung von Journalisten-Klonen an den FHs längst der Vergangenheit an. Da der universitäre Output größer als die Nachfrage nach akademischer Arbeit ist, reißen sich die Absolventen um jedwedes Angebot, und sei es nur ein unbezahltes Praktikum. Auch hier ist die findige „Presse" anderen Massenmedien schon einen Schritt voraus. Ganz social-entreprenuer, um einen anglistischen Euphemismus für miese Arbeitgeber mit freundlichem Gesicht zu verwenden, werden Praktikanten nach bestandenen Aufnahmeverfahren nicht nur nicht bezahlt, sondern müssen bezahlen, um arbeiten zu dürfen. Hier ereignet sich ein in der Geschichte einzigartiges Ausbeutungsverhältnis, das seinesgleichen sucht. Sogar die Slavedrivers von Missisippi hätten in Angesicht dieses Fortschrittes sprachlos ihren Hut gezogen. Übrigens lässt sich die Presse trotz der konsequenten Forderung nach Abschlankung des Staates natürlich nicht nehmen, die höchsten (sic!) Presseförderungen des Bundes zu lukrieren (im Jahre 2010 knapp 2,8 Mio. Euro).

Boulevard

War man bestrebt, in der Medienbranche eine Maximalrendite bei vergleichsweise niedrigen Ausfallrisiko zu lukrieren, investierte man bevorzugt in den als sicheren Hafen geltenden Boulevard- wie die deutsche WAZ bei der Beteiligung an der österreichischen Mediaprint (Krone,Kurier). Der scheinbar unstillbare Hunger der Leserschaft nach seichten Informationen gespickt mit reißerischen Storys ermöglichte eine jahrzehntelange ununterbrochene Marktexpansion, die mit Ausbruch der Krise 2007ff ihr Ende nahm.

Doch der Boulevard ist als Organismus mit Massenschwarmintelligenz gegen widrige Umweltbedingungen resistenter als eine Kakerlake. Vergleicht man die Verkaufszahlen der heimischen Krone mit sich selbst titulierenden „Qualitätsmedien", ist die Kronenzeitung trotz herber Verkaufsrückgänge immer noch unangefochtener Erstplatzierter in Reichweite und Auflage, während beispielweise Presse und Standard, deren Zielgruppe hauptsächlich Akademiker sind, am Kiosk ein Schattendasein fristen und nur am Wochenende beliebt sind. Über die Ursachen des Leserschwundes bei der Krone wird aber weiterhin viel spekuliert. Ob das Dahinscheiden des Haus-und Hofdichters Wolf Martin letzten Jahres eine Mitschuld trägt, darf man bezweifeln, obwohl den Stimmungsmacher gegen Andersartige, der bei Gelegenheit Hitlers Geburtstag feiernd in den Wind reimte und Homosexuelle diffamierte, bestimmt viele seiner Stammleser vermissen werden. Als Kompensation gegen das entstandene Vakuum treibt es der Hof-narr und Haus-meister des Blattes, Michael Jaennee dafür umso bunter, seine täglichen Kolumnen belehren („Wer alt genug ist zum Stehlen, ist auch alt genug zum Sterben") ein Millionenpublikum nach den Moralvorstellungen eines rechtsrechten Schlechtmenschen. Und weil ihm die linkslinken Gutmenschen in Österreich schon zu seiner Studienzeit suspekt und verhasst waren, hielt er es für angebracht, für 4 Jahre nach Argentinien zu emigrieren, wo der Militärdiktator Rafael Videla dafür sorgte, unliebsame Gewerkschafter und Sozialisten verschwinden zu lassen.

Die Krone hält sich als zweites Standbein zur Sicherung ihrer Marktmacht eine eigene Tochter, die kostenlose Heute-Zeitung. Wer bereits in den Genuss der Lektüre dieses Klatschblattes kam, wird sich an Karl Kraus erinnert fühlen, als er schrieb: Keine Gedanken haben und unfähig sein, sie auszudrücken: das ist Journalismus. Künstlich am Leben erhalten wird diese Verblödungsmaschine unter anderem durch Querfinanzierungen des Bundes und der Stadt Wien, riskieren diese sonst bei Nichtbezahlung des „Schutzgeldes" negative Berichterstattung und damit ihre Wiederwahl- frei nach dem Motto: „Kohle her oder ich ruiniere deinen Ruf!" (siehe Falter: So funktioniert der Boulevard 30/11) und ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert- zumindest für Revolverblätter, haben sie selbst im Falle einer juristischen Verurteilung bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten nur geringe Geldbußen zu befürchten, die in keinem Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen und meist einen Bruchteil der durch eben dieser Nachricht erhöhten Verkaufsauflage ausmachen.

Aber man kann den Niedergang der bürgerlichen Printmedien beschleunigen, mit einem klassischen Boykott zum Beispiel:



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