Das Thema Bildung wird dieser Tage wieder heiß diskutiert. Der jüngste Pisa-Bericht wurde soeben veröffentlicht und Schulreformen beschäftigten die aktuellen Regierungsverhandlungen. SchülerInnen rüsten gegen das Benotungssystem der Zentralmatura zum Streik und die AHS- und BHS-LehrerInnen schäumen ob der Verschlechterungen durch das neue Dienstrecht. Die Schule könnte zum Brennpunkt eines Winters der Unzufriedenheit werden. Eine Analyse der Funke-Redaktion.

Das österreichische Bildungsbudget beträgt im Jahr etwa 8 Mrd. €; ca. 80% dieses Betrages fließt in Löhne und Gehälter. An die Banken fließt pro Jahr etwa gleichviel, in den nächsten Jahren dank der Bankenrettung sogar deutlich mehr.

Wenn die Bildung eine Bank wäre…

Die grundlegende Idee, die hinter dem neuen LehrerInnendienstrecht steht, ist es, Gelder, die bisher in Form von Gehältern gebunden sind, zukünftig für den sonstigen Schulbetrieb freizumachen. Dies wurde auch öffentlich zugegeben: „Um Geld für Schulreformen zu bekommen, brauchen wir ein neues Lehrerdienstrecht mit flacher Gehaltskurve und höherer Stundenverpflichtung.“ (Werner Faymann, Kurier, 6.10.2012). Wenn das neue Gehaltsmodell greift, werden sowohl durch niedrigere Gehälter für AHS-LehrerInnen als auch durch eine allgemein erhöhte Unterrichtsverpflichtung an allen Schultypen rund 12.000-14.000 Dienstposten eingespart werden. Die eingesparten Gehaltskosten belaufen sich auf rd. eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.

Die Schulreform, die man damit finanzieren will, zielt vor allem darauf ab, dass das Bildungssystem standardisierte, arbeitsmarktkonforme Jugendliche in ausreichender Zahl hervorbringt.

Gemessen an der Wirtschaftsleistung sinkt das Bildungsbudget seit Jahren. Wurden 1995 noch 4,3 Prozent des BIP für Schulen aufgewendet, waren es 2008 nur noch 3,6 Prozent des BIP. Das ist ganz im Sinne des neoliberalen Umbaus des Bildungswesens. Geldmittel für notwendige Reformen will die Regierung daher aus dem System selbst lukrieren. Darin liegt die wahre Bedeutung dieser Dienstrechtsreform.

Unser Standpunkt dazu ist klar: Die Schulen brauchen dringend mehr Ressourcen. Die Forderung nach einer Bildungsmilliarde, die schon bei den SchülerInnenprotesten 2009 erhoben wurde, ist eine absolute Notwendigkeit. Wir lehnen jedoch eine Politik ab, die dieses Geld dadurch aufbringen will, indem es beim Lehrpersonal zu Gehaltskürzungen kommt und das Betreuungsverhältnis LehrerIn-SchülerInnen noch weiter ausgedünnt wird. So hebt man die Qualität der Bildung sicher nicht.

Wofür kämpft die LehrerInnengewerkschaft?

Die für die LehrerInnen zuständige Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) kämpft gegen die geplanten Verschlechterungen im Gehaltssystem. Dabei führt sie die gekürzten Stundenbezüge im AHS-Bereich ins Treffen. Dieser Umstand ist nicht zu leugnen. Haben AHS-LehrerInnen bisher einen Verdienst von 57,3 € brutto pro absolvierter Unterrichtsstunde, sinkt dieser Wert nun auf 50,4 ¤. Dies ist eine deutliche Gehaltskürzung. Weil in Zukunft zudem Zulagen entfallen, ist davon auszugehen, dass die Kürzung höher ausfallen wird, und auch LehrerInnen anderer Schultypen treffen wird.

Die Regierung argumentiert, dass die Lebensverdienstsumme gleich bleibt. Diese Aussage ist jedoch falsch. Ministerin Schmied argumentiert, dass durch das höhere Anfangsgehalt die Lebensverdienstsumme gleich bliebe, wenn man eine Verzinsung des Lohnes um 3 % pro Jahr annehme. Diese Argumentation spottet jeder Vernunft und scheint aus einem neoliberalen Schulbuch zu kommen. Seit wann sind potentielle Zinserträge von Löhnen Lohnbestandteile?

Weiters kämpft die GÖD um Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft. Sie argumentiert, dass das Lehrerdienstrecht einem privatwirtschaftlichen Kollektivvertrag vergleichbar ist. Damit hat sie nicht unrecht. In der Forderung, kein Abschluss ohne Zustimmung der Gewerkschaft, und in ihrer inhaltlichen Ablehnung einer Gehaltskürzung ist der GÖD beizupflichten. Stimmen aus der SPÖ und dem ÖGB, dass man nach 34 Verhandlungsrunden endlich einen Kompromiss schließen müsse, sind hingegen entschieden zurückzuweisen. Im Gegenteil: Die LehrerInnen haben bisher gezeigt, dass man mit einer starken Interessensvertretung Verschlechterungen über Jahre abwehren kann. Davon können sich die Gewerkschaften in vielen anderen Sektoren eine Scheibe abschneiden. Argumentationen, wie vom Chef der Postgewerkschaft, dass auch die LehrerInnen Lohnkürzungen hinnehmen müssten, weil die neuen Verträge bei der Post auch Lohnkürzungen von 30 % beinhalten würden, sind lachhaft und machen betroffen. Wir gehen vernünftigerweise davon aus, dass in Österreich weiter Briefe und Pakete versandt werden würden (wahrscheinlich sogar zu einem billigeren Preis), auch wenn die Postgewerkschaft einen effektiven Widerstand gegen die Zerschlagung des alten Post-KV und des gesamten Unternehmens geleistet hätte.

Und die Erfahrung anderer (staatsnaher) Bereiche wie Post und Eisenbahn dürfen den LehrerInnen eine Warnung sein. Ist erst einmal der Widerstand gebrochen, dann tritt der ganze Sektor in eine Abwärtsspirale ein. Es ist klar, dass es nicht bei einem neuen Dienstrecht bleiben wird, sondern dieses in Zukunft permanent verschlechtert wird.

Seite an Seite!

Soweit so gut, und soweit gebührt den LehrerInnen und ihrer Gewerkschaft die volle Solidarität der Gewerkschaftsbewegung. Die Nationalratsabgeordneten aus den anderen Gewerkschaften sollten sich dreimal überlegen, ob sie wirklich den sozialen Verschlechterungen, die ausdrücklich nicht die Zustimmung der Gewerkschaft haben, im Parlament zustimmen. Abgesehen davon, dass es noch keiner Berufsgruppe besser ergangen ist, wenn man die andere bluten ließ, beschreitet hier die Bundesregierung einen Tabubruch, nämlich die Aufoktroyierung von Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber. Diese Idee verfolgen auch andere, etwa die Unternehmer in der Maschinen- und Metallwarenindustrie. Es wäre höchst an der Zeit, dass man im Parlament nicht dem zustimmt, was man in der eigenen Branche bekämpfen will.

Die zweite Agenda der GÖD-Spitze

Von der sozialen Frage des Lehrpersonals zu trennen, ist die Frage der ideologischen Agenda, die einige führende GÖD-Funktionäre offensiv oder implizit verfolgen. Insbesondere die AHS-LehrerInnengewerkschaft geriert sich als Gralshüter einer gymnasialen Elite-Bildung. Sie verstehen sich als Teil einer gesellschaftlichen Elite, die sich im „Gymnasium“ reproduziert. Es sagt schon viel über seine Geisteshaltung aus, wenn der Vorsitzende der AHS-LehrerInnen Ekkehard Quinn die Mitgliederzeitung seiner Gewerkschaft von „AHS“ in „Gymnasium“ umbenannt hat. Sie wehren sich gegen das Dienstrecht insbesondere deshalb, weil sie in ihm den Einstieg in eine Gesamtschule verstehen. Diese GewerkschaftsfunktionärInnen sind stark in der ÖVP, insbesondere in der Wiener ÖVP, verankert, und haben daher einen starken politischen Hebel.

Das Elend des Reformismus

Dieser konservative Sektor hat einen nicht minder verkommenen Gegenspieler in einer SPÖ-Führung, die jahrzehntelang in sozialpartnerschaftlicher Manier den Kampf um Bildungsreformen auf die lange Bank geschoben hat und nun den Sprung von der maria-theresianischen Kasernenschule in die neoliberale Zertifikationsbildung wagen will. Da sie aber den Konflikt mit der ÖVP in dieser Frage weiter nicht weiter offen austragen will, sucht sie ein Hintertürchen, um näher ans Ziel zu kommen. Angetrieben wird die SPÖ-Führung hier von der Industriellenvereinigung, die kein Verständnis für die Standesdünkel der AHS-LehrerInnengewerkschaft hat – sie will ein breites „Fachkräfteangebot“ für den Wirtschaftsstandort.

Dass am Beginn der Schulreformen gerade der Lohnraub steht, ist besonders dumm eingefädelt, aber wohl nicht zufällig. Denn wie gesagt: Eine ausreichende Finanzierung für eine qualitätsvolle Bildung für Alle durch zusätzliche Mittel aus dem Staatshaushalt, das fordert niemand, da dies die „Budgetsituation“ nicht hergibt. Es soll bei „realistischen“ und „ideologiefreien“ Reformen bleiben – womit eine offensive Umgestaltung des Schulsystems im Sinne der SchülerInnen von vorneherein ausgeschlossen bleibt.

Welche Bildungsreform wollen sie?

Ein heftiger Konfliktpunkt in der aktuellen Debatte ist die Zentralmatura. Sie ist Teil der Normung der Bildung, wie sie vom Bologna-Prozess auf den Universitäten bereits durchgesetzt wurde. Die Idee, die dahinter steht, ist die Zertifizierung der Humanressourcen, die den Wissens- und damit den Wirtschaftsstandort Europa stärken soll. Der Zentralmatura vorangestellt werden „Potentialtests“ für Kindergartenkinder, Lesetest für Volksschulkinder, Leistungsüberprüfungen bei 14 jährigen etc. Von klein auf werden die Kinder für die Interessen der Wirtschaft zugerichtet. Damit geht eine immer stärkere Verengung des Bildungsbegriffs einher. Anders glaubt man bei ungenügender finanzieller Ausstattung offenbar keine arbeitsmarktfähigen Jugendlichen mehr hervorbringen zu können. Auch die Argumente der heutigen Gesamtschulbefürworter heben hervor, dass die zukünftige Schule nach innen diversifiziert und außerdem autonom – also den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft angepasst - erfolgen müsse. Die zentralisierten Tests etikettieren dann den und die einzelne SchülerIn, sodass der künftige Arbeitergeber die angeblichen Stärken und Schwächen eines jeden Einzelnen wie in einer Bedienungsanleitung ablesen kann.

Der Unmut der SchülerInnen über die Zentralmatura ergibt sich nun gerade daraus, dass diese Maßnahme einer Schule aufgepfropft wird, die noch nicht bereit für diese neue Zertifizierungsmethode ist. Die SchülerInnen zahlen dafür mit einer weiteren Steigerung des Leistungsdrucks, dem viel zu viele mangels gezielter Vorbereitung durch die Schule nicht standhalten können.

Bildungsoffensive statt Sackgasse

Hier also eine Elite, die eine Elitebildung verteidigt, dort Reformer im Schlafwagen mit leeren Taschen. Die Idee der Sozialdemokratie, dass man das Bildungssystem schleichend und unbemerkt reformieren kann, kann nicht zum Ziel führen. Das österreichische (Klein-)Bürgertum ist eng mit dem Gymnasium verbunden. Der Besuch dieser Schule vermittelt jene bildungsbürgerliche Abgehobenheit, die diese Damen und Herren mit Zähnen und Klauen verteidigen werden. Denn hier heben sie sich von den Proleten ab. Nur eine soziale Bewegung, die die Kräfteverhältnisse in der Bildungsdebatte hin zu Chancengleichheit für alle verschiebt, kann die großkoalitionäre Sackgasse, in der das Bildungssystem seit Jahrzehnten verharrt, durchbrechen. Für eine öffentlich finanzierte Schule mit modernster Pädagogik, sonnendurchfluteten Räumen, bester Ausstattung! Dafür sollten sich SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen zusammentun.

Für eine gute Bildung!

Die Idee der Gesamt- und Ganztagesschule ist positiv. Die Welt ist heute sehr komplex und viele Eltern und Jugendliche sind heute überfordert, wenn es darum geht überhaupt erst Fuß in der Gesellschaft zu fassen. Die soziale Aussortierung von Kindern und Jugendlichen ist ein Faktum und passiert bereits in den Kindergärten und Volksschulen. Die bisherigen Formen von Ganztagesschulen ändern daran in Wirklichkeit nichts. Mangels finanzieller Ressourcen und damit verbundenem Mangel an PädagogInnen können sie ihrem Anspruch nicht gerecht werden. Auch hier werden Bildungsversager produziert, sofern die Eltern am Abend sich nicht hinsetzen und Lernstoff privat vermitteln bzw. privaten Nachhilfeunterricht zahlen. Abgesehen von der Belastung für alle Familienteile ist es schlicht weg so, dass viele Kinder und Jugendliche aufgrund ihres sozialen Umfelds hier bald schon auf fast unüberwindbare Hürden stoßen.

SchülerInnen sind aufgefordert hier und jetzt um ihre Bildung zu kämpfen und dabei ihren eigenen Standpunkt zu vertreten. Ihr Slogan muss lauten: Geld für unsere Bildung und nicht für die Banken!
Aber auch die LehrerInnen sind angehalten ihr Selbstbild unabhängig von den Elitefanatikern innerhalb der GÖD zu formulieren. Ihr Arbeitskampf zur Verteidigung ihres Gehalts wird nur dann an Kraft und gesellschaftlicher Unterstützung gewinnen, wenn sie deutlich machen, dass es ihnen um die beste Ausbildung der SchülerInnen – und nicht nur um die Erhaltung akademischer Standesdünkel und die Reproduktion einer angeblichen Elite geht.

Gute Arbeitsbedingungen und ordentliche Einkommen sind eine Grundvoraussetzung, dass in pädagogischen und sozialen Berufe eine gute Arbeit im Sinne der Menschen, die betreut werden, erbracht werden können. Darüber hinaus braucht es jedoch auch ein anderes Konzept von Schule und Bildung, als wir es heute kennen. Die Schule muss ein Ort werden, wo Kinder und Jugendliche auf der Grundlage des aktuellsten wissenschaftlichen Stands Zugang zu Bildung bekommen, ihren Wissensdurst ausleben, sich kritisch mit den Lehrinhalten auseinandersetzen und eigenständiges Denken erlernen können. Eine fortschrittliche Pädagogik stößt aber in diesem System überall an seine Grenzen, beginnend beim eklatanten Ressourcenmangel.

Das ist die Bildungsreform, für die wir kämpfen wollen! Dieser Kampf ist untrennbar verbunden mit dem Kampf zur Überwindung einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der der Mensch nur als "Humanressource" im Kapitalverwertungsprozess gesehen wird.

Wien, 5.12.2013


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