Karl Marx. Vor 200 Jahren erblickte Karl Marx das Licht der Welt. Sein Werk hat auch die österreichische Arbeiterbewegung stark geprägt.


Die Sozialdemokratie verstand sich in ihren Anfängen als Erbin aller revolutionären Strömungen der Vergangenheit und sah es als ihre Aufgabe, die Welt zu verändern. Das Hainfelder Programm definierte über Jahrzehnte das Ziel der Bewegung: die vollständige Befreiung der Arbeiterklasse aus politischer Rechtlosigkeit und wirtschaftlicher Ausbeutung, die nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann.
Die Einigung der Sozialdemokratie in Hainfeld basierte auf den Prinzipien des Marxismus, was vor allem dem Wirken von Friedrich Engels, dem langjährigen Weggefährten von Marx, bzw. dessen Schüler Karl Kautsky geschuldet war. Die beiden standen in regem Kontakt mit Victor Adler und lieferten die zentralen Ideen, auf denen die österreichische Sozialdemokratie reorganisiert wurde.
Das war die Voraussetzung dafür, dass diese Generation von Sozialdemokraten (und auch der Genossinnen, die die proletarische Frauenbewegung aufbauten) Marx und Engels als ihre großen Lehrmeister verstanden.

Wegweiser und Lehrer

Welchen außergewöhnlichen Stellenwert man dem Leben und Werk von Karl Marx beimaß, lässt sich gut anhand der in der Arbeiterinnen-Zeitung erschienen Texte anlässlich von dessen 20. Todestag ablesen:

„Kein Kriegsheld, dessen Ruhm am blutgetränkten Schlachtfeld erstanden, kein Monarch, dessen Größe gepriesen wird, weil er einen Herrscherthron eingenommen – ein Denkerfürst, ein Wegweiser, Lehrer und Führer den Millionen Entrechteten war Karl Marx, dessen Andenken von allen Völkern der Erde hochgehalten, dessen Name gepriesen wird, in dessen Geist gehandelt wird.“ (AIZ 12.3.1903)

Zu diesem Jahrestag hielt die Sozialdemokratie eigene Marx-Feiern ab. Die größte Festveranstaltung fand in Wien statt, bei der Victor Adler das historische Verdienst von Marx für die Arbeiterbewegung darlegte. Er zeigte, wie sich ausgehend von der Revolution von 1848 die Klassengegensätze zwischen Kapital und Arbeit völlig offen in der österreichischen Gesellschaft manifestierten. Das Verdienst von Karl Marx war es, der erste gewesen zu sein, der dies ausgehend von seiner Klassenanalyse zu fassen wusste und auch eine Perspektive zeichnen konnte, wie sich die Klassenwidersprüche zwischen Bourgeoisie und Proletariat entwickeln würden und wie der Kapitalismus überwunden werden könne.

Victor Adler beschrieb den Stellenwert von Marx für das sich zur Klasse konstituierende Proletariat folgendermaßen:

„Wenn wir heute Marx feiern, mehr, lauter und wärmer feiern, als es sich mit den nüchternen Gewohnheiten unserer Partei verträgt, so hat das seine guten Gründe. In Marx stellt sich uns das Beste dar, was die kämpfende Arbeiterklasse empfunden hat, in seinem Namen vereinigten sich für uns alle Hoffnungen, alle ihre Entschlüsse, in seinem Namen vereinigte sich für uns, was wir erkennen und was wir wollen. Er hat dem Proletariat etwas gegeben, das das Wertvollste ist für jeden einzelnen Kämpfer, wie für jede kämpfende Klasse; er hat ihr die Sicherheit des Sieges gegeben, die entspringt aus der Einsicht, daß wir die Träger des menschlichen Fortschritts sind, daß die Arbeiterklasse der Träger jenes geschichtlichen Prozesses ist: der Träger der Revolution, inmitten der wir leben.“ (AIZ, 26. März 1903)


Keine großen Theoretiker

Der zentrale Stellenwert der Arbeiterklasse zur Veränderung der Welt sowie der uneingeschränkte Internationalismus der Arbeiterbewegung nach dem Motto „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ waren prägende Merkmale der frühen Sozialdemokratie, die sie direkt von Marx übernommen haben. Auch die Perspektive zur Befreiung der Frau und die Analyse des Staates (auch des bürgerlich-demokratischen) als institutionalisierte Form der Klassenherrschaft leiteten sich aus den Texten von Marx und Engels ab.


Das „Kommunistische Manifest“ und „Das Kapital“ wurden als zentrale Grundlagentexte der revolutionären Sozialdemokratie gewertet und den Genossinnen und Genossen zur Lektüre ans Herz gelegt. Darüber hinaus war die Partei jedoch nicht wirklich imstande, sich die Ideen und Methoden des wissenschaftlichen Sozialismus in seiner ganzen Tiefe anzueignen.


Selbst in Bezug auf „Das Kapital“ war die Rezeption eine sehr oberflächliche und beschränkte sich meist auf Hinweise auf das Kapitel über den Arbeitstag. Victor Adler selbst hat „Das Kapital“ während einem seiner Gefängnisaufenthalte gelesen, bekannte in einem Brief an Kautsky aber, dass er sich mit der Lektüre teilweise sehr schwertat. Er wurde auch nie müde zu betonen, dass ihm das Zeug zum großen Theoretiker fehle, was einer umfassenden Aneignung der Ideen von Marx und Engels nicht sehr förderlich war.

Schule der Passivität

Es war vor allem die Marx-Interpretation von Karl Kautsky, die dazu führte, dass sich in der österreichischen Sozialdemokratie ein sehr eigenes Verständnis des Marxismus durchsetzte. Kautsky unterschätzte vor allem die Bedeutung der philosophischen Grundlagen, der Hegelschen Dialektik, im Denken von Marx. Kautsky selbst war sehr stark von Darwin beeinflusst und daher anfällig für ein evolutionäres Geschichtsverständnis. Was auf den ersten Blick als theoretische Spitzfindigkeit erscheinen könnte, hatte aber ganz konkrete Auswirkungen auf die Anwendung des Marxismus. Die revolutionäre Transformation der Gesellschaft wurde als langfristiger Prozess verstanden. Die rasante Ausbreitung des Kapitalismus führte zu der Zeit zur Herausbildung einer starken Arbeiterklasse, die im „Kommunistischen Manifest“ schon als „Totengräber“ der Bourgeoisie bezeichnet wurde und deren Sieg als „unvermeidlich“ gesehen wurde. Die tatsächliche Entwicklung des kapitalistischen Systems Ende des 19. Jahrhunderts stützte somit die These, dass der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ein prozesshafter sein würde, der sich über eine lange Zeitspanne entfalten würde. Das meinte Adler im obigen Zitat, wenn er von der „Revolution, inmitten der wir leben“ spricht.

Diese Entwicklung hat reformistische Tendenzen in der Sozialdemokratie massiv befördert. Demzufolge müsste die Partei nur die Arbeiterklasse organisieren und mit Klassenbewusstsein füllen. Den Rest würde die Geschichte mehr oder weniger von selbst erledigen. Eduard Bernstein forderte daher konsequenterweise überhaupt eine Revision des Marxismus, weil dieser nicht mehr zeitgemäß wäre. Hierzulande lehnte die Partei diese Ansicht ab, aber sie beschränkte den Marxismus auf eine Methode zur Analyse der gesellschaftlichen Erscheinungen. Sie sah darin aber nicht mehr eine „Philosophie der Praxis“, sprich eine Theorie zur Entfaltung der revolutionären Energie, mit dem Ziel, die Arbeiterklasse in einer revolutionären Situation zum Sieg zu führen. So wurde der österreichische Marxismus mit der Zeit eine gelehrte Schule der Passivität, die 1914 in der Kapitulation vor den Kriegstreibern und 1934 in der Kapitulation vor dem Faschismus endete.

Die Revolutionären Sozialisten haben unter den Bedingungen der Illegalität die theoretischen Wurzeln dieser Niederlagen aufgearbeitet. Karl Czernetz gelang es dabei, den wahren Kern der marxistischen Theorie herauszuarbeiten. Diese „weist absolut zwingend die Notwendigkeit des revolutionären Übergangs zum Sozialismus nach, die Praxis der Weltarbeiterbewegung zeigt ebenso zwingend die Haltlosigkeit der demokratisch-reformistischen Illusionen. Unsere eigenen Erfahrungen in Österreich haben uns die Notwendigkeit kühner Entschlossenheit im Kampfe und revolutionäre Zielsetzung vor Augen geführt.“
„200 Jahre Karl Marx“ sind ein guter Anlass, die marxistischen Wurzeln unserer Bewegung wieder zu betonen und den Marxismus in seiner unverfälschten Form in der Arbeiterbewegung zu verankern.

Zitat: 

„Wir Österreicher haben allen Grund, Marxisten zu sein, mehr wie andere.“ (Victor Adler)

Dieser Artikel erschien erstmals am 24.4.2018 in der Funke-Ausgabe Nr. 163


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