Die großen Streiks im September und Oktober 1950 waren die letzte große Massenstreikbewegung in Österreich. Dieses Kapitel des österreichischen Klassenkampfs ist auch für heute voller wichtiger Lehren. Von Konstantin Korn.
Der wirtschaftliche Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gehört zu den großen Mythen der jüngeren österreichischen Geschichte. Durch einen nationalen Schulterschluss wurde eine wirtschaftliche und soziale Erfolgsstory möglich, die uns Wohlstand, sozialen Frieden und politische Stabilität garantierten – so die offizielle Darstellung.
In Wirklichkeit wurde der Wiederaufbau vor allem auf Kosten der Arbeiterklasse finanziert. Wie prekär die Lebensverhältnisse der ArbeiterInnen waren, zeigt sich daran, dass der durchschnittliche Kalorienverbrauch bis 1953 deutlich unter dem Niveau des Krisenjahres 1937 lag (siehe Statistik)! Ein wesentliches Instrument der Politik des Wiederaufbaus waren die Lohn-Preis-Abkommen (LPA), mit denen die Reallöhne niedrig gehalten wurden. Durch ein offenes Zusammenwirken des Kapitals mit den Gewerkschaftsspitzen sollten die Preise und Löhne festgelegt werden – und zwar mit dem Ziel, den privaten Konsum einzuschränken, um die Kapitalakkumulation anzukurbeln. Doch während die Gewerkschaften gemäß dem LPA Lohndisziplin befolgten und auf Reallohnerhöhungen verzichteten, erhöhten die Unternehmen weiterhin die Preise.
Schon 1948/9 hatten das 2. und 3. LPA erste Streiks und Demos ausgelöst. Mit dem 4. LPA im Herbst 1950 eskalierte jedoch die Situation endgültig und führte zur größten Streikwelle der Nachkriegsgeschichte.
Der „Preistreiberpakt“
Die im Radio verbreitete Nachricht, Regierung und Gewerkschaft hätten sich auf einen neuerlichen Lohn-Preis-Pakt geeinigt, schlug am Wochenende des 23. und 24. September wie eine Bombe ein. Brot kostete nun 2,40 Schilling (vorher 1,90 öS), Semmeln 27 Groschen (vorher 17), Mehl 2,98 öS statt 1,82 öS. Der Strompreis stieg um 42 Prozent.
Die Teuerung hatte schon seit längerem für Unmut gesorgt. Bereits über den Sommer hatten die Belegschaften von 88 Betrieben Lohnforderungen erhoben. In der VOEST z.B. hatte die Versammlung der Vertrauensmänner, die ein halbes Jahr zuvor neu gewählt worden waren, eine 15-prozentige Lohnerhöhung gefordert. Diese Forderung brachte man auch in den Zentralvorstand der Metallergewerkschaft ein und es wurden andere Betriebe (Hütte Donawitz, Steyr-Werke) kontaktiert, sie mögen sich dieser Lohnforderung anschließen. Schon im Juli hatten die Maler und Anstreicher sowie die Sägewerksarbeiter gestreikt, in Schneegattern war die Glasfabrik bestreikt worden – erste Vorboten einer großen Protestwelle.
Der geplante Lohn-Preis-Pakt sah zwar eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 10 Prozent vor, aber die Preise sollten erneut um 20-30 (!) Prozent steigen. Als am Montag die Menschen zur Arbeit kamen, war die Stimmung am Brodeln. Vor vielen Betrieben standen KommunistInnen und verteilten eine Sondernummer der regionalen Parteizeitung „Neue Zeit“ mit dem Slogan „Fordert Betriebsversammlungen und Gewerkschaftsaktionen gegen den Preistreiberpakt!“ Das Wort „Streik“ nahmen sie aber noch nicht in den Mund.
Druck von unten
Mit dem Eintreffen der ersten Gruppen von ArbeiterInnen, die zu Fuß oder mit dem Rad kamen, entbrannten aber auch schon hitzige Debatten. Selbst als die Sirenen heulten und zur Arbeit riefen, wurde weiterdiskutiert. In der VOEST war die Empörung unter den ArbeiterInnen so groß, dass die Betriebsräte umgehend reagieren mussten und noch am selben Tag eine Betriebsvollversammlung einberiefen. Kurz darauf beschlossen die Vertrauensmänner einen einstündigen Warnstreik. Im Heizhaus der Bundesbahnen wurde schon vorher gestreikt, Beschwichtigungsversuche des sozialistischen Betriebsrats verhallten wirkungslos. Auch in den großen Brotfabriken wurden Streikbeschlüsse gefasst. Mit dieser explosiven Stimmung in der Arbeiterschaft hatte niemand gerechnet – auch die KommunistInnen nicht.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) warnte in einem Aufruf vor Kampfmaßnahmen: „Streiks sind im gegenwärtigen Zeitpunkt zwecklos und schädigen die Interessen der Arbeiter und Angestellten…“ Die Teuerung wurden von der SPÖ als „notwendig“ dargestellt, würde aber in der Folge durch Lohnerhöhungen wieder abgegolten werden, so das Versprechen.
Am Tag darauf sollte der Ministerrat den Lohn-Preis-Pakt offiziell absegnen. Als am Ballhausplatz in Wien die Minister zusammenkamen, zogen gleichzeitig Tausende ArbeiterInnen auf den Stadtplatz von Steyr. Die Industriestadt war eine kommunistische Hochburg. Die Betriebsorganisation der KPÖ in den Steyr-Werken umfasste 560 der 7.000 dort Beschäftigten. Am Vorabend hatten die KommunistInnen beschlossen, in der Betriebsratssitzung einen Streikantrag zu stellen. Doch am nächsten Tag weigerte sich die Frühschicht im Rahmenbau, der Spenglerei und der Schmiede spontan die Arbeit aufzunehmen. Binnen einer Stunde stand das gesamte Werk still. Der Streik war eine Tatsache, bevor noch die Betriebsräte darüber beraten konnten. Die Sirenen des Steyr-Werks bekundeten den Beschäftigten von 50 Klein- und Mittelbetrieben in der Umgebung, ebenfalls die Räder still stehen zu lassen. Am Stadtplatz drängten sich 16.000 Menschen, um die Reden zu hören. Der Demonstrationszug wurde von Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam angeführt.
In Linz dasselbe Bild. 10.000 VOESTler marschierten Richtung Hauptplatz, und ihnen schlossen sich spontan die Belegschaften diverser ÖBB-Betriebe, der Stickstoffwerke usw. an. Wie schon in Steyr stehen auch hier Vertreter aller Fraktionen an der Spitze des Demozuges, wobei in Linz auch der Verband der Unabhängigen (VdU, Vorgängerpartei der FPÖ, Anm.) eine starke Verankerung hatte. Nur mit Mühe wurde die Menge vom Sturm auf das Rathaus abgehalten.
Linz war im Nationalsozialismus zur großen Industriestadt geworden. Mit den Stickstoffwerken entstand 1939 ein zusätzlicher großer Arbeitgeber. Mit den sogenannten „Hitlerbauten“ wurde neuer Wohnraum geschaffen. Das Kriegsende sah deshalb ein Teil der Arbeiterschaft das Ende des „1000jährigen Reiches“ als „Zusammenbruch“ und hegte weiterhin Sympathien für die Nazis. In der VOEST setzte sich die Belegschaft mehrheitlich aus recht jungen Arbeitern zusammen, die ohne die politischen und gewerkschaftlichen Traditionen der Arbeiterbewegung vor dem Faschismus groß geworden waren und keine Kampferfahrungen besaßen. Viele stammten vom Land und waren geprägt von der konservativen Lebensweise im Dorf. Bei der im Krieg schwer zerstörten VOEST kam noch dazu, dass viele Nazis hier im arbeitsintensiven Wiederaufbau eingesetzt wurden. Dies erklärt auch die relative Stärke des VdU in den Linzer Großbetrieben, die z.B. in der VOEST 4 von 10 Mitgliedern des gewählten Streikkomitees stellten.
Zum Tragen kam diese Rolle der ehemaligen Nazis vor allem bei den Ereignissen in der Arbeiterkammer Linz, die mit der Legende vom „Fenstersturz“ des AK-Präsidenten Kandl verbunden ist. In den Stickstoffwerken, einer Hochburg des VdU, wurde ein Marsch zur Arbeiterkammer beschlossen. Die radikal klingenden Töne der VdU-Betriebsräte waren ganz klar gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung gerichtet. In der Arbeiterkammer wurde die Führung offen konfrontiert und es sollen Äußerungen gefallen sein wie „Haut’s eam [Kandl, Anm.] obi!“ Kandl trat daraufhin zurück und wollte nach Hause gehen, während die Menge von ihm eine Stellungnahme am Balkon der AK vor den DemonstrantInnen auf der Straße forderte. Kommunisten und Sozialisten verhinderten jedenfalls, dass es zur Gewaltanwendung kam. Gleichzeitig wurde die Demonstration von der Polizei auseinandergetrieben. Die „Ordnungshüter“ drohten sogar mit der Erstürmung der AK. Doch die Dynamik war zu diesem Zeitpunkt noch eindeutig aufseiten der Streikenden.
Flächenbrand
Der Kampf breitete sich zu diesem Zeitpunkt ausgehend von Oberösterreich wie ein Flächenbrand aus. In Wien marschierten Belegschaften von 158 Betrieben aus allen Arbeiterbezirken, insgesamt 30.000 Menschen, Richtung Innenstadt, wo sie am Ballhausplatz protestierten. Eine gewählte Delegation der streikenden Betriebe wurde aber nicht zum Kanzler vorgelassen, was die Stimmung erst recht anheizte. Ein Spritzwagen der Polizei wurde außer Gefecht gesetzt, etliche Polizisten wurden verletzt. Bei der Oper legte ein Sitzstreik den Verkehr lahm. Auch in Niederösterreich kam es zu sehr militanten Aktionen, wie der Besetzung eines Postamts oder der Blockade der Schienen auf der Westbahnstrecke. Im Industriegebiet Neunkirchen-Ternitz war die 3.000-köpfige Belegschaft von Schoeller-Bleckmann die treibende Kraft des Streiks. Sozialisten und Kommunisten kämpften hier in absoluter Einheit. Mit einem Demozug von Fabrik zu Fabrik weiteten sie wie einst im Jännerstreik 1918 und im Juli 1927 die Streikwelle aus. Dieselbe Dynamik gab es in Wien in den Arbeiterbezirken Floridsdorf und Favoriten.
Am Höhepunkt streikten schätzungsweise 200.000 ArbeiterInnen in ganz Österreich. In Wien standen 242 Betriebe still (davon befanden sich nur 102 unter sowjetischer USIA-Verwaltung, der Rest waren private oder verstaatlichte Unternehmen). In Graz war der Ausstand nun ebenfalls flächendeckend. Hier ging die Polizei besonders gewaltsam vor. Das Streikkomitee mit Vertretern aller Großbetriebe (Andritz, Puch-Werke, SGP-Waggonfabrik u.a.) wurde überfallen und alle seine Mitglieder verhaftet. Daraufhin wurde ein Sonderkomitee gegründet, dessen Sprecher die Polizei wissen ließ: „Wenn unsere Arbeitervertreter bis zum Abend nicht wieder in unserer Mitte sind, dann holen wir sie selber aus den Zellen, und das wird für Sie kein Honiglecken werden!“ Am Abend waren alle Kollegen wieder auf freiem Fuß. Doch die Präsenz der Gendarmerie wurde immer größer. Brücken wurden gesperrt, um neuerliche Demonstrationen zu unterbinden.
In Linz wurde die Arbeiterkammer zum Zentrum der Streikbewegung. Hier diskutierten die Streikkomitees über die nächsten Schritte. In einem Resolutionsentwurf wurde die Absetzung des ÖGB-Präsidenten Johann Böhm gefordert. Andere verlangten, dass die Arbeiterführer wie ArbeiterInnen zu leben haben und das tun sollen, was diese von ihnen verlangen. In den Streikleitungen übernahmen immer mehr jene das Wort, die nicht lavierten, sondern sich für einen entschlossenen Kampf aussprachen. In vielen Fällen waren dies KommunistInnen.
Die Rolle der KPÖ
Die KPÖ-Führung aber vertrat in dieser kritischen Situation eine folgenschwere Position. Man solle die Streiks unterbrechen, denn man brauche Zeit, um einen machtvollen, umfassenden Streik für Anfang Oktober vorzubereiten. Der wahre Grund für diese Herangehensweise dürfte aber ein anderer gewesen sein. Bei einer Besprechung mit sowjetischen Funktionären wurde die KPÖ unmissverständlich unter Druck gesetzt. Ernst Fischer schrieb darüber in seinen Erinnerungen: „Die sowjetischen Freunde, so berichtete [Genosse Fürnberg], seien unzufrieden und beunruhigt. Die Streikbewegung komme ihnen ungelegen…“ Fürnberg schlug daher vor, die ArbeiterInnen zum Abbruch des Streiks aufzufordern, was heftige Debatten auslöste. Im Endeffekt setzte sich aber die Linie derer durch, die die wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen der Sowjets über alles stellten.
Dazu kam, dass die KPÖ selbst keine klare Perspektive hatte. Nach dem Krieg hatte sie sich ganz gemäß der stalinistischen Linie dem kapitalistischen Wiederaufbau verschrieben und verstand sich als staatstragende Partei. Mit Beginn des Kalten Kriegs erwies sich die Volksfrontstrategie als Illusion. Zwar setzte die KPÖ nun in der Opposition vermehrt auch auf außerparlamentarische Aktionen, was sie zum Sprachrohr der Teile der Arbeiterklasse werden ließ, die gegen den kapitalistischen Wiederaufbau Widerstand leisten wollten. Man war aber immer noch in den Vorstellungen der reformistischen Volksfronttaktik gefangen, die nicht darüber hinausging, anhand von ökonomischen Forderungen von links Druck aufzubauen.
In Liesing-Atzgersdorf trat am folgenden Tag, dem 27. September, eine Betriebsrätekonferenz mit Vertretern aus allen Streikzentren zusammen. Sie beschloss, gemäß der Linie der KP-Führung, die Arbeit wieder aufzunehmen. Am 30. September sollte erneut eine gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz stattfinden, um einen neuerlichen Streik zu beschließen. Im Rückblick meinte der kommunistische Widerstandskämpfer und anerkannte Historiker Peter Kammerstätter, dass die „Unterbrechung die Hauptschwäche war“.
Aber nicht überall hielten sich die ArbeiterInnen an die Vorgaben der KPÖ. In Traisen, bei den Böhlerwerken im Ybbstal und bei Waagner-Biro in Stadlau wurde weiter gestreikt. Und in der Steiermark, Teil der britischen Besatzungszone, erreichte der Streik überhaupt erst seinen Höhepunkt. Aber die erste große Streikwelle war nun vorüber.
Damit erhielt die Regierung die Chance, wieder die Initiative zu übernehmen. Allen voran die SPÖ-Minister leisteten in diesen Tagen ganze Arbeit. Ausgerechnet der Obmann der Metallergewerkschaft Karl Maisel sprach nun in seiner Funktion als Sozialminister von einem „Putschversuch der Kommunisten“. Die öffentliche Meinung stand von nun an ganz im Zeichen einer üblen antikommunistischen Propagandawalze. Und wo die Beschäftigten trotzdem nicht klein beigeben wollten, wurde auch mit den Mitteln der Staatsgewalt nachgeholfen. So wurde das Aluminiumwerk Ranshofen von Gendarmerie und Werkschutz besetzt, und Jeeps der US-Armee waren vor dem Werk positioniert. Eine geplante Demonstration war unter diesen Bedingungen nicht mehr umzusetzen, nicht zuletzt, nachdem die SP-Betriebsräte einen Rückzieher machten und sich sogar weigerten, eine Betriebsversammlung einzuberufen. Der KP-Betriebsrat Fritz Gerhartinger wurde noch im Werk von zwei Gendarmen mit aufgepflanztem Bajonett verhaftet!
Am 30. September war die große Montagehalle der geschichtsträchtigen Floridsdorfer Lokomotivfabrik Schauplatz der „Gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz“. 2.417 Delegierte waren gekommen, 800 von ihnen waren sozialistische Betriebsräte. Wenn man bedenkt, welchen Druck die Regierung, die Medien und die ÖGB-Führung ausübten, war diese Teilnehmerzahl ein beachtlicher Mobilisierungserfolg. Die Delegierten waren in hunderten Betrieben auf Vollversammlungen gewählt worden.
Die kommunistischen Gewerkschafter präsentierten auf der Konferenz folgendes Programm: 1) Zurückziehung der Preiserhöhungen oder Verdoppelung der im Abkommen vorgesehenen Erhöhung der Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten, Kinderzulagen usw. bei voller Steuerfreiheit für die gesamten Erhöhungen. 2) Keinerlei weitere Preiserhöhungen – gesetzlicher Preisstopp. 3) Keine weitere Schillingabwertung.
Es handelte sich also um rein ökonomische Forderungen, die von der Regierung umgesetzt werden sollten. Der Regierung wurde bis 3. Oktober ein Ultimatum gestellt, ansonsten würde am 4. Oktober in ganz Österreich der Streik erneut beginnen. Eine politische Perspektive zum Sturz der Regierung zeigte die KPÖ nicht auf.
Die Kundmachung der Betriebsrätekonferenz wurde vor allen großen Betrieben plakatiert. Doch war die Bewegung durch die Unterbrechung bereits viel zu geschwächt, um diesen Worten auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Schon auf der Betriebsrätekonferenz hatte sich die fehlende Dynamik abgezeichnet. Die sozialistischen Delegierten verhielten sich passiv, meldeten sich kaum zu Wort und enthielten sich mehrheitlich der Stimme. Sie standen ganz offensichtlich massiv unter dem Druck der Gewerkschaftsführung, die auf der Seite der Regierung stand.
Der „Oktoberstreik“
Die Tage bis zum 4. Oktober waren geprägt von einer unvorstellbaren Hysterie über die angeblichen Putschpläne der KPÖ. Der erste Streiktag zeigte bereits, dass diese Propaganda Wirkung hatte. In den westlichen Besatzungszonen gab es kaum noch Arbeitsniederlegungen. Eine Ausnahme war die Baustelle zur Errichtung des Kraftwerks Kaprun (eine weitere VdU-Hochburg). In Zentren der Streikbewegung, wie Donawitz und Steyr, brach die Gendarmerie den Streik. Es kam – gestützt auf das antisozialistische „Koalitionsgesetz“ von 1870 (!) – zu ersten Verhaftungen, die sich später als haltlos erwiesen. In Niederösterreich versuchte die ÖVP eine Art Heimwehr aus Jungbauern aufzustellen, die den Streik hätte brechen sollen. Gedeckt war das durch den Erlass von SP-Innenminister Helmer zur Bildung von Hilfspolizeitruppen.
Lediglich in Ostösterreich, vor allem in den Betrieben der USIA (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich) konnten die kommunistischen Gewerkschafter den Streik umsetzen.
Walter Stern, 1950 KP-Betriebsrat bei der Fa. Goerz in Wien-Favoriten, schilderte die Ereignisse dieses Tages so: „Die große Mehrheit unseres Betriebes stimmte am nächsten Tag für den Streik. Wir zogen zum Straßenbahnhof in der Gudrunstraße und forderten die Straßenbahner auf zu streiken. Die Straßenbahner weigerten sich. In einer Doppelreihe versperrten sie den Zugang zum Gelände des Bahnhofes. Wir hatten unserer Belegschaft entsprechend überwiegend Frauen, die vor dem Bahnhof Parolen riefen und Arbeiterkampflieder sangen.“ Dann kamen die Schlägertrupps von Franz Olah, dem Vorsitzenden der Bauarbeitergewerkschaft, die mit Holzprügeln auf die Streikenden einschlugen. Später gab Olah offen zu, dass seine Leute von der US-Besatzungsmacht Geld (50 öS/Tag!) bekommen hatten. In der Folge versuchten die Streikenden mit Pflastersteinen oder Beton die Weichen der Straßenbahnen unpassierbar zu machen, wurden dann aber von der Polizei in den Betrieb zurückgetrieben.
Diese Versuche, den Verkehr oder die Stromversorgung lahmzulegen, waren aber nicht viel mehr als die Verzweiflungstaten einer militanten Minderheit, die von der Masse der Arbeiterklasse isoliert war. Im Bezirk Gänserndorf, wo die kommunistisch organisierten Ölarbeiter sehr stark waren, wurde sogar die Machtübernahme debattiert. Und von Zeitzeugen wurde uns berichtet, dass in der damaligen KP-Hochburg Sommerein diskutiert wurde, nach Wien zu fahren, um dort Terroranschläge zu verüben. Doch das waren Randerscheinungen, die keine Rückschlüsse auf die Parteilinie der KPÖ zulassen.
Die KPÖ rief am 4. Oktober auch zu einer Großdemo am Ballhausplatz auf. Daran beteiligten sich aber nur mehr 20.000 Menschen. Walter Stern erinnert sich: „Es gab noch den Marsch zum Ballhausplatz. Der Wasserwerfer der Polizei wurde erobert, der Platz vor dem Bundeskanzleramt gehörte ‚uns‘. Und was weiter? Eine flammende Rede von Ernst Fischer (dem KPÖ-Vorsitzenden, Anm.), aber nichts Konkretes. Da merkte ich zum ersten Mal, dass es keine Führung gab, die wusste, was sie wollte.“
Am Abend des 5. Oktober wurde der Streik durch einen Beschluss einer neuerlichen Betriebsrätekonferenz mit 400 TeilnehmerInnen abgebrochen. Ein Generalstreik war keine realistische Option mehr. Zu sehr hatte die Bewegung aufgrund der Unterbrechung an Momentum verloren, und zu stark war die Macht des Staatsapparats, der die westlichen Besatzungstruppen hinter sich wusste und sich außerdem auf die Schlägertrupps von Franz Olah stützen konnte. In etlichen Betrieben sorgte dieser Schritt zumindest bei vielen kommunistischen Arbeitern erneut für Empörung. Die Niederlage war besiegelt.
Repression
In der Folge wurden unzählige kommunistische Gewerkschafter aus dem ÖGB und kommunistische Kammerräte aus der Arbeiterkammer ausgeschlossen. Am weitesten ging die Säuberung in der Bau-Holz-Gewerkschaft: Bereits wenige Tage nach Beendigung des Streiks wurden alle Mandate der KPÖ-Fraktion ruhend gestellt.
Auch die SPÖ wurde von ehemaligen „Revolutionären SozialistInnen“ gesäubert, die nach dem Krieg am Sozialismus festgehalten hatten. Damit wurde die pro-kapitalistische Orientierung innerhalb der Arbeiterbewegung endgültig durchgesetzt – und langfristig abgesichert, indem die Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung in den Betriebsräten und Gewerkschaften auf ein Minimum reduziert wurde.
Mit der Abschottung der Partei- und Gewerkschaftsspitze von der Basis und mit dem Abschluss der Hexenjagd gegen linke SozialistInnen und KommunistInnen nach dem Oktoberstreik 1950 galt die „Sozialpartnerschaft“ als unumstößliches Prinzip: die ständige Koalition von Kapital und der sozialdemokratischen Führungsriege, die die Ausschaltung demokratischer Diskussion und Entscheidungsfindung in den Arbeiterorganisationen voraussetzt.
Unsere Aufgabe heute ist es, an den kämpferischen Traditionen der österreichischen Arbeiterbewegung wieder anzuknüpfen und die Betondecke der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung zu sprengen.
(Funke Nr. 207/27.9.2022)