Feldkirch. Der Gedenkstein einer sozialistischen Widerstandskämpferin wurde „renoviert“ und dabei entpolitisiert. Tobi Reinhard beleuchtet Vergangenheit und Aktualität des Antifaschismus.
Im Februar 1945 wurde die 31-jährige Hilda Monte (geb. Hilde Meisel) als Agentin alliierter Geheimdienste ins Deutsche Reich geschleust. In Vorarlberg sollte sie Kontakt zu Widerstandsnestern im Land aufnehmen und verschiedene Spionagetätigkeiten durchführen. Beim Versuch, von Feldkirch aus die Grenze nach Liechtenstein zu überqueren, wurde sie am 17. April 1945 erschossen. Ihr setzten Vorarlberger SozialdemokratInnen nach Kriegsende ein Denkmal am alten evangelischen Friedhof in Feldkirch. Am Grabstein war zu lesen:
„Hier ruht unsere unvergessliche Genossin Hilde Monte-Olday“.
Neben Geburts- und Sterbejahr stand geschrieben:
„Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee.“
Im Sommer vergangenen Jahres kam es zur Verschandelung des Grabsteines. Auf Initiative des „Österreichischen Schwarzen Kreuzes“ (ÖSK) wurde der Grabstein so neu beschriftet:
„Auf der Flucht erschossen.“
Auf die Anfrage an Oberst Fitz, Landesgeschätsführer des ÖSK Vorarlberg, wie es zu dieser politischen „Intervention“ gekommen sei, antwortete dieser keck: Es sei „anzumerken, dass Inschriften mit parteipolitischen, weltanschaulichen oder propagandistischen Inhalten, ganz gleich welcher Art und Richtung, auf generalsanierten bzw. neuen Grabsteinen sich nicht mit der Überparteilichkeit und dem pietätvollen Opfergedenken der Kriegsgräberfürsorge in Einklang bringen lassen.“
Schnell formierte sich ein breites Bündnis von linken Institutionen, Vereinen, HistorikerInnen und Privatpersonen, darunter auch die Sozialistische Jugend Vorarlbergs. Weit über die Grenzen Vorarlbergs hinweg finden sich immer mehr UnterstützerInnen gegen die Verschandelung. Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Grabsteins ist bereits auf Schiene gebracht. Klammheimliche Versuche der Geschichtstilgung durch verkappte Wehrmachtsnostalgiker stoßen auf breiten Widerstand.
Das Problem mit dem Erinnern
Das Problem liegt aber tiefer. Vor wenigen Jahren wurde von _erinnern.at_ das Standardwerk „Nationalsozialismus in Vorarlberg“ vorgelegt. Es ist sowohl für Erwachsene als auch für Lehrpersonen und SchülerInnen konzipiert. Das Buch gibt einen Überblick zur Ideologie des Nationalsozialismus, über Verfolgung, Täter, Opfer, Widerstand usw. Stutzig macht aber schon die Einleitung darüber, was Faschismus ist. Anstatt einer historischen Verortung wird das System mit den klassischen Vokabeln der Totalitarismustheorie erklärt. Die erste Welle der Gewalt wird dabei ganz unterschlagen. Ist es für SchülerInnen nicht wichtig zu wissen, dass zunächst alle Organisationen der Arbeiterbewegung zerschlagen worden sind, dass unzählige SozialdemokratInnen, KommunistInnen, GewerkschafterInnen ermordet, gefoltert und in Konzentrationslager gebracht worden sind? Wie soll jemand verstehen, warum die Machtergreifung der Nazis von den Industriellen unterstützt wurde, und der Faschismus eine breite Massenbasis unter den Mittelschichten, nicht jedoch in der Arbeiterklasse hatte, wenn dieser elementarste Teil der Geschichte ausgeklammert ist?
Die bürgerliche Geschichtsschreibung kennt Geschichte nur als Epochengeschichte. Das führt zu einem grundlegenden Fehlverständnis des Nationalsozialismus. Er wird als geschlossenes Gebilde präsentiert, das durch totalitäre Maßnahmen alles gleich macht und die Interessensgegensätze der Klassen verwischt. Zu dem gesellt sich die Meinung, dass so ein System nur durch die Militärgewalt verfeindeter Nationen gebrochen werden kann. Widerstand verkommt zur Vorstellung einiger weniger mutiger Frauen und Männer, die sich gegen die Grausamkeiten der Nazis gewendet haben und sich im Namen der Menschlichkeit dem System widersetzt haben.
Der Arbeiterwiderstand im Reich
Nachdem die Organisationen der Arbeiterbewegung zerschlagen waren, wurden die ArbeiterInnen in die Einheitsgewerkschaft der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) gepresst. Im Betrieb sollte die „natürliche“ Ordnung wiederhergestellt werden – der Unternehmer wurde zum Führer des Betriebs erhoben, die ArbeiterInnen zu rechtloser Ausbeutungsmasse erniedrigt. Lohnverhandlungen wurden abgeschafft, erkämpfte Arbeitsrechte zurückgenommen, jedes Mitbestimmungsrecht unterbunden. Zudem sollten ArbeiterInnen noch verschiedene Abgaben und Spenden an NS-Organisationen leisten. Die Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen verschlechterten sich sofort. Trotz ständiger Gewaltandrohungen und –maßnahmen brodelte es heftig in den großen Industriebetrieben. Vor allem das Industrieproletariat war durch eine lange Schule von Arbeitskämpfen gegangen. Trotz Zerschlagung der großen Arbeiterorganisationen fand die Arbeiterschaft auf Betriebsebene neue Organisationsformen.
Es entstanden Betriebszellen. Gewerkschaftliche Formationen wurden in den einzelnen Betrieben gebildet. Nicht selten kam es zu größeren betriebsinternen Streikzügen direkt vom Arbeitsplatz zum Lohnbüro, um gegen die ständigen Abgaben zu protestieren. Gegen Ende des Jahres 1934 bis zum Frühjahr 1935 wurden die Unruhen teilweise so heftig, dass Firmenleitungen beschwichtigend auf die Arbeiterschaft einreden mussten, um offene Streiks außerhalb des Betriebs zu verhindern. Insbesondere in Wuppertal und Veldern drohte die Situation für die Nazis zu eskalieren. Sie gingen in die Offensive, führten Verhaftungen durch und veranstalteten einen riesigen Schauprozess gegen illegale GewerkschafterInnen. Fast 2000 ArbeiterInnen wurden festgenommen, über 600 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt.
An diese Stimmung in der Arbeiterschaft versuchten Hilda Monte und andere GenossInnen des Arbeiterwiderstands anzuknüpfen. Monte war im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) aktiv. Dieser hatte nach den Gräueltaten im Zuge des Reichstagsbrandes angefangen eine Untergrundgewerkschaft, die Unabhängige Sozialistische Gewerkschaft (USG), aufzubauen. Auf Betriebsebene wurden Berichte gesammelt. Informationen aller Art wurden zusammengetragen, ausgewertet und in der Form von Flugblättern zurück in die Betriebe geschleust. Sie enthielten Material über die Stimmung der Arbeiterschaft und über Widerstandsaktionen, die in bestimmten Betrieben durchgeführt wurden. Sie werteten aus, welche Aktionen erfolgreich waren und welche nicht, sie informierten über Gefahren im Betrieb und wie man ihnen entgehen könne usw.
Letztlich rief der ISK zum Austritt aus der DAF und zu deren Sabotage auf. So versuchte man im Geheimen die Solidarität aller ArbeiterInnen aufrecht zu erhalten und den Widerstand in den Betrieben auszuloten und zu entfachen. Ziel war es, eine revolutionäre Stimmung zu schaffen, um Nationalsozialismus und Kapitalismus ein für alle Mal zu beseitigen. Der Faschismus war für den ISK „die brutalste Form der kapitalistisch-militaristischen Klassenherrschaft.“
Hilda Monte war in der Auslandsabteilung des ISK in Paris tätig, wertete dort das Material und war involviert in die Konzeption der Flugblätter. Sie wird freilich auch im Buch „Nationalsozialismus in Vorarlberg“ erwähnt. Ihre Rolle im Arbeiterwiderstand und in der USG fehlt jedoch komplett. Es ist die reduzierte Erinnerung an eine weitere mutige Frau gegen den Nationalsozialismus. Es fehlt auch eine Erklärung, warum sich westliche Geheimdienste an die Kader der Arbeiterschaft wendeten: Die Operationen, die in den Betrieben Anwendung fanden, das waren die frühen funktionierenden Nachrichtendienste der illegalen GewerkschafterInnen. Die Informationen, die u.a. ISK-Leute ins Ausland schafften, geben einen besseren Aufschluss über die Gesellschaft des Nationalsozialismus als jedes Geschichtsbuch.
Die internationale Solidarität
Hinter den wenigen GenossInnen des ISK stand eine viel breiter aufgestellte Organisation. Die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) unter Leitung des revolutionären Syndikalisten Edo Fimmen vereinte ein riesiges Netz an GenossInnen in Deutschland. Der ISK war da nur eine Organisation von vielen. Die ITF hatte Verbindungen zu Eisenbahnern in ganz Deutschland, die in kleinen Aktionen unzählige Sabotageakte durchführten. Ferner hatte die ITF den Widerstand der Seeleute organisiert und auf fast allen Schiffen, die unter deutscher Flagge fuhren, Kader einschleusen können. Im Jänner 1940 konstatierte die Gestapo, dass „die Fälle von Schiffssabotage“ einen „erschreckenden Umfang eingenommen“ hatten. Die internationale Solidarität von Hafenarbeitern und Seeleuten gehörte zum bestfunktionierenden Apparat der weltweiten Arbeiterbewegung. 1937 traten in den USA an der Westküste 30000 HafenarbeiterInnen und Seeleute aus Protest gegen die Unterdrückung der Gewerkschaften in Nazideutschland für eine halbe Stunde in den Ausstand.
Den Kapitalisten war die Aufrechterhaltung ihrer Klassenherrschaft wichtiger als die volle Mobilisierung gegen Hitler. In der Revolution sahen die Bürgerlichen aller Länder den größeren Feind als in Hitler, was sich an zahlreichen Kriegsschauplätzen deutlich offenbarte und vom britischen Premier Churchill offen ausgesprochen wurde. Als kurz nach Kriegsbeginn Matrosen ein deutsches Frachtschiff mit Kriegsrohstoffen aus Norwegen auf hoher See sabotierten und lahmlegten, veranlasste die britische Regierung, dass die Schiffsmannschaft nach Nazi-Deutschland ausgeliefert wurde. Dort wurde ihnen der Prozess gemacht, einige in Konzentrationslager gesteckt.
Der ISK hatte in einem Flugblatt 1939 die Situation richtig analysiert: Die englischen Kapitalisten wollen „keinen Krieg riskieren, weil man die Revolution fürchtet; und man will die Erpresser [Nazis] auch nicht durch andere Mittel zur Kapitulation nötigen, weil man sie als Anreiz und Beispiel für die Unterdrückung von Sozialisten gebrauchen kann.“
Der Widerstand der ArbeiterInnen war kein moralischer. Sie waren es, die die Ausbeutung der „kapitalistisch-militaristischen Klassenherrschaft“ am Leib erfuhren. Es ist die Aufgabe der organisierten Arbeiterbewegung diese Geschichte lebendig zu erhalten. Die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu verteidigen, ist wichtig – gegen die heutigen Ausbeutereien aktiv zu werden die Konsequenz.
(Funke Nr. 191/17.2.2021)
Lesetipp:
FASCHISMUS: WAS ER IST UND WIE ER BEKÄMPFT WERDEN KANN (ADV 14)
Die Lektüre dieser Broschüre erlaubt es, die historische Erfahrung der Arbeiterbewegung nachzuvollziehen und so den heutigen praktischen antifaschistischen Kampf auf einer theoretisch festen Grundlage zu stärken und voranzubringen.
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