Am 7. November (dem 25. Oktober nach dem damaligen russischen Kalender) jährt sich zum 106. Mal die Oktoberrevolution in Russland, die bisher einzige erfolgreiche sozialistische Revolution. Ein kurzer Abriss von Florian Keller.
Die direkte Grundlage für die Oktoberrevolution bieten die Ereignisse des gesamten Jahres 1917, dem Jahr der Russischen Revolution. Auf der einen Seite herrschte nach der Februarrevolution, die den Zar stürzte, die Provisorische Regierung: Eine „Große Koalition“ aus Kapitalisten und Großgrundbesitzern sowie „gemäßigten“ Sozialisten. Auf der anderen Seite waren die ArbeiterInnen in den Fabriken, die Millionen Soldaten in den Schützengräben und Masse an armen Bauern und ihre Familien weiterhin hungrig und froren im heraufziehenden Herbst. Ihre Forderungen waren einfach, aber für die Herrschenden undurchführbar: Brot für die Arbeiterklasse, Land für die Bauern, Frieden für die Soldaten.
Die Bolschewiki und die Massen
Auf politischer Ebene spiegelte sich diese Entwicklung durch einen unaufhaltsamen Aufstieg der Bolschewiki wider, die die Forderungen nach Brot, Land und Frieden als einzige Partei ernsthaft aufnahmen und erklärten, wo der einzige Weg lag, diese zu verwirklichen: Indem die Massen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, mit dem Mittel der Machtübernahme durch die Sowjets, den in Fabriken, Armeeeinheiten und Dörfern gewählten Räten.
Die „gemäßigten Sozialisten“ der Menschewiki und sogenannten Sozialrevolutionäre dagegen verloren immer mehr an Unterstützung. Sie hatten monatelang jede Lösung der realen Probleme der Massen hinausgezögert, um ihre bürgerlichen Bündnispartner nicht zu verärgern. Bis zuletzt hatten sie den reaktionären General Kornilow (der einen Putschversuch gegen die Revolution startete und schwor, sie im Blut zu ertränken), als „Verteidiger der Revolution“ dargestellt. Sie stimmten in die Hetzkampagne der Bürgerlichen gegen die Bolschewiki (die in der Verteidigung gegen den Putsch die zentrale Rolle spielten) munter mit ein.
Doch im Kontrast zu dieser Hetzkampagne standen die immer schlechter werdenden Bedingungen für die Massen, denen sich nur die Bolschewiki entschlossen entgegenstellten.
Dieser Umschwung zugunsten der Bolschewiki zeigte sich bei allen Wahlen, die in dieser Periode stattfanden. Immer mehr Sowjets in den Städten und Bezirken gerieten unter bolschewistische Führung, nachdem in den Fabriken und militärischen Einheiten bolschewistische Delegierte gewählt wurden.
Für einen neuen Sowjetkongress!
Dieses Bild wiederholt sich im ganzen Land immer wieder: Lokale Sowjets, Armeekomitees, Konferenzen der Fabrikkomitees (Betriebsrätekonferenzen) usw. sprechen sich ab Anfang September in Massen für die Machtübernahme der Sowjets aus.
Dafür braucht es allerdings die Einberufung eines Allrussischen Sowjetkongresses und die Wahl einer neuen nationalen Sowjetführung (Exekutivkomitee), da hier noch die „gemäßigten Sozialisten“ dominierten und sich weigerten das Programm der Revolution umzusetzen.
Von unten gab es daher gewaltigen Druck mittels Resolutionen, Aufforderungen und Beschlüsse auf das alte Exekutivkomitee der Sowjets. Woraufhin die reformistische Sowjetführung gezwungen war, endlich einen neuen Allrussischen Sowjetkongress am 7. November einzuberufen.
Der Aufstand
Am 4. November fanden in ganz Petrograd auf Veranlassung des Petrograder Sowjets Versammlungen statt, die zum Thema den kommenden Kongress und die Machtübernahme durch die Sowjets hatten. Sie wurden zu einer gewaltigen Demonstration der Stärke der Revolution – hunderttausende nahmen teil, ArbeiterInnen, Soldaten und deren Frauen, KleinbürgerInnen aller Couleur. So wird der 4. November zu einer gewaltigen Demonstration des Kräfteverhältnisses in der Hauptstadt, das für das ganze Land gewisse Gültigkeit hat.
Am 6. November versuchte die bürgerliche Regierung noch verzweifelt, den Aufstand mit Militärgewalt und Verhaftungen zu verhindern. Doch die organisierten Massen schafften bereits Tatsachen: Die eigentliche Machtübernahme fand in der Nacht auf den 7. November statt.
Sie trägt nicht den Charakter einer großen, theatralischen Schlacht, sondern geht in Wirklichkeit leicht und fast unbemerkt vor sich. Telegraphenämter, Ministerien und Bahnhöfe werden von Einheiten der Roten Garden und revolutionären Soldaten besetzt.
Es kommt kaum zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen, so bewusst sind sich die Revolutionäre ihrer Überlegenheit, und so bewusst die alten Mächte ihrer Unterlegenheit. Meist werden konterrevolutionäre Einheiten ohne Opfer oder gar Schießereien entwaffnet. Lediglich am Winterpalais, wo sich die provisorische Regierung verschanzt hat, kommt es zu schwereren Auseinandersetzungen. Regierungschef Kerenski ist zu diesem Zeitpunkt bereits geflohen.
Die Bilanz
Aus den Schützengräben kommen erfreute Telegramme, die die neue Sowjetmacht begrüßen. Die Bauernschaft ist in Aufruhr – schon vor der Oktoberrevolution finden in 439 der 481 Landkreise der zentralen Gebiete Russlands Bauernaufstände und eigenmächtige Enteignungen der Gutsbesitzer statt.
Die Lüge von der Oktoberrevolution als „Putsch“ der Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Trotzki kann überhaupt nur deshalb existieren, weil die Revolution so machtvoll, so umfassend war, dass sie in den meisten Fällen ohne Barrikadenkämpfe und große Gesten auskam. Es fand sich einfach kaum mehr jemand, der bereit dazu war, die alte Ordnung, den Kapitalismus, die Unterdrückung durch Generäle, Großgrundbesitzer und Fabrikanten, aktiv zu verteidigen.
Der Sowjetkongress, der zusammentritt, begann als Organ der Revolution zu arbeiten. Die ersten Beschlüsse waren der sofortige Friedensschluss aller kriegsführender Länder, die Aufteilung des gutsherrlichen Besitzes an die armen Bauern und die Einführung der Arbeiterkontrolle in den Betrieben. Zum ersten Mal bestimmten die gewöhnlichen Massen die Politik eines ganzen Landes.
Die Übernahme der Macht durch die Räte ist der historische Beweis dafür, dass die die Rolle einer bewussten, revolutionären Führung entscheidend ist für den Sturz des Kapitalismus. Hier ergriffen die Massen unter Führung der Bolschewiki die Macht und schufen den demokratischsten Staat, der jemals bestanden hat. Das Beispiel der Oktoberrevolution hat auch nach 106 Jahren nichts von seinem Glanz verloren.
(Funke Nr. 218/25.10.2023)