In Zeiten der tiefen Krise klammern sich die Verteidiger des Kapitalismus an jeden Strohhalm, um ihr System zu rechtfertigen. Ein zentrales Argument dabei ist das angeblich „kommunistische China“. Doch ein Blick auf Gegenwart und Geschichte zeigt: Tatsächlich herrscht in China Kapitalismus und nicht Kommunismus. Von Christoph Pechtl und Florian Keller.

 Das einst mächtige Reich der Mitte war zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Status einer Halbkolonie der westlichen Kolonialmächte degradiert worden, die das Land sogar vertraglich in offizielle „Einflusszonen“ aufteilten und wichtige Häfen gleich direkt annektierten. Das Land steckte so in einem Teufelskreis aus Abhängigkeit, Rückständigkeit und bitterer Armut der Massen fest. Daran änderte auch der Sturz des Kaisers und die Ausrufung der Republik 1911-12 nichts Grundlegendes – das Land versank in einem ununterbrochenen, blutigen Bürgerkrieg verschiedener regionaler Warlords, die in einem Land ohne große industrielle Basis vor allem um das Recht kämpften, wer die Abermillionen armer Bauern auf dem Land ausbeuten durfte.

Das war die gesellschaftliche Grundlage dafür, dass unter dem Eindruck der russischen Revolution Anfang der 1920er Jahre eine kommunistische Partei entstand, die innerhalb kürzester Zeit zu einer Massenpartei werden konnte. Die „Bürgerliche Revolution“ hatte das Land in eine Sackgasse geführt. Hunderttausende zogen daraus die richtige Schlussfolgerung: Der Kapitalismus muss zusammen mit allen Resten des alten Feudalsystems durch die Arbeiterinnen und Arbeiter im Bündnis mit den armen Bauern gestürzt werden.

Doch die Isolation der russischen Revolution, die zur stalinistischen Degeneration führte, hatte auch fatale Folgen für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Die engen Eigeninteressen der Bürokratie in der Sowjetunion führten dazu, dass die Revolution von 1925-27 in China scheiterte. Die Partei wurde von der Bürokratie in der herrschenden bürgerlichen Kuomintang aufgelöst, deren Führer Chiang Kai-shek wurde 1926 sogar in das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen gewählt. Die Interessen der Bürgerlichen Chinas waren jedoch untrennbar mit den Interessen der Kolonialmächte und Großgrundbesitzer verknüpft, die jenen der Arbeiter und Bauern diametral entgegenstanden. Chiang richtete 1927 ein Massaker unter den Arbeitern und Kommunisten in Shanghai an, die Reste der Partei flohen auf das Land.

Um das Gesicht zu wahren, wurde diese Fluchtbewegung durch die Komintern letztendlich als politische Wendung theoretisiert – eine zentrale Rolle dabei spielte Mao Zedong, der in der Folge im Laufe der 30er Jahre zum mächtigsten Mann in der Partei wurde. In den folgenden Jahrzehnten orientierte die KPCh so darauf, einen Guerillakrieg auf dem Land zu organisieren, der sich darauf stützte, durch Landreformen die Unterstützung der Bauernschaft zu bekommen.

Letztendlich konnte diese vor allem aus Bauern bestehende Rote Armee 1949 tatsächlich die Kuomintang besiegen, die sich nur noch durch blanken Terror und Bestechung an der Macht gehalten hatte. Die bürgerliche Herrschaft in China war so verrottet, dass die Kuomintang-Armee sich trotz massiver militärischer Unterstützung der USA angesichts der vorrückenden roten Armee und dem Versprechen der Landreform einfach auflöste.

Die chinesische Planwirtschaft

Die KPCh-Parteiführung orientierte nach der Machtübernahme darauf, im Sinne einer Etappentheorie eine „Neue Demokratie“ im Bündnis mit „fortschrittlichen Bürgerlichen“ aufzubauen. Doch es zeigte sich schnell, dass es kein „fortschrittliches Bürgertum“ gab. Und so musste diese „Etappe“ nach kürzester Zeit für beendet erklärt, die Reste des Kapitalismus beseitigt und eine Planwirtschaft errichtet werden, um das Land entwickeln zu können.

Auf dieser Grundlage waren gewaltige Fortschritte möglich: China wurde in wenigen Jahrzehnten von einem armen, rückständigen, landwirtschaftlich geprägtem und vom Imperialismus dominierten Land zu einer Großmacht mit einer wachsenden Wirtschaft, einer modernen Infrastruktur, starker industrieller Basis und einer großen und gut ausgebildeten Arbeiterklasse.

Doch in China herrschte nicht Sozialismus (der von Marx auch als die „erste Phase“ des Kommunismus bezeichnet wird, in der die Technik und Produktivkräfte das Niveau der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder schon überflügeln und der Staat bereits begonnen hat abzusterben) oder gar Kommunismus (Auch als „höhere Phase des Kommunismus“ bezeichnet, in der alle Klassenwidersprüche und jede Notwendigkeit eines Staatsapparates und von Unterdrückung völlig verschwunden sind). Die chinesische Revolution hatte vielmehr dort begonnen, wo die russische Revolution aufgehört hatte: Mit der totalitären Diktatur einer stalinistischen Partei- und Staatsbürokratie. Die KPCh war (und ist auch heute noch) keine Partei im eigentlichen Sinne, sondern ein Teil der Staatsbürokratie. Und diese Kaste von Bürokraten hatte nicht die Interessen der Arbeiterklasse im Auge, sondern ihre eigenen.

Die Bürokratie unterdrückte daher jede eigenständige Aktivität der Arbeiterklasse. Die Herrschaft dieser Bürokratie bedeutete, dass die chinesische Planwirtschaft (wie die sowjetische) von Verschwendung, Korruption und Ineffizienz geprägt war. Das führte schon zu Lebzeiten Maos zu einer Reihe von bürokratischen Konflikten und scharfen Schwenks in der Wirtschaftspolitik, wie dem „großen Sprung nach vorne“ und der „Kulturrevolution“. Eine Fraktion der Bürokratie (v.a. gruppiert rund um Deng Xiaoping) zog daraus die Schlussfolgerung, dass es zur Effizienzsteigerung der Wirtschaft mehr Marktelemente in der Wirtschaft geben musste.

Die kapitalistische Restauration

Der Tod Maos 1976, nachdem Deng sich als neuer starker Mann durchsetze, wirkte wie ein Katalysator zu diesem Prozess. Je mehr Marktelemente zugelassen wurden, desto mehr Anreiz hatten die einzelnen Bürokraten, ihre Privilegien erblich zu machen, indem sie selbst Kapitalisten wurden. Die bürokratische Planwirtschaft steckte in einer Sackgasse, aus der es nur zwei Auswege gab: Entweder eine politische Revolution der Arbeiterklasse gegen die Bürokratie, um auf dieser Grundlage tatsächlich den Sozialismus aufbauen zu können, oder eine Restauration des Kapitalismus. Nachdem die Bürokraten ihre Privilegien niemals freiwillig zugunsten einer Arbeiterdemokratie abgeben würden, orientierte sich die Bürokratie so immer bewusster in Richtung einer Restaurierung des Kapitalismus.

Doch Anfang der 90er Jahre gab es zwei Ereignisse, die der chinesischen Bürokratie deutlich machten, dass dieser Prozess nicht unkontrolliert stattfinden konnte, wenn sie nicht selbst unter die Räder kommen wollte.

Einerseits reichte ein Blick in die (ehemalige) Sowjetunion, um zu sehen, welche wirtschaftliche Verwerfungen sich aus der unkontrollierten Restauration ergaben. Nachdem sich ehemalige Bürokraten dort als neue Oligarchen die Staatsbetriebe unter den Nagel gerissen hatten, gab es in den frühen 90er Jahren einen Wirtschaftseinbruch, der in Friedenszeiten seinesgleichen suchte. Von den zynischen Verteidigern des Kapitalismus als notwendige „Schocktherapie“ verkauft, führte die kapitalistische Restauration zur völligen Zerstörung des Lebens der Massen, die Lebenserwartung etwa sank von 1987 bis 1994 um sechs (!) Jahre.

Die Tian‘anmen-Proteste

Vor allem wurde die chinesische Bürokratie aber auch im eigenen Land von der Arbeiterklasse und Jugend gewaltig unter Druck gebracht. 1989 brachen auch in China große Proteste aus, die am Anfang vor allem eine Basis in der Studentenschaft hatten und ihr Zentrum auf dem Platz des himmlischen Friedens (Tian‘anmen) in Peking fanden. In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird versucht, diese Proteste als explizit prokapitalistisch darzustellen. Tatsächlich ist das falsch. Die Forderungen waren zwar widersprüchlich, aber sie forderten vor allem demokratische Rechte und ein Ende der Privilegien der Bürokratie.

Zu Beginn war der Staatsapparat unter dem massiven Druck der Bewegung noch gespalten in der Frage, wie man sich zu ihr verhalten sollte. Doch als immer größere Teile der Arbeiterklasse in die Bewegung hineingezogen wurden, wurde das zu einer tödlichen Gefahr für alle Fraktionen der Bürokratie.

So wurde Ende Mai die Armee mobilisiert, um die Proteste niederzuschlagen. Doch die etwa 10-15.000 Soldaten, die geschickt wurden, mussten nach nur 4 Tagen wieder zurückgezogen werden: Es kam größtenteils spontan zur Verbrüderung von Protestierenden und Soldaten, Barrikaden schossen wie Pilze aus dem Boden und über 1500 Soldaten und Offiziere verweigerten den Befehl, gegen die Protestierenden vorzugehen. Doch die Bewegung schaffte es wegen ihrer unklaren Orientierung und fehlenden revolutionären Führung nicht, diesen Sieg auszunutzen: Nur eine Woche später wurden außerhalb Pekings mindestens 150.000 Soldaten versammelt. Diese begannen, gewaltsam in die Stadt vorzudringen, indem sie teilweise das Feuer auf unbewaffnete Demonstrierende eröffneten. Nachdem der Tian’anmen umstellt war, zogen die restlichen Protestierenden von dort unter Gesang der „Internationalen“ ab. Insgesamt starben in dieser Nacht vom 4. auf den 5. Juni wohl 500-1000 Menschen.

Die Bürokratie zog aus all diesen Ereignissen die Schlussfolgerung, dass sie unter keinen Umständen die Zügel lockerlassen durfte und der Prozess der kapitalistischen Restauration nur in kleinen, kontrollierten Schritten stattfinden durfte – wie bei einem Körper, den man langsam mit kleinen Dosen an ein Gift gewöhnt.

china Tiananmen from the square

Kapitalismus mit chinesischen Charakteristiken

Der gesamte Prozess war kompliziert und nicht widerspruchsfrei. Doch insgesamt schaffte es die Bürokratie, unter Bedingungen des generellen Aufschwungs der Weltwirtschaft in den 90ern und frühen 2000er Jahren diese kapitalistische Restauration ohne größere Verwerfungen durchzuführen. Der Import von Auslandskapital sowie die Privatisierungsprojekte nahmen ein immer größeres Ausmaß an, sodass der Markt und die privaten Kapitaleigentümer die Wirtschaft und die Gesellschaft dominierten und nicht mehr die Staatsbürokratie: Der Kapitalismus wurde in China wieder eingeführt.

Der Staatsapparat behielt dabei die Kontrolle über große Teile der Wirtschaft (etwa das Finanzsystem und große Teile der Industrie), um systematisch lenkend eingreifen zu können. Außerdem profitierte das junge chinesische Kapital enorm von einer durch das Erbe der Planwirtschaft gut ausgebildeten Arbeiterklasse mit relativ niedrigen Löhnen. Das wurde systematisch genutzt: In „Sonderwirtschaftszonen“ siedelten sich ausländische Fabriken an, die Abermillionen Arbeiter beschäftigten und sich dabei eine goldene Nase verdienten, aber auf diese Weise auch massiven Kapitalexport nach China betrieben. Zusammen führte das zu einem starken Wachstum der chinesischen Wirtschaft.

Es wurden immer mehr Standorte privatisiert. Der Deckmantel des Aufbaus des „Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken“ wurde dabei genauso wie die unumschränkte Herrschaft der sogenannten „Kommunistischen Partei“ beibehalten. Formal herrschte derselbe Staatsapparat mit derselben Partei an der Spitze, aber sein Inhalt änderte sich grundlegend: Der chinesische Staatsapparat verteidigt heute die Privilegien einer neuen, kapitalistischen herrschenden Klasse in einer eisernen Diktatur. Um seinen kapitalistischen Charakter zu verstehen, reicht es, sich die Mitglieder des Volkskongresses und dessen „Konsultativkonferenz“ anzusehen: Die 153 reichsten der ca. 5000 Delegierten besaßen 2019 zusammen ein Vermögen von etwa 570 Mrd. €!

Die Krankheiten des Kapitalismus

Doch „Kontrolle über die Wirtschaft“ bleibt unter kapitalistischen Bedingungen letztendlich immer eine Illusion. Die Weltwirtschaftskrise 2008 stellte so eine massive Bedrohung für die chinesische Wirtschaft dar, die immer abhängiger von den ausländischen Märkten geworden war. Ein allgemeiner Plan für die Wirtschaft war unmöglich geworden, da sich zentrale Teile der Wirtschaft in privaten Händen befanden und diese allein nach Profit strebten. Der einzige Hebel, um das Wirtschaftswachstum im Kapitalismus zu stimulieren, waren riesige Staatsinvestitionen in Form von Infrastruktur und Bankkrediten – letztendlich kapitalistisch-keynesianistische Politik in gewaltigem Ausmaß.

40% des chinesischen Inlandsproduktes wurden so auf Kosten einer enormen Verschuldung der nationalen und regionalen Regierungen investiert. Auch wenn China damit einen entscheidenden, stabilisierenden Faktor in der Weltwirtschaft nach 2008 spielte, wurde der zugrunde liegende Widerspruch der Krise, die kapitalistische Überproduktion, dadurch in China (und global!) nur noch weiter verschärft. Nur 75% der Produktionskapazitäten Chinas werden heute tatsächlich genutzt. Immer mehr Kapital wird in Folge davon in unproduktive Spekulation geleitet.

Der fieberhafte Boom des Immobiliensektors, der weiterhin durch staatliche Kredite angetrieben wird, zeugt davon. Doch die immer neuen Kredite werden immer ineffektiver, da die neuen Schulden zum großen Teil für die Abbezahlung alter Kredite verwendet werden müssen. Mittlerweile beträgt die Verschuldung in diesem Bereich 75% - etwa dieselbe Summe wie in den USA 2008. Die Immobilienfirmen müssen Häuser verkaufen, die sie noch nicht gebaut haben, um die Schulden der früheren Projekte abzubezahlen. Bei einem Einbruch der Häuserpreise droht dieses Kartenhaus in sich zusammenzubrechen.

Ein Einbruch würde zusätzlich die Finanzen der regionalen Regierung, die der Hauptmotor des Wachstums sind, massiv destabilisieren. Sie generieren 40% ihrer Einnahmen aus Landverkäufen an den Immobiliensektor und verscherbeln damit ihr Tafelsilber aus Zeiten der Planwirtschaft. Sie haben Schulden von ca. 7,8 Billionen US-Dollar aufgehäuft, fast die Hälfte des chinesischen BIP im Jahr 2021. Eine Destabilisierung im Immobiliensektor könnte so zu einer Destabilisierung des gesamten chinesischen Finanzsystems und zu einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise führen.

Sich weiter auftürmende Schuldenberge und schwindende Wachstumsraten sind das Produkt der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Vor 2020 versetzte noch die Aussicht, 5% Wirtschaftswachstum nicht zu erreichen, das Regime in Angst und Schrecken. Heute sagt das chinesische Magazin Caixin ein Wachstum von nur 2.4% für 2022 und 4,6% für 2023 voraus, sofern die Lockdowns heruntergefahren werden.

Imperialistische Konflikte

Die Weltwirtschaft taumelt währenddessen Richtung Rezession. Das führt zu einem neuen Aufschwung von Protektionismus und Handelskriegen. Die Nationalstaaten versuchen immer aggressiver, ihre Krise auf die Kapitalisten anderer Länder abzuwälzen. Der US-Imperialismus, der jahrzehntelang die Welt dominierte und ausplünderte, gerät dabei in immer schärferen Konflikt mit dem aufstrebenden chinesischen Imperialismus.

 eine direkte Folge der kapitalistischen Restauration nach der gewaltigen Entwicklung der Produktivkräfte des Landes durch die Planwirtschaft. Schon während der Zeit Maos ermöglichten diese Fortschritte Chinas, zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder eine eigenständige Außenpolitik zu entwickeln. Diese Politik verfolgte die Verteidigung der spezifischen Interessen der Staatsbürokratie, was sie in Konflikt mit der konkurrierenden Bürokratie der Sowjetunion brachte und sogar so weit führte, das in den 70ern eine Annäherung an die USA stattfand.

Mit der Restauration und der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung wurde diese Außenpolitik aber zu einer dezidiert imperialistischen Politik im Interesse eines Kapitalismus, dem die Grenzen seines Nationalstaates zu eng werden: Die Sicherung von Rohstoffquellen (vor allem in Afrika), die Sicherung von Import- und Exportwegen zu Land und auf See (die „neue Seidenstraße“) und letztendlich auch die politische und militärische Sicherstellung für Investitionsmöglichkeiten im Sinne des Kapitalexportes – und zwar immer öfter weltweit.

Washington erklärte folglich die Eindämmung der Expansion des wirtschaftlichen und politischen Einflusses Chinas zu seiner obersten Priorität. Im Oktober verabschiedeten die USA zusätzliche verschärfte Sanktionen gegen Mikrochips, um die chinesische Technologieindustrie in die Knie zu zwingen. China versucht sich von den wirtschaftlichen Angriffen der USA abzuschirmen, indem es sich von den westlich dominierten internationalen Lieferketten abzukoppeln versucht. Chinas Pläne zielen bspw. darauf ab, alle im Ausland hergestellten Computerteile bis 2025 im Inland herzustellen.

Taiwan ist dabei ein zentraler Konfliktpunkt zwischen den heute beiden mächtigsten Imperialisten. Xi Jinping, der chinesische Präsident, hat seit seinem Amtsantritt die Annexion von Taiwan zu einem wesentlichen Punkt seiner Agenda erhoben. Er schürt hierfür chinesischen Nationalismus, der eine wichtige Stütze für das Regime bildet. Xi betonte, China werde „niemals Gewalt als Möglichkeit“ zur Annexion von Taiwan ausschließen. Biden erklärte hingegen erstmals, dass die USA bereit sind, Taiwan militärisch zu verteidigen, sollte China versuchen die Insel zu annektieren, nachdem er Taiwan als zentraler Hebel zur Eindämmung von China sieht.

Der sich weiter zuspitzende Protektionismus, das Durchtrennen von effizienten Lieferketten und die Aufrüstung werden die Weltwirtschaft und insbesondere die chinesische Wirtschaft weiter nach unten ziehen. Das birgt gewaltige Gefahren für das Regime.

Klassenpolarisierung und Diktatur

China besitzt heute die mächtigste Arbeiterklasse der Welt. Doch die chinesische Gesellschaft heute ist nach der kapitalistischen Restauration vor allem von gewaltiger Polarisierung zwischen Arm und Reich gekennzeichnet, die sogar höher ist, als in den USA. Auch mit seinen 689 Milliardären liegt China nur knapp hinter den USA. In den letzten Jahrzehnten konnte das Wirtschaftswachstum das offene Ausbrechen von Klassenkämpfen noch eindämmen. Doch die zunehmende Verlangsamung der Wirtschaft führt bereits zu einer immer weiter steigenden Zahl an Streiks.

Die Jugend wird dabei besonders hart getroffen. Im letzten Jahr fielen die Gehälter für Absolventen um 12%, während die Jugendarbeitslosigkeit auf 20% stieg. Die Kapitalisten setzen auf steigenden Arbeitsdruck, um ihre Profite zu verteidigen. Das Motto vieler Firmen „996“ ist ein markanter Ausdruck davon: Arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, und das 6 Tage die Woche. Eine Auspressung der Arbeiterklasse, die westlichen Kapitalisten das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt: Elon Musk etwa brüstet sich damit, dass in seiner chinesischen Fabrik auch um 3 Uhr morgens noch gearbeitet wird.

Die rapide anwachsende Ungleichheit und die Perspektivlosigkeit der Jugend treiben das Klassenbewusstsein voran. Die Propaganda des Regimes gerät in immer härteren Widerspruch mit der Lebensrealität der Menschen. Das Regime ist sich dabei vollkommen bewusst, dass der immer weiter anwachsende Klassenhass zu einer sozialen Explosion führen muss. Anfang des Jahres erklärte Xi Jinping: „wir können nicht erlauben, dass der Spalt zwischen Arm und Reich weiter anwächst [...]“. Die Angst vor den Massen ist der Grund für Xis aus dem Maoismus entlehnten Phrasen. Er versucht, sich vor den ersten Ausbrüchen der Klassenkämpfe als Helfer der Massen gegen die Kapitalisten darzustellen. So spricht er immer wieder von „Wohlstand für alle“. Doch jede Anbiederung an die Massen wird ergänzt durch eine Versicherung in Richtung der Kapitalisten, dass dies nicht erreicht werden wird durch „Raub an den Reichen“.

Die Angriffe von Xi auf einzelne Kapitalisten, sind daher nicht gegen den Kapitalismus per se gerichtet. Die Staatsbürokratie verteidigt den Kapitalismus als Grundlage für ihre eigene Machtposition. Sie versucht, die verrottetsten Ausdrücke des Kapitalismus zu bändigen, um die Massen unter Kontrolle zu halten, während sie das System als Ganzes verteidigt. Die chinesische Kapitalistenklasse ist zu schwach, um selbständig die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten und braucht daher die totalitäre Diktatur der KPCh. So erkaufen sich Kapitalisten Posten in der Partei und verstecken sich hinter dem Staatsapparat vor den Massen.

Die Bürokratie balanciert zwischen den Klassen und versucht, durch Repression, Zensur und Überwachung ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Der Staatsapparat dringt so tief in die Gesellschaft ein und versucht, jede eigenständige politische Organisierung der Klassen zu unterbinden. Ob in den gelben „Gewerkschaften“ oder den Konzernführungen, der Staat versucht zunehmend, seine eigenen Bürokraten in direkte Kontrollposition zu bringen.

Der 20. Parteitag der KPCh im Oktober sah eine enorme Zentralisierung der Macht in den Händen von Xi Jinping, der entgegen den vergangenen Parteistatuten für eine 3. Amtszeit antrat. Die Festigung Xis an der Spitze der Bürokratie fließt aus dem Drang, die Kontrolle über die Gesellschaft im Angesicht kommender Klassenkämpfe zu konsolidieren. Jeder, der ein Gegengewicht zu Xis Fraktion darstellte, wurde daher aus Führungspositionen entlassen und durch Xi-treue Bürokraten ersetzt.

Vor allem Li Zhanshu und Wang Yang, die direktesten Vertreter von weiteren Reformen zur Liberalisierung der Wirtschaft wurden entfernt. Die Bürokratie ist sich vollkommen bewusst, dass sie in der kommenden Periode staatliche Eingriffe in die Wirtschaft brauchen wird. Doch im Kapitalismus gibt es enge Grenzen dafür. So wurde beispielsweise ein Plan für die Ausweitung der Grundsteuer angesichts der Krise des Immobilienmarktes wieder fallengelassen. Ebenso kam es nach dem 20. Parteikongress zu einem massiven Einbruch der Börse in Shanghai und Hong Kong aufgrund der Möglichkeit, dass das neue Regime Maßnahmen, die den Interessen des Marktes widersprechen, durchsetzen könnte.

Die kommende chinesische Revolution

Wie die jüngsten Proteste in China zeigen (siehe Kasten/andere Seite), wird das Regime die Widersprüche des kapitalistischen Systems und hier vor allem die Klassenwidersprüche nicht ewig deckeln können. So stellt sich die Frage: Welche Alternative hat die Arbeiterklasse?

Die großen Erfolge, die die chinesische Revolution selbst unter Bedingungen der bürokratischen Deformation vorzuweisen hatte bedeuten, dass viele kämpfende Arbeiter und Studenten mit einem positiven Zugang zum Maoismus aktiv werden, den sie dem schlecht verhüllten Kapitalismus der heutigen Gesellschaft entgegenstellen.

Doch es gilt, die Sackgassen der Vergangenheit zu analysieren. Und das Wichtigste dabei ist: Eine sozialistische Revolution in China wird nicht dasselbe Schicksal erleiden wie einst unter Mao. Statt eines ökonomisch rückständigen Agrarlandes mit winziger Arbeiterklasse wird die kommende chinesische Revolution vom stärksten Proletariat der Geschichte angeführt werden und ein Leuchtfeuer für die Arbeiter aller Länder sein. Die kommende chinesische Revolution wird unter diesen Bedingungen nicht in einer bürokratischen Diktatur, sondern einer Arbeiterdemokratie münden. Die „Internationale“, die in den jetzigen Protesten von chinesischen Studenten gesungen wurde, wird nicht nur in Shanghai, sondern in ganz China und der restlichen Welt zu hören sein.

(Funke Nr. 209/6.12.2022)


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