Wenn es am österreichischen Bürgertum etwas Charakteristisches gibt, dann ist es ihr vollständiger Mangel an demokratischen Traditionen und ihr bornierter Provinzialismus. Wir haben dies bereits an Hand der ÖVP-Führungsgarnitur des Öfteren demonstriert. Wenden wir uns nun einer anderen Institution der bürgerlichen Gesellschaft zu: der Tageszeitung „Die Presse“. Was der Herausgeber dieses Printmediums seit Weihnachten so von sich gibt, versetzt uns ein jedes Mal aufs Neue in Staunen.

Die „Neue Freie Presse“ war einst ein Kind der bürgerlichen Revolution von 1848. Selbst Karl Marx schrieb mehrmals für dieses Blatt. Nach über hundertjährigem schleichendem Verfall scheint jetzt unter Fleischhacker die journalistische Inkubation des Mittelalters begonnen zu haben. In einer Art „politischen Dorftrottelolympiade“, um einen eigentlich gegen die SPÖ Oberösterreich gerichteten „Fleischhackerismus“ zu verwenden, tritt der Chefredakteur seit drei Monaten immer wieder gegen sich selbst an. Sein vermeintlicher Gegner: Die „68er“.

Doch lassen wir Herrn Chefredakteur selbst zu Wort kommen…

Gedenkjahr 1938-2008

Über die Vergangenheitsbewältigung im Gedenkjahr 2008 schreibt Fleischhacker folgendes:

„Die Vertreter der '68er'-Generation hatten die Macht an den Universitäten übernommen. Man schritt also zur Produktion eines Tätermythos. Er erzählt davon, dass der Ständestaat als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu verstehen sei. Nur durch das Herausstreichen des ‚Arbeitermörders’ und ‚ideologischen Nazivorläufers’ lässt sich der Umstand verschleiern, dass Dollfuß tatsächlich das erste Opfer des Nationalsozialismus war.“

In dem langen Leitartikel zum 70. Jahrestag des Anschlusses an das unmenschlichste Regime der Menschheitsgeschichte, gilt Fleischhackers Sorge alleine einem sogenannten „Tätermythos“, den einige „68er“ verbreitet hätten. Wir lesen kein Wörtchen Kritik an Dollfuss, ja nicht einmal am Hitlerfaschismus, nicht einmal das Wort Diktatur wird für den Austrofaschismus gebraucht, sondern der Euphemismus „autoritäre Staatsführung“. Dagegen scheint selbst der große Gegner der 68er Konrad Adenauer als Vorkämpfer von Vergangenheitsbewältigung, Aufklärung und liberaler Demokratie.

Parallel dazu applaudiert der ÖVP-Parlamentsklub Otto Habsburg zu, als dieser als Referent im Rahmen einer Klubveranstaltung zum Anschluss, die Anschlusskundgebung im März 1938 auf dem mit Nazis überfüllten Heldenplatz mit einem Fußball-Match vergleicht und Österreich als größtes Opfer des NS Regimes bezeichnet, weil nirgends sonst der Bundeskanzler ermordet worden war.

„Die synthetische Kraft“

Zu Ostern 2008 schreibt Fleischhacker unter dem Titel „Die Synthetische Kraft“ und beschwört die christlichen Traditionen der bürgerlichen Gesellschaft hierzulande:

„Bin Laden geht also mit einer großen Selbstverständlichkeit davon aus, dass seine Drohung gegen den Papst in Rom das gesamte Abendland zum Adressaten macht. Damit hat der Terrorpate einem Gutteil der Europäer etwas voraus: Die halten inzwischen die Antibabypille und den uneingeschränkten Warenverkehr eher für Grundpfeiler des Abendlandes als das Vorhandensein der römisch-katholischen Kirche. Das hat nicht zuletzt mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des Jahres 1968 zu tun.
Das ging einigermaßen gut, solange sich die Europäer mit nichts beschäftigen mussten als der einigermaßen schmerzfreien Administration der Wohlstandsverwahrlosung ihrer Kinder.
Man möchte sich manchmal wünschen, dass der durchschnittliche Österreicher so viel Gespür für den Stellenwert der Kirche hätte wie der saudische Terrorpate.“


Das Spießertum ist unsere Rettung

Unter dem Titel „Das Spießertum ist unsere Rettung“ schreibt er am 5. April über den Zerfall der Familien:

„Dass es so weit kam, hat viel damit zu tun, dass es dem 68er-Zeitgeist gelungen ist, das Prinzip ‚law and order’, das die Grundlage jedes liberalen Gesellschaftssystems ist, als reaktionäres Muster zu denunzieren. Heute wissen wir, dass die tatsächlichen Reaktionäre seit Jahrzehnten im ‚liberalen’ Gewand der 68er ihr Unwesen treiben: Ihre Versuche, die eigene Moral über Recht und Ordnung zu stellen, unterscheiden sich strukturell nicht von jenen der rechten und linken Diktaturen des 20. Jahrhunderts.“

Die Gleichsetzung von Hitler und Stalin sind wir ja gewöhnt. Aber hier wird in einem Kommentar zu Erziehungsfragen ganz wie nebenbei die Totalitarismustheorie neu aufgewärmt und dabei die StudentInnen- und ArbeiterInnenrevolution von 1968 strukturell mit Auschwitz gleichgesetzt.

Das Weltbild von Fleischhacker erinnert an einen Neandertaler. Es ist geprägt von dem Denken eines unglaublich primitiven, katholisch-autoritär inspirierten Kulturkampfes, der als größten Feind „die 68er“ sieht, die durch ihren Atheismus, ihren demokratischen Antifaschismus und durch ihre „eigene Moral“ Recht und Ordnung in Gefahr bringen.

Vom Modernismus ins Neandertal?

In einem hat Fleischhacker Recht: Der Zeitgeist, der seit dem Niedergang des Konservativismus die Welt prägt, der prokapitalistische Modernismus, ist am Ende. Für diesen Modernismus sind aber im übrigen die Yuppies der 1980er und 1990er Jahre viel charakteristischer als „die 68er“, die immerhin von einer befreiten Gesellschaft träumten, einer Gesellschaft, die in den Worten von Marx nichts anderes bedeuten sollte, als die Verwirklichung des Christentums und die Befreiung der menschlichen Beziehung vom Geld- Fetisch. Erst das Scheitern dieser revolutionären Welle Ende der 1970er Jahre führte zu der Wertekrise, die wir heute haben, zur Allgegenwart von Zynismus, Hoffnungslosigkeit, und zum Verfall der sozialen Beziehungen.

Aber ist es wirklich so eine gedankliche Höchstleistung aus der Krise des Modernismus die Wiederkehr einer Vormoderne zu verlangen. Die Philosophie Fleischhackers ist nicht nur der von Ratzinger sondern auch der von Bin Laden traurig ähnlich.

Im Advent 2007 schreibt derselbe, der zu Ostern den Verlust der synthetischen Kraft christlicher Identität und Symbolik beklagt, folgende Zeilen über Arigona Zogaj:

„Warum also warten? Weil eine Abschiebung unmittelbar vor Weihnachten irgendwie unnett wäre? Wenn abschieben, dann lieber gleich!“

In Wirklichkeit baut Fleischhacker nur dann auf die synthetische Kraft der Kirche, wenn es ihm darum geht gegen die Linke zu polemisieren. Er selbst ist ein Yuppie-Modernist, der nichts anderes im Sinn hat als billige journalistische Klientelpolitik für Superreiche. Das Absolute von Fleischhacker, das ist der Kapitalismus, alles andere ist relativ.

Das österreichische Bürgertum, ideell und intellektuell abgedankt, will in die Vormoderne zurück. Grüne und SPÖ-Führung suhlen sich in der zynischen Selbstzufriedenheit eines gescheiterten Modernismus. Jede ernsthafte demokratische Tradition, jede ernste Erneuerung der Werte und der sozialen Beziehungen kann nur in einer neuen Kraft ihre Synthese finden: In der Vollendung der 68er-Revolution, im Sozialismus des 21. Jahrhundert.

Wir schließen mit einem Zitat von Karl Kraus, der um die Jahrhundertwende schrieb, dass es „keine Schlechtigkeit gibt, die der Herausgeber der ‚Neuen Freien Presse’ nicht für bares Geld zu vertreten, und keinen Wert gibt, den er aus Idealismus nicht zu leugnen bereit ist“. Nur was zwischen den Zeilen steht, ist nicht bezahlt.

Josef Falkinger


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