Über die Formen des Widerstands an den Unis schreibt Emanuel Tomaselli

Jahrelang schien es als ob Studierende an Österreichs Universitäten sich alles gefallen ließen. Die marktkonforme Zurichtung der Auszubildenden im Zuge des Bologna-Prozesses kombiniert mit chronischer Unterfinanzierung und Zugangsbeschränkungen machen das Studium zu einem Spießrutenlauf, auf dem nur die Fittesten durchkommen. Nun ist die Zeit reif für den Gegenschlag. Über Stärken und Schwächen studentischen Protests im Herbst 2009.

„...einfach nur geil“

Damit hängen eine Reihe von Fragen zusammen: Welches Programm brauchen wir? Welche Protestformen braucht es? Wie soll sich die Bewegung strukturieren? Welche Perspektiven sollte sie entwickeln?

Auf die Frage nach den Perspektiven des Protestes antwortete eine führende Akivistin der Audimax-Besetzung in Wien: „Ich habe keine Perspektive – es ist hier einfach nur geil.“ Tatsächlich passieren derzeit wunderbare Dinge auf den besetzten Unis, die draußen in der Welt des Kapitalismus, in der Menschen nach dem Wert ihrer Arbeitskraft taxiert werden, undenkbar sind. Selbstbestimmtes Miteinander, gemeinsames Organisieren, Arbeiten und Diskutieren kennzeichnen diese Protestbewegung. Gemeinsam und selbstbestimmt wird plötzlich sogar der kollektive Akt des Kloputzens als sinnvoll bewertet. Am anderen Ende der lukullischen Stufenleiter würden Speisende dieser Tage das Essen der Volxküche jedem Haubenlokal vorziehen. All das erklärt die große Anziehungskraft, die diese Bewegung bisher entwickeln konnte.

Doch es drängt sich die Frage auf, ob die Bewegung hier das Ziel oder der Zweck ist? Ein Vortragender auf dem Audimax brachte seine Perspektive so auf den Punkt: „Wie gelingt es uns den kreativen Ausnahmezustand der ein - noch unbekanntes Ablaufdatum hat - in einen Normalzustand zu überführen?“ Oder um in die Sprache der Autonomie zu verfallen: „Wie gestalten wir unseren Freiraum und wie gehen wir darin miteinander um.“
Diese Bewegung begann als eine unmittelbare Rebellion gegen die unhaltbaren Zustände an den Unis. Die zentralen Fragen, die sich daher stellen, lauten: Wie können die Studienbedingungen verbessert werden? Wie erzwingen wir eine höhere Finanzierung der Unis? Wie kann der freie Zugang zur Bildung erkämpft werden? Was muss passieren, dass Kinder aus ArbeiterInnenfamilien auf die Uni gehen können? Welche Möglichkeiten der universitären Ausbildung werden für Menschen ohne Matura geschaffen? Welche besonderen Bedürfnisse haben studierende Eltern oder MigrantInnen?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Überlegungen und des massenhaften Protests der Studierenden. Die zentrale Bedeutung der Bildung erkennend sich deshalb auch die Gewerkschaften und die Mehrheit der Lohnabhängigen mit dieser Uni-Protestbewegung. Und daher wollen wir auch diese Fragen in dem Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen.

Demokratisch und schlagkräftig

In jeder sozialen Protestbewegung bestehen unterschiedliche politische Standpunkte. Diese müssen einer ausführlichen und möglichst breiten, demokratischen Diskussion und schlussendlich einer Abstimmung unterzogen werden. Arbeitsgruppen sind wichtig, ihr Sinn liegt jedoch in der Präzisierung und Umsetzung der gemeinsam entschiedenen Generallinie.

An der Mehrheit der österreichischen Universitäten wird derzeit das genaue Gegenteil praktiziert. Der Wunsch nach diesen Formen der Basisdemokratie ist eine nachvollziehbare Gegenreaktion auf die Bürokratie und Demokratiefarce, welche die Parteien und politischen Institutionen in diesem System kennzeichnen. Dennoch verhindert diese Methode der Meinungsfindung eine konzentrierte Debatte über Perspektiven und Methoden der Bewegung und schwächt diese damit.

Wenn unser Ziel es ist, die Regierung in die Knie zwingen zu wollen, indem sie den Unis die notwendige Bildungsmilliarde zur Verfügung stellen muss, dann muss die Bewegung schlagkräftiger werden. Als notwendige Voraussetzungen erachten wir daher folgende Punkte: Es braucht ausführliche Plenardiskussionen über die weiteren Perspektiven und Protestformen mit Abstimmungen. Auf Grundlage dieser Beschlüsse sollten auf allen Instituten und Universitäten Delegierte gewählt werden, die einen Widerstandsrat bilden, der eine gemeinsame politische Stoßrichtung ausarbeitet, die Initiativen der Protestbewegung koordiniert und sie mit den Protesten der Gewerkschaften vernetzt. Dieser Widerstandsrat sollte auf täglicher Basis in den Plenas abwählbar und erweiterbar sein. Die demokratisch legitimierte Vernetzung aller Universitäten könnte auf einem Studierendenkongress erfolgen.

Solidarität

Die Erfahrung früherer Studierendenproteste in Österreich und international zeigt, dass ihre Erfolgsaussicht exponentiell mit ihrer Verknüpfung mit der ArbeiterInnenbewegung steigt. StudentInnen verfügen kaum über ökonomische Druckmittel (abgesehen von Möglichkeiten der Sabotage insbesondere an den Technischen Universitäten, etwa des Internetservers an der HTU). Ob Studierende lernen oder lieber Volksküchen organisieren, ist auf absehbare Zeit für die herrschende Ordnung kein Problem. Die Stärke universitärer Bewegung liegt aber in ihrer Vorbildwirkung für andere gesellschaftliche Gruppen. Diese kann sie jedoch nur ausspielen, wenn sie Forderungen erhebt die Lohnabhängigen signalisieren, dass die Studierenden nicht standesborniert sind und offensiv Forderungen für andere gesellschaftliche Gruppen ins eigene Programm aufnehmen, beginnend bei jener nach dem freien Hochschulzugang.

Die Unibesetzungen haben in den vergangenen Tagen aktive Solidarität erfahren – nicht zuletzt von den Gewerkschaften. Diese Solidarität sollte nicht unter dem Motto – „der nächste Agru-Bericht bitte“ – schnell aus der Diskussion verschwinden. Hier besteht die Möglichkeit einer verallgemeinerten sozialen Bewegung, die die Parole „Eure Krise zahlen wir nicht“ konkret manifestieren kann. Wir vertreten die Meinung, dass die gegenseitigen Solidaritätsbekundungen konkretisiert werden müssen. Die Arbeitskämpfe in der Druck- und Metallindustrie, der nächste Aktionstag des Kindergartenpersonals am 21.11. bieten konkrete Möglichkeiten des Zusammenschlusses sozialer Kämpfe durch Entsendung von Solidaritätsdelegationen der Studierenden, die in den Betrieben einen gemeinsamen Streiktag bewerben.

Ein Blick über die Grenzen

Die letzten Jahre sahen in ganz Europa immer wieder riesige StudentInnenbewegungen, die voller Lehren sind. Vergangenen Herbst sahen wir in Italien die „Onda“ (Welle), die am Höhepunkt der Bewegung, zwei Millionen SchülerInnen, Studierende und Lehrende auf die Straße brachte. Die Bewegung ähnelte in vielen methodischen Aspekten den jetzigen Besetzungen in Österreich. Immerhin schaffte es die „Onda“ am 15.-16. November ein nationales Koordinationstreffen in Rom zu organisieren. In der Abschlusserklärung dieses Treffens lesen wir: „Wir zahlen die Krise nicht, denn wir sind die Welle, die die Herrschenden in die Krise stürzt. Unsere Bewegung ist nicht greifbar, wir kommen ganz unvorhergesehen, niemand repräsentiert uns, und das macht uns so stark, machtvoll und frei, wie eine Flutwelle, die alles mit sich reißt.“
Diese Erklärung ist gleichzeitig die ungewollte Schlussbemerkung eines gewaltigen Ausbruchs der Wut einer ganzen Generation, der sich mangels einer politischen Perspektive ins Nichts auflöste.

Ganz anders die Erfahrung der Bewegung gegen die Prekarisierung der Beschäftigung in Form des Vertrags zur Ersteinstellung (CPE) im Jahre 2006 in Frankreich. Diese Bewegung koordinierte sich auf lokaler und nationaler Ebene über demokratisch gewählte Delegierte aus Schulen, Unis und den Gewerkschaften.
Wir zitieren hier vom nationalen Koordinationstreffen in Lille vom 2. April 2006:

„Für eine Bewegung gegen die Prekarität – Appell der Koordination von Lille

Wir Studierende und SchülerInnen, Delegierte von 114 Bildungseinrichtungen, bestätigen unseren Willen eine geeinte Bewegung gegen die prekäre Beschäftigung aufzubauen und die Streik- und Blockadeaktionen bis zum Rückzug des Gesetzes LEC und CNE weiterzuführen. (...)
Am 7. April rufen wir zu einem nationalen Aktionstag gegen Polizeirepression auf. Während der Ferien halten wir den aktiven Streik und die Blockaden aufrecht.
Am 8. April rufen wir die Gewerkschaften auf gemeinsame Demonstrationen von Lohnabhängigen, Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, SchülerInnen und Studierenden mit uns gemeinsam zu organisieren.
Für den 11. April schlagen wir allen Lohnabhängigen, den SchülerInnen und Studierenden wie auch der gesamten Bevölkerung vor, einen simultanen Protesttag in allen französischen Städten abzuhalten.
Alle gemeinsam, für den wiederholten Generalstreik, wir werden siegen!“


Auch wenn dieser Text an die poetische Qualität der Römer Erklärung nicht heranreicht, so war es doch diese Versammlung und ihr Programm und ihre Methoden, die die Regierung in die Knie zwang.

Auch hier geht’s

Wir sind der Überzeugung, dass auch hierzulande die Protestbewegung das Potential hat der Regierung zumindest Teilererfolge abzuringen – unter der Voraussetzung, dass die Bewegung die sich aufdrängenden Fragen klärt. Die große Mehrheit der Studierenden und Beschäftigten kann nicht ewig kampfbereit sein, und lässt sich auf diesen Konflikt auch nur weiter ein, wenn er zumindest die Chance auf Erfolg erkennen lässt. Die UnterstützerInnen des Funke setzen daran an, entlang der hier umrissenen Perspektiven und Methoden um Unterstützung an Bildungseinrichtungen, Betrieben und Organisationen der Lohnabhängigen zu werben und Mehrheiten zu erreichen. Stimmst du mit unseren Grundaussagen überein zögere nicht diesen Kampf gemeinsam mit uns zu führen.


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