Warum Zwang und Prüfungen MigrantInnen schikanieren, aber das Zusammenleben der Kulturen nicht fördern, beleuchtet Verena Stross.
Selbst viele Menschen, die sonst linke Positionen vertreten, argumentieren voller Überzeugung die Position, dass MigrantInnen zum Deutsch lernen verpflichtet werden sollen.
Politik
Seit dem 1. Jänner 2006 gilt für MigrantInnen, die nicht aus dem EU-Raum bzw. aus einigen EWR-Ländern kommen, die Integrationsvereinbarung. Was steckt hinter dem schönen Wörtchen „Integration“? Hier bedeutet es: MigrantInnen haben sich zu „integrieren“, sprich vor allem innerhalb von fünf Jahren so gut Deutsch zu lernen, dass es für die meisten Belange des täglichen Lebens reicht.
Wenn zwei Kurse innerhalb von zwei Jahren positiv abgeschlossen werden, zahlt die Republik Österreich die Gebühr ganz oder zur Hälfte zurück. Sollten fünf Jahre verstrichen sein und die Prüfung nicht bestanden, droht die Ausweisung. Die Kehrseite, nämlich das „integriert werden“ findet sich nicht in der „Vereinbarung“ wieder – wir haben es mit einem Vertrag zu tun, welcher nur für eine Seite bindend ist.
Dabei geht es weder um die hehren Werte von Sprache und Kultur noch um die MigrantInnen, „die sich ja verständigen können müssen“, sondern schlicht um wirtschaftliche Interessen. „Schlüsselarbeitskräfte“, d.h. Menschen mit einer Berufsausbildung, welche in Österreich als Mangelware gilt, werden ohne Deutschkurs und mit ihrer Familie aufgenommen. Für alle anderen gilt auch beim Familiennachzug eine Quote.
Am 19.1.2010 wurden – zur Schande der SPÖ mit deren Zustimmung – Verschärfungen im Fremdenrecht beschlossen. Der so genannte „Aktionsplan für Integration“ sieht vor, dass manche EinwandererInnen (EU- und zum Teil EWR-BürgerInnen sind ausgenommen) schon vor der Ankunft in Österreich Grundkenntnisse in Deutsch besitzen müssen.
Dazu reicht es nicht, zu Hause mit Lehrbüchern, CDs und Nachschlagewerken zu stucken – wer hereingelassen werden will, muss einen Kurs an einem international anerkannten Sprachlerninstitut besuchen. Bengalische, ostanatolische, nigerianische,… Dörfer und Kleinstädte haben eines gemeinsam: Sie haben kein Goethe-Institut. Viele Menschen in diesen Gegenden haben eines gemeinsam: Sie haben nicht genug Geld, um sich die Kurse an einem solchen leisten zu können. Weiters besagt jener Aktionsplan der Grausamkeiten, dass Jugendlichen zwischen 18 und 21, die keiner Ausbildung nachgehen, die Familienbeihilfe gestrichen wird. Und das in einer Situation des Lehrstellenmangels, der MigrantInnen besonders trifft!
Von klein auf
Ab kommendem Herbst müssen Wiener Kinder vor ihrer Einschulung ein Jahr lang einen Kindergarten besuchen. Grund dafür ist unter anderem, dass die Sprachstandardfeststellung 2009 10% der muttersprachlichen und 56% der fremdsprachlich aufwachsenden Kindern mangelnde Deutschkenntnisse bescheinigt hat. Ein alarmierendes Zeichen? „Einer der wichtigsten Punkte ist, dass man diese Deutsch-Obsession aufgeben muss“, so Hans Jürgen Krumm, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien.
Gemeint ist hier nicht, dass Deutsch lernen nicht wichtig sei, aber dass der Wert der Muttersprache nicht vergessen werden darf. Unter ExpertInnen besteht Einigkeit darüber, dass die Förderung der Muttersprache nicht Hindernis, sondern Voraussetzung ist für das Erlernen einer weiteren Sprache.
Die Statistik besagt: 57% der Kinder mit anderer Muttersprache besuchen Hauptschulen, nur 43% Gymnasien. Jene mit Deutsch als Muttersprache gehen nur zu 22% in Hauptschulen. Erstere sind auch in den Sonderschulen überproportional vertreten.
Das mag einerseits, wie es die SPÖ Wien begründet, an sozioökonomischen Faktoren liegen – viele MigrantInnen gehören hierzulande zu den Ärmsten der Armen –, andererseits an verfehlter Sprachpolitik. Im Frühjahr ließ Häupl aufhorchen, als er äußerte, dass eine türkische Schule in Wien durchaus vorstellbar wäre. Es gebe ja schließlich auch das Lycée Francais und die Vienna International School.
Wie auch immer: Eine einzelne und noch dazu private Schule wird für die meisten nichts verändern! Gelöst werden kann das Problem der ungleichen Bildungschancen nur durch mehrsprachige Gesamtschulen mit kleinen Klassen und modernen Lehrmethoden! Und schließlich geht es dabei auch um die finanzielle Sicherung der Familien – sonst scheitert die Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten oftmals an der leeren Geldbörse!
Integrationskurse
Ein wichtiger Sektor der Erwachsenenbildung sind die so genannten Integrationskurse. Natürlich ist es gut und richtig, dass MigrantInnen die Möglichkeit gegeben wird, Deutsch zu lernen. Allerdings ist Zwang eben kein geeignetes Mittel und dem Erwerb einer Zweitsprache abträglich. Sprache kommt mit Integration, nicht umgekehrt – ExpertInnen und Hausverstand sagen, dass jemand sie nur durch Einbindung in die Gesellschaft sprechen lernt und Motivation gewinnt, weiter zu lernen.
Zudem darf die Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt jemand die Sprache lernen will, nicht von der Politik gefällt werden, sondern muss der persönlichen Lebensplanung überlassen werden. Bei Verstreichen der Fünfjahresfrist droht die Ausweisung. Vor allem Menschen, die im Herkunftsland nicht alphabetisiert wurden, haben praktisch überhaupt keine Chancen, die Prüfung zu bestehen. Dies betrifft hauptsächlich Frauen aus den unteren Gesellschaftsschichten.
Deutschkurse sollen Landeskunde vermitteln (im schlimmsten Fall besteht diese aus Musikantenstadl, Sissi-Filmen und dergleichen) und die Integrationsprüfung stellt diesbezüglich Fragen, welche auch hier eingeborene Menschen nicht richtig beantworten können (und deren Wichtigkeit zu einem guten Teil fragwürdig scheint)… So der politische Beitrag zur Losung „Aber sie sollen sich schon unserer Kultur anpassen.“
Wir sagen: Deutschkurse müssen ohne Zwang, flächendeckend und gratis angeboten werden. Aufgedrückte Integration fördert hingegen Assimilation (d.h., dass Minderheiten ihre Kulturen und Gepflogenheiten aufgeben, um sich in die Mehrheitskultur zu „integrieren“) oder den Rückzug in die Community, die für viele den einzigen Halt darstellt. Sprachen werden gelernt, wenn Menschen soziale Beziehungen knüpfen können und nicht ausgegrenzt werden.
Dies geschieht auch, wenn sie gemeinsam für ihre Rechte kämpfen – unabhängig von nationaler Herkunft, Hautfarbe und Religion. Arbeitende Menschen, egal woher sie kommen, haben gemeinsame Interessen. Dazu gehört neben der Abwehr sozialer Verschlechterungen auch die Abschaffung jeglicher rassistischer Gesetze inklusive Einwanderungsrestriktionen! Die Organisationen der Klasse haben die Verantwortung, MigrantInnen zu organisieren und sich für ihre Anliegen einzusetzen!