Ein genossenschaftlicher Kommentar zum KJÖ-Magazin „Vorneweg“ von Yola Kipcak.
Wir begrüßen, dass im KJÖ-Magazin „Vorneweg“ Nr. 2/23 kritisiert wird, wie der Feminismus imperialistische, kriegstreiberische Politik rechtfertigt. Kriegseinsätze, Militarisierung genauso wie Sozialabbau werden von Politikerinnen mit Frauenquoten und „Gendersensibilität“ schöngeredet. Auch kritisiert das „Vorneweg“ die weit verbreitete feministische Auslegung, dass Sexarbeit eine ganz normale Arbeit sei, obwohl Sex-Trafficking und Gewalt ein untrennbarer Bestandteil davon sind.
Immer mehr radikale Jugendliche hinterfragen das, was gängig „Girlboss-“, „Mainstream-“ oder „liberaler Feminismus“ genannt wird. Doch warum wird der Feminismus als Tool der Herrschenden verwendet – und was braucht es stattdessen? Soll es einen „anderen“ Feminismus geben – oder ist eben der Marxismus das beste Werkzeug zum Kampf gegen Sexismus und Unterdrückung, wie wir vom Funke es argumentieren? Hierzu wird in der Vorneweg-Ausgabe leider kein Wort verloren.
Diese Vagheit ist eine große Schwäche, weil dadurch Verwirrung statt Klarheit gefördert wird. Um Sexismus, Diskriminierung und Unterdrückung zu bekämpfen, braucht es: 1. Eine Analyse, was die Ursache für die Frauenunterdrückung ist und 2. die richtigen Methoden, um sie zu bekämpfen. Dies können alle verschiedenen Theorien und Spielarten des Feminismus nicht liefern, der Marxismus aber schon.
Es gibt die weitverbreitete Lüge, der Marxismus sei „sexistisch“ oder „zu wenig“ und man müsse ihn deshalb mit dem Feminismus ergänzen. Diese Lüge hat ihren Ursprung einerseits darin, dass die Bürgerlichen jeden Hauch von Klassenkampf aus der Bewegung entfernen möchten. Sie wollen „Realfeminismus“ (wie Deutschlands Außenministerin Baerbock es nennt), was nichts anderes ist als ein lila angepinselter Kapitalismus. Und zweitens stammt diese Lüge über den Marxismus aus der schädlichen Rolle des Stalinismus und Reformismus in der Arbeiterbewegung:
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts kämpften MarxistInnen wie Clara Zetkin und Lenin für eine klare Trennung der bürgerlichen Frauenrechtsbewegung von der proletarischen Frauenbewegung. Die Bolschewiki maßen dem Kampf für die Befreiung der Frau sehr große Bedeutung bei – für sie war das nur als gemeinsamer Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus denkbar. Sie wollten keine Zugeständnisse, weder an rückständige sexistische Arbeiter noch an die Bürgerlichen, die die Frauenfrage immer als innerhalb des Systems lösbar glaubten.
Als die Sozialistischen und Kommunistischen Parteien den genuinen Marxismus und den Kampf für die Revolution über Bord warfen, wurde die Frauenfrage zum „Nebenwiderspruch“ degradiert. Das chauvinistische und sexistische Umfeld in diesen Organisationen war der Grund, warum die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen des Feminismus ab den 1960er Jahren innerhalb der Frauenbewegung Oberhand gewannen. Nicht ohne Grund wird in der feministischen Geschichtsschreibung fast immer völlig ignoriert welche große Sprünge die Befreiung der Frau in der Russischen Revolution innerhalb kürzester Zeit erzielen konnte, und wie die frühe Kommunistische Internationale die Befreiung der Frau systematisch als integralen Teil des Klassenkampfes hervorhob.
Diese Leerstelle sorgt bis heute für Verwirrung und Unklarheit in der Bewegung. Die feministischen Erklärungen über das Patriarchat suchen die Ursache der Unterdrückung in der „toxischen Männlichkeit“, in der Psychologie und der Kultur – anstatt in der Klassengesellschaft, wie es der Marxismus tut. Daraus fließt als Methode ein Kampf „Mann vs. Frau“, statt den gemeinsamen Klassenkampf und den Kampf gegen Unterdrückung als untrennbares Ganzes zu sehen. Verbesserungen über Bildung und Kultur und kleine Reförmchen – durch Single-Issue-Aktivismus, Petitionen an Regierungen und Bittstellen – verdrängten jeden Anknüpfungspunkt an den Klassenkampf. Im Gegenteil gibt es stattdessen Kollaboration mit kapitalistischen Kräften.
Die Aufgabe von Marxisten ist es, den bürgerlichen Charakter des Feminismus vom Marxismus klar zu trennen, anstatt diese Grenzen zu verwischen. Ein sehr gutes Beispiel für dieses „Verwischen“ ist das Konzept des Frauenstreiks, der in dem Vorneweg-Artikel „Wenn Frauen streiken, steht die Welt still“ als Kampfmethode vorgestellt wird. Der Streik ist der zentrale Hebel, um den Herrschenden Dampf zu machen, indem man ihren Profit bedroht. Doch das Konzept des Frauenstreiks sieht vor, dass nur Frauen streiken sollen, d.h. männliche Arbeiter sollen, anstatt sie als Klassenbrüder zu sehen und von ihnen einzufordern gemeinsam zu kämpfen, als Streikbrecher agieren. Noch dazu wird in diesem Konzept das Mittel des Streiks durch symbolische oder individualistische Aktionen wie „in der Pause Meetings abhalten“ oder „einen Tag frei nehmen“ oder „Haushaltsarbeit verweigern“ aufgeweicht. Die Herausforderung, eine oft konservative Gewerkschaftsführung unter Druck zu setzen, um einen effektiven Streik zu organisieren, wird dadurch umgangen, dass der Streik einfach neu definiert wird – auf eine Weise, die den Kapitalisten weniger schadet. Die Autorin des Artikels, Selma Schacht, weiß es selbst aus Erfahrung eigentlich besser. Sie organisierte erst diesen Sommer einen vorbildlichen und entschlossenen Streik der Wiener FreizeitpädagogInnen (wir berichteten). Weder wurden dort die männlichen Kollegen vom Streik ausgeschlossen, noch die Kolleginnen dazu aufgefordert, jegliche Reproduktionsarbeit im Haushalt einzustellen.
Wir sehen in den letzten Jahren weltweit einen Aufschwung von Massenkämpfen. Wie immer bringt die praktische Erfahrung des Klassenkampfes frischen Wind in die Debatte. Bürgerliche Ideen werden hinterfragt. Die Aufgabe von Marxistinnen und Marxisten ist es, hier Klarheit hineinzutragen: Wir sind die entschiedensten Kämpfer gegen Sexismus, Diskriminierung und Unterdrückung. Die Vielschichtigkeit der Unterdrückung von Frauen und Mädchen – auch psychologisch und kulturell – ist ein reales Problem. Und der Marxismus ist das einzige Werkzeug, mit dem man die Frauenunterdrückung wirklich erklären und sie auch überwinden kann.
(Funke Nr. 216/30.8.2023)