Klima. Anhaltende Starkniederschläge führen zu Überschwemmungskatastrophen und falschen Schuldzuweisungen an Umweltschützer durch die Regierungsspitze. Lukas Tomaselli berichtet.
Anfang Juli dieses Jahres zog ein Tiefdruckgebiet von Großbritannien nach Süden. Seitlich war es von zwei Hochdruckgebieten eingefasst, was dazu führte, dass viel warme und feuchte Luftmassen sich über die kühlere Luft des Tiefdruckgebiets schoben. Die abgekühlten, feuchten Luftmassen führten zu intensiven Niederschlägen. In den betroffenen Gebieten Belgiens und Westdeutschlands kam es zwischen dem 12. und 15. Juli zu Starkniederschlagsereignissen. An manchen Orten regnete es innerhalb von 24h mehr als 150 Liter pro Quadratmeter. Der Boden kann solche Wassermengen nicht speichern, das Wasser gelangt direkt in die Fließgewässer und die Pegel der Flüsse und Bäche steigen rasch an und reißen aus ihrem Bachbett aus. Es kam zu verheerenden Überschwemmungen mit mehr als 200 Todesopfern. Am 17. und 18. Juli erreichte das Tiefdruckgebiet Österreich. Auch hier verursachten intensive Starkregenereignisse Hochwasser und Murenabgänge – und falsche Schuldzuschreibungen.
Hallein
Besonders stark betroffen war Salzburg. Der Kothbach trat sehr rasch über die Ufer und verursachte verheerende Schäden in der Stadt Hallein. Bereits 1976 ging der Kothbach über die Ufer, seither wird am Hochwasserschutz gearbeitet. Ein aktualisiertes Hochwasserprojekt sah mehrere neue Rückfangbecken vor, welche den Abfluss drosseln und die Hochwasserspitze brechen sollten. Eine der geplanten Sperren wäre ein massiver Eingriff in die Natur und Landschaft: eine Talsperre aus Beton, mit einer Kronenbreite von 125 m. Daher legte der Salzburger Naturschutzbund Einspruch gegen ein spezifisches Bauwerk des Projektes ein. Ihr Anliegen war nicht das Projekt als Ganzes zu Fall zu bringen, sondern eine Anpassung, die das Projekt besser mit dem Natur- und Landschaftsschutz und damit der Naherholung der Bevölkerung vereinbaren ließe, ohne Verringerung der Speicherkapazität. So wurden alternative Standorte vorgeschlagen, die bestehende Geländemulden ausnutzen und kleinere Bauwerke zur Folge hätten. Weiters wiesen sie auf fehlende Unterhaltsarbeiten an bestehenden Anlagen hin, die mit wenig Aufwand und Geld wieder instandgesetzt werden könnten. Die Diskussionen gehen bis ins Jahr 2016 zurück. Letztes Jahr im Juni hat der Naturschutzbund auch die zuständige Ministerin Köstinger direkt um eine Stellungnahme gebeten. Dieses Schreiben und eine zweite Nachfrage blieben unbeantwortet.
Erst nach dem Unwetterereignis im Juli dieses Jahres nahm die Ministerin Köstinger erstmals zum Projekt Stellung und zwar indem sie den (von einem ÖVPler geführten) Naturschutzbund für den fehlenden Hochwasserschutz in Hallein verantwortlich machte. Sie nutzt die Katastrophe um Stimmung gegen Menschen zu machen, die lange und geduldig konstruktive Alternativen aufzeigen. Welches spezifische Einzelinteresse Köstinger hier vertrat, wissen wir nicht, das türkise Sündenbock-Muster ist jedoch altbekannt.
Föderalismus und Business
Jährlich werden in Österreich mehr als 100 Mio. Euro in den technischen Hochwasserschutz gesteckt. Öffentliches Geld von dem auch viele private Bauunternehmer profitieren. Verzögerungen aufgrund von Natur- und Landschaftsschutz sind nicht willkommen. Weiters gilt es Rücksicht auf spezifische Interessen zu nehmen: Während die Neuerrichtung von Anlagen vom Bund bezahlt wird, müssen bestehende Anlagen von der Gemeinde unterhalten werden. Auch die Einzelinteressen von Grundbesitzern, Baufirmen etc. werden berücksichtigt.
Hochwasserschutz ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und auch vielerorts ist dieser nur durch technische Maßnahmen umsetzbar. Oft werden jedoch auch raumplanerische Alternativen, wie ein Verzicht auf Bebauung nicht in Betracht gezogen. Schon historisch gesehen dienten Hochwasserschutzmaßnahmen wie der Bau von Dämmen nicht nur zum Schutz von bestehenden Gebäuden, sondern auch der Gewinnung von Land. Einst für die Landwirtschaft heutzutage auch von Bauland. Sind die gewonnenen Grundstücke bebaut, steigt das Schadenspotential (potentielle Schäden bei einem Hochwasserereignis) und der Ruf nach einem weiteren Ausbau des Hochwasserschutz wird wieder lauter. Ein fortlaufender Kreislauf.
In der Regel wird der Hochwasserschutz bis zu einem 100-jährigen Ereignis (Abfluss mit der Wahrscheinlichkeit von einem Ereignis in 100 Jahren) ausgebaut. Die Abflüsse in manchen Flüssen in der Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren beim Juli-Unwetter so hoch, dass sie einer Wahrscheinlichkeit von einem Ereignis in 1.000 Jahren entsprechen. Für solche Ereignisse müssen andere Konzepte ausgearbeitet werden, die über reine technischen Maßnahmen hinausgehen. Dabei geht es insbesondere um Maßnahmen im Einzugsgebiet von Flüssen wie Aufforstungen, die Verringerung des Anteils versiegelter Flächen, die Aufwertung natürlicher Retentionen wie beispielsweise Moore, die zu einem verzögerten Abfluss führen und damit die Hochwassergefahr deutlich mindern. Solche Maßnahmen benötigen jedoch mehr Flächen für die Natur und widersprechen der Profitlogik des Kapitalismus, weshalb sie oft nicht umgesetzt werden.
Klimakatastrophe
Unwetterkatastrophen hat es schon seit jeher gegeben. Das Außergewöhnliche an den Ereignissen im Juli dieses Jahres, ist die lange stationäre Lage dieses Tiefdruckgebiets. Ein Phänomen, welches sich in den letzten Jahren immer wieder zeigte. Die Ursache dafür liegt in der Abnahme der Jetstreams. Dies sind Starkwinde in einer Höhe von rund 10 km über der Erdoberfläche. Sie sind maßgeblich für die Verschiebung von Hoch- und Tiefdruckgebieten verantwortlich. Gebildet werden die Jetstreams durch die Temperaturunterschiede zwischen den Tropen am Äquator und den kühleren Polregionen. Im Zuge des Klimawandels erwärmen sich jedoch die Polregionen verhältnismäßig schneller und die Jetstreams verlieren an Intensität. Die Wetterlagen bewegen sich nur langsam. Die Klimaerwärmung hat noch einen weiteren Effekt. Warme Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Erwärmt sich die Erdatmosphäre um 1°C so werden rund 7% mehr Wasserdampf in der Atmosphäre aufgenommen. In Westeuropa wird der Effekt durch die flacheren Randmeere Nord- und Ostsee sowie das Mittelmeer verstärkt. Sie erwärmen sich tendenziell schneller wodurch noch mehr Wasserdampf mobilisiert werden kann. Wasserdampf, welcher bei Abkühlung in Form von Regen wieder auf die Erde kommt. Die Unwetter vom Juli stehen folglich exemplarisch für den Zusammenhang von Klimawandel und der Zunahme von Extremereignissen.
Der Klimawandel und seine negativen Auswirkungen sind in unserem Alltag angekommen. Neben den Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels braucht es auch neue Anpassungsstrategien an die Auswirkungen des Klimawandels.
Die bürgerlichen Konzepte zielen darauf ab, die Klimakrise durch individuellen Verzicht einerseits und die grünen Zukunftsmärkte andererseits in den Griff zu bekommen. Alleine die Tatsache, dass 1% der reichsten Weltbevölkerung denselben CO2-Ausstoß verursachen wie die ärmsten 50% zeigt, wie zahnlos und heuchlerisch solche Strategien sind. Rund 100 Firmen sind für über 70% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Bekämpfen wir den Klimawandel und seine Auswirkungen dort wo er verursacht wird: durch die Enteignung der Konzerne. Damit haben wir die Kontrolle über Verursacher und die technischen Lösungskompetenzen, um die globalen und lokalen Herausforderungen des Klimawandels in den Griff zu bekommen. Mit Kurz und Köstinger und dem gesellschaftlichen Projekt, das sie verteidigen geht es tatsächlich in die „Steinzeit“, vor der Kurz demagogisch warnt, allerdings werden einige dabei steinreich.
(Funke Nr. 196/1.9.2021)