Aktuell wird der Bau des Lobautunnels als Teil der Wiener Nordostumfahrung stark debattiert. Das beinhaltet auch eine Reihe von Protesten zur Verhinderung des Baus. Helene Steiner argumentiert, warum wir uns gegen das Projekt stellen.
Das Projekt Nordostumfahrung Wien inklusive Lobautunnel wurde vor dem Hintergrund der steigenden Bevölkerung im Norden Wiens, unter anderem der Seestadt Aspern (im 22. Bezirk, Donaustadt) geplant. Die Idee: Mit mehr Menschen gebe es mehr Autos auf den Straßen, weswegen das bestehende Straßennetz eine Entlastung benötige. Schon jetzt gibt es regelmäßig Probleme mit Staus auf der Wiener Tangente. Gleichzeitig möchte man von Seiten der Stadt Wien die Region für die Industrie attraktiver machen, wenn potentielle Gewerbeflächen besser mit dem Auto anfahrbar sind.
Seit den ersten Plänen für das Projekt ist die Frage des Klimawandels insbesondere seit den großen Fridays for Future-Protesten 2019 für viele Menschen verstärkt zum Problem geworden. Die Diskussion zum Thema Verkehr hat sich deshalb intensiviert und wird deshalb zunehmend im größeren Rahmen gesehen. Dabei wird oft von einer „Verkehrswende“ gesprochen: weg vom Fokus auf motorisierten Individualverkehr (Autos) hin zum öffentlichen (U-Bahnen, Busse etc.) und nicht-motorisierten (Fuß, Rad) Verkehr.
Wenn die Verkehrsplanung nun auf steigende Bevölkerungszahlen mit dem Bau von Straßen reagiert, wird ignoriert, dass genau dieser Bau auch eine lenkende Funktion für Jahrzehnte hat. Menschen ziehen weiter raus auf das Land, selbst wenn es dort keine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr gibt, weil sie durch die neuen Straßen immer noch relativ einfach mit dem Auto zur Arbeit kommen können, zumal bei steigenden Mieten das Wohnen in der Stadt zunehmend unleistbar wird. Sie fahren also insgesamt mehr Kilometer mit dem Auto, nicht, weil sie es gerne tun, sondern weil es keine oder nur schlechte Alternative gibt. Das heißt, dass es durch mehr Straßen tendenziell auch mehr Autoverkehr in der Stadt geben wird.
Dieses Phänomen der Verkehrsspirale wird seit Jahrzehnten bei Verkehrsprojekten beobachtet. Vereinfacht gesagt, kann eine Straße verstärkten Verkehr „erzeugen“, weil es leichter wird, lange Strecken mit dem Auto zurückzulegen. Zudem werden ArbeiterInnen mit immer mehr Druck dazu gezwungen, Arbeitsplätze an entfernteren Standorten anzunehmen. Das heißt, eine Entlastung für bestehende Verkehrsnetze wäre maximal vorübergehend. Das Autobahnprojekt ist aber natürlich über Jahrzehnte geplant und wird nicht wieder zurückgebaut werden.
Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass das Ziel der Autos oft Wien selbst ist, wo jetzt schon der Platz knapp ist. Weitere Parkplätze würden immer auf Kosten öffentlicher Flächen (für Fuß-, Radwege oder Grünflächen) oder andere Nutzungen gehen. Es zeigt sich: Die Probleme des Verkehrs werden also höchstens verlagert, aber nicht gelöst.
Stattdessen könnte das Geld für den Lobautunnel für öffentlichen Verkehr genutzt werden. Die Anfangsberechnung für das Projekt ergab Kosten von 1,9 Mrd. €, doch man kann davon ausgehen, dass die tatsächlichen Kosten stark darüber hinausgehen werden. Für viele, die sich kein Auto leisten können, oder aus anderen Gründen (zu alt/zu jung) keines nutzen können, wäre das so oder so sinnvoller. Aber mehr Menschen können nur dann auf andere Mobilitätsformen umsteigen, wenn es für sie im Alltag auch wirklich angenehm und sicher möglich ist. Das Momentum Institut (14.7.2021) beschreibt, dass in einigen Bezirken Wiens die Anzahl der Autos nicht unbedingt im gleichen Maß ansteigt wie die Bevölkerungsanzahl. Anders in der Donaustadt, wo viele Menschen Schwierigkeiten haben, auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen. Deshalb sind gerade hier Alternativmöglichkeiten wichtig.
Zu den Fragen der Verkehrslenkung kommt zusätzlich noch eine ökologische Problematik hinzu: Mit dem Projekt Lobautunnel ist auch die Zukunft der Lobau, Teil des Nationalpark Donauauen und wichtiges Naherholungsgebiet für Wien, aufgrund möglicher Auswirkungen auf das dortige Ökosystem unklar.
Welche Argumente bleiben nun für den Bau des Lobautunnels übrig? Hier kommt das Argument des Wirtschaftsstandorte, des Profits und (für die Öffentlichkeit) den damit verbundenen Arbeitsplätzen ins Spiel. Das Kapital hat kein direktes Interesse, langfristige Verkehrslösungen für die Gesellschaft umzusetzen. Wichtige Sektoren des Kapitals profitieren vom Verkauf von Autos und anderen Waren, die der Individualverkehr nötig macht. Allein schon der politische Einfluss der mächtigen Bauunternehmer, die einen großen Teil ihres Profites aus öffentlichen Aufträgen ziehen, wiegt schwer: Erinnern wir uns, dass der wichtigste Finanzier der NEOS der milliardenschwere STRABAG-Eigentümer Haselsteiner ist.
Aber zentrales Problem ist, dass im Kapitalismus Städte und Regionen zueinander in Konkurrenz beim „Anlocken“ von Industrie bzw. Gewerbe stehen. Das führt dazu, dass nicht jene Maßnahmen getroffen werden, die langfristig für die Gesellschaft am besten wären. Deshalb stößt nachhaltige Verkehrs- und Siedlungsentwicklung innerhalb einer Stadt alleine zwingend an ihre Grenzen. Natürlich hat die herrschende Klasse auch kein direktes Interesse, langfristige Verkehrslösungen für die Gesellschaft umzusetzen, sondern muss versuchen, ein Geschäft mit dem Verkauf von Autos und allen Zusätzen zu machen. Die langfristigen Kosten der Umwelt- und Klimabeeinträchtigung werden dabei vor allem auf die Arbeiterklasse abgewälzt.
Während also offensichtlich seitens der Industrie kein Interesse daran besteht, eine nachhaltige und sinnvolle Verkehrspolitik zu betreiben, gingen tausende Menschen in den letzten Wochen auf die Straße, weil sie ihre Zukunft aufgrund des Klimawandels in Gefahr sehen. Eine zukunftsfähige Verkehrspolitik ist aber nur möglich, wenn man die Logik des Kapitalismus durchbricht und unabhängig vom Druck der Konzerne entscheiden kann. Dieser Druck lastet aber aktuell auf der Wiener Stadtregierung und der SPÖ, deren Führung sich dem Druck des Kapitals auch völlig unterordnet. In dem Sinne machte auch die Wirtschaftskammer schon entsprechend Werbung „Ohne Infrastruktur keine Zukunft – Lobautunnel jetzt bauen“. Die Industrie will einen Autobahntunnel unabhängig von der Frage, welche Form der Verkehrspolitik für die Gesellschaft sinnvoll ist.
(Funke Nr. 196/1.9.2021)