In diesem Teil unserer Reihe werden wir betrachten, wie das Kapital sich immer mehr vergrößert, immer mehr Reichtum aus der Arbeiterklasse herauspresst und schließlich in die Krise gerät. Von Sandro Tsipouras.

Im letzten Teil der Artikelserie haben wir gezeigt, dass die KapitalistInnen den ArbeiterInnen Mehrwert abnehemen, indem sie das geschaffene Produkt zu einem höheren Preis verkaufen, als sie für Arbeitskraft und Rohstoffe bezahlt haben, und dann den Profit für sich behalten. Nach Abschluss des Produktionsprozesses sind die KapitalistInnen nicht nur Eigentümer der Produktionsmittel geblieben. Die ArbeiterInnen bleiben weiterhin vom Eigentum an den Produktionsmitteln ausgeschlossen und müssen erneut ihre Arbeitskraft verkaufen. Der Produktionsprozess des Kapitals geht folglich in die nächste Runde. Erneut wird Kapital in Form von Arbeitslohn und Rohstoffen vorgeschossen, Waren werden produziert, verkauft, das Geld landet wieder bei den KapitalistInnen. Unter der Bedingung, dass sich der ganze Mehrwert in persönlichen Profit verwandelt, der aus dem Warenzyklus herausgenommen wird, sprechen wir von „einfacher Reproduktion“.

Für die kapitalistische Produktion ist aber typisch, dass der Mehrwert sich nicht nur in Profit verwandelt, der für den persönlichen Verbrauch der KapitalistInnen verwendet wird, sondern dass sich auch der Mehrwert in Kapital verwandelt. In der nächsten Runde können die KapitalistInnen dann den Produktionsprozess auf höherer Ebene fortsetzen: Mit mehr Rohstoffen, mehr ArbeiterInnen, mehr produzierten Waren und folglich noch mehr Profit. Wir sprechen von „erweiterter Reproduktion“, wenn sich der Mehrwert zumindest teilweise in Kapital verwandelt (das heißt: davon neue Maschinen gekauft und mehr ArbeiterInnen beschäftigt werden) und sich so die Produktion ausdehnt. Das beständige Wachstum des Kapitals auf diese Weise bezeichnen wir als Akkumulation.

Zirkulation des Kapitals

Marx beschreibt die Zirkulation des Kapitals mit folgender Formel:

G – W(A, Pm) ... P ... W‘ – G‘

Diese Formel besteht aus drei Teilen oder Phasen. In der ersten Phase

G – W(A, Pm)

nehmen die KapitalistInnen von ihrem Geld (G) und kaufen davon Waren (W), d.h. ihr Geldkapital verwandelt sich in Warenkapital. Und zwar kaufen sie Waren zweierlei Sorten: Arbeitskraft (A) und Produktionsmittel (Pm), die beiden Bedingungen des Produktionsprozesses (P). Warenkapital, das aus diesen Produktionsfaktoren besteht, ist „produktives Kapital“.

Die zweite Phase

W(A, Pm) ... P ... W‘

ist der Produktionsprozess, wie er im letzten Teil dieser Artikelreihe beschrieben wurde. Hier finden Mehrwertproduktion und Ausbeutung statt. Das Kapital, das von der Geldform in die Warenform geschlüpft ist – die Arbeitskraft und die Rohstoffe, die sich die KapitalistInnen gekauft haben – wird produktiv eingesetzt und dabei neuer Wert geschaffen. Am Ende steht ein Arbeitsprodukt: Warenkapital mit mehr Wert als A und Pm zusammen hatten (W‘).
In der letzten Phase

W‘ – G‘

werden die produzierten Waren auf dem Markt gegen Geld eingetauscht. Das Warenkapital wird wieder in Geldkapital verwandelt, aber vermehrt um den Mehrwert, der sich in Kapital verwandelt hat. Dann beginnt der Kreislauf von vorn.

Die Krisen

Wie im ersten Teil dieser Reihe schon angesprochen wurde, ist dieser dritte Teil – die Verwandlung der Produkte in Geld – die entscheidende Phase des ganzen Prozesses. Erst dann, „wenn Waren zum Beispiel unverkäuflich in den Regalen liegen bleiben und schließlich entsorgt werden oder sich umgekehrt lange Schlagen in den Regalen bilden ... erfahren die ProduzentInnen, ob ihre Arbeit ... umsonst war oder sich gelohnt hat“, schrieben wir.
Nun können wir einen genaueren Blick darauf werfen, wie das geschieht.

„Die Massenproduktion“, erklärt Marx, „kann für ihren unmittelbaren Käufer, außer andern industriellen Kapitalisten, nur den Großkaufmann haben.“ Die Produkte am Ende des Prozesses hören, nachdem sie die Fabrik verlassen haben, noch lang nicht auf, Kapital zu sein. In den Händen der GroßhändlerInnen werden sie zu Handelskapital. (Wie die HandelskapitalistInnen an Mehrwert kommen, obwohl sie nichts produzieren, erläutern wir in einem späteren Teil.) Unseren industriellen KapitalistInnen ist das freilich gleichgültig. „Es kann so die Produktion von Mehrwert und mit ihr auch die individuelle Konsumtion des Kapitalisten“, also sein Schwelgen in Luxus, „wachsen, der ganze Reproduktionsprozeß sich im blühendsten Zustand befinden und dennoch ein großer Teil der Waren nur scheinbar in die Konsumtion eingegangen sein, in Wirklichkeit aber unverkauft in den Händen von Wiederverkäufern lagern, tatsächlich sich also noch auf dem Markt befinden. Nun folgt Warenstrom auf Warenstrom, und es tritt endlich hervor, daß der frühere Strom nur scheinbar von der Konsumtion verschlungen ist. Die Warenkapitale machen sich wechselseitig ihren Platz auf dem Markt streitig. Die Nachrückenden, um zu verkaufen, verkaufen unter dem Preis. Die früheren Ströme sind noch nicht flüssig gemacht, während die Zahlungstermine dafür fällig werden. Ihre Inhaber müssen sich insolvent erklären, oder verkaufen zu jedem Preis, um zu zahlen. Dieser Verkauf hat absolut nichts zu tun mit dem wirklichen Stand der Nachfrage. Er hat nur zu tun mit der Nachfrage nach Zahlung, mit der absoluten Notwendigkeit, Ware in Geld zu verwandeln. Dann bricht die Krise los.“

Eine klassische kapitalistische Überproduktionskrise (wie es auch die jetzige Krise ist) ergibt sich also aus der Natur der Kapitalzirkulation. Die Zirkulation des Kapitals ist ein Prozess, der de facto jede ökonomische Tätigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft in sich einschließt. Wo immer etwas produziert wird, wo immer Menschen arbeiten, wo immer Kauf und Verkauf stattfinden, wo immer jemand Geld verdient, geschieht das als Teil der Zirkulation der unzähligen ineinander verschlungenen Kapitale. Dass wir zur Arbeit gehen und dafür bezahlt werden, passiert nur zum Zweck, das Geldkapital der KapitalistInnen in produktives Kapital zu verwandeln (erste Phase der Kapitalzirkulation). Wenn wir unseren Lohn dann für Konsumgüter ausgeben, passiert auch das nur, wenn und insofern das zur Rückverwandlung von Warenkapital in Geldkapital (dritte Phase) geeignet ist. Unser Gang vom Bankomaten in den Supermarkt verbindet also das Kapital unseres Arbeitgebers mit dem Kapital des Lebensmittelherstellers. Gelingt dem Kapital des Arbeitgebers die Reproduktion nicht, werden seine ArbeiterInnen arbeitslos, können die Waren des Lebensmittelherstellers nicht kaufen, dieser muss ebenfalls Leute entlassen, weitere Lebensmittelhersteller werden davon geschädigt und so weiter.

Da nun die ganzen Kapitale zwar auf Gedeih und Verderb miteinander verschlungen sind, gleichzeitig aber in blinder Konkurrenz gegeneinander handeln, kommt es an verschiedenen Stellen zu Situationen, wo angestautes Kapital sich nicht weiter verwerten, nicht weiter zirkulieren kann: Die Supermärkte sind voll mit Waren, aber es gibt nicht genug finanzkräftige Käufer, um sie sich zu kaufen. Mit anderen Worten, es herrscht ein Ungleichgewicht von produktivem Kapital und Warenkapital, weil es keine Instanz gibt und auch nicht geben kann, die deren ausgeglichene Entwicklung zueinander sicherstellt. Im Gegenteil:

„In der Überproduktion, Kreditsystem etc. sucht die kapitalistische Produktion ihre eigne Schranke zu durchbrechen und über ihr Maß hinaus zu produzieren. Sie hat einerseits diesen Trieb. Andrerseits erträgt sie nur eine der profitablen Anwendung des existierenden Kapitals entsprechende Produktion.“ (Marx, Theorien über den Mehrwert, Band 3)

Das kapitalistische System treibt also die Entwicklung über die engen Grenzen seiner eigenen Grundlagen hinaus (Konkurrenz, Privateigentum, Nationalstaat) und wird durch die Überproduktionskrisen gewaltvoll in diese Grenzen zurückgedrückt.

Methoden zur Profitstabilisierung

Aus dem oben gesagten ergibt sich, dass die KapitalistInnen, einfach nur indem sie ihrem Alltagsgeschäft nachgehen, sich gegenseitig so unter Druck setzen, dass sich das Alltagsgeschäft rasch in einen rabiaten Krieg ums Überleben verwandelt. Bei aller Konkurrenz haben die KapitalistInnen jedoch einen gemeinsamen Feind: Die Arbeiterklasse. Sie ist in diesem Krieg immer das erste Opfer.

Ein gutes Beispiel dafür ist die europäische Stahlindustrie. Sie schöpfte ihre Kapazität von 210 Mio. Tonnen Stahl pro Jahr zuletzt 2007 aus. Seither schwankt der europäische Stahlverbrauch zwischen 115 Mio. und 150 Mio. Tonnen im Jahr. Leerstehende Kapazitäten bedeuten einen Überschuss von produktivem Kapital gegenüber Geldkapital: Die zweite Phase des Zirkulationsprozesses kann nicht stattfinden, weil am anderen Ende niemand wartet, der Geld (G‘) für Stahl (W‘) hergeben will. Die österreichische Stahlbourgeoisie hat darauf zwei Antworten: Erstens die „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ und zweitens den „Abbau von Überkapazität“.

Unter „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ versteht man Methoden zur Erhöhung des Mehrwerts, der den ArbeiterInnen abgepresst wird. Die KapitalistInnen sorgen dafür, dass die ArbeiterInnen weniger Zeit damit verbringen, für deren eigenen Lohn und mehr Zeit damit, für ihren Profit zu arbeiten. Dazu haben sie wiederum zwei Möglichkeiten. Entweder sie schaffen es, dass das notwendige Produkt (das die ArbeiterInnen als Lohn ausgezahlt bekommen und das zum Ankauf der Rohstoffe, zur Ausbesserung der Maschinen etc. benutzt werden muss) in kürzerer Zeit zustandekommt. Sie intensivieren also die Arbeit. Damit bleibt mehr Zeit, ein Mehrprodukt zu produzieren. Oder sie verlängern den Arbeitstag, ohne den Lohn zu erhöhen – bzw. sie senken den Lohn bei gleichbleibender Arbeitszeit. Wenn bei der „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ - Überstunden auf Zeitkonten kommen, statt mit ihren Zuschlägen ausgezahlt zu werden, ist das nichts anderes als ein Auspressen von mehr Mehrwert aus den ArbeiterInnen.

Der „Abbau von Überkapazität“ bedeutet die Schließung von Standorten, deren Fortführung sich wegen der oben geschilderten Absatzschwierigkeiten nicht mehr lohnt. Das produktive Kapital wird „passend gemacht“, indem das überschüssige Kapital schlicht vernichtet wird.

In ihrer Kombination ergeben diese Methoden das Bild, dass sich in der Krise vor allem in Südeuropa, aber immer mehr auch in Österreich zeigt: Unzählige Menschen stürzen in die Arbeitslosigkeit, Standortschließungen stürzen ganze Städte in die Armut, an der erhöhten Arbeitszeit zerbrechen Menschen und ihre Familien, aber die KapitalistInnen können aufatmen: ihr Kapital hat sich verwertet.


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