Im Dezember 2022 gelang PhysikerInnen und TechnikerInnen in den USA ein Fortschritt in der Kernfusionsforschung: Es wurde zum ersten Mal in Fusionsmaterial weniger Energie eingebracht, als durch die Fusion an Energie freigesetzt wurde. Das amerikanische Energieministerium schlachtete diesen technischen Durchbruch sofort als Sieg der US-amerikanischen Regierung und ihres kapitalistischen Gesellschaftssystems aus. Wir mahnen zur Vorsicht, in wissenschaftlicher und technischer, vor allem aber in politischer Hinsicht.

Wissenschaftlich und technisch muss zunächst gesagt werden: Die direkte Energiebilanz des Fusionsvorgangs war zwar positiv (100 Einheiten eingebrachter Energie standen ca. 120 Einheiten freigesetzter Energie gegenüber); die dabei verwendeten Laser wiesen aber einen Wirkungsgrad von höchstens 20% auf (für die 100 Einheiten eingebrachter Energie also mindestens 500 Einheiten Energie aufgewendet werden mussten, wodurch sich die effektive Energiebilanz schon weit ins Negative dreht). Und die in der Fusion freigesetzte Energie wurde nicht eingesammelt, weswegen für diesen Vorgang auch kein Wirkungsgrad angegeben werden kann. Nichtsdestotrotz handelt es sich um den Beweis eines bedeutenden technischen Fortschritts.

Politisch ist die Kernfusionsforschung, wie jede andere naturwissenschaftliche und technische Forschung, in das kapitalistische System fest eingebunden und unterliegt daher dessen Bedürfnissen. Die herrschende Klasse versucht die Existenz ihres Systems damit zu rechtfertigen, dass sie angesichts der multiplen Bedrohungen einen Weg aus eben diesen Bedrohungen zu finden sucht. Als ganz wesentliche Bedrohungen des herrschenden Systems treten erstens der imperialistische Krieg zwischen Russland und der NATO in der Ukraine, zweitens die Klimaveränderung samt Naturkatastrophen in den imperialistischen Ländern und verstärkte Migrationsbewegungen, drittens die sich ändernde Demographie samt Mangel an ausbeutbaren Arbeitskräften hervor.

Allen genannten drei Bedrohungen ist gemein, dass ihre Grundlage die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems zu einer Weiterentwicklung der Produktivkräfte ist. Die Ursachen der relativen Fesselung der Produktivkräfte sind wohlbekannt und gleichzeitig Existenzgrundlage des Kapitalismus: Privateigentum an Produktionsmitteln und Nationalstaat. Es ist dies mit dem Versagen der herrschenden Klasse in der Corona-Pandemie am Beispiel der Impfstoff-Entwicklung schon offensichtlich geworden.

Allen drei genannten Bedrohungen ist aber auch gemein, dass Krieg und Klimawandel in einem engen Zusammenhang mit der Verknappung der Energieressourcen stehen. In der Ukraine ist der Energiesektor bevorzugtes Ziel der militarisierten TechnikerInnen, die russische Marschflugkörper abfeuern (während nach den UrheberInnen der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline auffällig wenig geforscht wird), während der Fluss von fossilen Brennstoffen (nicht aber von Uran für die Atomkraftwerke) aus Russland nach Europa politisch behindert wird.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die wissenschaftliche und technische Forschung zusehends direkt in den Dienst der imperialistischen Kriegsführung gestellt wird. Russische TechnikerInnen haben z.B. für das Putin-Regime einen technologischen Fortschritt bei Überschallraketen erzielt (die der Kreml propagandistisch ausschlachtet). Zugleich haben US-amerikanische TechnikerInnen das StarLink-System ausgebaut und weitertwickelt, um der ukrainischen Armee einen Vorteil bei der Kommunikation auf dem Schlachtfeld z.B. im Menschenschlachten bei Bachmut zu geben (für welche Kriegsanstrengung Elon Musk bares Geld von dem/der US-amerikanischen steuerzahlenden ArbeiterIn verlangt). Österreichischen TechnikerInnen ist es gelungen, hocheffiziente Motoren für Drohnen zu bauen, die vom Iran als Kampfdrohnen zum Preis eines Unterklasse-Pkw an Russland verkauft werden. Es ist ebenso wenig verwunderlich, dass wissenschaftliche und technische Forschung in den Dienst der imperialistischen Kriegsführung gegen die eigene Arbeiterklasse gestellt wird.

Die Forschung ist durch tausend Fäden an die Erfordernisse der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse gebunden. Diese Fäden wurden in den letzten Jahrzehnten auch durch die zunehmende Privatfinanzierung von Forschung an technischen Universitäten gesponnen bzw. haben die aggressivsten Teile des Staatsapparats die öffentliche Finanzierung dazu genutzt, ihre politischen Ziele durchzusetzen. Studierende im Master- und Doktorats-Studium (und der „Unterbau“) bemerken dies, wenn sie Projektanträge schreiben, in denen auf die politische Zielsetzung der zentralisierten Förderstellen auf nationaler und EU-Ebene achtgegeben werden muss.

Aus dem Missverhältnis des Anspruchs von gesellschaftlicher Nützlichkeit wissenschaftlicher und technischer Forschung, die jedeR junge ForscherIn in sich trägt und der Entfremdung der Ergebnisse durch einen imperialistischen Staatsapparat erwachsen konkrete Konfliktlinien.

Wie bei allen gesellschaftlichen Konfliktlinien sehen wir auch in diesem Fall die Lösung nur darin, dass die Arbeiterklasse auf Basis ihres Klasseninteresses interveniert: Die Arbeiterklasse hat kein Interesse an imperialistischem Krieg und innerstaatlicher Repression. Sie hat aber alles Interesse daran, dass wissenschaftliche und technische Forschung erstens zur Lösung der eminenten gesellschaftlichen Probleme des Klimawandels (z.B. durch Kernfusionsforschung) betrieben wird und zweitens diese Forschung nicht von der imperialistischen und jeder Zukunftshoffnung beraubten Bourgeoisie zweckentfremdet wird. Wir treten daher für Folgendes ein:

  • Selbstorganisierte Komitees der WissenschafterInnen und TechnikerInnen an den Hochschulen zur Festlegung der Forschungsschwerpunkte!
  • Nieder mit den universitären Hierarchien: Ein Mensch – eine Stimme im Komitee!
  • Keine Forschung für die Führung des imperialistischen Kriegs!
  • Freie Wissenschaft und Technik! Keine Geheimwissenschaft: Unbedingte Öffentlichkeit von Ergebnissen!
  • Kontrolle der Arbeiterklasse via Gewerkschaften über die Finanzierung von Forschungsvorhaben! Berichtspflicht der ForscherInnen in Publikationen der Arbeiterbewegung!
  • Sozialistische Revolution: Nieder mit der Klassenherrschaft in Fabrik, Büro und Universität! Das Wissen der Menschheit allen Menschen!

Von Andreas Fuchs

(Funke Nr. 210/19.1.2023)


Unsere Arbeit kostet Geld. Dabei sind wir exklusiv auf die Unterstützung unserer LeserInnen und UnterstützerInnen angewiesen. Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, zögere nicht und lass uns deine Solidarität spüren. Ob groß oder klein, jeder Betrag hilft und wird wertgeschätzt.

Der Funke  |  IBAN: AT48 1513 3009 5102 5576  |  BIC: OBKLAT2L

Artikel aus der Kategorie