International sehen wir immer mehr Massenproteste für Frauenrechte. Österreich ist indes trauriger EU-Spitzenreiter in Sachen Frauenmord. Wir müssen dagegen laut werden, argumentiert Natalie Ziermann.
Die Anzahl der von Gewalt betroffenen Frauen bis hin zu Mord in Österreich steigt. Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr sexueller oder körperlicher Gewalt ausgesetzt, jede dritte Frau hat sexuelle Belästigung erlebt und jede siebte Stalking (EU Erhebung 2014). 2016 wurden 8637 Betretungsverbote (die Täter von Opfern fernhalten sollen) verhängt, 2017 waren es bereits 8755. Im 1. Halbjahr 2017 gab es 261 Anzeigen wegen Vergewaltigungen, im 1. Halbjahr diesen Jahres 374. Im Jahr 2016 wurden 55 Morde oder Mordversuche an Frauen (davon 27 Morde) verübt, 2017 bereits 77 (davon 34 Morde). Heuer liegt die Zahl bisher bei 32. Österreich hält damit den traurigen EU Rekord.
Woher kommt Gewalt an Frauen?
In den Medien wird oft die Mär verbreitet, dass Frauen in der Öffentlichkeit und durch fremde Männer (Ausländer) am meisten gefährdet sind. Gewalt durch männliche Beziehungspartner ist jedoch die meistverbreitete Form der Gewalt an Frauen weltweit. Von den 34 Morden, die 2017 an Frauen begangen wurden, fanden 24 im familiären Umfeld statt.
Gewalt gegen Frauen zieht sich quer durch alle Schichten der Gesellschaft, wovon Reiche keineswegs ausgenommen sind. Laut Kriminalstatistik 2017 standen fast zwei Drittel aller Anzeigen (62,8 Prozent) wegen Tötung, Körperverletzung, sexueller Übergriffe oder Raub in Zusammenhang mit Beziehungstaten. 18.860 Opfer familiärer Gewalt wurden von den Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut, 83% davon waren Frauen und Mädchen.
Eva Schuh vom Bundesverband der Gewaltschutzzentren bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: „Für Frauen ist die Familie noch immer der gefährlichste Ort.“
Die Familie ist eine zentrale Stütze des Kapitalismus, hier werden Menschen kostenlos aufgezogen, gepflegt, ernährt und fit gehalten – zum Nulltarif für die Unternehmer, da Hausarbeit als „Privatangelegenheit“ gilt.
Der materielle Druck des Lebens mit niederen Löhnen und mangelnder gesellschaftlicher Daseinsfürsoge zermalmt die liebende Beziehung zweier Menschen und ihrer Kinder. Übrig bleibt ein materielles Gefängnis und ideologisches Zwangskorsett: die Einheit der „guten Mutter“, der „emotionalen Stütze“, und des gesellschaftlich aktiven „Familienerhalters“. Der materielle und emotionale Druck, der auf Individuen lastet, entlädt sich ‚in den eigenen vier Wänden‘ – meist zulasten der Frauen. Sozialarbeiterin Monika Steinmeir erläutert: „Viele [Täter] haben Versagensängste: Ich kann meine Familie nicht ernähren, meine Frau macht mir Druck, ich kann meinen Kindern nicht gerecht werden. Wenn wir nach Männerbildern fragen, dann kommt immer wieder das Thema: ‚Ich bin der Versorger der Familie, ich bin der Hauptverantwortliche, und ich muss was hinkriegen' Aber wenn das so nicht funktioniert, etwa weil der Mann nicht genug verdient, dann fühlt er sich als Versager. Das hat aber nicht nur mit Armut zu tun, das kann auch ein Banker sein. Und je kleiner der Mann in seiner Wahrnehmung wird, desto mehr muss er sich aufplustern, damit er seine Machtposition behält.“
Noch immer sind über 70% der arbeitenden Frauen mit Kindern teilzeitbeschäftigt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen bedeutet, dass keine Selbstbestimmung über ihr Leben gegeben ist. Wenn eine Frau sich entschieden hat, Kinder zu haben, ist sie vom Einkommen ihres Partners abhängig, oder sie entscheidet sich dafür, in Armut zu leben. Die Statistik der autonomen österreichischen Frauenhäuser für das Jahr 2017 zeigt, dass bei der Aufnahme in ein Frauenhaus weniger als 1/4 der Frauen ein Einkommen aus selbständiger (1%) oder unselbständiger Erwerbsarbeit (22%) hatte.
Kürzungen der Regierung
Während also der ökonomische Druck und die Gewalt gegen Frauen steigen, kürzt die schwarz-blaue Bundesregierung munter bei Präventions- und Schutzmaßnahmen. So wurde beispielsweise im Juli dieses Jahres ein Projekt zu Fallkonferenzen, bei denen Hochrisiko-Gewaltfälle gegen Frauen von Polizei, Justiz und Interventionsstellen untersucht wurden, gestoppt. Das Förderbudget des Frauenministeriums für Frauen- und Familienberatungsstellen für 2018 wurde um 179.000 € gekürzt. 2019 werden weitere 230.000 € gestrichen.
Auch gab es finanzielle Kürzungen unter anderem beim Verein One Billion Rising, der öffentliche Aktionen gegen Gewalt an Frauen setzt (5500€), den autonomen Frauenhäusern (6000€) oder dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern (30.000€).
Die geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung und die Abschaffung der Notstandshilfe treffen zudem insbesondere Frauen. Mehr als 2/3 aller MindestsicherungsbezieherInnen (69%) sind Frauen und Kinder. Damit werden von Gewalt betroffenen Frauen existenzsichernde Gelder gestrichen und der Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung massiv erschwert.
Raus aus der Rolle, hinein in die Bewegung
Österreich ist nicht das einzige Land, in dem Frauenrechte massiv angegriffen werden, doch in vielen anderen Ländern hat sich bereits Widerstand formiert. Die Bewegung gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts hat 2016 in Polen zu einer Rücknahme des Gesetzesentwurfs und fast zum Sturz der Regierung geführt. Auch in Brasilien und der Türkei wurden die Regierungen durch massenhafte Proteste dazu gezwungen, Gesetzesvorschläge, die die Rechte der Frauen weiter einschränken sollten, zurückzunehmen. Bei der Amtseinführung von Donald Trump demonstrierten Millionen gegen seine frauenfeindliche Haltung.
Die aus Argentinien und Mexiko stammende Bewegung „Ni una menos“ (Nicht eine mehr) gegen Gewalt an Frauen ist mittlerweile auch auf Europa übergeschwappt. In Madrid demonstrierten am 8. März 2017 eine halbe Million Menschen gegen Frauenunterdrückung. Am internationalen Frauentag 2018 demonstrierten tausende Menschen in Istanbul für Frauenrechte und gegen männliche Gewalt. Erst letzten Monat, am 23. November, gab es in Rom eine Demonstration gegen Gewalt an Frauen mit über 200.000 TeilnehmerInnen.
Solche Bewegungen setzen nicht nur ein Zeichen auf der Straße. Sie vermitteln Frauen Stärke, weil sie aufzeigen, dass Probleme keine individuellen sind, sondern fest verankert in der kapitalistischen Barbarei. Teil einer Bewegung zu sein heißt, nicht alleine zu sein. Man beginnt zu sehen, dass die Lösung der Probleme deshalb auch gesellschaftlich sein muss. Stolz gemeinsam zu kämpfen ist ein zentrales Mittel im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Dieser Prozess ging in Spanien, wo der Protest am Frauentag 2018 über Demonstrationen hinausging und 5,9 Mio. ArbeiterInnen streikten, am weitesten. Der Kampf für Frauenbefreiung ist ein Kampf für den Sturz des Kapitalismus und gegen die bürgerliche Familie, die die wichtigste Stütze für das kapitalistische System ist und nur mit dessen Ende beseitigt werden kann.
Mit dieser Perspektive setzen wir uns für eine Großdemonstration am Weltfrauentag 2019 ein:
- Gegen Einschnitte in Mindersicherung und Notstandshilfe!
- Für den Ausbau ausfinanzierter Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren!
- 30 Stunden Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich für alle!
- Für eine kostenlose, qualitativ hochwertige Kinder- und Altenbetreuung!
- Flächendeckende und kostenlose Abtreibung sowie Verhütungsmittel!
(Erschienen im Funke Nr. 169/Dezember 2018)
Siehe auch Für die Selbstbestimmung über Körper, Sexualität und Leben - für den Sturz von Schwarz-Blau