882.184 Menschen haben für eine rasche Lohnsteuerentlastung unterschrieben. Wofür sie aber nicht unterschrieben haben, ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Genau das plant jetzt aber die Regierung.

Die Gewerkschaften stehen in ihrer Lohnpolitik sprichwörtlich am Anschlag. Im internationalen Vergleich, so das Mantra der Gewerkschaftsspitze, ist der ÖGB sehr erfolgreich. In Österreich herrscht eine viel größere Kollektivvertragsdichte als etwa in Deutschland, wo viele ArbeitnehmerInnen keinen KV mehr haben. Und die Lohnabschlüsse sind über dem europäischen Durchschnitt. Diese Zahlenspielereien decken sich aber nicht mit der Lebensrealität einer wachsenden Zahl von ArbeitnehmerInnen. Die Löhne und Gehälter halten mit der Teuerung seit Jahren nicht mehr mit. Die Lohnerhöhungen decken meist nicht einmal die tatsächliche Teuerung bei Produkten des täglichen Bedarfs. Und selbst wenn man die niedrigere offizielle Inflationsrate heranzieht, dann weiß jeder, dass die Lohn- und Gehaltserhöhungen durch die „kalte Progression“ aufgefressen werden. Unterm Strich wird es für die Mehrheit der Lohnabhängigen immer schwieriger ein Auskommen zu finden.

Auf der Ebene der Kollektivverträge sehen die Gewerkschaften kaum noch Handlungsspielraum. Die wirtschaftliche Entwicklung erlaubt keine offensive Lohnpolitik. Deshalb aus Perspektive des ÖGBs die Notwendigkeit, eine politische Antwort auf die Lohnmisere zu finden und der Regierung eine Lohnsteuersenkung aufzuzwingen. Doch die Art und Weise, mit der die ÖGB-Spitze das macht, ist mehr als handzahm. Unterschriften sammeln, eine große Betriebsratskonferenz, wo die BetriebsrätInne für die Kampagne eingeschworen wurden, damit sie… . Nein, nicht damit sie den Kampf um die Arbeitseinkommen intensivieren können, sondern dass sie brav weiter Unterschriften sammeln. Und nachdem der ÖGB sein Unterschriftenziel erreicht hat, wird die ultimative Parole ausgegeben: „Jetzt liegt's an der Regierung!“

Am Verhandlungstisch soll nun bis März 2015 ein Ergebnis her. Der ÖGB verhandelt natürlich fleißig mit. Die ÖVP hat nach dem Wechsel von Spindelegger zu Mitterlehner ihren Widerstand bereits aufgegeben und sagt ja zu einer Lohnsteuersenkung. Aber der ÖVP-Finanzminister wirft genüsslich die Frage auf, wie man denn das Ganze finanzieren solle. Die Spielräume beim Budget sind sehr eng, die neuerliche Rezession macht die Sache nicht leichter, die staatsfinanzierten Bankenpleiten de facto unmöglich. Vermögenssteuern sind aber mit der ÖVP nicht machbar. Dazu müsste der ÖGB schon eine andere Sprache sprechen und die KollegInnen in den Betrieben so mobilisieren, dass die Regierung tatsächlich ins Schwitzen kommt.

Dass die Lohnsteuerreform nicht durch Vermögenssteuern gegenfinanziert wird, ist Erich Foglar & Co. natürlich auch schon gedämmert. Also beginnt man ganz im Sinne der Realpolitik „kreative Lösungen“ zu suchen. Und siehe da, man musste nicht lange suchen, schon waren sie gefunden: Das „Schließen der Steuerlücken“ bei der Mehrwertsteuer. Warum sollte beim Abhofverkauf von Wein, bei Saatgut und im Forst die Mehrwertsteuer so niedrig sein? Der gewiefte Herr Schelling im Finanzministerium hatte darauf sofort die Antwort parat: „Was spricht dagegen, dass für Theater und Kinobesuche, in Hotels, bei Büchern und im öffentlichen Verkehr die Preise angehoben werden?“ Und schon ist die Büchse der Pandora geöffnet und es kann fleißig debattiert werden, wie sich die Armen und die LohnempfängerInnen die Lohnsteuerreform selber zahlen. Der ÖGB kritisiert diese Vorschläge des schwarzen Schatzmeisters der Republik auch gar nicht, sondern stellt nur fest: „Derzeit gilt der ermäßigte Steuersatz von 10 Prozent unter anderem für Nahrungsmittel, Medikamente, Mieten sowie Gas und Strom. Und natürlich soll das auch beibehalten werden. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für diese Güter und Leistungen, die man für das tägliche Leben braucht, ist für uns nie in Frage gekommen!“ Bücher, Schwimmbad, öffentlicher Verkehr und Theater sind ja nichts, was man „für das tägliche Leben braucht“. Wer ein wenig zwischen den Zeilen lesen kann, weiß, dass sich der ÖGB ein Hintertürchen offenlässt, um diesem Kuhhandel zuzustimmen. Mit einer Hand geben, mit der andern wieder wegnehmen, lautet das Motto. Die sommerliche Familienfahrt zum Strandbad, mit schöner Lektüre und abschließendem Kinobesuch gehört für Foglar offenbar ins Reich des besteuerungswürdigen Luxus-Lebens. Hauptsache am Lohnzettel stehen ein paar Euro mehr drauf (am meisten sowieso in der Preisklasse der BerufspolitkerInnen und SpitzengewerkschafterInnen). Das Leitmotiv eines würdigen Lebens, das seit dem Kampf um den Acht-Stunden-Tag in der Trias Arbeit-Freizeit-Ruhe verstanden wurde, wird schlicht entsorgt.

Diese Debatte sagt viel aus über den Charakter der sozialpartnerschaftlichen Logik und das kurzsichtige Denken der ÖGB-Führung. Mit einer solchen Gewerkschaftspolitik ist eine Verbesserung der Lage der Lohnabhängigen nicht durchzusetzen.

Es ist Zeit, dass wir uns auf die klassenkämpferischen Ideen und die Konzepte der Arbeiterbewegung zurückbesinnen, wie sie im Streiklied der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung „Brot und Rosen“ zum Ausdruck kommen:

„sie hatten für die Schönheit,
Liebe, Kunst erschöpft nie Ruh
drum kämpfen wir ums Brot
und woll'n die Rosen dazu.“


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